2. Die wunderthätige Statue des h. Hadrian und die Pest zu Arlon.

[5] Schrecklich hausten die Kaiserlichen, lauter wüste Schandbuben, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Luxemburgerland, das sie gegen den[5] Feind beschützen sollten. Zu den Verheerungen, welche die Soldaten anrichteten, gesellte sich eine unerhörte Teuerung. Im Januar 1636 kostete in Arlon z.B. ein Sester Weizen nach heutigem Geldeswerte mehr als fünfundvierzig Franken; und ein Pfund Käse wurde über zehn Franken verkauft.

Als das ruinirte Volk alles aufgezehrt hatte, folgte auf die Teuerung eine gräßliche Hungersnot. Hohläugig, bleich und abgezehrt schwankten die ausgehungerten Menschen wie Gespenster durch die Gassen. Mütter schlachteten und kochten ihre Kinder, um mit dem Fleisch der zerstückelten armen Kleinen ihr elendes Dasein zu fristen. Andere schlichen, von der grausigen Wut eines rasenden Hungers getrieben, des Nachts hinaus auf den Friedhof, rissen die Toten aus den Gräbern und verschlangen mit Gier die modernden Leichen.

Kein Wunder, daß zu all der Not und Trübsal zuletzt auch noch die Pest hinzukam. In Arlon und Virton, wohin sich vieles Landvolk aus Furcht vor den Kroaten und Polacken geflüchtet, war des Jammers und Elendes kein Ende. Zu Virton waren von 210 Bürgern nur noch 49 nach der Seuche am Leben geblieben. In Arlon allein raffte die scheußliche Krankheit jeden Tag durchschnittlich 20–25 Personen dahin. Ein offizielles Aktenstück aus der damaligen Zeit berichtet unter anderm: »Summa, es ist alles voll Elend, Jammer und Betrübnuss und seynd uff den h. Osterdagh zwantzig öffentlich, ahn etzliche verborgentlich begraben worden.«1

Unsäglich waren die Qualen der Unglücklichen, die von dieser höchst ansteckenden und schnell tötenden Plage befallen wurden. Eiternde und schmerzende Beulen brachen auf ihren ganz mit[6] blauen Flecken bedeckten Körpern aus, während eine brennende Hitze ihr Inneres durchwütete. Durch schweres Atmen, übermäßiges Schwitzen, anhaltende Übelkeit, zahlreiche Ausleerungen galliger, grüner, schwärzlicher oder blutiger Substanzen, sowie durch häufiges Erbrechen derselben Art wurden die Kräfte der Unglücklichen gänzlich aufgerieben. Entsetzliche Kopfschmerzen, tötliche Angst, peinigender Durst, fürchterliche Krämpfe, schlaflose Nächte u.s.w. vermehrten die Leiden der unseligen Kranken; und die leichenblassen Gesichter, der stiere, verstörte, trübe oder unheimlich funkelnde Blick der rot umlaufenen Augen verrieten wahnsinnige Raserei und dumpfe Verzweiflung.

In dieser Drangsal hörte die so schwer heimgesuchte Bürgerschaft Arlons, wie wunderbar die Einwohner einer niederländischen Stadt durch Verehrung einer kleinen Statue des hl. Martyrers Hadrian, des mächtigen Schutzpatrons gegen Seuchen, vor der Pest bewahrt blieben. Da thaten sich vier entschlossene Arloner Schuster zusammen und machten sich unaufgefordert auf den Weg nach den Niederlanden in der Absicht, dort die wunderthätige Statue des Heiligen zu kaufen oder zu leihen.

Als die Männer in der niederländischen Stadt angekommen waren, wollte man ihnen das Bild weder verkaufen noch leihen. Da beschlossen die Schuster, dasselbe zu stibitzen. Sie warteten, bis es Nacht wurde; dann schlichen sie sich in die Kirche, versteckten sich in einem Winkel und ließen sich einsperren. Als alles in der Stadt still und ruhig geworden war, nahmen sie den Heiligen vom Altar herunter, öffneten behutsam ein Fenster, stiegen leise und vorsichtig mit der kostbaren Statue auf die Straße hinaus und eilten fort durch die dunkle Nacht.

An der Grenze des Stadtbannes angelangt, konnten die vier Männer trotz ihrer größten[7] Anstrengungen den Heiligen auf einmal nicht mehr fortbringen. Da sagte einer der Schuster: »Wer weiß! hätten wir die Frau des h. Hadrian zugleich mit fortgenommen, so wären wir vielleicht nicht in diese schlimme Patsche geraten! Kommt, laßt uns umkehren und auch die h. Natalie herbeiholen!« Die drei anderen nahmen diesen Vorschlag an; denn sie fanden, daß ihr Gefährte vielleicht Recht haben könnte. Sie gingen alle vier wieder in die Stadt zurück, nahmen den Niederländern auch die h. Natalie weg und machten sich scheunigst wieder auf den Heimweg.

Dieses Mal leistete der Heilige keinen Widerstand mehr auf der Reise. Wohlbehalten näherten sich die Männer ihrer Vaterstadt, und einer von ihnen lief voraus, um seinen Mitbürgern die frohe Nachricht von der Ankunft des Heiligen und dessen Frau zu verkünden. Da zog viel Stadtvolk hinaus und eilte den beiden Heiligen bis nach Quatre-Vents entgegen. Sobald der h. Hadrian an dem Waschbrunnen in der Muôken-Delt vorbeikam, nahm die Seuche in der Stadt schon merklich ab; und als er in die Stadt selbst einzog, floh die Pest zum entgegengesetzten Ende hinaus.

Zum Andenken an jene Hülfe und zum Dank für den mächtigen Schutz, welchen der h. Hadrian noch ohne Unterlaß der Stadt gewährt, wird seine Statue mit der seiner h. Gattin alljährlich am 8 September, dem Todestag des Heiligen oder an dem darauf folgenden Sonntag in feierlicher Prozession durch die Hauptstraßen Arlons getragen.

1

Vergl. Dr Schötter, Geschichte des Luxemburger Landes. Herausgegeben und fortgesetzt von K.A. Herchen und N. van Werveke. Luxemburg 1882. S. 262. 263.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 5-8.
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