Neunte Geschichte
Was in Tunis mit zwei Rittern aus dem Gefolge des Infanten Heinrich sich begeben

[73] Eines Tages sprach der Graf Lucanor folgendermaßen zu seinem Rat Patronius: Ich habe seit langer Zeit einen Feind, der hat mir, und ich ihm, vielen Schaden zugefügt, so daß wir durch Tat und Gesinnung scharf geschieden sind. Jetzt aber ereignete sich's, daß ein viel Mächtigerer als wir beide Streitigkeiten anfängt, die, wie wir besorgen, jedem von uns zu großem Schaden gereichen können. Da läßt nun mein Feind mir sagen, wir möchten uns zusammentun, um uns gegen jenen Dritten zu verteidigen, denn beide vereinigt, könnten wir uns seiner sicherlich erwehren. Ebenso sicher aber würde er, wenn wir getrennt blieben, den einzelnen nach Belieben und ohne Mühe vernichten; denn hätte er erst den einen überwunden, so[74] wäre es ihm ein leichtes, den Übriggebliebenen, welcher von uns es auch sein möge, zu verderben. Demungeachtet bin ich noch immer in großem Zweifel hierin; denn auf der einen Seite fürchte ich sehr, daß mein Feind mich nur täuschen will und ich meines Lebens nicht sonderlich sicher wäre, wenn er mich erst einmal in seiner Gewalt hätte. Und doch ist es bei so engem Freundschaftsbündnis unvermeidlich, daß sich einer dem andern ganz anvertraue; und das ist es eben, was mich argwöhnisch macht. Anderseits sehe ich aber auch wieder ein, daß wir in großes Ungemach kommen können, wenn wir nicht, wie er mir angetragen, einander die Hände reichen. Voll Vertrauen zu Eurer Einsicht bitte ich Euch daher, mir hierin zu raten.

Herr Graf, das ist eine sehr schwierige und gefährliche Angelegenheit, antwortete Patronius, doch damit Ihr um desto sicherer beurteilen könnt, wie Ihr Euch hierbei zu benehmen habt, wünschte ich, Ihr hörtet, was einmal zwei Rittern aus des Infanten Don Heinrich Gefolge in Tunis begegnet ist.

Und was war das? fragte der Graf.

Zwei Ritter, sagte Patronius, welche mit dem Infanten Don Heinrich zu Tunis sich aufhielten, lebten in großer Freundschaft miteinander und bewohnten stets ein Haus. Sie hatten jeder nur ein Roß, gleichwie aber die Ritter sich liebten, so haßten sich ihre Rosse. Nun waren die Ritter[75] nicht reich genug, um zwei Wohnungen zu halten, und doch konnten sie wegen der Feindschaft ihrer Pferde nicht beisammenbleiben und führten daher ein verdrießliches Leben. Das währte so eine Zeitlang, da sie's aber für die Dauer endlich unerträglich fanden, erzählten sie die Sache dem Don Heinrich und baten ihn, die Rosse einem der Löwen vorführen zu lassen, die der König von Tunis hielt. Don Heinrich dankte ihnen für ihren Antrag, sprach deshalb mit dem König, und die Pferde wurden den Rittern gut bezahlt und in den Löwenzwinger gebracht. Sobald die Pferde sich im Hofe sahen, fingen sie, bevor noch der Löwe aus seinem Behältnis kam, sogleich an, auf das heftigste untereinander zu kämpfen; wie sie aber im besten Streite waren, öffnete man dem Löwen die Pforte. Als nun der Löwe den Hof betrat und die Rosse ihn erblickten, begannen sie furchtbar zu zittern, während sie immer mehr und mehr aneinanderrückten. Und als sie beisammen waren, gingen sie beide, wie aus einem Stück, auf den Löwen los und empfingen ihn dergestalt mit Beißen und Schlagen, daß man sich genötigt sah, ihn dort wieder einzusperren, woher er gekommen war, und die Rosse blieben unversehrt, denn der Löwe konnte ihnen durchaus nichts anhaben. Von Stund an aber waren jene Rosse so einträchtig, daß beide aus einer Krippe fraßen und in einem sehr kleinen Stalle zusammen standen; und diese Eintracht entsprang aus[76] der großen Furcht, die sie vor dem Löwen hatten.

Und wenn Ihr, Herr Graf Lucanor, nun sehet, wie Euer Feind so große Besorgnis vor jenem Dritten hegt, und Eurer dergestalt bedarf, daß er notgedrungen alles Schlimme, das ihr einander zugefügt, vergessen muß, indem er ohne Euch sich nicht zu schützen weiß, so halte ich dafür, daß Ihr nach und nach Vertrauen und ein Herz zu ihm fassen solltet, gleichwie jene Rosse sich immer enger aneinanderschlossen, bis sie allen Argwohn fahren ließen und eins des andern sicher war. Findet Ihr dann bei ihm treue, dauernde Hilfe, so daß Ihr gewiß seid, er werde zu keiner Zeit, so gut es ihm auch gehen mag, Euch wieder zu schaden trachten, dann ist es recht und Euer eigner Vorteil, Euch wechselseitig zu unterstützen, damit kein Fremder Euch überfalle und zugrunde richte, denn man muß von Verwandten und Nachbarn gar vieles ertragen, um nicht von Fremden verraten zu werden. Gewahrt Ihr dagegen bei Eurem Feinde so böse Gemütsart, daß er auch nach erhaltenem Beistand, und wenn er durch Euch sich erst außer Gefahr und das Seinige in Sicherheit sähe, sich von neuem gegen Euch kehren möchte, so wäre es Torheit, ihm zu helfen; in diesem Falle müßt Ihr vielmehr alles aufbieten, ihn aus dem Lande zu jagen. Denn hat er in der großen Not, die Ihr gewendet, seinen Groll nicht vergessen, sondern nur bis zu gelegener[77] Zeit aufgespart, so seht Ihr wohl ein, daß Ihr keine Ursache habt, irgend etwas zu seiner Rettung aus der großen Gefahr zu unternehmen.

Der Graf befand die Worte und den Rat des Patronius sehr gut, und da dem Don Juan die Geschichte gefiel, ließ er sie in diesem Buche aufschreiben und machte nachstehenden Reim:


Verschmähe nicht des Landsmanns Hand,

Daß nicht der Fremde bricht ins Land.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 73-78.
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