Einundzwanzigste Geschichte
Was einmal mit sehr guten Reiherfalken und insbesondere mit einem vortrefflichen isländischen Falken, der dem Infanten Don Manuel gehörte, sich zugetragen hat

[125] Ein andermal sagte der Graf Lucanor zu seinem Rate Patronius: Ich war in mannigfachen Streit verwickelt, und nun, da der Zwist vorüber, raten mir einige, anderweit neuen Kampf anzubinden. Andre dagegen wollen, ich soll ausruhen und Frieden halten, und wieder andere, ich soll die Mohren mit Krieg überziehen. Da ich aber weiß, daß mir niemand besser raten kann als Ihr, so bitte ich Euch, sagt mir, was ich tun soll. Herr Graf, entgegnete Patronius, damit Ihr in dieser Sache das Rechte trefft, wäre es gut, Ihr hörtet, was sich einst mit einem sehr guten isländischen Falken des Infanten Don Manuel begeben hat. Und was war das? fragte der Graf.[125]

Herr Graf, sagte Patronius, der Infant Don Manuel jagte eines Tages unweit von Ascalon und warf seinen isländischen Falken nach einem Reiher; indem aber der Falke mit dem Reiher aufstieg, stürzte sich ein Adler auf den Falken, und dieser, aus Furcht vor dem Adler, ließ den Reiher und begab sich auf die Flucht. Der Adler, da er ihn nicht erreichen konnte, flog fort, und da der Falke dies gewahrte, wandte er sich wieder zum Reiher. Da wandte auch der Adler sich abermals zum Falken, und der Falke flüchtete wie das erstemal, und der Adler flog fort und der Falke kehrte von neuem zum Reiher zurück. So ging es drei- oder viermal, und jedesmal, wenn der Adler wegflog, warf der Falke sich wieder auf den Reiher und war der Adler wieder hinter dem Falken her.

Als nun der Falke sah, daß ihm der Adler den Reiher durchaus nicht gönnen wollte, verließ er diesen, schwang sich über den Adler hinaus und stieß und hackte nach ihm so lange, bis er ihn aus der Gegend verjagt hatte. Darauf griff er von frischem den Reiher an; während er aber mit ihm hoch in den Lüften schwebte, kam auch der Adler schon wieder auf ihn los. Da nun der Falke sah, daß alles nichts helfen wollte, überflog er nochmals den Adler, stürzte sich dann auf ihn herab und versetzte ihm einen solchen Stoß, daß er ihm einen Flügel zerschmetterte, und als er ihn so mit gebrochener Schwinge sinken sah, fiel er wieder[126] über den Reiher her und erlegte ihn; und dies geschah, weil er sich von dem Adler nicht sogleich irren und von seiner Beute abwendig machen ließ.

Wenn nun aber, Herr Graf Lucanor, wie Ihr wohl wisset, Euer Weidwerk, Eure Ehre und all Euer Gut an Leib und Seele darin besteht, Gott zu dienen, wenn Ihr ferner wisset, daß Ihr nach Eurem Stande nirgends Gott besser dienen könnt als im Kampf mit den Mohren, um den wahren und heiligen katholischen Glauben zu verbreiten, so rate ich Euch, sobald Ihr anderwärts sicher seid, die Mohren mit Krieg zu überziehen. Dadurch erzeugt Ihr mannigfaches Gute, indem Ihr nicht nur etwas Gottgefälliges tut, sondern auch mit Ehren die Pflichten Eures Berufs erfüllt und Euer Brot nicht umsonst eßt, was keinem Mächtigen geziemt.

Denn wenn ihr Herren nichts Großes vorhabt, achtet ihr das Volk nicht, wie ihr sollt, und tut nicht für dasselbe, was ihr ihm schuldig seid, werft euch vielmehr auf andre Dinge, die oft besser unterbleiben. Tut euch Herren aber hiernach Arbeit not: wo fändet ihr eine, die besser, ehrenvoller und für Leib und Seele so vorteilhaft und ohne Gefährde wäre als der Krieg gegen die Mohren? Gedenket nur des einen Beispiels, das ich Euch in diesem Buche aufgestellt: an den Sprung, den König Richard von England tat, und was er dadurch gewonnen. Erwäget, daß Ihr sterben[127] müßt und öfters Gott beleidigt habt, daß Gott ein gerechter und strenger Richter ist, und daß Ihr der Strafe Eurer Übeltaten nimmer entgehen könnet. Sehet also zu, ob Ihr nicht glücklich zu preisen, wenn sich Euch eine Bahn eröffnet, auf einmal alle Eure Sünden abzubüßen. Denn sterbt Ihr, wahrhaft bereuend, in solchem Kampfe, so ist die Märtyrerkrone Euer Lohn, und fielet Ihr auch nicht durchs Schwert, die gute Tat und Absicht rettet dennoch Eure Seele.

Dem Grafen schien der Rat vortrefflich, er nahm sich vor, ihn zu befolgen, und bat Gott, daß er's nach seines Herzens Wunsch füge. Don Juan aber fand das Beispiel sehr gut, ließ es in dieses Buch eintragen und dichtete folgenden Reim:


Hat Gott dir Waffenruh beschert,

So zieh fürs höchste Gut dein Schwert!

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 125-128.
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