34. Das verstossene Mädchen.

[248] Es war einmal in einer Stadt, wo Turm auf Turm getürmt war, ein sehr, sehr reicher Mann, der wohnte dort mit seinen drei schmucken Töchtern. Dieser Mann war sehr befreundet mit einem Grafen und brachte ihm oft viele Geschenke, und alsdann kam auch er beschenkt heim.

Einstmals nun kam der Mann gerade so beladen heim vom[248] Grafen und war sehr guter Laune. Da rief er seine drei Töchter zu sich und fragte zuerst die älteste:

»Wie liebst du mich, meine schmucke Tochter?«

Das Mädchen, das ein goldenes Kleid hatte, sagte:

»Ich liebe mein liebes Väterchen wie das reinste Gold.«

Da fragte er die mittelste, die ein köstliches, silbernes Hemd hatte:

»Und du, wie liebst du mich?«

»Ich liebe dich, mein liebes Väterchen, wie das reinste Silber.«

Schliesslich sagte er zur jüngsten und liebsten:

»Und du, meine süsse Tochter, wie liebst du mich?«

Er dachte, da er sie am meisten liebte, so würde sie ihn vielleicht auch am meisten lieben.

»Ich liebe meinen lieben Herrn Vater wie das reine, weisse Salz.«

Da gerieten des Mädchens Vater und ihre Schwestern in Zorn und drangen in sie, dass sie ihre Worte zurücknähme; denn nicht wahr, ein Pfund Salz kostet acht Kreuzer, also nur so hoch schätzte sie ihr liebes Väterchen?

Aber das Mädchen widerrief ihre Rede nicht. Da wurden sie sehr zornig auf sie und sagten ihr, wenn sie ihr Wort nicht zurücknähme, so möge sie gehen, wohin sie wolle; sie würden sie nicht weiter bei sich behalten.

Was sollte das arme Mädchen machen? Sie schnürte ihr Bündel und zog in die Welt hinaus. Drei Nächte und drei Tage war sie in einem grossen Walde umhergewandert und hatte im Freien, auf moosigen Plätzen, übernachtet, als ein alter Mann vor sie trat und zu ihr sprach:

»Meine liebe Tochter, ich weiss, was dich herführt. Deine Geschwister haben dich verstossen, weil du deine Worte nicht zurückgenommen hast. Aber folge meinem Rat und gehe diesen geschlängelten Weg entlang; der führt dich zu einer Grafenburg;[249] dort setze dich vor den Garten, und die Wachen werden dich sehen und verhaften. Jener Graf hat einen Sohn; der gewinnt dich lieb, und du wirst seine Frau.«

Das Mädchen machte es auch so; sie ging dorthin zum Garten und brachte eine Nacht dort zu. Frühmorgens gewahrten sie die Wachen und brachten sie in das Grafenschloss. Und wie des Grafen Sohn das Mädchen nur erblickte, rührte ihre Lieblichkeit ihn also, dass er sogleich seinem Vater und seiner Mutter erklärte, sie gefalle ihm so, dass er keine andere als diese zur Gemahlin nehmen werde. Aber die wollten nicht, dass er eine schamlose Herumtreiberin heirate, da er doch eine viel Feinere haben konnte.

Doch der Grafensohn achtete nicht auf ihre Reden und liebte das Mädchen nur noch mehr.

Der Graf und die Gräfin sahen nun ein, dass ihr Reden müssig war. Da fragten sie das Mädchen, warum es so umherstreiche. Das Mädchen erzählte, dass sei, weil sie gesagt hatte, sie liebe ihr liebes Väterchen wie das schöne, weisse Salz; darum sei sie verstossen worden, und ihr Herz sei jetzt übervoll von Leid.

Da war grosse Freude, als sie erfuhren, dass sie die Tochter des Mannes sei, der bei ihnen verkehrte. Sie bereiteten nun die Hochzeit und versammelten viel Volk; auch den Vater des Mädchens beehrten sie mit einer Einladung. Aber er bekam seine Tochter nicht zu Gesicht. Und als die Speisen aufgetragen wurden, bekam jeder beim Grafen einen besonderen Teller; das Väterchen des Mädchens wurde auch mit einem Teller beehrt, aber sie hatten an sein Essen wenig Salz gethan. Der reiche Mann suchte überall umher, doch nirgends fand er Salz. Da kam ihm der Gedanke, dass er ohne Salz nicht einen Tag leben könnte. Die Thränen traten dem reichen Mann ins Auge, und Schmerz ergriff sein Herz. Die Küchenmeister fragten ihn, warum er die Speisen nicht esse, ob sie[250] vielleicht nicht gut seien. Da erzählte er, wie es ihm mit seiner Tochter ergangen sei, und dass er sie aus dem Hause gewiesen, und jetzt deswegen weine und klage. Er traure um seine Tochter; er wisse nichts von ihr, vielleicht sei die Arme schon tot.

Da liess der Graf den Jüngling und das Mädchen rufen.

»Kennst du sie, mein Freund?« sagte der Graf.

»Wie sollte ich sie nicht kennen?« sagte der reiche Mann; »dies ist meine süsse Tochter«. Und dann umarmten sie sich und freuten sich, dass sie sich wieder gefunden hatten, und von da an lebten sie glücklich mit einander.

Quelle:
Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Einl. A. Schullerus. Leipzig: Dieterich 1901, S. 248-251.
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