Siebenundvierzigste Geschichte
Was einem Kaufmann begegnete, welcher Weisheit kaufen wollte

[228] Eines Tages kam der Graf Lucanor, noch ganz wütend über eine ihm angetane Beleidigung, zu seinem Rate Patronius und beteuerte, er wolle darüber einen solchen Lärm machen, daß man für immer daran denken sollte. Da Patronius ihn plötzlich so voller Zorn sah, sagte er zu ihm: Herr Graf, ich wünschte sehr, Ihr vernähmet, was einmal einem Kaufmanne begegnet ist, der Weisheit kaufen wollte. Und was war das? fragte der Graf.

Herr Graf Lucanor, entgegnete Patronius, in einer Stadt lebte ein großer Meister, der kein anderes Geschäft hatte, als mit weisen Lehren zu handeln, und da jener Kaufmann dies erfuhr, ging er zu dem Meister hin und bat ihn, ihm etwas[229] davon abzulassen, und der Meister war damit zufrieden, erwiderte aber, er möge erst angeben, zu welchem Preise er sie wünsche, denn wie die Bezahlung, so die Ware. Der Kaufmann antwortete, er wolle für einen Pfennig Weisheit haben; da nahm der Meister den Pfennig und sagte: Freund, wenn Euch jemand einladet und Ihr wißt nicht, was für Gerichte kommen werden, so eßt Euch gleich an dem ersten satt, das man Euch vorsetzt. Der Kaufmann meinte, da wäre eben nicht viel Weisheit dabei, der Meister aber entgegnete, der Preis sei auch nicht darnach, um viel dafür zu fordern. Da verlangte der Kaufmann Weisheit für eine Dublone, und nachdem der Meister das Goldstück empfangen, sagte er: Wenn Ihr im Zorne rasch etwas vornehmen wollt, so brecht nicht eher los, als bis Ihr vorher alles genau erforscht habt. Der Kaufmann dachte, wenn er solche Plaudersprüchlein einhandeln wollte, könnte er wohl alle seine Dublonen loswerden; er mochte daher keine Weisheit mehr kaufen, prägte sich jedoch diesen Spruch ins Gedächtnis ein.

Nun geschah es, daß der Kaufmann einmal über Meer in ein weit entlegenes Land fuhr und bei der Abreise seine Frau in guter Hoffnung verließ, durch seine Handelsgeschäfte aber in der Fremde so lange aufgehalten wurde, bis der Sohn, mit dem sie damals schwanger ging, über zwanzig Jahre alt geworden war. Die Mutter hatte nur das eine Kind, und da sie ihren Mann längst für tot hielt,[230] war dieser Sohn, den sie mütterlich liebte, ihr einziger Trost. Aus Liebe zu seinem Vater nannte sie ihn daher stets ihren Mann, er aß und schlief mit ihr, als ob er immer noch ein kleines Bübchen wäre, und so verlebte sie ihre Zeit als eine rechtschaffene Frau, jedoch in großem Kummer, weil sie von ihrem Manne keine Kunde erhielt. Unterdes aber hatte der Kaufmann endlich alle seine Geschäfte abgemacht und kehrte glücklich wieder heim; und noch an demselben Tage, wo er in dem Hafen jener Stadt einlief, begab er sich, ohne irgend jemandem etwas zu sagen, unerkannt in seine Wohnung und versteckte sich an einem verborgenen Orte, um zu sehen, was in seinem Hause vorging. Als es nun gegen Nachmittag kam, trat der Sohn herein, und die gute Mutter fragte ihn: Sage, Mann, wo kommst du her? Da der Kaufmann sie den jungen Burschen Mann nennen hörte, wollt es ihm das Herz abdrücken, denn er glaubte, weil der Mensch noch so jung war, sie führe, ohne mit ihm verheiratet zu sein, einen schlechten Wandel mit ihm. Er wollte daher sogleich beide umbringen, da fiel ihm aber der Spruch ein, der ihm eine Dublone gekostet, und er faßte sich. Nun wurde es Abend und sie setzten sich zum Essen, und da er sie so beisammen sah, trieb es ihn noch weit mehr, sie zu bestrafen, aber er erinnerte sich wieder des gekauften Spruches und faßte sich. Als es nun aber Nacht wurde und sie sich zu Bette legten, konnte er's nicht länger[231] ertragen und ging auf sie los, um sie zu töten; doch mitten in seiner Wut gedachte er abermals jenes Spruches und stand plötzlich still. Da vernahm er, wie die Mutter, bevor sie das Licht auslöschte, bitterlich weinend sagte: Ach, lieber Mann und Sohn, ich hörte, daß heute ein Schiff eingelaufen ist, das, wie es heißt, aus dem Lande kommt, wo dein Vater war, geh doch um Gottes willen gleich morgen früh hin, vielleicht fügt es Gott, daß wir etwas von ihm erfahren. Als der Kaufmann das hörte und sich erinnerte, daß er seine Frau schwanger verlassen, schoß ihm plötzlich das Blatt, daß dies sein Sohn sein müßte. Da hatte er große Freude darüber, dankte Gott, daß er seinen Vorsatz, sie zu ermorden, nicht ausgeführt, was ihn unter solchen Umständen sehr unglücklich gemacht hätte, und fand die Dublone, die er für jenes Sprüchlein ausgegeben, wohl angewandt, da sie ihn davor behütet, sich vom Zorne übermannen zu lassen.

Wenn Ihr nun aber, Herr Graf Lucanor, über jenen vermeintlichen Schimpf entrüstet seid, so habt Ihr ganz recht daran, sobald Ihr der Sache gewiß seid. Bis dahin aber rate ich, Euch von Zorn und Leidenschaft zu nichts hinreißen zu lassen, denn dies ist keine Sache, die durch Aufschub bis zur völligen Aufklärung der Wahrheit Euch verlorenginge, Euer Ungestüm dagegen könnte Euch gar bald gereuen.

Der Graf fand diesen Rat gut, befolgte ihn und[232] fuhr wohl dabei, Don Juan aber, der das Beispiel vortrefflich fand, ließ es in diesem Buche aufschreiben und dichtete folgenden Vers:


Greifst du in Zorneswut zur Wehr,

Geschieht dir recht, reut's dich nachher.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 228-233.
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