Eisenbau

Erläterung zur Tafel ›Eisenbau I u. II‹.

Bei eisernen Brücken mit vollwandigen Trägern kommen ästhetische Momente kaum in Betracht. Ihr Eisenoberbau hat aber doch immer noch eine gewisse Masse und bietet dadurch bei der Einzelbildung Gelegenheit zur Anbringung schmückender Zutat, mit der freilich, da sie sich auf Belegen oder Bemalen der Trägerwandungen mit passendem, bescheidenem Ornament beschrankt, nur geringe Wirkung zu erzielen ist (Tafel I, Fig. 6). Die Fachwerkbrücken bieten auch wenig Anhalt für die stilistische Betätigung. Bei ihnen kommt es wesentlich auf eine den allgemeinen Schönheitsgesetzen tunlichst entsprechende Anordnung der Gesamtbaumasse sowie der Trägerbegrenzungslinien und des füllenden Gitterstabwerkes an. Leider aber stehen selbst mit dieser ersten Anforderung die für den Ingenieur maßgebenden Nützlichkeitsrücksichten oft im stärksten Widerspruch. Die größten Brückenbauten der Neuzeit, die gerade dieser Gattung angehören, die Brücken aus Trägern mit schwebenden Stützen (Cantilever- oder Auslegerbrücken), sind zum Teil wahre Urbilder von Geschmack- und Stillosigkeit (Tafel I, Fig. 7, und Tafel Brücken I, Fig. 8–12). Eins der berühmtesten Beispiele der neuesten Zeit, die Fowlersche Forthbrücke in Schottland (Tafel I, Fig. 3), befriedigt das Schönheitsgefühl wenigstens in ihrer Gesamtanordnung einigermaßen. Schöner im allgemeinen sind die Hänge- und Bogenbrücken, Hängebrücken namentlich dann, wenn ihre Hängekurve der natürlichen Kettenlinie folgt, wie dies bei den frühern und bei kleinem Ausführungen der Fall zu sein pflegt (vgl. Tafel Brücken II, Fig. 8 u. 9; weniger, wenn bei großen Brücken zum Zweck der Versteifung diese Linie aufgegeben und die Tragkette durch anders begrenzte Trägerformen ersetzt wird, oder wenn Bündel von Hilfsseilen den harmonischen Eindruck der Aufhängevorrichtung stören. Mit einer Bogenbrücke wird den ästhetischen Anforderungen fast immer entsprochen werden können, wie die Ausführungen allerorten beweisen. In kleinerm Maßstab ausgeführt, wird bei diesen Brücken sogar bis zu gewissem Grad ornamentale Zutat am Platze sein (vgl. z.B. Tafel I, Fig. 1, 8, 4 u. 5). Wie aber auch bei bedeutenden Verhältnissen lediglich durch Schönheit der Linien und der Gesamtanordnung das Ziel erreicht werden kann, beweist die wundervolle Sichelträger-Bogenbrücke über den Nordostseekanal bei Grünthal (Tafel I, Fig. 2, vgl. Tafel Brücken II, Fig. 1–6). Die Brückenpfeiler werden selbst bei Eisenbrücken meist in Stein ausgeführt. Eiserne Pfeiler großer Abmessungen bieten wenig Anhalt für das Hinsetzen architektonischer Behandlung (vgl. Tafel Brücken I, Fig. 4 u. 8). Anders bei kleinem Verhältnissen, wo die Stützen auf Säulenform gebracht werden können. Hier sind künstlerische Bildungen von Eigenart schon vielfach gelungen, besonders bei der dem Eisenbau ureigen angehörigen Pendelsäule, für die z.B. die Berliner Stadtbahn gute Lösungen aufweist (Tafel II, Fig. 6 u. 8).

Im Hochbau gelangt der reine Eisenbau fast nur für untergeordnete Zwecke zur Anwendung. Zum Wohnen taugt er der guten Wärmeleitungsfähigkeit und Luftundurchlässigkeit des Eisens wegen wenig, auch gegen die architektonische Formgebung verhält er sich spröde. Aus diesen Gründen wendet man im Hochbau meist gemischten Eisenbau an, indem bei Wänden, Decken und Dächern das Eisen nur das konstruktive Gerüst bildet, während zur Herstellung der raumabschließenden Teile andre Materialien herangezogen werden. Zur Bildung der Wände wird das Eisengerüst außen sichtbar gemacht und erhält in seinen Gefachen eine innig mit ihm verbundene, den eigentlichen Wandschluß bildende Ausfüllung (Eisenfachwerk); oder das Eisengerüst ist mit der in der Regel aus Stein bestehenden raumschließenden Wand nicht überall innig verbunden, sondern im Innern des Gebäudes, um Decken und Dach zu tragen, vor jene gestellt und mit ihr nur entsprechend verankert. Die formale Behandlung des Eisenfachwerkes lehnte sich anfänglich unmittelbar an die des Holzfachwerkes an, später ordnete man das Eisengerippe mehr gemäß seiner konstruktiven Wirkungsweise an und behandelte das Steinwerk, seinem ausfüllenden, raumschließenden Wesen entsprechend, nach Art von Teppichen reich musivisch. Die Meniersche Schokoladenfabrik in Noisiel (Tafel II, Fig. 10) und die Mannschaftsgebäude der Kaserne Louviers in Paris (Tafel III, Fig. 3) geben dafür gute Beispiele. Der Bau der Berliner Stadtbahn und die Pariser Weltausstellungen von 1878 und 1889 brachten bemerkenswerte Versuche, der Magerkeit des Eisengerippes durch die verschiedensten Anordnungen abzuhelfen, ohne zu massegebenden Umhüllungen der Eisenteile mit allerhand getriebenem, verziertem Blech ihre Zuflucht zu nehmen. Ein sehr schönes Beispiel bildet das Palais du Champ de Mars von der 1878er Ausstellung in Paris, bei dem die in Eisengitterwerk hergestellten Wandpfeiler nach außen farbige Fayencefüllungen erhalten hatten (Tafel II, Fig. 9). Auch das Hauptgebäude der Pariser Ausstellung von 1880 (Tafel II, Fig. 5) darf hier als bezeichnendes Beispiel angeführt werden. An Stelle der raumabschließenden Steinwände sind hierbei vielfach Glaswände getreten, wie bei dem gesamten in dieses Kapitel gehörigen, für die stilistische Entwickelung aber kaum in Betracht kommenden Gewächshaushau. Die Wandbildung mit eingestellter Eisenkonstruktion hat namentlich in Frankreich Anwendung gefunden. Hervorragende Beispiele sind die Lesesäle der Bibliothek Ste.-Geneviève und Nationale, der Lichthof in der Éocle des beaux-arts (Tafel II, Fig. 4) und die Kirche St.-Augustin (Tafel I, Fig. 9) in Paris. Bei den Decken des gemischten Eisenbaues bildet die Eisenkonstruktion fast immer das allein tragende konstruktive Gerüst und tritt dabei mit bald mehr, bald weniger Selbständigkeit in die Erscheinung. Die ästhetischen Schwierigkeiten sind nicht so groß wie bei den Wänden, weil größere Leichtigkeit, Kühnheit und Masselosigkeit mehr im Wesen der Decke liegen als in dem der Wand. Durch Gefachausfüllung mit Terrakotten und Steinplattenwerk, durch Aufheften von Kartuschen, Schilden sowie von naturalistisch-pflanzlichem Schmuck auf das frei gezeigte Gitterwerk der Binder, Gurte etc., durch geeignete Anbringung selbständiger Malereien und aus ihren Rahmen ungezwungen heraustretender Skulpturen sind Ergebnisse gewonnen, die mehr als dekorative Bedeutung besitzen. Das eben von den Decken Gesagte gilt auch für die Wandbildungen, wenn, wie bei großen Hallenbauten, Decke und Wand nahezu vollständig zu einer Einheit zusammenschmelzen, wie bei der Empfangshalle des Hauptbahnhofs in Frankfurt a.M. (Tafel II, Fig. 1). Bei diesen Hallenbauten pflegen auch Decke und Dach eins zu sein; letzeres wird also von innen sichtbar und kommt stilistisch auch nur in solchem Fall als Teil des Eisenbaues in Betracht. Als besondere Gattung von Eisenhochbauten sind noch die eisernen Turmbauten zu erwähnen. Sie zeigen bald gemischten, bald reinen Eisenbau. Leuchttürme, Wassertürme u. dgl. dienen so ausschließlich Nutzzwecken, daß das formale Moment sehr stark zurücktritt; sie können aber auch eine ästhetisch und damit stilistisch bedeutsame Rolle spielen. Hervorragendster Vertreter der letztern Art ist der Eiffelturm (Tafel II, Fig. 7), ein Meisterwerk der Ingenieurkunst auch in architektonischer Beziehung und ein Beweis, daß ein Eisenbauwerk lediglich durch Gesamtanordnung und Linienschönheit zum Kunstwerk werden kann (Näheres s. Eiffelturm). In der stilistischen Entwickelung des Eisenbaues ist Frankreich vorangegangen. Dort sind die ersten sowohl als auch die bedeutsamsten charakteristischen Lösungen der schwierigen Probleme entstanden. England und Amerika, auch Italien haben wenig zur Sache getan. Deutschland hat sich besonders um die tektonische Durchbildung der Einzelheiten bemüht (vgl. z.B. Tafel I, Fig. 1, 4, 5 u. 6; Tafel II, Fig. 2, 6 u. 8), hat dabei jedoch oft die großen Gesichtspunkte aus dem Auge verloren.


Eisenbau I.
Eisenbau I.
Eisenbau II.
Eisenbau II.
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906.
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