21. Die drei söhne.

[110] Ein mann hatte drei söhne. Der älteste und der mittlere waren klug, der jüngste (eig. der kleine) war stockdumm; ihre mutter war blind. Der dumme sohn legte seiner mutter eine falle, die mutter ging auf den hof hinaus, geriet in die falle und starb. Die älteren söhne fuhren den jüngsten sohn an, aber er legte seine mutter in den schlitten und führte sie zum markt.[111]

Auf dem wege kam dem dummkopf ein fuhrmann entgegen. Der fuhrmann sagte: »Biege aus! Ich habe waren (in meinem schlitten)«. Der dummkopf sagte: »Ich habe aber meine sehr dicke mutter. Siehst du, wie sie aus vollem halse lacht! Biege sogleich aus!« Der fuhrmann ging zu dem dummkopf und gab seinem schlitten einen stoss. »Sieh, da hast du meine mutter tot gestossen! Eben lachte sie laut!« sagte der dummkopf. Der fuhrmann sagte ihm ganz leise: »Sage es niemand! Da hast du hundert rubel!« Der dummkopf nahm die hundert rubel und fuhr weiter.

Er fuhr ein stückchen und (jetzt) kam ihm ein fuhrmann mit einem fuder mehl entgegen. Der fuhrmann sagte: »Biege aus! Ich habe ein mehlfuder«. Wiederum sagte der dummkopf: »Ich habe aber meine mutter. Siehst du, wie sie aus vollem halse lacht! Biege sogleich aus!« Der fuhrmann ging zu dem dummkopf und gab seinem schlitten einen stoss. »Siehst du, du hast meine mutter tot gestossen! Eben sass sie und lachte laut!« sagte der dummkopf. Der fuhrmann sagte: »Sage es niemand! Da hast du zweihundert rubel!« Der dummkopf nahm die zweihundert rubel und fuhr wieder weiter.

Er fuhr ein stückchen, und wiederum kam ihm ein fuhrmann mit mehlfuder entgegen. Der fuhrmann sagte ihm: »Biege aus! Ich habe zwanzig pud mehl«. Der dummkopf sagte: »Ich habe meine mutter. Siehst du, wie sie aus vollem halse lacht! Biege sogleich aus!« Der fuhrmann ging zu dem dummkopf und gab seinem schlitten einen stoss. »Sieh, da hast du meine mutter tot gestossen! Eben sass sie laut lachend im schlitten!« sagte der dummkopf. Der fuhrmann gab ihm dreihundert rubel.

Nachdem er darauf ein stückchen weiter gereist war, kam er zum markt. Das erste, was er auf dem markte sah, war eine volle honigkufe. Der besitzer des honigs war gerade nicht bei der honigkufe. Der dummkopf führte seine mutter zu der kufe (eig. zu dem honig), liess sie mit den händen an die kufe (eig. an den honig) gelehnt da stehen und ging selbst ein stückchen seitwärts. Der besitzer des honigs kam herbei und sagte: »Kaufe mal, wenn du einmal (etwas) kaufen willst, mütterchen! Der honig ist gut!« Also sagte er dreimal, und da sie nichts antwortete, gab er ihr[112] einen stoss. Der dummkopf sah es, kam zu ihm und sagte: »Sieh, du hast meine mutter tot gestossen!« Der besitzer des honigs sagte: »Sag' es niemand! Da hast du: nimm diesen honig!« Der dummkopf stellte die honigkufe in den schlitten und fuhr weg.

Er fuhr ein stückchen und sah einen flechtkorb voller fische. Wieder lehnte er seine mutter an den flechtkorb. Der besitzer der fische kam herbei und sagte: »Kaufe mal, wenn du einmal (etwas) kaufen willst, mütterchen! Die fische sind frisch!« Also sagte er dreimal, und da sie nichts antwortete, versetzte er ihr einen stoss. Der dummkopf kam herbei und sagte: »Sieh, du hast ja meine mutter tot gestossen!« Der fischhändler sagte: »Sage es niemand! Da hast du: führe die fische weg!« Der dummkopf lud die fische in seinen schlitten ein, warf seine mutter ins wasser und kehrte (nach hause) zurück.

Nachdem er nach hause gelangt war, sagte er zu seinen älteren brüdern: »In jener gegend stehen die leichen in sehr hohem preise«. Die klugen (brüder) schlugen ihre frauen tot, legten sie in ihre schlitten und reisten lachend umher: »Habt ihr nicht leichen nötig? Leichen ....!« Einige von den leuten, welche dies hörten, kamen (aus ihren wohnungen) heraus und schlugen sie mit den fäusten. – Diese (die brüder) sagten: »Das geht denn doch nicht! Wir wollen uns scheiden!«, rissen ihre öfen nieder und zerstreuten den lehm (der öfen, d.h. den bewurf).

Der dummkopf füllte säcke mit ofenlehm, legte sie in seinen schlitten und fuhr wieder hinaus. Auf dem wege kam ihm ein theefuder entgegen, und er sagte zum besitzer des thees: »Wohlan! Lass uns unsere fuder tauschen, ohne sie zu besichtigen!« Der theehändler sagte: »Nun gut!« Nachdem sie ihre fuder getauscht hatten, kehrte der dummkopf (nach hause) zurück und sagte zu seinen älteren brüdern: »In jener gegend steht der ofenlehm in sehr hohem preise«. Die klugen (brüder) luden ihren ofenlehm in ihre schlitten ein, fuhren hinaus und reisten wieder lachend umher: »Habt ihr nicht ofenlehm nötig? Ofenlehm ...!« Noch einmal schlugen die leute sie mit den fäusten.

Quelle:
Wichmann, Yrjö: Wotjakische Sprachproben, 2.: Sprichwörter, Rätsel, Märchen, Sagen und Erzählungen, Helsingfors: 1893/1901, S. 110-113.
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