[65] 10. Die drei Thiere.

Es war einmal ein armer Mann, der hatte drei Söhne. »Meine Söhne,« so sagte er eines Morgens zu ihnen: »bis jetzt habt ihr noch nichts gesehn und erfahren, es ist Zeit für euch daß ihr[65] das Land und die Welt versucht. Macht euch also sobald als möglich auf den Weg, und geht soweit nur eure Augen reichen.« Die drei Söhne machten sich fertig, und nachdem ein Jeder geröstete Kuchen für sich in den Ranzen gepackt, nahmen sie vom väterlichen Hause Abschied. So zogen sie ihre Straße, machten aber bald ermüdet etwas Halt zum Ausruhen; da kamen denn die beiden Aeltern mit einem Vorschlag zum Vorschein, daß sie als gute Brüder Alles theilen wollten: zuerst wollten sie die Kuchen des Jüngsten verzehren, wenn der auf wäre, die des Zweiten, aber zuletzt die des Aeltesten. Man kam überein, und am ersten Tage wurden die Kuchen des Jüngsten vorgenommen. Aber am zweiten Tage, als wieder die Zeit zum Imbiß kam, ließen die beiden Aeltern ihren kleinen Bruder nicht mit sich essen, und als er als sein Recht forderte, stachen sie ihm die Augen aus und ließen ihn hungrig dort liegen. Wir wollen nun die Beiden wandern lassen, und sehen wir, was aus dem armen Blinden wird.

Dieser ergab sich ganz in Gottes Rathschluß, irrte tappend bald hier- bald dahin, aber o weh, da fiel er auf ein Mal in eine Grube. In der[66] Grube war kein Wasser, aber desto mehr Sumpf; und wie er so hineinplumpt bespritzt der Schlamm seinen ganzen Körper. Davon fühlte er sich auf ein Mal ganz wie neugeboren; ja, nachdem er sich mit dem Schlamme sein Gesicht und seine Augenhöhle benetzt hatte, sah er auf ein Mal Alles um sich ganz klar, weil die Wunderkraft des Sumpfwassers sein verlornes Augenpaar wieder in ihre Höhlen gezaubert hatte, ja sein ganzes Antlitz wurde aufs angenehmste verändert.

Jetzt nahm der Jüngling so viel er nur konnte aus dem Sumpfe in Scherben mit und schlenderte weiter; da bemerkte er auf ein Mal ein kleines Mäuschen welches ganz zerquetscht war und seine Hülfe anrief. Als er das hörte, benetzte er sie mit dem wunderkräftigen Schlamme, und davon wurde die Maus wieder frisch und gesund und gab ihrem Wohlthäter eine Pfeife, mit der sollte er nur blasen, wenn er einmal in Angst und Noch geriethe, dann wollte sie als die Mäusekönigin ihm mit allen Mäusen der Welt zu Hülfe kommen. Im Weitergehen erblickte er ein zertretenes Bienchen, auch das heilte er mit dem mitgebrachten Schlamme und auch von ihr bekam er ein Pfeifchen, das er in der Zeit der Gefahr[67] blasen sollte, damit ihm die Bienenkönigin zu Hülfe eilen könnte. Während er wieder weiter ging, fand er einen geprügelten und zerschundenen Wolf; den wollte er zuerst nicht heilen, weil er fürchtete, er möchte ihn nachher auffressen, aber der Wolf flehte so lange, daß er ihn zuletzt auch mit dem Wasser bestrich, da wurde er zu einem sehr großen und starken Wolf. Dieser gab dem Jüngling wieder eine Pfeife zum Gebrauch für die Zeit der Noth und Gefahr.

Unser Jüngling zog jetzt wieder langsam weiter, bis er zuletzt in die Hauptstadt kam und dort sich unter die Diener des Königs vermietete. Auch seine beiden Brüder dienten dort, und weil sie ihren kleinen Bruder gleich erkannten, suchten sie ihn auf alle mögliche Weise zu verderben. Nach vielen vergeblichen Versuchen gingen sie zum König und behaupteten, Jener hätte zu ihnen gesagt, er verstände es in einer Nacht alles Getreide aus dem ganzen Lande auf des Königs Boden zu schaffen. Der Jüngling wollte davon nichts wissen, aber vergebens, der König befahl ihn zu hängen, wenn bis zum andern Morgen nicht alles Getreide auf seinem Boden wäre. Lange weinte und jammerte der Knabe; da fielen ihm plötzlich[68] seine Pfeifen ein, er pfiff also der Maus, erzählte ihr seine Noth, und schon um Mitternacht war alles Getreide aus dem Lande zusammengeschleppt.

Am andern Tage waren seine Brüder noch erboster auf ihn und logen dem Könige vor, der Jüngling hätte in Einer Nacht vom königlichen Schlosse bis zum Markte wollen eine schöne Wachsbrücke aufführen. Auch das wurde ihm auferlegt, und kaum hatte er seine zweite Pfeife angesetzt, so kamen schon die Bienen zu seinem Dienste herangeflogen und vollführten das Werk an seiner Statt. Mit Staunen sah der König am Morgen von seinem Fenster aus die zierlich gewölbte Brücke.

Aber die Brüder barsten fast vor Galle, dann riethen sie dem Herrn, er solle ihn heißen die zwölf stärksten Wölfe bis zum andern Morgen auf den Hof des Königs zu treiben. So, dachten die Beiden, müßten sie jetzt gewiß siegen, weil entweder die Wölfe ihren Bruder auffräßen oder wenn er's nicht zu Stande brächte, der König ihn hinrichten ließe. Sie täuschten sich aber wieder; der Jüngling blies die dritte Pfeife und auf seinen Befehl erschien der Wolfkönig. Er sagte ihm sein Leid, und nun brachte er nicht zwölf[69] sondern alle Wölfe des ganzen Landes auf den Hof des Königs. Jetzt setzte sich der Jüngling dem Wolfskönig auf den Rücken und trieb mit der Geißel die ungeheure Heerde vor sich her, welche alles zermalmte und zerriß was ihnen entgegenkam. Da erscholl Heulen, Weinen und Jammern in der Königswohnung, aber das half Nichts; jetzt versprach der König einen Sack Goldes, auch das half nichts, der Wolfkönig rief in einem fort: »Nur zu, nur zu!« Er versprach er wollte mehr geben, zwei Säcke, drei Säcke, zehn, zwanzig Säcke Gold versprach der König, aber es half nichts. Die Wölfe zerrissen Alles, hier lagen die zwei Brüder, dort der König mit seinem Troß, einzig die Tochter des Königs wurde verschont. Diese nahm er zur Frau, übernahm die königliche Regierung und wurde glücklich und lebt noch jetzt glücklich, wenn er nicht gestorben ist; morgen will er uns besuchen – hat er in seinem letzten Briefe geschrieben.


II, S. 359.

Quelle:
Stier, G.: Ungarische Sagen und Märchen. Berlin: Ferdinand Dümmlers Buchhandlung, 1850, S. 65-70.
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