Deïsmus

[270] Deïsmus – Ich habe nicht erfahren können, wer zuerst das Wort geprägt hat, wer zuerst auch nur die Männer Deïsten genannt hat, die in ihren Vorstellungen vom orthodoxen Glauben abwichen. Die Bezeichnungen treten im 16. Jahrhundert auf, scheinen da aber schon den streitenden Theologen geläufig zu sein.

Mir klingen die Worte so, als ob sie von Feinden gebildet wären, von frommen Leuten, welche die Deïsten etwa so denunzieren wollten: Ein Deïst sei ein Humanist, der selbstverständlich an Gott glaube, aber nicht an den Gott der Christen, sondern nur an den Deus der Heiden. So konnte es kommen, daß man unter deïsta noch im 18. Jahrhundert bald einen Atheïsten verstand, bald einen Gegner des Atheïsmus.

Über den Zufall, daß die beiden Worte Deïsmus und Theïsmus fast nur wie zwei verschiedene Schreibarten nebeneinander bestehen, und daß eine Negation, wie eben Atheïsmus, von Deïsmus nicht gebildet wurde, wären eigentlich nicht viele Worte zu verlieren; die griechischen Worte atheos und atheotês sind zwar uralt und wurden zu Fremdwörtern im Lateinischen, und Atheïsmus als wissenschaftlicher Terminus für eine fast unvorstellbare Gottesleugnung findet sich schon in früher christlicher Zeit; aber seinen Schrecken verlor das Wort doch erst, ohne Bekreuzigung wurde von Atheïsten erst geredet, als die griechische Sprache allgemein in die Schulen eingeführt worden war und griechische Worte ausschließlich als technische Ausdrücke für philosophische Richtungen, Krankheiten und neue Erfindungen benützt oder ad hoc neu zusammengesetzt wurden. Dazu kam wohl noch die frappierende Ähnlichkeit der Wortklänge Deïsmus und Theïsmus. Es ist bekannt, daß der Gleichklang von deus und theos naïve Philologen (wenn es deren gibt) zu der Ketzerei verführt hat, entgegen den heiligen Lautgesetzen, deus und theos für urverwandt zu erklären; wofür sie denn von Curtius (Etymologie5 513) gehörig zurechtgewiesen worden sind.

Ich habe auf diese beinahe nur orthographische Frage aber deshalb hinweisen zu müssen geglaubt, weil kein Geringerer[270] als Kant zwischen Deïsmus und Theïsmus einen Unterschied setzen wollte, und das zu einer Zeit, als die englischen Deïsten oder Theïsten, die sich auch freethinkers nannten, bereits den Kontinent mit ihrer Ketzerei angesteckt hatten. Wobei es den Philosophen von Beruf nicht eben zur Ehre gereicht, daß sie eigentlich ohne Ausnahme, wenn man den einzigen Spinoza, den Fürsten der Atheïsten, nicht zu ihnen rechnet, nicht ehrlich Farbe bekannten; daß sie einen Konflikt mit der Kirche scheuten. Die Vertreter des Deïsmus waren die großen englischen, französischen und zuletzt auch deutschen Schriftsteller: Shaftesbury, Voltaire, Rousseau, Reimarus, Lessing. Durch diese Männer war der unkirchliche Glaube an einen rein begrifflichen Gott schon zum Gemeingut des gebildeten Abendlandes geworden, als Kant. in diesem Falle doch wohl nur mit scheinbarem Tiefsinn, zwischen Deïsmus und Theïsmus distinguierte. Beide Begriffe haben es nur mit Theologie aus bloßer Vernunft zu tun und stehen außerhalb der offenbarten Theologie. Die Theologie aus bloßer Vernunft »denkt sich nun ihren Gegenstand entweder bloß durch reine Vernunft vermittels lauter transzendentaler Begriffe (ens originarium, realissimum, ens entium) und heißt die transzendentale Theologie, – oder durch einen Begriff, den sie aus der Natur (unserer Seele) entlehnt, als die höchste Intelligenz und müßte die natürliche Theologie heißen. Der, so allein eine transzendentale Theologie einräumt, wird Deïst, der, so auch eine natürliche Theologie annimmt, Theïst genannt.« Der Unterschied soll besagen, daß der Deïsmus vom Wesen Gottes nichts wisse, wohl aber der Theïsmus, der dem Welturheber Verstand und Freiheit zuschreibe. »So könnte man nach der Strenge dem Deïsten allen Glauben an Gott absprechen und ihm lediglich die Behauptung eines Urwesens oder obersten Ursache übrig lassen. Indessen da niemand darum, weil er etwas sich nicht zu behaupten getraut, beschuldigt werden darf, er wolle es gar leugnen, so ist es gelinder und billiger, zu sagen: der Deïst glaube einen Gott, der Theïst aber einen lebendigen Gott (summam intelligentiam).« (Kr. d. r. V., S. 659 bis 661.)[271]

Kants Gedanken werden auch in diesem Falle deutlicher erklärt in den Prolegomenen (S. 173). Er will einen Mittelweg finden zwischen dem Dogmatismus, den er überall bekämpft und wirklich mit unwiderstehlichen Waffen vernichtet hat, und dem Skeptizimus, gegen welchen der fromme Sinn Kants einen starken Widerwillen hatte. Der ganze Abschnitt ist gegen den Skeptiker Hume gerichtet und gegen dessen (von unserem Standpunkte) nicht genug zu rühmende »Dialoge über die natürliche Religion«. Kant benützt den Zufall, daß die beiden Worte Deïsmus und Theïsmus zur Verfügung stehen, zu einem Versuche, den Glauben an Gott gegen Hume zu verteidigen. Die Einwürfe Humes gegen den Theïsmus seien sehr stark und in einem gewissen Sinne unwiderleglich; also doch wohl die Einwürfe Humes gegen den Glauben an einen lebendigen Gott. Kant hat sehr gut erkannt, daß Humes Einwürfe sich gegen den Anthropomorphismus der Gottesvorstellung richten; er weiß, daß es schon anthropomorphisch ist, wenn der Theïsmus seinem Gotte Verstand und Freiheit (Willen) beilegt; er erfindet also, um sich selbst trotz der unwiderleglichen Einwürfe Humes einen Theïsten nennen zu dürfen, ein sehr hübsch klingendes Wort: »einen symbolischen Anthropomorphismus, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht«. Das soll wohl heißen, daß die Begriffe Verstand und Freiheit nur bildlich auf den Gottesbegriff übertragen werden sollen; etwas andres meint aber auch der Vorwurf des ganz gewöhnlichen Anthropomorphismus nicht. Was Kant hinzufügt, um seinen Gott zur vernünftigen Ursache seiner Welt zu machen, das ist wahrlich nicht stark genug, um zu überzeugen. Erstens kommt Kant zu solcher Erkenntnis »nach der Analogie, welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweener Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweener Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet«; Kant meint, die Welt verhalte sich zu ihrem Urheber ganz gewiß so wie eine Uhr zu dem Uhrmacher; er macht also zwei Fehler, indem er aus einer falschen Prämisse einen bloßen Analogieschluß zieht (vgl. Art. Analogie); zweitens:[272] Sobald zugegeben wird, daß der angeblich bewiesenen Ursache der Welt eine Vernunft (in der Kr. d. r. V. hatte Kant das Wort Verstand gebraucht) nur bildlich beizulegen sei, symbolisch, müßte auch zugegeben werden, daß dieser Weg nur zum Deïsmus führe und nicht zum Theïsmus. Drittens gesteht Kant (S. 178) zu, »daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und auf bestimmte Weise sogar undenkbar sei«; auf ein unerforschliches oder gar undenkbares Wesen aber auch nur den Begriff der Kausalität anzuwenden, diesem Wesen also Wirksamkeit zuzusprechen, das geht nicht an; Kant machte da den gleichen schweren logischen Fehler wie damals, da er die Dinge-an-sich zu Ursachen unsrer Vorstellungen von den Dingen machte, trotzdem der Kausalitätsbegriff an die Dinge-an-sich nicht heranreicht.

Der Weisheit letzter Schluß kommt bei Kant wieder (man nehme das Wort nicht krumm) allerliebst heraus: »Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein, daß wir uns die Welt so denken, als ob sie von einer höchsten Vernunft ihrem Dasein und inneren Bestimmung nach abstamme.« Durch dieses köstliche als ob scheint Kant sich dennoch mehr den Deïsten als den Theïsten zuzuneigen; und es war vielleicht doch das schlechte Gewissen, das ihn veranlaßte, gelinder und billiger über diese Sekte zu urteilen. An Humes klare und feste Darstellung (vgl. Art. Religion) reicht Kants Vermittlungsvorschlag nicht heran. Über Humes Religionskritik sind auch wir nicht hinausgekommen, oder doch etwa nur in dem einen Punkte, daß wir Orthodoxie und philosophischen Deïsmus historisch vergleichen und verstehen gelernt haben, daß wir darum mit unserem ruhigen kopfschüttelnden Atheïsmus (vgl. Art. Gott) im Grunde keinen Pfaffenhaß mehr verbinden, geschweige denn Religionshaß.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 1, S. 270-273.
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