Neunundvierzigste Geschichte
Was dem Teufel mit einer Pilgerin begegnet

[234] Der Graf Lucanor sagte einmal zu seinem Rate Patronius: Als ich neulich mit vielen andern im Gespräch war, kamen wir auf die Frage, wodurch[234] ein schlechter Mensch seinen Nebenmenschen am meisten Herzeleid antun könnte. Da sagten einige: durch Ränkesucht, andre: durch bucklige Ungestalt, und wieder andre meinten, das Allerschlimmste seien böse Zeugen und Verleumdung. Bei Eurer guten Einsicht nun bitte ich Euch, sagt mir, welches von jenen Übeln Euch das unheilvollste scheint. Herr Graf, entgegnete Patronius, damit Ihr hierin aufs reine kommt, wäre es mir sehr lieb, Ihr vernähmet, was einmal dem Teufel mit einem jener herumziehenden Weiber begegnet ist. Und was war das? fragte der Graf.

Herr Graf, sagte Patronius, in einer Stadt wohnte ein sehr tugendhafter junger Mann mit seiner Frau, und beide lebten so glücklich miteinander, daß es nie eine Mißhelligkeit zwischen ihnen gab. Das verdroß den Teufel, dem das Gute stets ein Dorn im Auge ist, und er ging schon lange damit um, Böses unter ihnen zu stiften, konnte aber niemals seinen Zweck erreichen. Als er nun eines Tages, sehr niedergeschlagen über den schlechten Erfolg, aus jener Stadt kam, begegnete er einer gottlosen Pilgerin, und nachdem sie einander erkannt hatten, fragte ihn diese, warum er denn so betrübt sei. Der Teufel erwiderte, er komme aus der Stadt, wo jene Eheleute wohnten, und habe schon lange ganz vergeblich sie zu verderben getrachtet; erführe aber sein Meister, daß er soviel Zeit verbraucht, ohne etwas auszurichten, so würde es ihm sicherlich übel ergehen, und darum[235] sei er so betrübt. Sie äußerte ihm ihr Erstaunen darüber, daß er, da er doch sonst so klug sei, das nicht zustande bringen könne; wenn er ihr aber folgen wollte, so wolle sie schon Rat schaffen. Da versprach der Teufel, alles zu tun, was sie verlangte, um nur diesem Ehepaar beizukommen, und so wurden denn beide des Handels einig.

Jetzt begab sich die Pilgerin in die Stadt und ruhte nicht eher, als bis sie die Bekanntschaft der Frau jenes Mannes gemacht hatte; bei dieser gab sie vor, sie sei eine ehemalige Magd ihrer Mutter und halte sich aus Dankbarkeit für verpflichtet, nun auch ihr nach Kräften zu dienen. Die gute Frau, die keinen Zweifel in ihre Worte setzte, nahm sie in ihr Haus auf und vertraute ihr alle ihre Angelegenheiten, und dasselbe tat auch ihr Mann. Nachdem sie aber lange Zeit so im Hause gewesen und die Vertraute von beiden geworden war, kam sie eines Tages sehr traurig zu der Frau und sagte: Ach Kind, wie schmerzt es mich, was ich soeben gehört habe: Euer Gemahl nämlich soll an andern Frauen mehr Gefallen finden als an Euch; ich beschwöre Euch, tut ihm doch ja nur alles mögliche Liebes und Gutes an, damit er nicht andern nachläuft, denn daraus könnte für Euch das größte Unglück entstehen. Dies ging der guten Frau, obgleich sie noch nicht recht dran glauben konnte, doch sehr zu Herzen, und sie versank in große Betrübnis. Da nun die boshafte Pilgerin sie so traurig sah, eilte sie an einen Ort,[236] wo der Mann vorübergehen mußte, und als er kam, sagte sie: sein Betragen betrübe sie nicht wenig; so eine gute Frau zu haben und doch eine andere mehr zu lieben! Aber seine Frau wisse schon darum und bekümmere sich sehr darüber; sie habe ihr gesagt: da er so gegen sie handelte, obgleich sie ihm alles Gute erwiese, so wolle sie sich nun auch einen andern suchen, der sie ebenso und noch mehr liebte als er; doch solle er nur um Gottes willen reinen Mund halten, daß es die Frau nicht wieder erführe, sonst wäre sie des Todes.

Als der Mann dies hörte, glaubte er's zwar nicht, wurde aber doch sehr nachdenklich. Die boshafte Pilgerin aber ließ ihn so stehen, ging wieder zu der Frau zurück und sagte, indem sie sich sehr betrübt anstellte, zu ihr: Töchterchen, ich weiß nicht, was für ein Unstern da waltet, aber Euer Gemahl ist sehr ungehalten über Euch, und damit Ihr Euch überzeugt, daß ich die Wahrheit rede, so gebt nur acht, wie verdrießlich und zornig er ankommen wird, was doch sonst nicht seine Gewohnheit war. Darauf, sie ihrem Kummer überlassend, ging sie abermals zu dem Manne und sagte ihm ganz dasselbe. Als nun dieser nach Hause kam und seine Frau wirklich so trübe und nichts von der alten Traulichkeit bei ihr fand, die sonst unter ihnen herrschte, blieb er selber immerfort finster. Da sagte die falsche Pilgerin, nachdem er wieder fortgegangen war, zu der guten Frau:[237] Wenn es ihr recht wäre, so wolle sie einen gelehrten Mann aufsuchen, daß er ihren Gemahl irgendwie von der üblen Laune heile, die er gegen sie bezeige; und die Frau, die das gute Vernehmen mit ihrem Manne wieder hergestellt zu sehen wünschte, erwiderte: sie sei damit zufrieden und würde es ihr sehr danken.

Einige Tage nachher kehrte die Pilgerin mit der Nachricht zurück, daß sie nun einen sehr geschickten Mann gefunden, der habe ihr gesagt, wenn er ein paar Barthaare ihres Mannes hätte, die aber aus dem Bart an der Kehle sein müßten, so würde er damit ein Meisterstück machen, daß ihr Mann all seinen Zorn gegen sie verlöre und sie wieder ebenso zufrieden und vielleicht noch glücklicher als sonst miteinander lebten; sie sollte daher nur, sobald ihr Gemahl zurückkäme, es so einzurichten suchen, daß er auf ihrem Schoße einschlummere. Dabei gab sie ihr ein Rasiermesser zum Abscheren der Haare, und die gute Frau, die voller Kummer über die Entfremdung, die zwischen ihnen entstanden, nichts in der Welt sehnlicher wünschte, als das vorige Glück wieder zu erlangen, willigte aus großer Liebe zu ihrem Manne ein und nahm das Messer, das ihr die böse Pilgerin gebracht. Diese aber suchte sogleich wieder den Mann auf und sagte zu ihm: es täte ihr so leid um sein Leben, daß sie's ihm unmöglich länger verbergen könnte, denn sie wisse, daß seine Frau ihn töten und mit ihrem Geliebten davongehen[238] wolle, und zum Beweise, daß sie die Wahrheit spräche, wollte sie ihm auch entdecken, in welcher Art sie ihn umzubringen beschlossen hätte. Sobald er nämlich nach Hause käme, wolle die Frau ihn auf ihrem Schoße in Schlummer wiegen und, wenn er eingeschlafen, ihm mit einem Schermesser, das sie dazu schon bei sich hätte, den Hals abschneiden. Diese falschen Worte erschreckten den Mann heftig und machten ihn noch besorgter als die früheren Zuträgereien, er nahm sich indes vor, auf seiner Hut zu sein, und ging nach Hause, um die Sache zu prüfen.

Zu Hause wurde er von der Frau freundlicher als an den vorhergehenden Tagen empfangen; sie sagte zu ihm: er sei immer so beschäftigt, ohne sich jemals Ruhe und Erholung zu gönnen, er solle sich einmal an ihre Seite hinstrecken und den Kopf auf ihren Schoß legen, sie wolle ihn lausen. Bei diesen Worten wurde er immer argwöhnischer; um jedoch zu sehen, was die Frau machen würde, legt er sich auf ihren Schoß zum Schlafen zurecht und stellt sich nach und nach, als schlummere er, und als die Frau meinte, er schlafe fest genug, zieht sie das Rasiermesser hervor, um ihm die Haare abzuscheren. Der Mann aber, da er das Messer in ihrer Hand an seiner Kehle sieht, zweifelt nun nicht länger an den Worten der Pilgerin, reißt der Frau das Messer aus der Hand und schneidet ihr damit den Hals ab. Über dem Geräusch indes, das die Tat verursachte, waren Vater[239] und Bruder der Frau herbeigelaufen, und da sie die Frau ermordet sahen und doch bis auf diesen Tag weder vom Manne noch von sonst jemand etwas Schlechtes von ihr gehört hatten, erfaßte sie ein solcher Grimm, daß sie alle über den Mann herfielen und ihn ermordeten. Und auf diesen Lärm rannten wieder die Verwandten des Mannes herzu und erschlugen die, die ihren Vetter erschlagen, und so wogte das Getümmel hin und her, so daß am selbigen Tage der beste Teil der Einwohner, so viele deren in der Stadt waren, erschlagen wurden; und all dieses Unglück kam von den falschen Worten jener tückischen Pilgerin.

Wie aber der Herr keine Untat, so verborgen sie auch sein mag, unvergolten läßt, so brachte er's auch hier ans Tageslicht, daß die böse Pilgerin das ganze Unheil aufgerührt, und so wurde sie peinlich gerichtet und nahm ein schreckliches Ende.

Wenn aber Ihr, Herr Graf Lucanor, erfahren wollt, wer auf Erden der Schlimmste ist und am meisten Unglück stiftet, so wisset: es ist der, der vor der Welt den guten Christen, den Ehrlichen und Tugendhaften spielt, im Innern aber voller Falschheit ist und Lügen und Verleumdungen erfindet, um die Menschen zu verderben. Darum rate ich Euch, hütet Euch vor den frommen Schleichern, denn die meisten von ihnen sinnen nur auf Lug und Trug, und um stets wohlberaten zu sein, gedenkt des Rats des Evangeliums, wo geschrieben steht: A fructibus eorum cognoscetis[240] eos: An ihren Werken werdet ihr sie erkennen. Denn seid versichert, kein Mensch in der Welt, und wenn es auch auf kurze Zeit gelingt, kann für die Dauer verbergen, wes Geistes Kind er ist.

Der Graf erkannte als wahrhaft an, was ihm Patronius gesagt, nahm sich im Herzen vor, darnach zu handeln, und bat Gott, ihn und alle seine Freunde vor einem solchen Menschen zu bewahren. Don Juan aber fand das Beispiel sehr gut, ließ es in dieses Buch schreiben und dichtete folgenden Reim:


Merk auf die Tat, nicht auf den Schein,

Willst du vor Unglück sicher sein.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 234-241.
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