14. Der letzte Ritter von Seymerich.

[18] In geringer Entfernung nordöstlich von Arlon stand bis in das zwölfte Jahrhundert hinein das feste Schloß Seymerich. Von dem Schlosse ist nichts mehr zu sehen; und wo dasselbe einst in stolzer Pracht ins Frassemer Thal hinunter schaute, stehen heute die stillen Hütten friedlicher Landleute. Nur die wasserleeren Ringgräben der verschwundenen Burg sind heute noch sichtbar und mahnen den vorüber schreitenden Wanderer an die vergangenen Zeiten. Noch lebt das Andenken an den letzten Seymericher Ritter im Munde des Volkes, dessen sinnige Poesie den Zerfall der Burg mit einer ernsten aber wehmütig stimmenden Sage wie mit einem Trauerkranz umwoben hat.

Gilbert, der letzte Ritter, der auf dem Schlosse von Seymerich hauste, war auch der letzte seines Stammes. Derselbe war ein schmucker und mutiger junger Held und lebte mit seinem Nachbar, dem alten und tapfren Herrn von Frassem, auf ganz zutraulichem Fuße. Wie einen Vater verehrte Gilbert den biedren Greis, und dafür liebte dieser den jungen Ritter wie einen Sohn. Nun hatte der Herr von Frassem bloß ein Kind, ein liebliches Töchterlein von sechzehn Jahren, namens Ermesinde. Wegen der anmutigen Schönheit und weitgerühmten Holdseligkeit der reichen Erbin strömten die jungen Edelleute von nah und fern herbei und warben um ihre Hand. Das Fräulein nahm zwar die Huldigungen mit der ihr eigenen herzgewinnenden Freundlichkeit entgegen, ohne jedoch irgend einen der jungen Herren zu bevorzugen. Auch Gilbert war einer der zahlreichen Liebhaber Ermesindens; allein trotz der großen Zutraulichkeit, womit er in ihres Vaters Hause verkehrte, hatte er in seinem Liebeswerben nicht mehr Erfolg als die übrigen. Zuletzt fiel Ermesindens Wahl auf den Ritter[19] Regnier von Elter,11 dessen Burg eine Stunde von Seymerich entfernt lag; und bald schien es der Jungfrau, als ob sie ohne den Auserwählten ihres Herzens nie und nimmer glücklich sein könnte.

Als Ermesinde ihrem Vater ihre Wahl mitteilte, schüttelte dieser mißbilligend den Kopf und sagte: »Aus dieser Heirat kann nichts werden, liebes Kind! Weißt du denn nicht, wie sehr mir der junge Seymericher ans Herz gewachsen ist? Hast du denn vergessen, daß ich fast Vaterstelle an dem braven Gilbert vertrete, und ich selbst ihn zum Ritter geschlagen habe? Hast du nicht oft genug gehört, liebe Ermesinde, wie sehr ich immer einen so folgsamen und tapfren Sohn wie Gilbert haben wollte? Hast du denn nie gemerkt, daß es von jeher mein Wunsch war, ihr beide möchtet einst ein Paar werden? Den Gilbert kenne ich bis in die tiefsten Falten seines Herzens. Ihm und keinem andern wage ich es, Ehre und Wohlfahrt meines einzigen Kindes anzuvertrauen! Und sieh, unsre Güter grenzen aneinander; und wenn du dereinst die Gattin Gilberts bist, so habe ich dich, meine gute Ermesinde, stets in nächster Nähe!«

Ermesinde kannte ihren Vater. Sie wußte wohl, wie sehr derselbe an einem gefaßten Entschluß fest hielt. Aus kindlicher Liebe, und um den guten Vater nicht zu verdrießen, fügte sie sich in dessen Willen und war nicht so kühn, irgend welchen Widerspruch zu erheben; denn eine Weigerung ihrerseits hätte dem kränkelnden alten Mann sicherlich das Herz gebrochen; so sehr liebte der Greis den jungen Gilbert von Seymerich. Übrigens war Ermesinde dem jungen Ritter keineswegs[20] abgeneigt; aber es that ihr doch weh, dem Ritter von Elter für immer entsagen zu müssen.

Kurze Zeit darauf wurde die Hochzeit Gilberts und Ermesindens gefeiert; und der junge Gatte hielt sich für den glücklichsten der Menschen. Allein das Opfer, welches die Tochter dem Vater gebracht, überstieg ihre schwachen Kräfte. Regniers Bild hatte sich zu tief in Ermesindens Herz eingeprägt, als daß dieselbe den jungen Ritter je hätte vergessen können. Bald erwachte das unterdrückte Gefühl ihrer Liebe für Regnier aufs neue, und diesmal heftiger als zuvor. Wohl suchte sie, die strafbare Regung zu überwinden; allein alle ihre Bemühungen schienen vergeblich zu sein, und ihr Äußeres trug die Spuren dieses qualvollen Seelenkampfes. Ermesinde wurde von Tag zu Tag trauriger und unglücklicher; ihre roten Wangen fingen an zu bleichen, und ihre oft durch Thränen matt schimmernden schönen blauen Augen verrieten gar deutlich den herben Seelenschmerz der Bedauernswerten. Ihr Dasein glich nur mehr dem einer holden Blume, die trotz des heitersten Sonnenscheins und der sorgfältigsten Pflege kümmerlich dahin welkt. Und dennoch war Gilbert der liebevollste und hingebendste Gatte, der alles that, um dem geliebten Weibe das Leben so angenehm als möglich zu gestalten. Der Arme, der nie etwas von Regniers und Ermesindens Liebe gewußt, ahnte freilich nichts von Ermesindens heimlicher Leidenschaft und schrieb ihre Trauer dem inzwischen erfolgten Ableben ihres Vaters, des biedren Herrn von Frassem, zu, dessen Tod er ja selbst noch immer aufs lebhafteste betrauerte.

Schon seit drei Jahren waren Gilbert und Ermesinde miteinander vermählt, und noch hatte ihnen der Himmel keinen Erben geschenkt. Plötzlich erscholl im Luxemburgerland die gewaltige Stimme des Einsiedlers Peter von Amiens. In begeisternden[21] Worten forderte derselbe die christlichen Streiter zu einem Kreuzzug gegen die ungläubigen Türken in Palästina auf. Von allen Seiten strömten die besten luxemburgischen Ritter mit ihren Mannen zusammen und scharten sich unter das Banner des glorreichen Gottfried von Bouillon. Auch der tapfre Gilbert wollte nicht zurückstehen und hatte gelobt, an dem Kreuzzug teilzunehmen.

Von trüben Ahnungen gequält, nahm der Ritter Abschied von seiner geliebten Gemahlin, die krampfhaft schluchzend ihn an ihr pochendes Herz drückte. »Lebe wohl, Geliebter!« rief das arme Weib. »Kämpfe für Gottes Ehre und zum Ruhm des Luxemburger Vaterlandes! Tagtäglich will ich den lieben Herrgott bitten, damit er dich überall beschütze und schließlich wohlbehalten zu mir in die Heimat zurückführe! Und kommst du nicht mehr wieder, so will ich der Welt entsagen und den Rest meiner Tage im Gebete für unser beider Seelenheil verbringen, damit wir uns dereinst da droben im Himmel wiederfinden mögen!«

Gilbert ward es bei diesem Abschied immer trauriger zu Mute. Noch einmal umarmte er sein teures Weib, küßte sie auf ihre blassen Wangen und sprengte mit seinen Mannen über die Zugbrücke zum Schloßhof hinaus in die Ferne. »Möge Gott dich beschützen und dir in der Einsamkeit beistehen, gute und fromme Ermesinde!« flüsterte der Ritter still vor sich hin und suchte, die beunruhigenden Gedanken, die fortwährend auf ihn einstürmten, zu verscheuchen.

Waren Ermesindens Worte und Benehmen beim Abschied ihres Gemahls wohl aufrichtig, oder war die edle Tochter des biedren Herrn von Frassem durch ihre leidenschaftliche Liebe zu dem Ritter von Elter zu einer abgefeimten Heuchlerin12 herabgesunken?[22]

Dachte Ermesinde vielleicht mit Grauen an die einsame Zukunft, wo sie vergebens nach dem abwesenden Gemahl blicken würde, um sich im Kampfe gegen ihre verbrecherische Neigung zu stärken? Freute sie sich vielleicht heimlich, daß ihr nun durch Gilberts längere Abwesenheit die Gelegenheit geboten werde, ihrer Leidenschaft ungestört fröhnen zu können? Das alles weiß nur Gott allein.

Einige Zeit nach Gilberts Abreise nach dem gelobten Lande lustwandelte die Burgfrau von Seymerich an einem herrlichen Sommertag in einem der nahen Wälder, welche ihr Schloß umgaben. An einer Wegekrümmung stand auf einmal Regnier von Elter, der nicht mit in den Krieg gegen die Sarazenen gezogen war, vor ihr. Ermesinde war über dieses plötzliche Begegenen aufs höchste überrascht und schien sofort umkehren zu wollen. Allein der junge Ritter vertrat ihr schnell den Weg, ergriff ihre Hand und bat in glatten, süßen Worten um Verzeihung für die Dreistigkeit, mit welcher er vor ihr erscheine. Anstatt den jungen Mann von sich zu weisen, war die Unselige schwach genug, dem geliebten Versucher zuzuhören, als ihr derselbe in beredten Ausdrücken beteuerte, wie sehr er sich noch immer um ihren Verlust härme und ohne ihre Liebe sich nie mehr des Lebens freuen könne. Wie süßes Gift wirkten Regniers Schmeichelworte; Ermesinde horchte nicht auf die warnende Stimme ihres Gewissens; ihr Schutzengel verließ sie und kehrte betrübt in den Himmel zurück.

Von diesem Tage an kamen Ermesinde und Regnier öfters an jener Waldstelle zusammen. Und als im Herbst die falben Blätter von den Bäumen fielen, und der rauhe Nordwind über die Stoppelfelder fuhr und durch die kahlen Wälder blies, erwartete Ermesinde ihren Geliebten in Gilberts Schlosse selbst. Lange Zeit gelang es Regnier, stets unbemerkt zu dem pflichtvergessenen Weibe zu kommen.[23]

Das sträfliche Verhältnis mochte etwa ein Jahr gedauert haben, als Ermesinde eines Morgens einen ergrauten Diener Gilberts, namens Hermann, vom Kopf bis zu den Füßen bewaffnet und mit dem Abzeichen der Kreuzfahrer geschmückt, im Hof sein Roß besteigen sah. Sie trat hinzu und fragte lächelnd den Alten: »Wo willst du, alter Graukopf, denn eigentlich in solcher Waffenrüstung hin?« – »Nach Palästina, zu meinem lieben Herrn!« antwortete kurz und trocken der Greis. »Ich meinte, guter Hermann,« entgegnete Ermesinde, »dein Herr hätte Krieger genug bei sich, und dein altersschwacher Arm könnte ihm im Kampfe gegen das Heidenvolk nicht viel helfen. Übrigens ist der Weg nach Palästina sehr weit und äußerst gefahrvoll für einen einzelnen Mann; und am Ende könntest du deinen Herrn, selbst nach glücklich überstandener Reise vielleicht nicht auffinden!« Kalt blickte Hermann seine Herrin an und versetzte ernst: »Darüber lasse ich den lieben Herrgott Meister. Der wird schon dafür sorgen, daß ich wohlbehalten durch das Land der Türken zu meinem wackern Herrn gelangen werde; denn auch ich nähre den glühendsten Haß gegen die falchherzigen, gottlosen und nichtswürdigen Menschen, mit denen mein Herr zu schaffen hat!« –

Einige Augenblicke später ritt der alte Hermann von dannen.

Ermesinde war seltsam bewegt und wußte nicht, ob Mitleid oder dunkle Bangigkeit sie ergriff, als sie den bewährten Diener scheiden sah. Doch schien sie sich selber bei dem Gedanken beruhigt, daß sie jetzt den Blick des ehrlichen Alten nicht mehr zu scheuen brauche. War es ihr doch immer gewesen, wenn sie mit dem treuen Diener sprach, als ob dessen klares Auge sie wie vorwurfsvoll anblicke, ihr in ihrem Innern tief verborgenes Schuldbewußtsein erriete und sie zur Rückkehr zum Guten ermahnen wollte.[24]

Schon war seit Hermanns Abreise ein ganzes Jahr vergangen, und noch immer hatte man nichts von Gilbert und seinem alten Diener vernommen. Ermesindens sündhafte Beziehungen zu dem jungen Ritter von Elter scheuten nicht einmal mehr die Öffentlichkeit. Regnier schlich nicht mehr verstohlen wie ein Dieb in die Burg von Seymerich, sondern kam jetzt frei zu jeder Zeit und im Angesicht der ganzen Dienerschaft, welche sich an die häufigen Besuche des Ritters gewöhnte und zu dem ihr von ihrer sonst guten Herrin gegebenen Ärgernis stillschwieg.

Wohl regten sich zuweilen peinigende Gewissensbisse in Ermesindens Brust, wenn sie an die Verletzung ihrer ehelichen Treue dachte. Um dieselben zu beschwichtigen, suchte Regnier, das schwache Weib dem Gatten noch mehr abzuwenden und an sich zu fesseln. Ohne Scheu nannte er den rechtschaffenen Gilbert einen Dieb, einen listigen Fuchs, der des alten Frassemers Vertrauen erschlichen und ihm selbst die Geliebte ohne alles Recht geraubt habe. Ja, er sagte, nichts könnte ihnen beiden wünschenswerter sein, als die Nachricht von Gilberts Tode; denn an dem Tage, wo derselbe zurückkehre, sei es mit ihrem süßen Liebesglück zu Ende.

Allmählich entschwand in Ermesindens Herzen auch das letzte liebende Andenken an ihren Gatten, und schließlich wäre sie froh gewesen, die Kunde von seinem Ableben zu erhalten, um mit Regnier sich vermählen zu können. Enttäuscht und mißmutig entließ sie die aus dem gelobten Lande heimkehrenden Pilger, wenn ihr dieselben auf ihr Fragen von den zahlreichen durch Pest, Hungersnot oder Schwert dahingerafften luxemburgischen Rittern erzählten und Gilbert nicht unter den Toten nannten.

So nun standen die Dinge, als der Herbst des Jahres 1098 ins Land zog.

In einer regnerischen Novembernacht saßen Ermesinde[25] und Regnier zusammen am flackernden Kaminfeuer auf der Burg zu Seymerich. Draußen heulte und wimmerte der nächtliche Wind um die verwetterten Türme; düsterschwarze Wolken jagten pfeilschnell am Himmel dahin, und prasselnd schlug der Regen an die kleinen mit Blei eingefaßten Fensterscheiben des Gemaches, worin die beiden Liebenden saßen.

Die junge Frau war an diesem Abend gar nicht zum Tändeln aufgelegt. Es war ihr so traurig, ja ganz traurig zu Mute; sie wußte selbst nicht warum; und das Ächzen und Seufzen der vom Sturm gebeugten Erlen und Weiden draußen an den Wassergräben kam ihr vor wie ein schauerliches Totenlied.

Vergebens suchte Regnier, die bekümmerte Geliebte aufzuheitern, indem er ihr von seiner Liebe und seinen Hoffnungen sprach. Plötzlich wurde der Sprecher durch einen gähen Stoß und das laute Rascheln an dem nächsten Bogenfenster unterbrochen. – »Es war nur ein aufgescheuchter Nachtvogel, der von dem hellen Lichtschimmer herzugelockt worden und von dem heftigen Anprall betäubt mit mattem Flügelschlag am Fenster niedersank!« sagte Regnier lächelnd zu der ängstlich aufhorchenden Ermesinde. »Hast du denn nicht den raschen Hufschlag in der Ferne gehört?« fragte diese mit zitternder Stimme. »Nein, Liebchen!« versetzte Regnier und legte schmeichelnd seinen Arm um ihren weißen Nacken, zog ihr schönes Haupt an seinen Busen und spielte mit ihren üppig über ihre Schultern herabwallenden weichen blonden Haaren. »Eine unbegründete Furcht, welche dieses garstige Unwetter noch vermehrt, ängstigt dich und verwirrt deine Sinne!« fuhr Regnier fort; »und das Schnarren des vom Sturm gepeitschten Wetterhahnes auf der Turmspitze kommet dir vor, wie . ......«

Plötzlich hielt Regnier inne und sprang erschrocken[26] von seinem Sitz empor. Draußen fuhr ungewöhnlich rasch und unter lautem Knarren die schwere Zugbrücke nieder, und dumpf donnernd sprengte ein Reiterpaar darüber hinweg in den Schloßhof. »Was soll das bedeuten?« sprach vor innerer Erregung bebend der junge Ritter zu der vor Grauen leichenblassen Ermesinde, die ebenfalls ihren Sitz verlassen und beide Hände auf ihr vor Entsetzen fast erstarrtes und von gäher Todesfurcht befangenes Herz drückte. Schnell hatte das schuldbewußte Weib sich einigermaßen wieder gefaßt. Ohne dem Geliebten etwas zu erwidern, lauschte sie mit angehaltenem Atem; denn unten im Erdgeschoß ließ sich lautes Sporengeklirr und Waffengerassel vernehmen; und Flur und Stiege erdröhnten bald darauf unter dem schweren Tritt eines Mannes, der mit den Räumlichkeiten des Schlosses sehr vertraut sein mußte, da er sich mit großer Hast und Sicherheit dem Gemache näherte, worin das ehrvergessene und vom bösen Gewissen gefolterte Liebespaar weilte.

Sofort eilte Regnier, von übler Ahnung ergriffen, in die anstoßende Schlafkammer Ermesindens, um sich dort zu verstecken.

Kaum war Regnier verschwunden, so öffnete sich die Thüre des Gemaches, worin Ermesinde allein zurückgeblieben war, und auf der Schwelle erschien ein stattlicher, hochgewachsener Ritter in voller, noch vom Regen triefender Rüstung. Aus dem weit geöffneten Helmgitter drängte sich ein mächtig langer kohlschwarzer Vollbart hervor, der ein von der Sonne ganz gebräuntes Gesicht umrahmte. Die edlen Gesichtszüge, welche durch einige Schmarren und den Verlust eines Auges mehr oder weniger entstellt waren, kenntzeichneten den Ankömmling als einen Mann von kühner Entschlossenheit und mutiger Thatkraft.

Als Ermesinde den Eindringling angeschaut,[27] war es um ihre kaum wiedererlangte Fassung geschehen. Ein gellender Aufschrei entwand sie ihrer nach Atem ringenden Brust. Um nicht ohnmächtig zu Boden zu sinken, griff die Elende nach einer stützenden Sitzlehne; denn ihr schwindelte vor dem einen, wie dämonisch funkelnden Auge des Ritters. Dieser war niemand anders, als Gilbert, Herr von Seymerich und Ermesindens Gatte.

Mit gekreuzten Armen und blitzendem Auge blieb Gilbert auf der Thürschwelle stehen und sagte wie vorwurfsvoll: »Wie, Ermesinde! Heißest du mich nach so langer Abwesenheit nicht herzlicher willkommen?«

Die junge Frau seufzte und antwortete nicht.

Gilbert trat näher zu ihr hinzu und fuhr fort: »Bist du denn nicht froh, daß ich nun wieder bei dir bin? Nicht einen Kuß, ja nicht einmal ein freundliches Liebeswort hast du für deinen Gilbert! Und doch, wie sehnte ich mich die ganze Zeit hindurch nach dir! Wie köstlich war mir stets der Gedanke, daß deine Zärtlichkeit mich einst für alle ausgestandenen Entbehrungen und Strapatzen entschädigen würde! Und nun? – Ermesinde! Ermesinde! Was soll dieser seltsame Empfang bedeuten?«

Das schuldbeladene Weib zitterte krampfhaft und schwieg.

»Aber um des Himmels willen, Ermesinde, du schweigst und zitterst gar! Hat dich die Freude des Wiedersehens so sehr aufgeregt? Oder . ... wärest du deinem lieben Gilbert gar untreu geworden?« –

Da that das ehebrecherische Weib sich selbst Gewalt an, umarmte und küßte den tapfern Kreuzfahrer und sagte: »Ach! Gilbert, wenn du wüßtest, wie mir ist!« Deine langjährige Abwesenheit, deine unverhoffte Wiederkehr, die Veränderung in deinem Gesicht, der Gedanke, daß Schwert, Hungersnot oder Pest dich getötet, und du in dem brennenden[28] Wüstensande des Heidenlandes begraben lägest, weil ich nie etwas von dir vernahm: das alles stürmte jetzt mit solcher Macht auf mich ein, daß ich wie gelähmt und meiner Sinne nicht mehr mächtig war.

Lächelnd und mit scheinbar großer Innigkeit umarmte der Kreuzritter sein treuloses Weib und sprach scherzend: »Wenn du mich bereits tot wähntest, so hätte ich dich am Ende gar in einem Kloster aufsuchen müssen. Es bewog dich gewiß noch immer die milde Hoffnung des Wiedersehens, die Erfüllung deines mir beim Abschied gegebenen Versprechens aufzuschieben!« –

»So ist 's!« entgegnete Ermesinde etwas betreten. »Nun aber, lieber Gilbert!« fuhr sie fort; »laß uns dieses Zimmer verlassen und das auf der andern Seite der Burg gelegene Gemach aufsuchen, worin wir uns vor deiner Kriegsfahrt gewöhnlich aufhielten. Dort fühlt man sich viel heimlicher und alles wird dich dort an die traute Minne unsrer jungen Ehe erinnern! Komm', Gilbert, und erzähle mir von deinen Abenteuern und Heldenthaten!«

Sie ergriff die Leuchte und wollte voranschreiten. Allein der Kreuzritter hielt sie zurück und sagte: »Nicht so, Ermesinde! Es mag sich alles so verhalten, wie du sagst; allein mir gefällt es besser in diesem Zimmer, worin du während meiner Abwesenheit mit Vorliebe weiltest, und wo du tagtäglich mit frommem Engelmund und keuschem Gemüte inbrünstig zu dem lieben Gotte flehtest, damit er dir den teuern Gemahl vor des Feindes Tücke beschütze und aus aller Not und Trübsal errette. Bleiben wir also hier, Ermesinde! Setze mir etwas Speise und Trank vor; denn ich muß gestehen, daß ich von dem langen Ritt durch Nacht und Wind und Wetter ziemlich hungrig und durstig geworden bin.«

Ermesinde wußte nicht, was sie von ihres Mannes Worten, welche ihr wie beißender Spott vorkamen,[29] halten sollte. Sie lächelte scheinbar gleichgültig und schaute dabei ihrem Gatten forschend ins Gesicht. Doch mit keiner Minne verriet derselbe die wahren Gefühle, welche ihn beseelten.

Ermesinde verließ das Gemach, und während die Unselige hinab in die Küche eilte, um für den verlangten Imbiß zu sorgen, sagte sie zu sich selber: »Wenn ich den mir nun einmal verhaßten Gatten nicht in ein andres Zimmer zu locken vermag, so gibt es ein Unglück. Oh, der abscheuliche Nachtvogel! Mir schwante gleich Unheil, als derselbe an das Fenster klopfte!«

Inzwischen hatte Gilbert sich an den Tisch gesetzt. Leise brummte er etwas vor sich hin und schaute überall im Zimmer umher. Plötzlich leuchtete sein Auge unheimlich wild auf. Dort in der Ecke stand ein Panzer und daneben ein Schwert. Beide trugen als Wappen ein goldenes Kreuz auf rotem Felde. Als der Ritter beides sah, lächelte er ingrimmig und sagte mit gedämpfter düsterer Stimme, indem er mit der geballten Faust drohend auf Ermesindens Schlafzimmer deutete: »Da sitzt der Kuckuck im fremden Nest wie in einem Käfig gefangen und kann nicht fort! Warte nur, du Schänder meiner Liebe! Dein böses Gelüsten, im Ehegehege anderer zu wildern, soll sich in dieser Sturmesnacht gar furchtbar an dir rächen! Nicht umsonst verließ mein treuer Hermann die Heimat! Nicht umsonst will ich wie ein Eidbrüchiger die Kreuzzugsfahne verlassen und vor der Zeit die weite Heimreise angetreten haben! –«

In diesem Augenblick trat Ermesinde in Begleitung einer Dienerin mit Speis und Trank ins Zimmer. Gilbert nahm seine gleichgültige Miene wieder an und sprach, nachdem die Dienerin sich wieder entfernt hatte, den aufgetischten Erfrischungen weidlich zu. Auf die zahlreichen Fragen Ermesindens über sein Befinden, seine Kriegshtaten, seine[30] Erlebnisse und die Ursache seiner plötzlichen Wiederkehr gab er nur karge, einsilbige Antworten.

Nachdem Gilbert Hunger und Durst gestillt, stand er auf und sagte: »Ermesinde, es ist spät; Müdigkeit und Schlaf überwältigen mich. Meine Sehnsucht nach dir ließ mir keine Ruhe. Tag und Nacht war ich unterwegs; und seitdem ich Palästina verlassen, habe ich noch kein Bett gesehen. Komm', wir wollen schlafen gehen! Morgen will ich mehr erzählen!«

Gilbert nahm sein Weib an der Hand, um mit ihr in das anstoßende gewohnte Schlafgemach zu treten. Doch Ermesinde sträubte sich, ihrem Gatten zu folgen, entzog ihm ihre Hand und sagte: »Nein, Gilbert, in jenes Zimmer gehe ich nicht mit! Es stürmt diese Nacht so fürchterlich, und du weißt, daß man vor dem scheußlichen Heulen und Wimmern des Nachtwindes in jenem Zimmer nicht ruhig schlafen kann. Deshalb schlief ich auch während deiner Abwesenheit stets, wenn es nachts regnete und stürmte, in einem gegen Osten gelegenen Zimmer. Komm', laß uns dorthin gehen!« –

Gilbert schaute sein Weib mit einem durchbohrenden Blicke an, denn er erriet ihre Absicht. Unwillig stampfte er so heftig mit dem Fuße, daß der Boden erdröhnte, und das Schwert, das in der Ecke stand, unter lautem Rasseln und Klirren am dem Panzer niederstürzte.

»Wessen Panzer und Schwert schimmern dort am Boden?« fragte der Ritter mit donnernder Stimme.

»Beide gehörten meinem Vater. Vor einigen Tagen stand ich zu Frassem an seinem Grabe und sah, daß Schwert und Panzer, die sein Grabmal zierten, etwas rostig geworden waren. Ich gab einem Diener den Auftrag, dieselben nach Seymerich zu bringen und wieder blank zu putzen.«

»Ich stand auch mehr als einmal am Grab des[31] biedern Alten! Doch jene Waffen habe ich nie dort bemerkt! Und seit wann führten die Frassemer ein goldenes Kreuz auf rotem Feld im Wappen?« –

Ermesinde stand wie vernichtet.

»Weg mit allen Verstellungen, du gleisnerisches Weib!« fuhr Gilbert finster fort und zog einen seltsam geformten Dolch aus seinem Gürtel hervor. »Sieh her! Dieses Eisen entriß ich einem jener zahllosen Mordheiden, die in den Felsklüften der Gebirge Palästinas hausen, und die, von einem alten Zauberer unterrichtet, die Spitze ihrer Stoßwaffen mit giftigen Säften tränken. Auch dieser Dolch ist vergiftet. Die mindeste Berührung desselben mit dem Blut bringt unfehlbar den fürchterlichsten Tod; und der Leichnam des Getöteten wird hart wie Stein und schwarz wie die finstre Nacht!« –

Von fieberhaftem Grauen erfaßt, stierte Ermesinde erblassend auf den entsetzlichen Dolch. Jeden Augenblick glaubte sie, das unheilvoll glitzernde kalte Eisen in ihrer Brust zu fühlen. Aufs äußerste erschüttert, brach sie endlich unter der Wucht ihrer aufregenden Empfindungen ohnmächtig zusammen.

Ingrimmig schwang Gilbert das tückische Eisen und schaure bald auf sein bewußtlos am Boden liegendes Weib, bald auf die Thüre von Ermesindens Schlafgemach, wohin Regnier sich geflüchtet. Eine Zeit lang schien er unschlüssig zu sein über das, was er nun beginnen sollte. Plötzlich stürzte er in das anstoßende Schlafzimmer. –

Inzwischen hatte Ermesinde sich von ihrer Schwäche erholt. Aus dem Nebenzimmer erscholl verworrenes Geräusch und bald darauf ein halberstickter Wehruf, auf den das dumpfe Fallen eines Körpers folgte.

»Mein Gott! Der Rasende hat den Armen mit dem gräßlichen Dolche getötet!« rief jammernd das unselige Weib.

Schnell wie der Blitz richtete sie sich auf und[32] versteckte sich in dem dunkelsten Winkel des Gemaches, um der rächenden Wut des Gatten zu entgehen.

Als Gilbert wieder erschien und Ermesinde nicht mehr auf dem Platze wiederfand, wo er sie verlassen, glaubte er, dieselbe sei entflohen. Ohne einmal umzusehen, stürmte er hinaus die Stiege hinunter, um die Flüchtige zurückzubringen.

Sobald Gilbert fort war, eilte Ermesinde zu Regnier, der aus einer großen Wunde in der Brust blutend regungslos am Boden lag. Sie kniete nieder, hob das Haupt des Verwundeten empor, drückte es an ihr bebendes Herz und bedeckte das aschfahle Gesicht mit glühenden Küssen.

»Ach, daß du der Liebe wegen eines so schmählichen Todes sterben mußt!«

Noch einmal öffnete der Sterbende die brechenden Augen. Sein matter Blick begegnete dem des schönen Weibes, dessentwillen er so quallvoll enden mußte.

»Du bist's, Ermesinde!« stöhnte er mit grausigem Röcheln. »Mir scheint, als ob mir's Herz in der Brust sich zu Stein verhärte! Ach, welche Marter! Beißender Brand peinigt meinen Leib! Mein Blut fließt träge und erstickt mich!«

Dabei zeigte der Unglückliche auf die klaffende Wunde, aus der dickes, schwarzes Blut langsam und mühsam hervorquoll.

Außer sich vor Verzweiflung drückte das vor lauter Liebe verblendete Weib seine Lippen auf des Geliebten Brust und sog das stockende, ekelhafte, schwarze Blut aus der Wunde, um die grausamen Schmerzen des Jammervollen zu lindern . ......

Eine Viertelstunde später kam Gilbert zurück. Als er in Ermesindens Schlafzimmer trat, welches der Lichtschein aus dem anstoßenden Gemach matt erhellte, bot sich ihm ein erschütternder Anblick dar. Kalt und leblos lag seine Gattin neben dem entseelten[33] Körper ihres Verführers; ihr Mund ruhte noch auf der gräßlichen Wunde, welche ihres Gatten Dolch geschlagen.

Bestürzt wich Gilbert einen Schritt zurück. »Mein Gott!« rief er aus; »die Unselige hat sich selbst mit dem Blute des Schändlichen vergiftet!« – Eine Weile starrte Gilbert auf die leblose Gattin, die ihm einst so teuer war. Plötzlich schwand sein Haß, und unbeschreibliche Wehmut bemächtigte sich des eisenstarken Mannes. Endlich hub er an: »Gerechter Gott! Du hast nicht gewollt, daß ich Hand an die mir vor Deinem Altare angetraute Gattin legen sollte!« – Er bückte sich; ergriff der Toten eisigkalte Hand und sprach gerührt: »Ermesinde, einst mein heißgeliebtes Weib, armes Opferlamm der teuflichsten Verführung, du hast mehr aus weiblicher Schwachheit und Unüberlegtheit als aus Übermut gefrevelt! Ermesinde, ich verzeihe dir! Möge der Allmächtige, dir auch alles vergeben, was du an deinem Gatten verbrochen!« –

Dann wandte er sich zu Regnier, und wilder Haß loderte wieder in seinem Innern auf, als er sprach: »Du aber, du Unhold, der du mir mein Einzigstes auf dieser Welt raubtest! Du Teufel, der du durch allerlei satanische Künste und Schmeichelworte das keusche Gemüt meiner unschuldigen Ermesinde verwirrtest, du, Teufel, fahre zu Teufeln!« –

Gilbert verließ das düstere Gemach, welches der Todesengel so schauerlich heimgesucht, und eilte hinab auf den Schloßhof, wo sein treuer Begleiter Hermann seiner harrte. Er bestieg sein Roß und sprengte mit dem greisen Diener von dannen durch die tobende finstre Nacht. Ihn litt es nicht mehr an der Stätte, wo ihn alles an die glücklichsten und furchtbarsten Augenblicke seines Lebens erinnerte.

Morgens fand man in Ermesindens Schlafzimmer zwei menschliche Leichname, die mit Ermesindens[34] und Regniers Kleidern angethan waren. Beide Körper waren hart wie Stein und so schwarz, wie wenn das höllische Feuer sie während des nächtlichen Unwetters ausgespieen hätte. Bald verbreitete sich das Gerücht, zwei gespensterhafte schwarze Gestalten gingen jede Mitternacht seufzend und wehklagend auf der Burg zu Seymerich um. Dadurch kam das Schloß allmählich in Verruf, und niemand wollte mehr dort wohnen. Öde und von jedermann verlassen, ging die alte stolze Burg ihrem Verfalle entgegen.

Nach den Berichten der aus Palästina heimkehrenden Pilger war Gilbert mit seinem Diener nach dem h. Lande zurückgekehrt und war dort, um dem Herrn seine Dienste zu weihen, in den Orden der Johanniterritter eingetreten.

. .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ......

Lange Jahre nach Ermesindens Tode stand an einem schönen Sommerabend ein ehrwürdiger Greis mit langem, schneeweißem Bart und in einen weiten Pilgermantel mit Kapuze eingehüllt, vor der verlassenen Burg von Seymerich. Die Sonne war eben im Westen gesunken, und golden umfloß das Abendrot die bemoosten Mauern, an denen Brombeerranken und Epheu emporkletterten. Tiefer Gottesfriede ruhte auf der Erde, Der Greis kniete neben einem der verkrüppelten Weidenstümpfe am Rande des Ringgrabens nieder, faltete die Hände und betete. Der Anblick der verwahrlosten Burg, aus deren zerbröckelndem Gestein überall Gras herauswucherte, und an deren öden und glaslosen Fensterhöhlen die Spinne ungehindert ihre langen Netze wob, schien gar wehmütige Erinnerungen in dem Herzen des alten Mannes wachzurufen. Heiße Thränen rollten über seine tief gefurchten Wangen und verloren sich in dem dichten Silberbart. Nach geraumer Zeit stand der Greis wieder auf; noch einmal schaute er hinüber nach dem alten Burggemäuer,[35] erhob die Hand wie zum Segen und verschwand. –

Es war Gilbert, der letzte Ritter von Seymrich.

11

Statt Regniers nennt das Volk auch noch den jungen Grafen von Sterpenich. Außerdem wird Gilbert bei manchen als Herr von Frassem, und Ermesinde als die Tochter eines alten Ritters von Seymerich bezeichnet. Gilbert wird demnach durch Heirat Herr von Seymerich.

12

Als solche wird Ermesinde von Anfang an von M. La G., Feuilleton du Journal d'Arlon (1849) dargestellt.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 18-36.
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