10. Die zwei Brüder.

[95] Es war einmal, ich weiss nicht wo, da wo sie das Eis dörren, dem Sperling Hufeisen anschmieden; wir wollen mal tüchtig lügen, wenn's geht.

Es waren auf der Welt zwei Brüder, die zogen aus, sich in der weiten Welt umzuschauen. Da kamen sie an einen Ort, dort teilte sich der Weg. Da sprach der ältere:

»Du, mein Bruder, wandere auf diesem und ich auf jenem, und heute über ein Jahr, einen Monat und einen Tag kehren wir hierher zurück.«

Dann zog er sein Messer aus seinem Stiefelschaft, und stiess es ganz in die Erde.

»Wer zuerst sich hier einfindet, der ziehe es heraus! Wenn Blut aus ihm rinnt, so bedeutet es, dass der andere gestorben ist; wenn aber Milch, so ist er noch am Leben.«

Sie umarmten sich, weinten auch ein bischen, aber dann zogen sie von dannen, jeder auf seiner Strasse.

Der ältere, Hans1 gelangte in einen grossen Wald. Da springt ein Bär heran und leckt ihm die Hände. Hans wundert sich, was das bedeuten mag. Dann gehen sie wieder weiter. Kommt ein schöner Löwe; der wedelt auch mit dem Schweif und folgt ihnen. Dann ist auf einmal auch ein Wolf da, und alle drei bieten ihm an, ihm in allen Nöten beizustehen, er möge nur ihr Herr sein.

Nach einiger Zeit gelangten sie in eine Stadt, die war über und über mit schwarzem Tuch überzogen, und sie hiess »die schwarze Stadt.« Sie setzten sich am Rande auf einen Stein nieder; denn sie waren sehr müde. Da hörten sie plötzlich in der ganzen Stadt lautes Wehklagen. Da kommt eine[96] alte Frau einher; Hans fragt sie, warum diese Stadt in Trauer sei und weshalb sie weinen.

»Ach Gott,« antwortet die alte Frau, »die ganze Stadt hat einen einzigen Brunnen, und in dem wohnt ein schrecklicher Drache, der jeden Monat eine Jungfrau frisst, und wenn sie ihm die nicht hinabwerfen, so muss die Stadt zu Grunde gehen ohne Wasser; denn er giebt nicht einen Tropfen her. Und jetzt ist die Reihe gerade an des Königs schönste Tochter gekommen. Morgen wird sie ihm überliefert werden, und dann ist kein einziges Mädchen mehr in der ganzen Stadt.«

Hans dankte ihr für die Auskunft; dann ging er geradewegs zum König. Aber sie wollten ihn mit den wilden Tieren nicht einlassen; doch diese blieben überall Hans zur Seite.

Der König wehklagte dort in einem Winkel der Burg. Hans grüsste ihn und sagte dem König, er solle nicht weinen, er würde die Stadt befreien. Der König fiel ihm um den Hals, als er das vernahm, und versprach sogleich, ihm seine Tochter und sein halbes Königreich zu geben.

Also gut. Hans ging zum Brunnen und wartete, bis das Wasser trübe wurde; da liess er den Eimer hinunter und begann, das Wasser zu schöpfen.

Ganz wütend steckte der Drache seine Köpfe heraus. Er glaubte, dass sie ihm das Mädchen schon heruntergelassen hatten. Aber Hans erschrak kein bischen, sondern warf einen grossen Stein in den Brunnen. Der Drache sah, dass man ihn zum Besten hatte; er brüllte laut und stürzte nach oben, auf dass er alles verschlinge. Hans war auch nicht faul; er zog sein Schwert und schlug ihm zwei Köpfe auf einmal ab; aber es blieben ihm noch fünf. Auf ihn sprang der Löwe und riss drei herunter. Auf ihn sprang der Bär und schlug mit seinen Tatzen zwei ab; für den Wolf blieb nichts übrig; aber er zerrte ihn hin und her, dass er auch seinen Teil daran habe. Hans jedoch schnitt ein kleines Stück von den[97] Zungen aller sieben Köpfe ab und steckte sie in seine Tasche; dann ging er beiseite, um sich auszuruhen. Darauf sprang der rote Ritter, der von einem Weidenbaume neben dem Brunnen der Sache zugeschaut hatte, geschwind hernieder; er schnitt auch ein Stück von den Zungen ab und ging zum König und sagte, dass er den Drachen getötet habe. Der König glaubte das, und sogleich wurde die Hochzeit gefeiert.

Nach einer guten Weile erwachte Hans und hörte, dass überall Musik erklang. Er fragte eine alte Frau, warum sie Musik machen.

»Weil des Königs Tochter Hochzeit hält mit dem, der den Drachen tötete,« sagte sie.

»Ei,« dachte Hans, »mit mir aber nicht, und doch habe ich den Drachen getötet!«

Er sandte den Löwen aus, dass er sähe, was an der Sache sei.

Wie der sich unter das Volk mischte, da rollten unter dem roten Ritter, der auf neun Kissen sass, sogleich drei fort. Vergebens schrie er, sie sollten dieses garstige Tier fortjagen. Die Königstochter jedoch hing ihm einen Kober um den Hals, mit allerlei Backwerk gefüllt, und entliess ihn dann. Auf dem Wege ärgerten ihn die Hunde, und ein Kuchen rollte heraus; er fasste ihn, legte ihn hin und jagte ihnen nach. Die er erreichen konnte, zerriss er; dann kehrte er zu seinem Herrn zurück.

Nach drei Stunden wiederum sandte er den Wolf aus. Unter dem roten Ritter rollten drei Kissen fort. Der Wolf nahm einen Kuchen; aber die Hunde nahmen ihm alles fort. Nach drei Stunden schmückte sich Hans und machte sich selbst auf den Weg mit den Tieren.

Als er in das Schloss kam, rollten unter dem roten Ritter die drei letzten Kissen fort, und er blieb auf dem blossen Holz; denn das war zu unterst. Jetzt wies auch Hans die[98] Zunge vor. Seine war gerade von der Spitze. Den roten Ritter zerrissen die Tiere sofort. Hans wurde der Königstochter Gemahl. In siebenmal sieben Königreichen erscholl die Kunde von der Hochzeit.

Unterdessen war ein Jahr, ein Monat und ein Tag verflossen. Hans nahm Abschied von seiner Gemahlin, um seinen Bruder aufzusuchen. Nach langer Zeit kam er zu dem Grenzweg; er beschaute das Messer; siehe, da rann Blut von ihm herab.

»Ach, mein armer Bruder! Er ist tot!«

Er zog auf dessen Strasse, da kam er in einen grossen Wald. Von weitem sah er ein Licht und ging darauf zu. Dort war ein Haus, niemand darin, neben dem Feuer niemand, niemand irgendwo.

»Was mag das sein?« sagte Hans und liess sich am Feuer nieder, um sich zu wärmen. Auf einmal hörte er:

»Hu, mich friert!«

Er blickte in die Höhe auf den Baum; dort hockte ein altes Weib.

»Steige herab, Grossmutter!«

»Ich wage es nicht, mein Sohn, wegen der Tiere; doch wenn du sie und dich selbst mit diesem Haar schlägst, dann steige ich herab.«

Hans that, als ob er ihrem Wort folgte; aber er warf das Haar weg. Kam die alte Hexe herab und wollte ihn geschwind mit einer Rute anrühren; doch Hans schlug sie ihr aus der Hand. Sogleich sah die alte Hexe, dass er sich selbst nicht geschlagen hatte; denn sonst wäre er jetzt im Augenblick ein Sohn des Todes gewesen; aber so geschah ihm gar nichts zu Leide.

»Nun, du alte Hexe, gieb meinen Bruder heraus; denn ich weiss, dass du ihn getötet hast.«[99]

Da erschrak die Hexe furchtbar und führte ihn zu einem Teich; der war voll mit Knochen und Schädeln. Daraus suchte sie einen Schädel und Knochen heraus und sagte Hansen, dass unter dem Balken im Hause eine Rute sich befände, wenn er mit der das Gebein berühre, werde es sofort lebendig.

Mehr brauchte er nicht! Er liess die Hexe zerreissen und ging ins Haus. Aber da war nirgends was!

Jetzt reute es ihn, dass er die Hexe hatte zerreissen lassen. Was war da zu machen? Er sandte die Tiere aus nach dem Blutkraut und dem Eisenkraut, durch das man lebendig wird.

Der Löwe erblickte zuerst eine kleine Schlange.

»Was trägst du, kleine Schlange?«

»Lebenskraut! ein halbes Jahr ist's, dass ich es suche. Meinen Sohn hat der Himmelsbalken erschlagen; den will ich auferwecken.«

»Gieb mir auch davon!«

»Ich gebe dir nichts.«

Da entschloss sich der Löwe und nahm ihr alles fort, lief damit zurück und berührte das Gebein. Nun wurde er hundertmal schöner als er vordem gewesen war.

»Ach wie lange habe ich geschlafen!«

»Du hättest in alle Ewigkeit geschlafen, Bruder, wenn ich dich nicht erweckt hätte.«

Sie gingen mit grosser Freude heim. Der alte König war gestorben und hatte ihnen das Reich hinterlassen. Hans suchte für seinen Bruder eine sehr schöne Prinzessin. Sie hielten eine grosse Hochzeit. Sie schwitzten Talg, und damit illuminierten sie. Die Donau und die Theiss waren hinter der Thür in einen Sack gebunden. Die Prinzessin tanzte sehr[100] feurig und durchstiess den Sack mit ihrem Pantöffelchen, und das Wasser schwemmte sie alle fort.

Punktum; zu Ende ist's.

1

Jancsi.

Quelle:
Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Einl. A. Schullerus. Leipzig: Dieterich 1901, S. 95-101.
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