Brunnen

›Brunnen‹.

Brunnen in Form von gefaßten Quellen oder Ziehbrunnen waren schon im frühesten Altertum hochgeschätzt, und eine ganz allgemein übliche Form mit Schwingbaum, einem doppelarmigen Hebel mit Wassereimer an einem und Gegengewicht am andern Ende, wie sie auf ägyptischen Denkmälern abgebildet ist, hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten und findet sich noch vielfach auf dem Lande. Die nomadischen Völkerschaften Asiens sammelten Quell- und Regenwasser in Zisternen, die als die ersten Anfänge der Brunnen zu betrachten sind. Geschätzter aber waren Brunnen mit Grund- oder Quellwasser, das man, wenn möglich, in Röhren zur Stadt leitete. Nach Strabon hatten die alten Ägypter tief ausgegrabene und ausgemauerte Brunnen. Der Brunnen auf Elephantine, aus Quadersteinen aufgeführt, stand mit dem Nil in Verbindung und zeigte durch einen Maßstab an der Mauer das Steigen und Fallen des Flusses. An Brunnen versammelten sich in frühern Zeiten namentlich die jungen Leute, und nicht selten wurden auch Kriegslager und feste Wohnplätze daselbst aufgeschlagen, wie dies die Namen vieler Städte beweisen. Im Orient spielen die Brunnen im Verkehrsleben noch gegenwärtig eine äußerst wichtige Rolle, weshalb das Graben der Brunnen für höchst verdienstlich, das Verschütten aber für ruchlos und gottlos erklärt wird. Nach der griechischen Mythe ist Danaos der Erfinder der Brunnen. Während die Griechen früher wohl nur lebendige Quellen und Zisternen kannten, hatte später jede bedeutendere Stadt wenigstens einen Brunnen, der künstlerisch ausgestattet und einer bestimmten Gottheit geweiht war. In Rom behalf man sich lange Zeit mit Tiber- und Quellwasser, bis durch Wasserleitungen Wasser in die Stadt geführt und dort in Kasten und Brunnen aufbewahrt wurde. Unter den Kaisern hatte fast jedes Haus in Rom seinen Brunnen oder wenigstens Wasserbehälter, die das Wasser in Zimmer, Säle, Gärten etc. führten und auch Springbrunnen bildeten. Reste altrömischer Brunnen haben sich noch in Pompeji (Fig. 1) erhalten. Die zahlreich in den Museen vorkommenden Brunnenfiguren zeugen dafür, daß die Römer auch auf die künstlerische Ausstattung der Brunnen hohen Wert gelegt und die Bildner in der Erfindung solcher Figuren eine reiche Phantasie entfaltet haben. Ziehbrunnen und Zisternen waren den Römern ebenfalls bekannt, und sie wie die Griechen verehrten bei Brunnen, namentlich Gesundbrunnen, Gottheiten; es wurde jenen selbst göttliche Verehrung zu teil und ihnen Wein, Blumen, Öl, Kuchen, kleine Goldmünzen, Böckchen etc. geopfert. Endlich wurden die Brunnen auch als Orakel spendend angesehen; so der Brunnen im Tempel des Erechtheus zu Athen, der im Tempel des Poseidon Hippios bei Mantineia, der vor dem Tempel der Demeter zu Paträ, wo Kranke untrügliche Orakel erhalten haben sollen, der der Egeria vor dem kampanischen Tor in Rom u.a. Die nördlichem Völker in Germanien, Gallien, Britannien etc. waren bei ihrem Reichtum an Quellen weniger auf das Aufgraben künstlicher als auf das Benutzen und Erhalten der natürlichen Wasserzuflüsse angewiesen, und es beziehen sich daher die vielen deutschen Ortsnamen mit Brunn nur auf Quellen, die mit besonderer Stärke hervordrangen, oder auf Gesundbrunnen. Eine besondere Bedeutung gewannen die Brunnen seit dem Beginn des Mittelalters durch die Entwickelung des Burgenbaues einerseits und der Stadtanlagen anderseits. Wegen der häufigen Fehden und Belagerungen wurde die Gewinnung von guten Brunnen zu einer für Städte und Burgen gleich wichtigen Lebensfrage, und der Reinhaltung der Brunnen wurde eine besondere Sorgfalt zugewendet, namentlich seit dem Einbruch verheerender Epidemien, die zumeist auf die Vergiftung der Brunnen zurückgeführt wurden. Auch in der Nähe von Kirchen pflegte man Brunnen anzulegen, aus denen man anfangs das zum Bau nötige Wasser, später das zum Weihen bestimmte Wasser entnahm (Kirchenbrunnen). Von künstlerisch ausgestatteten Brunnen aus der Zeit des romanischen Stils sind keine hervorragenden übriggeblieben, da sie meist unter der Herrschaft des gotischen und des Renaissancestils umgestaltet und erweitert worden sind. Prächtige, architektonisch und plastisch gleich glänzend ausgestattete Brunnen gotischen Stils sind unter andern der ›schöne Brunnen‹ in Nürnberg und der Marktbrunnen in Braunschweig (Fig. 3). Durch seinen zierlichen schmiedeeisernen Aufbau zeichnet sich der fälschlich dem Maler Quintin Massys zugeschriebene Brunnen bei der Kathedrale in Antwerpen aus (Fig. 4). Brunnen mit schmiedeeiserner Umfriedigung (Gänsemännchenbrunnen in Nürnberg, Fig. 5) oder mit ganzem kunstvoll geschmiedeten Gehäuse (Brunnen in Neiße von 1686) wurden im 16. und 17. Jahrh. auch in Deutschland häufig angelegt. Zu einer reichen Entwickelung in monumentalem Stil gelangte der Brunnen seit dem Auftreten der Renaissance in Italien, zugleich mit der künstlerischen Gestaltung der Garten-, Park- und Villenanlagen. Aus der Zeit des Mittelalters sind die Brunnenmündungen in Venedig (Fig. 2), aus denen das Wasser der Zisternen geschöpft wurde, wegen ihrer altar- oder kapitellartigen Form und ihres plastischen Schmuckes besonders bemerkenswert. Die italienische Renaissance bildet neben der einfachern Form des Ziehbrunnens den Springbrunnen künstlerisch aus, wobei im Verhältnis zur Ausdehnung der Wasserkunst auch die architektonische Anlage und der Aufwand an Bildwerken wuchsen. In solchen Anlagen zeichnete sich namentlich Giovanni Bologna aus, dessen Neptunsbrunnen in Bologna das Vorbild für zahlreiche Monumentalbrunnen in Italien und Deutschland geworden ist, unter andern für den Neptunsbrunnen in Florenz von Ammanati, die Fontäne in der Villa Lante bei Bagnaja (Fig. 8), den Herkulesbrunnen (Fig. 9) und den Merkurbrunnen in Augsburg von A. de Vries, den Augustusbrunnen daselbst von H. Gerhard, den Wittelsbacher- und den Perseusbrunnen in München von P. Candid. Verwandt damit ist der Schildkrötenbrunnen in Rom von della Porta und T. Landini. Aus diesen Prachtbrunnen entwickelte der Barockstil in Italien gewaltige Anlagen, wie z.B. die großartige Brunnendekoration auf der Piazza Navona in Rom von Bernini und die Fontana di Trevi daselbst von Salvi (1735). Auch in Deutschland entstanden in der Renaissancezeit zahlreiche Brunnen mit künstlerischer Ausstattung, teils in der Form des Ziehbrunnens (Fig. 10), teils als Springbrunnen mit reich entwickelter Wasserkunst, wobei in dem Aufbau häufig noch die Form der gotischen Pyramide gewahrt wurde (z.B. bei dem Gerechtigkeits- oder Tugendbrunnen in Nürnberg, Fig. 7). Im 17. und 18. Jahrh. waren auch für Deutschland die pomphaften italienischen Brunnen mit ihrer Fülle plastischer Details maßgebend, wofür Salzburg, Wien (Marktbrunnen von R. Donner, Fig. 11) und Dresden prachtvolle Beispiele bieten. Reich an öffentlichen Brunnen ist die Schweiz, wo es solche aus dem 16. und 17. Jahrh. in Freiburg, Schaffhausen, Bern, Basel, Zürich u.a.O. gibt (vgl. Claere Schubert, Die Brunnen in der Schweiz, Frauenfeld 1885). Der künstlerisch wertvollste Brunnen aus der gotischen Zeit in Frankreich ist der Mosesbrunnen in Dijon von Claux Sluter (s. Tafel, Bildhauerkunst VII', Fig. 5), der berühmteste der Renaissancezeit die Fontaine des Innocents in Paris von Lescot mit den Reliefs der Quellnymphen von Goujon (Fig. 6). In Deutschland hat die Anlage öffentlicher Monumentalbrunnen in neuester Zeit wieder einen großen Aufschwung genommen. Man hielt sich dabei, entsprechend den Wandlungen des Stiles in der Architektur und Plastik, an Vorbilder der Gotik, des Renaissance-, des Barock- und Rokokostiles. Die künstlerisch wertvollsten Schöpfungen dieser Art sind der Fischbrunnen von K. Knoll und der Wittelsbacher Brunnen von A. Hildebrand, beide in München; der gotische Marktbrunnen in Lübeck von H. Schneider in Aachen; der gotische, ›Cholerasäule‹ genannte Brunnen von Semper, der Brunnen mit dem Gänsedieb (s. Tafel ›Bildhauerkunst XVII‹, Fig. 4) und die beiden Brunnen Stürmische Wogen und Stilles Wasser auf dem Albertplatz von R. Diez, alle vier in Dresden; der Mendebrunnen in Leipzig (Fig. 12); der Hasselbachbrunnen in Magdeburg von C.A. Bergmeier; der Brunnen in Erfurt von Stöckhardt; der Brunnen in Görlitz von R. Toberentz; der Neptunsbrunnen von R. Begas, der Rolandsbrunnen und der Brunnen auf dem Lützowplatz von O. Lessing, alle drei in Berlin; und der Teichmannbrunnen in Bremen von R. Maison.

Artesische Brunnen, die natürlich emporsteigendes, oft noch über die Erdoberfläche im Strahl sich erhebendes Wasser liefern, sind seit den ältesten Zeiten bekannt. Die Sagen von Moses, der den Felsen mit einem Stabe schlug, daß viel Wasser herausging, von Herkules, der durch Einstoßen eines Stabes in den Boden den Ciminischen See schuf, und bestimmter die Sage von Don 'l Kornien, der mit einem Bohrer ein Gestein durchbrach und lebendiges Wasser gewann, das Oasen bildete, deuten auf diese Kenntnis hin. Jedenfalls bestehen in den Oasen von Theben und Gharb zahllose artesische Brunnen, deren Alter auf etwa 4000 Jahre geschätzt wird, die aber jetzt verschüttet sind. Olympiodorus, der zu Anfang des 5. Jahrh. lebte, berichtet, daß man in der Oase, in der er geboren wurde, bis 230 m tiefe Brunnen grabe, deren übersprudelndes Wasser den Erdboden befruchte. Im Kartäuserkloster zu Lillers in der Provinz Artois, nach der die artesischen Brunnen wenig berechtigt ihren Namen führen sollen, wurde angeblich 1126 ein solcher Brunnen hergestellt, vielleicht der älteste Brunnen dieser Art in Europa, wenn nicht die Bleiröhren, die man 1691 beim Aufgraben von Schutt in Modena fand, und die offenbar mit ehemaligen tiefen und zwar gebohrten Brunnen in Verbindung standen, einer noch ältern Zeit angehören. Im Anfang des 17. Jahrh. machte Fausto Veranzio Vorschläge zur Versorgung von Venedig mit springendem Wasser, und Dominicus Cassini erbohrte um 1650 einen artesischen Brunnen im Fort Urbino, dessen Wasser in einem Bleirohr haushoch stieg. Auch in Niederösterreich waren Bohrbrunnen damals bereits bekannt, und die Russen sollen das Bohren von Brunnen frühzeitig von den Chinesen gelernt haben. 1720 berichtet Sturm in seiner »Vollständigen Anweisung, Wasserkünste, Wasserleitungen, Brunnen und Zisternen wohl anzulegen etc.«, daß man in Süddeutschland artesische Brunnen damals wohl kannte. Auch in Hartford (Connecticut) scheint damals ein artesischer Brunnen erbohrt worden zu sein, dessen Wasser einen Bach bildete. Bisweilen wurden auch artesische Brunnen erhalten, wo man nach Salz bohrte, wie z.B. der Wilhelmsbrunnen in Kannstatt 1777. Die Bohrungen in England begannen 1781, und als zu Anfang des 19. Jahrh. das Interesse für artesische Brunnen wuchs und man sich bemühte, die Herstellungsmethoden zu verbessern, übernahm England die Führung, und Frankreich und Deutschland folgten alsbald nach, Frankreich, wie es scheint, angeregt durch die Bohrbrunnen in der Wiener Gegend. Garnier beschrieb in einer Preisarbeit 1821 die Anwendung des Bergbohrers zur Auffindung von Brunnenquellen und die Anlage von Brunnen in der Grafschaft Artois (deutsch, Wien 1824), und Héricart de Thury erörterte 1829 die geologischen und physikalischen Verhältnisse, unter denen artesische Brunnen zu stande kommen. In Deutschland erbohrte man 1816 in Nauheim eine Solquelle und 1838 den großen Solsprudel, der aber kaum artesischen Charakter besitzt, vielmehr durch Kohlensäure getrieben wird. Stettport erhielt 1827–29 zehn artesische Brunnen, von denen einer benutzt wurde, Wasserräder im Winter eisfrei und im Betrieb zu erhalten. Die Bohrbrunnen fanden in Deutschland sehr schnell weiteste Verbreitung, und die Literatur verzeichnet eine große Reihe von Werken über diese Brunnen. Auch die Bohrmethoden wurden bald darauf wesentlich verbessert, und namentlich Kind hat sich wesentliche Verdienste um die Bohrtechnik erworben. 1844 wendete er zum erstenmal den Freifallbohrer an, und 1846 erfand Fauvelle die Wasserspülmethode. 1855 begannen die höchst erfolgreichen Bohrungen in Algerien, die für die Kultur jener Gegenden von großer Bedeutung wurden. 1833–41 erbohrte Mulot den 548 m tiefen artesischen Brunnen in Grenelle bei Paris. Die Bohrung besaß in ihrem Tiefsten noch eine Weite von 20 cm, und das Wasser stieg in Röhren 16 m über die Erdoberfläche. Anfangs gab der Brunnen täglich 4000 cbm von 30°, 1880 nur noch, 350 cbm, weil die wasserführende Schicht inzwischen mehrfach anderweitig angebohrt worden war. In Passy bei Paris erbohrte Kind 1855–61 einen Brunnen von 586 m Tiefe. Das Bohrloch hatte oben 1,1 m, unten 0,6 m lichte Weite und lieferte anfänglich 16,200 cbm Wasser von 28°, im Jahr 1886 nur noch 6500 cbm. Der von Zsigmondy in Budapest 1866–67 erbohrte Brunnen von 118,53 m Tiefe lieferte 56,800 hl Wasser von 43,8° in 24 Stunden. Einen neuen Aufschwung brachten die beiden letzten Jahrzehnte des 19. Jahrh., veranlaßt durch das immer mehr wachsende Bedürfnis an Nutz- und Trinkwasser und durch die rasche Entwickelung der Tiefbohrtechnik, die selbst dort, wo eine sonstige gute Wasserversorgung schwer oder gar unmöglich war, in ungezählten Fällen verhältnismäßig rasch und billig zum Ziel führte. So sind ganze Länderstrecken, die bislang einer durchgreifenden Kultivierung wegen Mangel an Wasser unzugänglich waren, nun derselben geöffnet. Dies gilt besonders von der Sahara. In den Vereinigten Staaten sind in den letzten Jahrzehnten Tausende von artesischen Brunnen erbohrt worden, besonders in Kalifornien, Colorado und Idaho, wo während der Entwickelung der Feld- und Gartenfrüchte der Regen mangelt.


Brunnen.
Brunnen.
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905.
Lizenz:

Buchempfehlung

Weiße, Christian Felix

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Brüder Atreus und Thyest töten ihren Halbbruder Chrysippos und lassen im Streit um den Thron von Mykene keine Intrige aus. Weißes Trauerspiel aus der griechischen Mythologie ist 1765 neben der Tragödie »Die Befreiung von Theben« das erste deutschsprachige Drama in fünfhebigen Jamben.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon