Achtundzwanzigste Geschichte
Was Don Lorenzo Suarez Gallinato in Granada widerfuhr

[152] Eines Tages sprach der Graf zu Patronius, seinem Ratgeber, in folgender Weise: Patronius, ein Mann kam zu mir, um mir seinen Schutz anzubieten, und ich weiß wohl, daß er ein rechter Mensch ist; aber einige sagen mir, daß er etliche unrühmliche Dinge getan hat. Wegen Eures guten Verstandes bitte ich Euch nun, mir zu raten, was ich in dieser Sache tun soll. Herr Graf Lucanor, sprach Patronius, damit Ihr in diesem Falle das, was meiner Meinung nach am geziemendsten ist, tun könnt, würde ich Euch gerne berichten, wie es Don Lorenzo Suarez Gallinato erging. Der Graf fragte ihn, was das gewesen sei.

Herr Graf, sagte Patronius, Don Lorenzo Suarez Gallinato lebte am Hofe des Königs von Granada und verweilte lange Zeit in seinem Reich. Nachdem es aber Gott gefallen hatte, ihn bei König Don Fernando Gnade finden zu lassen, fragte ihn dieser eines Tages, ob er, nachdem er auf der Seite der Mauren, die er gegen die Christen unterstützt, Gott soviel Schaden zugefügt hätte, noch glauben könne, Gott werde sich seiner erbarmen, um seine Seele zu retten. Und Don Lorenzo Suarez erwiderte ihm, daß er niemals etwas getan hätte, um dessentwillen er auf die Gnade Gottes hoffen dürfe, außer daß er einmal einen Geistlichen beim[153] Lesen der Messe tötete. Dies erschien dem König Don Fernando höchst seltsam, und er fragte ihn, wie solches möglich wäre. Da erzählte ihm Don Lorenzo, daß der König von Granada, als er noch bei ihm weilte, großes Vertrauen zu ihm hatte, so daß er sein erster Leibwächter war. Als er nun eines Tages mit dem König durch die Stadt ritt, hörte er laute Stimmen, und weil er der Wächter des Königs war, spornte er sein Pferd, gelangte dorthin, wo sich der Lärm erhob, und sah einen Geistlichen im Ornat. Ihr müßt aber wissen, daß dieser schlechte Priester Christ gewesen und Maure geworden war. Und eines Tages, um den Mauren Vergnügen zu machen, sagte er zu ihnen, wenn sie wollten, würde er ihnen jenen Gott geben, an den die Christen glaubten, auf den sie vertrauten und den sie für Gott hielten. Die Mauren baten ihn darum. Darauf ließ der verräterische schlimme Geistliche Gewänder herstellen und einen Altar bauen, las die Messe und weihte eine Hostie. Und nachdem sie geweiht war, gab er sie den Mauren, und sie schleiften sie durch den Kot und schmähten sie auf alle mögliche Art. Als Don Lorenzo Suarez dies sah, erinnerte er sich daran, daß er, trotzdem er bei den Mauren lebte, ein Christ war und wahrhaft glaubte, daß jenes der Körper Gottes sei, und daß er, nachdem Jesus Christus gestorben war, um die Sünder zu erlösen, sehr glücklich sein würde, wenn er stürbe, um ihn zu rächen und ihn von der Unehre, die[154] dieses falsche Volk ihm antat, zu befreien. Und nachdem er in großem Schmerz und Kummer dieses gedacht hatte, ritt er auf den verräterischen abgefallenen Geistlichen zu, der jenen großen Verrat begangen hatte, und schlug ihm den Kopf ab. Dann stieg er vom Pferd, kniete nieder und betete den Körper Gottes an, den die Mauren durch den Kot schleiften; und sobald er niedergekniet war, machte die Hostie, die sich dicht in seiner Nähe befand, einen Sprung aus dem Kot heraus und fiel in seinen Schoß. Als aber die Mauren dies sahen, kränkte es sie sehr, und sie griffen zu den Schwertern und gingen mit Knütteln und Steinen auf Don Lorenzo Suarez los, um ihn zu töten. Er aber packte sein Schwert, mit dem er den schlechten Geistlichen geköpft hatte, und begann sich zu verteidigen. Als nun der Maurenkönig dieses Getümmel hörte und sah, daß sie Don Lorenzo Suarez töten wollten, befahl er, daß niemand ihm irgend ein Leid antue, und fragte, was geschehen sei. Die Mauren aber begehrten trotzig auf und berichteten dem König, wie die Sache vor sich ging, und auch der König zürnte nunmehr und ergrimmte und fragte Don Lorenzo Suarez, warum er ohne seinen Befehl eine solche Tat vollbracht habe. Da erwiderte ihm Don Lorenzo Suarez, der König wisse wohl, daß er nicht seines Glaubens, sondern Christ sei, und trotzdem der König dieses wisse, vertraue er ihm seinen Körper an, weil er glaube, daß Don Lorenzo[155] treu sei und ihn auch in Todesgefahr nicht verließe; da er ihn demnach für so treu halte, daß er glaube, Don Lorenzo würde dies für ihn, einen Mauren, tun, so solle er doch bedenken, was Don Lorenzo, wenn er wirklich treu sei, als Christ tun müsse, um den Körper Gottes zu behüten, der König aller Könige und Herr aller Herren ist; wenn aber der König deshalb seinen Tod befehle, so hätte er nie einen besseren Tag gesehen. Als der König dieses hörte, gefiel ihm wohl, was Don Lorenzo Suarez getan hatte, und er liebte und schätzte ihn noch mehr von jener Stunde an.

Und wenn Ihr, Herr Graf Lucanor, wißt, daß jener Mann, der Euch seinen Schutz anbietet, an sich recht ist und Ihr ihm wohl vertrauen könnt, so dürft Ihr ihn, was man Euch auch sagt über Unrecht, das er getan haben soll, nicht von Eurer Seite entfernen; denn vielleicht haben die Leute jenes, das sie für Unrecht halten, nicht selbst gesehen, oder es war anders, so wie der König Don Fernando dachte, daß Don Lorenzo Suarez unrecht getan hätte, einen Priester zu töten, bis er den Grund davon erfuhr. So aber können wir sagen, daß Don Lorenzo Suarez die beste Tat der Welt voll brachte. Wenn Ihr aber wissen solltet, daß jener Mann wirklich etwas Schlechtes getan hat, werdet Ihr gut tun, ihn nicht in Eurer Nähe zu dulden.

Dem Grafen gefiel wohl, was Patronius ihm sagte, er tat danach und befand sich gut dabei; und da[156] Don Juan dieses Beispiel für sehr gut hielt, ließ er es in sein Buch schreiben und dichtete folgende Verse:


Gar manche Dinge scheinen ohne Grund;

Nur wer sie weiß, dem wird das Rechte kund.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 152-157.
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