[201] Intention – deckt sich in den romanischen Sprachen mit dem, was wir seit dem 18. Jahrhundert erst Absicht nennen (vgl. Art. Absicht). Das lateinische Originalwort ist eine Übersetzung verschiedener griechischer Worte, die alle Ableitungen von teinein spannen, sind; insbesondere ist aber der der Scholastik eigene Terminus intentio ein alter Versuch, den tonos der Stoiker wiederzugeben, den Tonus- oder Spannungsgrad, wofür wir heute wieder lieber das andre griechische Wort Energie gebrauchen, weil tonos in der Medizin und in der Musik allzu sehr verbraucht worden ist. Die Herkunft von intentio war freilich schon zu Anfang des Mittelalters so verdunkelt, daß Augustinus eine geistreich falsche Etymologie versuchen konnte: quod in ea re, quamdiu videtur, sensum detinet oculorum, id est animi intentio.
Dieses Wort des Augustinus und die Definitionen des Thomas klingen uns unsinnig, wenn wir nicht wissen, daß der Begriff intentio im ganzen Mittelalter als Terminus noch nicht auf das Wollen ging, sondern nur auf das Erkennen, auf die Energie oder Anspannung beim Erkennen; bei den Scholastikern war ihr schlechtes Latein noch lebendig; sie hörten aus intentio noch die ursprüngliche Bedeutung heraus, die Metapher vom Bogenspannen und vom Richten des Pfeils; darum war ihnen intentio das Gerichtetsein der Aufmerksamkeit oder des Bewußtseins auf ein wahrgenommenes oder wahrzunehmendes Objekt. Eine Konfusion zwischen Bewußtsein und Willen lag freilich nahe; wir konfundieren die beiden noch alle Tage. Weil sich nun intentio damals auf Erkenntnispsychologie bezog, so war es den Scholastikern nicht zu verübeln, daß sie die Armut ihrer [201] Erfahrungen hinter den Begriffen intentio prima und intentio secunda verbargen, worunter sie unklar genug vielleicht das vorstellten, was wir so klar durch Perzeption und Apperzeption zu unterscheiden glauben. Die Distinktionen zwischen intentio prima und intentio secunda sind besonders um deswillen so schwer zu lesen, weil auf Schritt und Tritt der Gegensatz von objective und subjective dazwischenfährt und diese beiden Worte einerseits genau das Gegenteil ihres heutigen Sinnes meinen, andrerseits doch wieder unserem Sprachgebrauche entsprechen, wenn man die damalige Erkenntnistheorie in Betracht zieht. Es ist also nicht ganz gerecht von Diderot, wenn er (Encykl. Art: intention) die scholastischen Anstrengungen einfach mit dem Worte abtut: il est inutile de s'étendre sur ce ramage vide de sens.
Intention hatte auch im Französischen nicht immer die Bedeutung Absicht. Der ältere Sinn steckt noch in dem Terminus der Chirurgen, wenn eine Wunde per primam intentionem heilen soll, par première intention; wir könnten dafür mit einem nahe verwandten Worte Tendenz sagen. Ein Synonym von intention war früher direction; und da wäre in dem berühmten siebenten von Pascals »Lettres à un Provincial« das Thema, »la méthode de diriger l'intention« nicht leicht zu übersetzen. Mit Ironie bekämpft Pascal die Lehre jesuitischer, besonders spanischer Kasuisten, daß das Duell und jeder Mord gestattet sei, wenn nur der Täter seine Intention von der Sünde ablenke, seine Intention auf die Wahrung seiner Ehre dirigiere. Hier ist intention eigentlich nicht Absicht; vielmehr: die Gedanken, die Aufmerksamkeit, der bewußte Wille; das Substantiv Absehen hätte zu Anfang des 18. Jahrhunderts ebenso heuchlerisch verwandt werden können wie in der Lehre, die Pascal in diesem Briefe von 1656 gebrandmarkt hat. Wildes »Intentions« wiederum sind etwa: Leitsätze.
Zwei von intentio abgeleitete Worte geben mir ein gutes Beispiel für den Unterschied zwischen Ethik und Ästhetik, zwischen theologischen und menschlichen Werturteilen. Intentionalismus nennt sich die Lehre, daß die Intention, die Absicht, allein von Gott geprüft werde, daß es allein auf die gute Absicht ankomme;[202] nicht erst die Jesuiten haben daraus den von allen handelnden Menschen seit jeher gebilligten Satz gezogen, daß der Zweck die Mittel heilige. Auf dem Kunstgebiete jedoch haben die kunsterfahrenen Franzosen das Wort intentionisme erfunden und verstehen darunter die Art, mit großen Absichten oder Intentionen, aber mit geringem Können an eine Arbeit heranzugehen. Vor Gott mögen diese Intentionisten bestehen, vor Künstleraugen nicht.