Erinnerung

[45] Erinnerung, in der Sprache der wissenschaftlichen Psychologie nicht die Fähigkeit, frühere Vorstellungen überhaupt zu wiederholen (Gedächtnis, s.d.), sondern der Vorgang, bei dem die reproduzierte Vorstellung ausdrücklich als mit einer bestimmten frühern Wahrnehmung identisch erkannt wird. Wir können z. B. eine früher gehörte Melodie im Gedächtnis haben und sie selbst als eine gehörte wiedererkennen, ohne uns doch an die betreffende Gelegenheit zu erinnern. Hieraus geht zugleich hervor, daß die E. dadurch zustande kommt, daß neben der erinnerten Vorstellung zugleich gewisse Nebenumstände (hauptsächlich des Ortes und der Zeit) ins Bewußtsein treten, vermittelst deren sich dieselbe in den Zusammenhang unsrer frühern Erlebnisse einreiht. Vgl. Erkennen. Je weniger daher ein (inneres oder äußeres) Erlebnis mit andern räumlich oder zeitlich sich anschließenden in Beziehung stand, desto weniger können wir uns an dasselbe erinnern, und die Bedingung einer bestimmten und lückenlosen E. an die Vergangenheit ist der geordnete, innige und stetige Zusammenhang der vergangenen Erlebnisse. Sobald wir uns »besinnen«, suchen wir diesen Zusammenhang durch absichtliche Verknüpfung einzelner Glieder wiederherzustellen. Über Störungen der E. (Amnesie) s. Gedächtnis.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 45.
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