26. Der Tod und die Alte.1

[227] Es war einmal, der Himmel weiss wo, irgendwo noch über dem operenzianischen Meere, weit über den gläsernen Bergen, dort wo der hinfällige und baufällige Kamin stand, daran weder Mauer noch Schlot mehr war, der noch aufrecht stand, wo er nicht schon zusammengefallen war, und zusammengefallen war, wo er nicht noch stand, ganz dicht neben dem kahlen Suchnicht- und Weissteufelsberge, da war einmal ein Fluss, am Ufer des Flusses eine alte, hohle Weide, an jedem Ast der Weide ein zerlumpter und zerfetzter Weiberrock und in jedem Winkelchen und Fältelchen jedes Weiberrockes je eine Herde von Flöhen – und wer mir nicht aufmerksam zuhört, soll der Hirt von dieser Herde Flöhe sein. Wenn er aber auch nur einen entspringen lässt, soll er dem schrecklichen Blutdurst der Flohherde preisgegeben und von ihr zu Tode gezwickt werden.[227]

Es war also einmal, der Himmel weiss wo, irgendwo auf der Welt war einmal eine ur-uralte Frau, die war älter als die Landstrasse und länger auf der Welt als der Gärtner von unserem alten Herrgott. Diese Alte war schon so alt, dass sie kaum mehr vernünftig reden konnte, und doch war es ihr noch gar nie in den Sinn gekommen, dass ja endlich einmal auch an das Sterben die Reihe kommen müsse; aber statt dessen arbeitete und hetzte sie sich den ganzen Tag ab und war immerfort in der Wirtschaft rührig und auf den Beinen, sprang und stolperte, kehrte und kramte immer herum und hätte am liebsten die ganze Welt in sich gepfropft und hatte doch niemanden auf der ganzen Welt, nicht so jemanden wie meine Faust. Es sah aber dann auch danach aus, denn zuletzt hatte sie sich so herausgemausert und herausstaffiert, dass es eine Pracht war; da war aber auch rein alles im Hause, da war eine kleine Axt, eine grosse Axt, alles, alles.

Einmal aber machte der Tod mit seiner Kreide auch durch ihren Namen einen Strich und ging auch richtig zu ihr hin, um sie mitzunehmen. Aber der Alten that es leid, die schöne Wirtschaft so stehen zu lassen, und so bat sie also den Tod und lamentierte gar sehr, er möge sie doch noch ein Weilchen leben lassen und ihr nur noch zehn Jahre zugeben und nicht mehr, oder wenigstens fünfe, oder zum allerwenigsten ein Jahr. Der Tod aber wollte durchaus nicht nachgeben und sagte:

»Mache dich schnell zusammen, und dann komme; kommst du nicht im guten, so schlepp' ich dich mit Gewalt fort.«

Aber die Alte liess sich nicht herumkriegen, sie bat und flennte, er möge ihr nur noch ein wenig Zeit schenken und wenn es auch gleich nicht viel wäre. Der Tod aber wollte nichts davon hören. Doch zuletzt hatte ihm die Alte soviel vorlamentiert und vorgeflennt, dass er schliesslich sagte:

»Nun, meinetwegen, ich gebe dir also drei Stunden.«[228]

»Das ist viel zu wenig,« sagt die Alte, »aber nimm mich nicht heute mit, sondern verschieb' es lieber auf morgen.«

»Das geht nicht!«

»Vielleicht geht es doch!«

»Nein, das geht einmal nicht!«

»Geh, sei doch nicht so!«

»Na, wenn du schon deinen Narren an diesem Tag gefressen hast, also meinetwegen!«

»Dann möchte ich dich noch bitten, dass du ... nun dingsda ... dass du mir das also hier auf die Thüre schreibst, dass du erst morgen kommst ... ich bin wenigstens beruhigt, wenn ich die Schrift auf der Thüre sehe.«

Der Tod wollte nicht noch mehr Zeit vertrödeln und stritt sich daher nicht weiter herum, sondern nahm die Kreide aus dem Sacke und schrieb auf die Thüre oben hinauf »morgen«, und damit ging er seinen Geschäften nach.

Am anderen Tage nach Sonnenaufgang kam der Tod zur alten Frau, fand sie aber noch in den Federn.

»Also folge mir jetzt!« – sagt der Tod.

»Sachte, sachte! schau nur erst nach, was auf der Thüre steht!«

Der Tod schaut hin und sieht dort nur das eine Wort: morgen.

»Nun gut! – morgen komme ich aber auch ganz gewiss!« damit machte er sich auf die Beine.

Richtig hielt er auch Wort und kam am folgenden Tage wieder zur alten Frau, die noch schön warm im Bette lag. – Doch auch dieses Mal konnte er nichts ausrichten, denn die Alte zeigte wieder nur auf die Thüre, wo nur das eine Wort stand: morgen.

So ging das eine Woche lang fort, aber endlich wurde dem Tode der Spass denn doch zu dick, und so sagte er also am siebenten Tage zur Alten:[229]

»Jetzt wirst du mich aber nicht mehr drankriegen! – ich brauche meine Kreide und nehme sie jetzt mit!« – und mit diesen Worten löschte er die Schrift auf der Thüre schön aus, »morgen aber, passe gut auf, also morgen komme ich wieder und führe dich mit mir!«

Hierauf ging der Tod fort. Der Alten aber blieb der Mund nur so offen; denn jetzt sah sie, dass es morgen Ernst sein werde und dass sie dann sterben müsse, ob sie nun wolle, oder nicht; da wurde ihr angst und bange, dass sie zitterte wie ein Stück Sulze.

Als es nun gar erst Morgen wurde, da kannte sie sich vor lauter Furcht kaum mehr aus und hätte sich vor dem Tode mit Vergnügen auch in eine leere Flasche verkrochen, wenn das nur gegangen wäre. So aber zerbrach sie sich den Kopf darüber, wohin sie sich nur verstecken könnte, um sicher zu sein. In der Kammer hatte sie ein Fass mit Tropfhonig stehen, in das setzte sie sich also zuletzt hinein, so dass nur Mund, Nase und Augen herausschauten.

»Wie aber, wenn er mich auch hier findet? – Es wird am besten sein, ich krieche ins Bett zwischen die Flaumen.«

So kam sie denn wieder aus dem Honig heraus und kroch in das Bett zwischen die Flaumen; doch auch hier hielt sie's nicht lange aus, und so kroch sie auch hier wieder hervor, um sich ein besseres Versteck zu suchen. Gerade wie sie sich aus den Federn herausarbeitet, kommt der Tod, der sich nicht vorstellen konnte, was Gottes Wunder das Unding da sei, und einen so gewaltigen Schreck in die Glieder bekam, dass ihm beinahe das kalte Fieber in den Leib gefahren wäre. Er lief also in seiner Furcht auf und davon, so dass er sich vielleicht bis auf den heutigen Tag der Alten nicht wieder in die Nähe getraut hat.

1

Die Übersetzung ist der Ungarischen Revue 1885 V. Jahrg. S. 733 entnommen.

Quelle:
Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Einl. A. Schullerus. Leipzig: Dieterich 1901, S. 227-230.
Lizenz:
Kategorien: