Einunddreissigste Geschichte
Was sich mit einem Kranken zugetragen

[161] Einst sprach der Graf Lucanor also zu seinem Rate Patronius: Wisset, Patronius, bei allem Segen Gottes, der mir zuteil geworden, befinde ich mich doch gegenwärtig in so empfindlicher Geldnot, daß ich, obgleich es mir härter vorkommt als der Tod, zu meinem Leidwesen entweder eines meiner Länder verkaufen oder sonst etwas nicht minder Nachteiliges vornehmen muß, um nur aus dieser peinlichen Sorge und Verlegenheit zu kommen. Denn viele, die es recht gut entbehren könnten, verlangen soeben Geld von mir, was mir in diesem Augenblicke so teuer zu stehen kommt. Daher bitte ich Euch, da Gott Euch so guten Verstand verliehen, sagt mir, was ich tun soll.

Herr Graf Lucanor, erwiderte Patronius, mir scheint, es geht Euch mit diesen Leuten, wie es einmal einem Kranken erging. Und wie war das? fragte der Graf.

Ein Mann, sagte Patronius, war so krank, daß die Ärzte erklärten, er könne durchaus nicht anders wieder gesund werden, als wenn sie ihm eine Öffnung in der Seite machten und die Leber herausnähmen, um sie mit den erforderlichen Arzneien zu waschen und von den Krankheitsstoffen zu reinigen. Nachdem aber nun der Kranke diesen Schmerz erlitten, und der Arzt soeben die[162] Leber in der Hand hielt, bat ihn ein Danebenstehender, ihm doch ein Stück von der Leber für seine Katze zu geben.

Und wollt Ihr, Herr Graf Lucanor, Euch in so großen Schaden setzen, um Geld aufzubringen und dahin zu geben, wo es nicht gebraucht wird, so sage ich Euch: Ihr mögt tun, wie's Euch beliebt, mit meiner Zustimmung aber werdet Ihr's nimmer tun.

Des freute sich der Graf gar sehr, sah sich fürder gut vor und fuhr wohl dabei. Und da Don Juan das Beispiel sehr gut fand, ließ er es in dieses Buch schreiben und machte nachstehenden Reim dazu:


Geben, wenn die Tasche leer,

Das bekommt dir nimmermehr.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 161-163.
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