Zweiunddreissigste Geschichte
Was sich mit zwei sehr reichen Leuten zugetragen

[163] Eines Tages sprach der Graf Lucanor in folgender Weise zu Patronius: Ich erkenne es dankbar an, daß mir Gott mehr Gnade, als ich jemals verdienen kann, erzeiget hat, und auch sonst das Meinige überall gut und ehrenhaft genug bestellt ist. Doch zuweilen setzt mir der Mangel an Geld so hart zu, daß ich mir oft lieber den Tod wünschte, und ich bitte Euch daher, mir ein Trostmittel dafür anzugeben.

Herr Graf, entgegnete Patronius, zu Eurem Troste, wenn Euch dergleichen wieder zustößt, wäre es gut, Ihr vernehmet, was sich mit zwei Leuten zugetragen, die einst sehr reich gewesen.

Der Graf bat ihn, es ihm zu erzählen, und Patronius sagte:[164]

Von diesen beiden Leuten geriet der eine in solche Armut, daß er in der Welt nichts zu beißen und zu brechen mehr hatte, und als er mühselig etwas aufsuchte, um seinen Hunger zu stillen, konnte er nichts als einen Napf voll Wolfsbeeren auftreiben. Da er nun seines früheren Reichtums gedachte, und wie er jetzt in Hunger und Not Wolfsbeeren essen mußte, die so bitter und widerlich schmecken, brach er in heftiges Weinen aus; vor großem Hunger machte er sich aber endlich doch daran, aß und weinte immerfort, während er die Hülsen der Beeren hinter sich warf. Mitten in diesem Kummer und Leid bemerkte er jemanden hinter sich, und als er den Kopf wandte, erblickte er einen Mann, der die Hülsen aß, die er weggeworfen, und das war eben jener zweite, dessen ich vorhin gedachte. Als er dies sah, fragte er ihn, was er denn da mache, und dieser erwiderte: er wisse wohl, daß er ehedem reicher gewesen sei als er, jetzt aber sei er so arm und hungrig, daß er sehr froh sei, die Hülsen zu finden, die er übriggelassen. Da tröstete sich jener, der die Bohnen aß, weil er sah, daß es einen gab, der noch ärmer war und noch weniger erwarten durfte, reich zu werden, als er, und mit diesem Troste stärkte er sich und half ihm Gott, er sann auf Mittel, aus diesem Elend zu kommen, und fand sie und wurde noch sehr glücklich.

Und Ihr, Herr Graf Lucanor, sollt wissen, daß[165] dies einmal so der Welt Lauf und des Herrn Wille ist, daß kein Glück auf Erden vollkommen sei. Gott hat Euch mit allem andern gesegnet, Ihr habt Gut und Ehre; wenn Euch daher auch zuweilen das Geld ausgeht und einige Verlegenheit ankommt, so verzaget darum nicht, sondern glaubet sicherlich, daß Angesehenere und Reichere als Ihr oft so bedrängt sind, daß sie sich sehr glücklich schätzen würden, ihren Leuten so viel und auch nur den geringsten Teil von dem geben zu können, was Ihr den Eurigen gebt.

Der Graf war über diese Worte sehr erfreut, er tröstete und half sich, und kam mit Gottes Beistand glücklich aus seiner Bedrängnis. Don Juan aber, der das Beispiel sehr gut fand, ließ es in dieses Buch aufnehmen und dichtete folgende Verse:


Was ficht dein Mangel dich so an?

Schau, andre sind noch schlimmer dran.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 163-166.
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