34. Der Athemer Knupp.

[66] Unfern Athem liegt der Titelberg, dessen Name an Titus, einen römischen Feldherrn, erinnern soll. Dieser hatte vor vielen hundert Jahren ein gewaltiges Heerlager auf dem Titelberge aufgeschlagen. Da bekam er eines Tages von seinem Kaiser den Befehl, das Lager abzubrechen und mit dem Heere nach Jerusalem zu ziehen, um die Juden, welche sich empört hatten, zu züchtigen.

Titus war ein sehr reicher Mann und hatte außer seinem vielen Gelde güldene Wagen und eine Menge güldener Gefäße und Schmucksachen in seinem Heerlager auf dem Titelberg. Als er mit dem Heere den Berg verließ, gebot er, daß ein jeder seiner unzähligen Krieger eine Handvoll Erde von dem Berge mitnehmen sollte.

In der nächsten Umgebung von Athem ließ Titus eine große Anzahl seiner Schätze, unter anderm auch einen goldnen Wagen und eine goldne Wiege in die Erde vergraben. Dann zog das Heer an der Stelle, wo die Schätze lagen, vorüber, und jeder Soldat mußte seine Handvoll Erde darauf werfen. Bald erhob sich über den unermeßlichen Reichtümern ein runder Hügel, den man in der Folge die Athemer Knupp nannte, und der noch heutzutage zu sehen ist.

Wer aber die vergrabenen Schätze heben will, der muß nächtlicherweile den Hügel eröffnen und dabei das größte Stillschweigen beobachten. Spricht er ein Wörtchen, bevor er den Schatz heraus gegraben, so sind alle seine Bemühungen vergebens gewesen, und er muß, wenn ihm sonst kein Unglück geschieht, wieder von ganz vorn anfangen.

Einst hatte ein Mann von Athem den Hügel schon so weit durchwühlt, daß ihm die kostbaren Schätze entgegen blinkten. Allein, als er sich bückte, um dieselben herauszuschaffen, waren sie ihm zu[67] schwer. Aufgeregt wie er war durch den Anblick des vielen Goldes, verlor er schließlich alle Überlegung und rief einem vorübergehenden Wanderer zu: »Komm', hilf mir; es ist mir zu schwer!« Sogleich rollte der aufgewühlte Boden über dem Schatzgräber zusammen und begrub den Armen lebendigen Leibes bei dem unglückseligen Golde.25

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Vgl. Gredt, 245.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 66-68.
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