Dreiunddreissigste Geschichte
Vom Hahn und Fuchs

[166] Einmal sprach Graf Lucanor also zu Patronius: Ihr wißt, mein Land ist gottlob sehr groß, nur bildet es kein rechtes Ganze, denn ich besitze zwar viele Burgen, einige davon aber sind weniger fest, und andere wieder liegen entfernt von der Gegend, wo ich meine Hauptmacht habe. Sooft ich daher mit meinen Herren oder mit Nachbarn, die mächtiger sind als ich, in Zwist gerate, wollen mehrere, die sich für meine Freunde ausgeben oder sonst mir zu Ratgebern sich aufwerfen, mich in Furcht und Schrecken setzen und sagen, ich solle auf keine Weise in jenen entfernten Plätzen verweilen, sondern zu denen meine Zuflucht nehmen, die am besten befestigt und recht in der Mitte meiner Besitzungen belegen sind. Da ich nun weiß, daß Ihr es ehrlich meint und in dergleichen[167] Dingen wohl bewandert seid, so bitte ich Euch, ratet mir, was Euch hierbei für mich am zuträglichsten erscheint.

Herr Graf Lucanor, entgegnete Patronius, in großen und zweifelhaften Dingen ist es gefährlich, Rat zu erteilen, denn da kein Mensch des Ausgangs gewiß ist, so vermag auch der Ratgeber selten sich mit Sicherheit zu äußern. Wie oft sehen wir nicht, daß der Mensch das eine erwartet und dann etwas ganz anderes erfolgt, oder daß das, was er für Unglück gehalten, zum Glücke, und was er für Glück hält, unglücklich ausschlägt. Ein ehrlicher und wohlgesinnter Mann ist daher stets in großer Verlegenheit, wenn er raten soll. Denn schlägt sein Rat gut aus, so hat er keinen andern Dank davon, als daß er eben seine Schuldigkeit getan, schlägt er aber schlimm aus, so fallen Schimpf und Schaden jederzeit auf den Ratgeber zurück. Darum möchte ich jenes Rates, der voller Wagnis und Zweifel ist, herzlich gern enthoben sein; wenn dies aber durchaus nicht sein kann, so wünsche ich wenigstens, Ihr hörtet, was einem Hahn mit einem Fuchse begegnet ist.

Was war das? fragte der Graf.

Herr Graf Lucanor, erwiderte Patronius, ein Bauer, der im Gebirge wohnte, zog unter anderm auch viele Hühner und Hähne auf. Da geschah es, daß eines Tages einer dieser Hähne fern vom Hause über Feld ging, und während er so unbesorgt spazierte, erblickte ihn ein Fuchs und schlich[168] sich ganz heimlich heran, um ihn zu erhaschen. Aber der Hahn merkte es und flog auf einen Baum, der in einiger Entfernung von andern Bäumen stand. Das verdroß den Fuchs gar sehr, er sann daher auf Mittel, wie er ihn dennoch fassen könnte, begab sich zu dem Baum und begann ihn zu beruhigen und mit sanften Worten zu bitten, er möge doch herunterkommen und wie sonst auf dem Felde herumgehen. Der Hahn wollte aber nicht, und da der Fuchs merkte, daß er in Güte nicht zum Ziel gelange, legte er sich aufs Drohen und sagte, wenn er ihm nicht glaube, würde er ihm sein Mißtrauen schon einzutränken wissen. Doch der Hahn, der sich droben geborgen sah, achtete weder auf seine Drohungen noch auf seine Versicherungen. Da nun der Fuchs gewahrte, daß alle seine Kunststücke nicht anschlagen wollten, ging er auf den Baum los und fing an, den Stamm mit den Zähnen zu benagen und mit dem Schweif gewaltige Hiebe darnach zu führen. Jetzt ergriff den Hahn eine närrische Furcht, und ohne zu bedenken, daß ihm der Fuchs nichts anhaben konnte, wollte er auf die andern Wipfel flüchten, wo er sicherer zu sein glaubte, konnte aber den Wald nicht erreichen, sondern kam nur bis auf den nächsten Baum. Wie der Fuchs aber erst sah, daß er ihm so grundlose Furcht eingejagt hatte, verfolgte er ihn immer weiter und trieb ihn von Baum zu Baum, bis er ihn endlich herunterbekam, ergriff und verspeiste.[169]

Und wenn Ihr, Herr Graf Lucanor, auf Großes gefaßt und gerüstet sein müßt, so fürchtet nimmer ohne Grund, laßt Euch von niemand durch Rat oder Drohung unnütz schrecken noch zu blinder Zuversicht auf gefährliche Dinge verleiten, sondern sucht vielmehr stets die äußersten Plätze Eures Landes zu verteidigen und glaubet nicht, daß ein Mann wie Ihr, wenn er nur Kriegsvolk und Lebensmittel hat, irgend in Gefahr schwebe, ob auch der Ort weniger fest sei. Gebt Ihr dagegen aus eitel Furcht und Besorgnis die Burgen an den Grenzen auf, so seid versichert, daß man Euch fortan von Ort zu Ort treiben wird, bis man Euch alles entrissen; denn in demselben Maß, als Ihr mit den Eurigen Furcht und Ohnmacht zeigt und Eure festen Plätze verlaßt, wächst auch der Feinde Mut, sie zu nehmen, und je mutiger Ihr hinwiederum die Gegner seht, um so verzagter werdet Ihr, und so geht es wechselseitig fort, bis Euch zuletzt nicht das geringste übrigbleibt. Behauptet Ihr dagegen beharrlich gleich den ersten Platz, so seid Ihr geborgen wie der Hahn, wenn er auf dem ersten Baume geblieben wäre; und dies, meine ich, paßt auf alle, die sich durch Feindesscharen, Gräben, Sturmgerüste und andere solche Dinge törichterweise verwirren lassen, denn alle diese Anstalten sind eben nur dazu da, um den Belagerten Furcht einzujagen.

Und damit Ihr seht, daß ich wahr spreche, will ich Euch noch mehr sagen: Kein Platz kann anders[170] genommen werden, als daß man die Mauer entweder auf Leitern ersteigt, oder sie untergräbt. Ist nun die Mauer hoch, so reicht keine Leiter hinan, und sie ordentlich zu untergraben, da können sie, glaubt mir, lange wühlen; und so fallen denn die Burgen, wenn nicht etwa aus irgendeinem Versehen der Belagerten, fast alle nur durch eitel Furcht und Unverstand. Wahrlich, Herr Graf, ein Mann wie Ihr sollte zwar nie etwas anfangen, ohne es vorher reiflich erwogen zu haben, seid Ihr aber einmal mittendrin, so laßt Euch auch durch nichts unnützerweise einschüchtern, sondern tut, was Ihr sollt; denn von denen, die in Gefahr stehen, kommt sicherlich der viel eher durch, der sich verteidigt, als der da flieht. Bedenket, wenn ein Bullenbeißer ein Hündchen würgen will, bleibt dieses ruhig stehen, weist die Zähne und rettet sich häufig, so groß auch der Köter sei, ergreift es aber die Flucht, so ist es verloren.

Dem Grafen gefielen des Patronius Worte, er richtete sich darnach und fuhr wohl dabei, und da Don Juan das Beispiel sehr gut fand, ließ er es in dieses Buch schreiben und machte folgenden Reim dazu:


Fürcht nicht, was nicht schaden kann,

Sondern wehr dich wie ein Mann.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 166-171.
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