Zehnte Geschichte
Was einem Seneschall von Carcasona begegnet

[78] Ein andermal sprach der Graf Lucanor also zu seinem Rate Patronius: Da ich weiß, daß jeder sterben muß, so möchte ich nach meinem Tode gern irgend etwas Großes und Dauerndes hinterlassen, das meiner Seele zugute käme und wobei alle meiner gedächten; ich bitte Euch daher, ratet mir, auf welche Weise ich dies am besten erzielen könnte.

Herr, entgegnete Patronius, das Gute, wie es auch geschehe, ist und bleibt zwar immer gut, damit Ihr aber wisset, in welcher Art und Gesinnung es der tun muß, dem es zum Seelenheil gereichen soll, wünschte ich sehr, Ihr vernähmet, was sich einst mit einem Seneschall von Carcasona zugetragen.[78]

Was ist das gewesen? fragte der Graf.

Ein Seneschall von Carcasona, sagte Patronius, wurde krank, und da er merkte, daß sein letztes Stündlein nahete, schickte er nach dem Prior der Dominikaner und dem Guardian der Minoriten, bestellte mit ihnen sein Haus und empfahl ihnen, gleich nach seinem Tode seinen Letzten Willen genau zu befolgen. Sie taten, wie er gesagt. Er aber hatte sehr vieles zu seinem Seelenheil angeordnet, und da alles so pünktlich und schnell erfüllt wurde, so waren sie ganz beruhigt und zweifelten nicht an seiner Seligkeit. Da geschah es, daß ein vom Teufel besessenes Weib in die Stadt kam und viel Verwunderliches aussagte, denn der Teufel sprach aus ihr. Als die Mönche davon hörten, fanden sie es für gut, zu ihr zu gehen und sie zu befragen, ob sie vielleicht etwas von der Seele des Seneschalls wüßte. Kaum aber waren sie in das Haus der Besessenen eingetreten, als dieselbe, bevor sie noch zu Worte kamen, ihnen schon zurief, sie wisse recht gut, weshalb sie kämen: die Seele, nach der sie fragen wollten, habe sie ganz vor kurzem erst in der Hölle verlassen. Da die Mönche das vernahmen, erwiderten sie, sie löge, denn sie wüßten gewiß, daß er ordentlich gebeichtet und die Sakramente der heiligen Mutter Kirche empfangen, und da der christliche Glaube untrüglich sei, so könne diese ihre Aussage nicht wahr sein. Doch sie entgegnete: Ohne Zweifel ist Lehre und Satzung der Christen vollkommen wahr, und[79] hätte daher der Seneschall vor seinem Tode getan, was einem wahren Christen geziemt, so wäre seine Seele gerettet; so aber tat er's nicht als ein rechter und aufrichtiger Christ. Freilich hat er gar vieles zu seinem Seelenheile verordnet, es geschah aber nicht in der rechten Meinung; denn seine Absicht war, wenn er am Leben bliebe, keines jener guten Werke zu verrichten, darum sollte erst alles nach seinem Tode geschehen, wo er doch nichts mehr behalten oder mitnehmen konnte; außerdem tat er es auch, damit die Welt ihn deshalb lobe, und er einen dauernden Ruhm zurücklasse. Hat er daher auch Gutes getan, so tat er's doch nicht auf gute Weise, denn das Gute dabei ist die Gesinnung; die seinige aber, weil sie zu spät kam, war schlecht, und darum hat er des keinen Lohn.

Verlangt Ihr aber nun, Herr Graf, meinen Rat, so ist es der: daß Ihr das Gute, das Ihr tun wollt, bei Lebzeiten tut, und, wenn Ihr Gottes Lohn dafür haben wollt, vor allem andern erst alles begangene Unrecht wieder gutmachet. Denn was nützt es, das Schaf zu stehlen und die Knochen um Gottes willen wieder wegzuschenken, oder erst unrechtmäßigerweise zu erobern und zu rauben und dann Almosen zu geben von fremdem Gut? Soll vielmehr Wohltätigkeit eine Tugend sein, so muß sie fünf Dinge in sich enthalten: erstens muß man vom rechtmäßigen Eigentum, zweitens in bußfertigem Zustande und drittens solchergestalt spenden, daß man weggibt, was[80] einem lieb war und was man nachher vermißt; sodann übe man die Mildtätigkeit bei Lebzeiten und tu es einzig und allein um Gottes willen und nicht aus weltlicher Eitelkeit und Hoffart. Und wer diese fünf Regeln befolgt, wird das Gute vollkommen erreichen und Gottes Lohn davon haben. Doch darum sollt Ihr und andere die guten Werke, weil Ihr sie vielleicht nicht so vollständig erreichen könnt, nicht etwa in der Meinung ganz unterlassen, sie nützten nichts, wenn sie nicht in der erwähnten Weise geschähen. Das hieße verzweifeln und wäre ein sehr schlechter Schluß, denn die Mildtätigkeit, wie sie auch geübt werde, ist immer gut, indem sie dem Menschen von der Sünde hilft und ihn zur Buße bewegt, und des Leibes Wohl, Reichtum und Ehre, guten Leumund und alle irdischen Güter fördert, nur daß sie dem zu größerem Heil der Seele gereicht, der obgedachte fünf Regeln beobachtet.

Der Graf fand, daß Patronius wahr gesprochen, er nahm sich im Herzen vor, danach zu verfahren, und bat um Gottes Beistand dazu. Don Juan aber, welchem diese Geschichte gut schien, ließ sie in dieses Buch eintragen und machte folgende Verse:


Tu Gutes stets mit gutem Sinn,

So ist der Himmel dein Gewinn.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 78-81.
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