Neunundzwanzigste Geschichte
Wie es jemand ergangen, der mit einem großen Schatz auf dem Rücken durch einen Fluß watete

[157] Einst sagte der Graf Lucanor zu seinem Rate Patronius, er habe große Lust und halte es für sehr vorteilhaft, in ein Land zu reisen, wo man ihm eine Summe Geldes schuldig sei, besorge aber, daß dort sein Leben in große Gefahr kommen könnte; er bitte ihn daher, ihm hierin zu raten. Herr Graf, entgegnete Patronius, damit Ihr hierbei handelt, wie es Euch meiner Meinung nach am dienlichsten ist, so wäre es gut, wenn Ihr vernähmet, was einem Mann begegnet ist, der mit einem Schatz auf dem Rücken durch einen Strom ging.

Der Graf bat ihn, es ihm zu erzählen, und Patronius fuhr also fort:

Ein Mann, der einen Schatz auf dem Rücken trug, kam an einen sehr schlammigen breiten Strom, den er notwendig durchwaten mußte, um an den Ort zu gelangen, wo er seine Last bergen wollte; denn da war weder Brücke noch Boot, noch sonst[157] etwas, um anders hinüberzukommen. Er entkleidete sich daher und stieg hinein, wegen seiner schweren Bürde aber sank er mehr ein, als sonst wohl der Fall gewesen wäre, und zwar je tiefer, je weiter er in die Mitte des Stromes kam, weil dort der Schlamm immer größer wurde. Der König, der mit andern am Ufer stand, rief ihm zu, er solle seine Bürde abwerfen, wenn ihm sein Leben lieb wäre. Doch der filzige Narr wollt es nicht tun und glaubte nicht an den guten Rat. Da aber der Strom immer reißender und der Schlamm immer tiefer wurde, versank er nach und nach bis an den Hals ins Wasser, und sooft er die Füße aus dem Schlamm ziehen wollte, hinderte ihn die Bürde, bis der Strom ihn endlich umriß und ersäufte. Und so verlor er Schatz und Leben, weil er aus böser Habsucht auf guten Rat nicht hören wollte und sein Leben geringer achtete als sein Bündel auf dem Rücken.

Ebenso, Herr Graf Lucanor, mag es immerhin ganz gut sein, was Ihr da des Goldes und sonstigen Vorteils wegen vorhabt; dennoch rate ich Euch, wenn Ihr dabei Euer Leben in Gefahr setzen solltet, Euch nicht aus Begierde nach Geld oder ähnlichen Dingen darauf einzulassen. Überhaupt rate ich Euch, Euer Leben nimmer in die Schanze zu schlagen, es sei denn um der Ehre willen und weil die Unterlassung schimpflich wäre. Wahrlich, wer sich selbst geringachtet und aus Geiz oder Aberwitz seinen Leib wagt, von[158] dem könnt Ihr annehmen, daß er seine Gedanken nicht auf Großes gerichtet hat. Denn wer Hohes sinnt, bedarf des Leibes zu seinem Ruhm, der stets nur durch rühmliche Taten und nicht durch Selbstlob zu erringen steht; und ein solcher, das seid versichert, wird sein Leben hoch anschlagen und es nimmer an Gold oder anderes Geringfügige wegwerfen; wo's aber gilt, da setzt auch sicherlich kein Mensch auf der Welt sein Leben rascher und freudiger dran als er, der wohl weiß, wieviel es wert sei.

Dem Grafen gefiel das Beispiel, er richtete sich danach und fuhr wohl dabei, und da auch Don Juan dasselbe sehr gut befand, ließ er es in diesem Buche aufzeichnen und dichtete folgende Verse:


Wagst du aus Habgier Leib und Blut,

Ein Wunder wär's, bekäm's dir gut.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 157-159.
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