Sechste Geschichte
Was dem Grafen von der Provence mit Saladin, dem Sultan von Babylon, begegnet ist

[51] Der Graf Lucanor sprach einmal zu seinem Rate Patronius: Einer meiner Vasallen sagte mir neulich, daß er eine Verwandte verheiraten wolle, und gleichwie er gehalten sei, mir stets nach seinem besten Vermögen mit Rat an die Hand zu gehen, so bäte er mich auch nun, ihm hierbei dieselbe Gnade zu erweisen. Dabei teilte er mir alle Heiratspläne mit, die er im Sinne habe, und da er[51] ein Mann ist, dem ich alles Gute wünsche, und ich wohl weiß, daß Ihr in solchen Dingen erfahren seid, so bitte ich Euch um Eure Meinung darüber, um ihm recht vorteilhaft raten zu können.

Herr Graf, erwiderte Patronius, damit Ihr jedermann, der eine Verwandte zu verheiraten hat, mit gutem Rate versehen könnet, wünschte ich, Ihr vernähmet, was dem Grafen von der Provence mit Saladin, dem Sultan von Babylon, begegnet ist. Und was war das? fragte der Graf.

Herr Graf Lucanor, entgegnete Patronius, es war einmal ein Graf in der Provence, der war ein sehr tugendhafter Mann und wünschte sehnlichst, alles, was er zur Vermehrung seines Ruhmes und Landes unternehme, dergestalt zu verrichten, daß es zu seinem Seelenheil gereiche und er die Freuden des Paradieses gewinne. Um dieses nun ins Werk zu setzen, rüstete er viel Volk aus und zog übers Meer ins Heilige Land, im Herzen überzeugt, daß, was ihm auch begegnen möge, nur zu seinem Glücke ausschlagen müsse, da es ihm endlich gelungen, unmittelbar für Gott zu kämpfen. Doch die Ratschlüsse Gottes sind wunderbar und unerforschlich, und er findet es oft für gut, die zu prüfen, die er lieb hat; wer aber die Versuchung zu bestehen weiß, dem lenkt er alles zuletzt zu Ehren und Frommen. Und also beschloß der Herr auch den Grafen von der Provence zu versuchen, indem er zuließ, daß er als Gefangener in die Gewalt des Sultans fiel. In dieser seiner Gefangenschaft[52] aber erwies der Sultan, der seine Vortrefflichkeit kannte, ihm große Güte und Achtung, unternahm nichts Wichtiges ohne seinen Rat, und vertraute ihm so sehr, daß der Gefangene ebensoviel Freiheit und Zerstreuungen hatte und im ganzen Reiche des Sultans nicht weniger für ihn geschah, als es nur in seinem eigenen Lande hätte geschehen können.

Nun hatte der Graf, als er vom Hause schied, dort ein kleines Töchterlein verlassen, und da diese während seiner langen Gefangenschaft nun in die Jahre kam, sich zu vermählen, ließen die Gräfin und ihre Anverwandten dem Grafen sagen, wie viele königliche Prinzen und andere Großen sich um ihre Hand bewerben. Zur selben Zeit aber erhielt der Graf eines Tages einen Besuch von Saladin (denn sie hatten es untereinander ausgemacht, daß der Sultan zu ihm kam), da redete der Graf ihn folgendermaßen an: Ihr habt mir, Señor, soviel Gunst, Ehre und Vertrauen bezeigt, daß ich mich sehr glücklich schätzen würde, es Euch jemals durch Gegendienste vergelten zu können; da Ihr mir jedoch erlaubt, in Euren Angelegenheiten Euch meinen Rat erteilen zu dürfen, so wage ich auf Eure Güte und im Vertrauen auf Eure gute Einsicht die Bitte, daß auch Ihr mir nun in den meinigen raten wollet. Saladin dankte ihm für dieses Anerbieten und erwiderte dem Grafen, daß er ihm in allem, wo er dessen bedürfte, von Herzen gern durch Rat und Tat behilflich[53] sein wolle. Darauf teilte der Graf ihm die Heiratsanträge mit, die man seiner Tochter gemacht, und Saladin antwortete also: Ihr seid, wie ich wohl weiß, verständig genug, Graf, um aus wenigen Andeutungen das Ganze zu fassen, daher will ich Euch sagen, wie ich die Sache ansehe. Ich kenne alle, die um Eure Tochter werben, ihr Geschlecht, ihre Macht und Sitten, was für Nachbarschaft sie mit Euch halten, und welchen Vorzug der eine vor dem andern hat. Darum kann ich Euch hierin nicht geradezu raten, sondern mein Rat ist der, daß Ihr Eure Tochter einem Manne vermählet.

Der Graf nahm diesen Ausspruch hoch auf und verstand sehr gut, was der Sultan damit meinte. Dann ließ er seiner Gemahlin und seinen Verwandten sagen, was Saladin ihm geraten, der alle Edelleute aus der Umgegend, ihre Gemütsart und persönlichen Eigenschaften sehr wohl kenne, sie sollten daher nach deren Reichtum und Macht nicht weiter forschen, sondern ihm nur mitteilen, welche königliche Prinzen und Große oder benachbarte Edelleute um die Tochter freiten.

Die Gräfin und die Verwandten verwunderten sich sehr hierüber, taten aber, wie der Graf befohlen, beschrieben ihm die Lebensweise und gute und schlechte Gewohnheiten sowie alle sonstigen Eigenschaften sämtlicher Freier, nannten auch die Edelleute aus der Umgegend, die sich darunter befänden, und schickten alles an den[54] Grafen. Der Graf zeigte das Schreiben dem Sultan, und dieser ersah daraus, daß zwar alle tapfer waren, keiner von den Königssöhnen oder großen Herren aber ohne Tadel erschien; der eine war unmäßig im Essen und Trinken, der andre war zornmütig oder menschenscheu und ungastlich, wieder ein andrer liebte schlechte Gesellschaft, oder war unzuverlässig, oder hatte irgendeinen andern der vielen Fehler, womit die Menschen behaftet zu sein pflegen. Dagegen befand er den Sohn eines rechtschaffenen, aber nicht sehr angesehenen Mannes als den besten, vollkommensten und fleckenlosesten von allen Genannten. Da riet er dem Grafen, diesem die Hand seiner Tochter zu geben, deren derselbe nach seiner Meinung würdiger sei, als alle jene andern, welche, obgleich höher an Ansehen und Herkunft, doch sämtlich irgendeines, wo nicht viele Gebrechen hätten; denn man müsse den Mann nach Taten und Reinheit des Adels schätzen und nicht nach Reichtum. Der Graf ließ nun der Gräfin und den Verwandten sagen, sie sollten seine Tochter mit diesem, den der Saladin ihm empfohlen, vermählen; und obgleich sie sehr darüber erstaunten, so schickten sie doch sogleich nach dem Sohne jenes Mannes und sagten ihm, was der Graf befohlen habe. Doch dieser antwortete darauf: er wisse recht gut, daß der Graf ihm zwar an Adel, Reichtum und Ansehen weit überlegen sei, daß aber, wenn er demselben an Macht gleich stände, ihm jedes Weib getrost[55] die Hand reichen dürfte, und wenn man daher mit ihm nur so spräche, um dies zu hintertreiben, so tue man ihm großes Unrecht an. Sie versicherten indes, daß sie diese Verbindung auf alle Weise wünschten, und erzählten ihm nun auch den Grund, wie nämlich der Sultan dem Grafen geraten habe, gerade ihn vor allen den Prinzen und großen Herren seiner Tochter zum Mann zu geben. Als er dies vernahm, überzeugte er sich, daß sie es mit der Heirat ernstlich meinten; habe aber, so dachte er, Saladin ihn so hoch geehrt und als den Tüchtigsten ausersehen, so müsse er als solcher sich auch durch die Tat erweisen.

Er sagte daher der Gräfin und ihren Verwandten, wenn sie wollten, daß er an die Aufrichtigkeit ihrer Worte glaube, so sollten sie ihn sogleich in den vollständigen Besitz der ganzen Grafschaft und aller Einkünfte setzen; er entdeckte ihnen aber nichts von dem, was er im Sinne hatte. Sie waren damit zufrieden, übergaben ihm sogleich alles, und nachdem er auf diese Weise zu großem Vermögen gekommen, rüstete er ganz insgeheim eine Galeere aus, belud sie mit vielem Gut und hieß darauf seine Hochzeit auf einen bestimmten Tag vorbereiten. Als aber die Hochzeitsfeier in aller Pracht und Herrlichkeit vorüber war und er zur Nacht in den Palast seiner Gemahlin sich begeben sollte, berief er, bevor man sich zu Bette legen sollte, seine Schwiegermutter, die Gräfin, und alle ihre Verwandte, und erklärte ihnen kurz[56] und gut: sie wüßten wohl, daß der Graf ihn unter vielen und Besseren aus dem Grunde ausgewählt habe, weil der Sultan Saladin ihm geraten, seine Tochter mit einem Manne zu vermählen; dies aber würde er, seines Bedünkens, nimmer sein, wenn er in diesem Falle nicht täte, was sich gebührt, und sich also der erwiesenen Ehre würdig zeigte. Er wolle daher von dannen ziehen, empföhle ihnen die Grafschaft und die Jungfrau, mit der er sich vermählen sollte, und baue auf Gott, mit dessen Bei stand er der Welt zeigen wolle, daß er handle wie ein Mann. Und als er dies gesagt hatte, stieg er zu Pferde, reiste in Gottes Namen ab und schlug den Weg nach dem Königreich Armenien ein; dort verweilte er so lange, bis er die Sprache und Sitten des Landes genug kennengelernt hatte. Da er aber erfuhr, daß der Saladin ein großer Weidmann sei, kaufte er viele gute Falken und Hunde, segelte damit auf seiner Galeere zum Saladin, lief in einen Hafen ein und befahl den Seinigen, sich von dort nicht zu entfernen, bevor er sie rufe.

Als er nun zum Sultan kam, wurde er von diesem sehr gut empfangen, aber er küßte ihm nicht die Hand, noch erwies er ihm sonst irgendeine von den Ehrenbezeugungen, die ein Mann seinem Gebieter schuldig ist. Der Saladin befahl, ihn mit allem Nötigen zu versehen, er dankte jedoch und wollte durchaus nichts annehmen, indem er sagte: Nicht Habsucht, sondern des Sultans Ruf habe[57] ihn hergeführt; wenn er daher erlaube, wolle er einige Zeit in seinem Palaste verweilen, um von ihm und den Seinigen etwas zu lernen; da er aber erfahren, daß der Sultan die Jagd liebe, so habe er viele gute Vögel und Hunde mitgebracht, er möge ihm die Gnade erweisen und davon nehmen, was ihm gefiele, mit dem übrigen wolle er ihn dann selber auf die Jagd begleiten und ihm hierbei, sowie in andern Dingen, nach Kräften dienen. Saladin dankte ihm sehr, und wählte nun nach Belieben aus, konnte ihn aber auf keine Weise dahin bringen, eine Gegengabe von ihm anzunehmen, er sagte dem Sultan auch nichts von seiner Angelegenheit und ließ sich durchaus auf keinerlei Amt oder sonst etwas ein, das ihm irgendeine Verpflichtung gegen Saladin hätte auflegen können.

So hatte er lange Zeit am Hofe des Sultans gelebt, und wie denn Gott, wenn sein Ratschluß reif ist, die Dinge nach seinem Willen lenket, so fügte er auch, daß eines Tages die Falken einige Kraniche erreichten und einen davon an demselben Hafen, wo die Galeere lag, erlegten, während der Eidam des Grafen und der Sultan, beide gut beritten, sich so weit von ihrem Gefolge entfernt hatten, daß dieses sie ganz aus den Augen verlor. Als Saladin auf dem Platze ankam, stieg er rasch ab, um dem Falken beizustehen, kaum aber erblickte ihn der Eidam auf dem Boden, so rief er die Seinigen vom Schiff herbei. Der Sultan,[58] welcher nur an seinen Falken dachte, war sehr erschrocken, als er sich so auf einmal von der Mannschaft der Galeere umringt und den Eidam des Grafen die Hand ans Schwert legen sah, als wollte er ihn angreifen. Da begann er sich bitterlich zu beklagen und nannte es einen argen Verrat; doch der Schwiegersohn des Grafen entgegnete: Das verhüte Gott! Er wisse ja, wie er ihn nie als seinen Herrn anerkannt und nimmer etwas von ihm angenommen habe, das ihn zu seinem Schutz verpflichtete, wohl aber hatte Saladin das alles seinerseits getan. Darauf ergriff er den Sultan, brachte ihn auf das Schiff, und als er ihn dort in Sicherheit hatte, entdeckte er ihm, daß er der Schwiegersohn des Grafen und derselbe sei, den Saladin unter vielen Vornehmeren als den rechten Mann auserlesen; habe er aber ihn gewählt, so müsse er auch wissen, daß er nimmer ein Mann wäre, wenn er anders handelte, und also bäte er ihn, ihm seinen Schwiegervater herauszugeben, damit dieser sähe, daß der Rat, den er ihm erteilt, gut und aufrichtig gewesen sei. Als Saladin dies hörte, dankte er Gott, denn daß er's mit seinem Rat so gut getroffen, war ihm lieber, als wenn ihm noch so großes anderes Glück widerfahren wäre, und also erwiderte er, daß er die Bitte sehr gern erfüllen wolle. Da vertraute der Schwiegersohn des Grafen auf des Sultans Wort, entließ ihn vom Schiffe, ging selbst mit ihm und befahl seinen Leuten auf der Galeere,[59] sich schleunig vom Strande zu entfernen, so weit die Blicke reichten. Und nun fütterten der Sultan und der Eidam des Grafen ruhig wieder ihre Falken, und als das Gefolge anlangte, fanden sie den Saladin sehr vergnügt, und niemals sagte er einer Menschenseele, was ihm begegnet war. Als sie aber in die Stadt kamen, stieg er sogleich vor dem Hause ab, wo der Graf gefangen saß, führte ihn zu seinem Eidam und sagte mit großer Freude: Graf, wie danke ich Gott für die Gnade, daß er mir in betreff der Verheiratung Eurer Tochter so klugen Rat eingegeben. Da seht Euren Eidam, der Euch aus der Gefangenschaft befreit hat! Darauf erzählte er ihm alles, was sein Schwiegersohn getan: die Kühnheit und Großmut, womit er ihn erst gefangengenommen und dann ihm vertrauet habe, und der Sultan, der Graf und alle, die es hörten, priesen den Verstand, die Tapferkeit und die Rechtlichkeit des Schwiegersohnes des Grafen sowie auch die Vortrefflichkeit Saladins und des Grafen, und dankten Gott, daß er alles zu so gutem Ausgang gelenkt. Sodann aber beschenkte Saladin den Grafen und seinen Schwiegersohn noch auf das prächtigste, gab dem Grafen zum Ersatz des Schadens, den er durch seine Gefangenschaft erlitten, das Doppelte sämtlicher Einkünfte, die er in dieser Zeit in seinem Reiche hätte erheben können, und schickte ihn so mit Schätzen und Ehren in sein Land zurück. All dies Glück aber kam dem Grafen von dem guten Rat,[60] den ihm der Sultan erteilt, daß er seine Tochter mit einem Manne vermählen sollte.

Wollt Ihr, Herr Graf Lucanor, daher Eurem Vasallen in betreff der Verheiratung seiner Verwandten raten, so sagt ihm, daß er vor allem andern darauf zu sehen habe, ob derjenige, mit dem er sie zu vermählen gedenkt, ein tüchtiger Mann sei; denn ist er das nicht, so geht es mit der Ehe nimmer gut, und wäre er auch noch so angesehen, reich und vornehm. Ein tüchtiger Mann vermehrt Ehre und Reichtum und edelt selber sein Geschlecht, wogegen ein schlechter, so adlig und reich er sei, alles schnell zugrunde richtet. Davon könnte ich Euch viele Beispiele aus hohen Geschlechtern anführen, wo die Vorfahren sehr reich und angesehen, die Nachkommen aber nicht so wohlgeraten waren, als sie sollten, und mit denen dann Stamm und Reichtum unterging; und wieder andere, hohen und niedern Ranges, die durch innere Tüchtigkeit groß wurden an Ehre und Gut, so daß sie bei weitem besser und berühmter waren durch das, was sie getan und errungen, als durch all ihren Adel; und so entspringt eines jeden Heil und Verderben aus seiner Gemütsart, welchen Standes er auch sein mag. Darum also ist es bei Heiraten jederzeit die Hauptsache, die Sitten, Angewohnheiten, Geist und Taten des Mannes oder Weibes zu erforschen, die sich vermählen wollen; steht aber dies erst fest, dann mag immerhin die Heirat in dem Maße[61] besser sein, als die Abkunft edler, der Reichtum größer, die Schönheit vollkommner und der Wohnort näher und günstiger gelegen ist.

Diese Worte des Patronius hatten des Grafen Beifall, der alles wahr befand, und da das angeführte Beispiel dem Don Juan sehr gefiel, so ließ er es in dieses Buch eintragen und machte folgende Verse:


Ein rechter Mann erobert sich sein Glück.

Und der's nicht ist, bleibt tatenlos zurück.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 51-62.
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