Augsburg.

[84] Es war am 15ten July, an einem Sonntagmorgen um 7 Uhr, als ich hier ankam, nachdem ich die ganze Nacht durch gereiset war. Ich konnte also noch eben, zwischen Acht und Neune, in die Domkirche gehn. Etwas von einer deutschen Predigt und eine musikalische Messe von zween Chören hören. Es war Festtag, und die Kirche also sehr voll. Die Kirche ist nur klein, und hat in der Bauart nichts besonders, sonst aber reichlich geziert7[84] und geschmücket. Sie hat indessen zwo grosse schöne Orgeln, an jeder Seite des Chors, westwärts, eine. Die eine davon wurde schön gespielt, aber mehr auf eine meisterhafte als gefällige Art. Die Sucht nach harten, schwankenden und gezwungenen Modulationen, welche itzt über ganz Deutschland herrscht, macht das Extemporespielen so unnatürlich, daß das Ohr beständig betrogen und gefoltert wird; es kann niemals errathen, was folgen wird, und keine Dissonanz wird aufgelöset, als durch eine andre. Ein wenig von dieser stark gewürzten Brühe, mit Behutsamkeit angebracht, thut grosse und wundernswürdige Wirkung, aber beständig nach fremder, weit entfernter Harmonie zu haschen, das heißt einem hungrigen Menschen nichts als Schneemus8 statt guten nahrhaften Speisen vorsetzen.

Die Messe war in einem guten Styl komponirt; Es war eine angenehme Vermischung von Alten und Modernen, und einige von dem Singparthien wurden angenehm vorgetragen; insonderheit von zween Knaben und einem Tenor, welche gute Stimmen hatten, und denen verschiedene Solo und zweystimmige Sätze gegeben waren; und durch das, was ich heute hörte, ward ich in meiner Meinung bestärkt, daß, nächst der italiänischen die deutsche Singart am wenigsten fehlerhaft und gemein ist, vor allen andern Völkern in Europa. Es ward auch ein Violinconcert gespielt, welches der Violinist recht gut herausbrachte, ob es gleich[85] schwer war. Die übrigen Geiger waren vom gewöhnlichen Schlage und unbedeutend.

Bey der Elevation der Hostie ward ein betäubendes barbarisches Runda gemacht, dergleichen ich sonst nirgends gehört hatte, als hier und zu Antwerpen.

Nachdem mir gesagt worden, daß Herr Seyfahrt der Cantor, ein berühmter Sänger9 und Schüler vom Herrn C.P.E. Bach, an den ich Briefe hatte, nicht in der Stadt wäre, so blieb ich nur kurze Zeit in Augsburg. Denn, die Wahrheit zu sagen, mir war die Lust so ziemlich vergangen, der Musik wegen nach Reichsstädten zu gehen, weil ich selten Etwas fand, das der Mühe werth gewesen zu hören, als die Orgel und den Organisten, und auch das nicht immer. Denn diese sind, eben wie in unsern engländischen Städten, zuweilen gut, und zuweilen schlecht. Diese Städte sind nicht reich, und besitzen also nicht die Thorheit, mit grossen Kosten ein Theater zu unterhalten. Die schönen Künste sind Kinder des Überflusses und des Wohllebens: in despotischen Reichen machen solche die Gewalt weniger unerträglich, und Erhohlung vom Denken ist vielleicht eben so nothwendig, als Erhohlung vom Arbeiten. Wer also in Deutschland Musik suchen will, sollte darnach an die verschiedenen Höfe gehen, nicht nach den freyen Reichsstädten, deren Einwohner mehrentheils aus unbegüterten, arbeitsamen Leuten bestehen, welcher Genie von Sorgen der Nahrung niedergedrückt wird, welche nichts auf eitle[86] Pracht ober Üppigkeit verwenden können; sondern sich schon glücklich schätzen, wenn sie ihr nothdürftiges Auskommen haben. Die Residenz eines souverairen Prinzen hingegen, wimmelt, ausser den bestallten Musikern bey Hofe, an den Kirchen und in den Theatern, von Expectanten, welche bey alle dem oft Mühe haben, zum Gehör zu kommen.

Folgendes Abentheuer machte mir meinen kurzen Aufenthalt in Augsburg sehr verdrüßlich. Ich hatte meinen Bedienten und nunmehrigen Dollmetscher, Pierre, einen Lütticher, den ich mit von Antwerpen gebracht, hingeschickt, sich unterdessen daß ich die Messe anhörte, nach Herrn Seyfarths Wohnung zu erkundigen, an den ich von einem Freunde aus Hamburg Empfehlungsschreiben hatte. Ich hatte ihm gesagt, er sollte mir Bescheid nach der Kirche bringen, damit er mich wieder nach meinem Gasthofe führen könnte. Ich wartete geduldig bis zehn Uhr, da alle Musik zu Ende war, aber kein Pierre! Ich ging in der Kirche auf und nieder, bis ich nicht mehr konnte, und mich schämte, länger zu bleiben, aber kein Pierre! Ich ging um die Kirche herum spazieren, und auf den Gassen die daran stossen, hin und her, denn ich durfte mich nicht weiter wagen, weil ich nicht einmal den Namen des Hauses wußte, wo ich abgestiegen war, und wirklich zu wenig von der Sprache wußte, in der ich diesen kalten, und dem äusserlichen Ansehn nach, unfreundlichen Leuten, hätte meine Verlegenheit klagen können. Was[87] sollte ich machen? ich mußte wieder nach der Kirche zurück und daherum wandeln. Das that ich bis um zwölf Uhr, da ich anfing zu besorgen, man möchte mich als einen Fremden in Verdacht mit einem Anschlage auf die Schätze der Kirche haben; aber wer nicht kam, war Pierre! Zuletzt ward ich gedrungen, ein Herz zu fassen, und zu versuchen, ob ich meine Umstände bekannt machen könnte. Ich las in den Mienen eines jeden müssigen Gesichts, ob ich Gutherzigkeit darin finden möchte. Verschiedene redete ich vergebens an, bis mich endlich ein alter Bettelmann um eine Gabe ansprach; ich gab ihm ein paar Kreuzer, und dachte, »eine Gefälligkeit sey der andern werth.« Ich besann mich itzt darauf, daß mich der Postwagen bey meiner Ankunft vor einem Posthause abgesetzt hatte. In deutschen grossen Städten giebts deren aber viele. »Wo ist der Weg nach dem Posthause, guter Freund?« Hier gabs ein Giblegable, wovon ich das letzte Wort verstund: »die Briefe?« Er meinte das Posthaus, wo die Briefe ankämen. »Nein, sagt' ich, der Postwagen nach Ulm geht hier ab.« – »Ja, ja, ich versteh Sie.« Endlich fanden wir dies Haus; hier aber wußte ich wieder nicht, was ich sagen oder thun sollte. Ich radbrechte so gut ich konnte, daß ich das Haus suchte, wo des Morgens mein Gepäcke hingebracht worden, konnte mich aber auf das Wort Wirths nicht besinnen. Es kam endlich heraus, es hiesse das Lamm, und als ichs fand, war meine Freude eben so groß, als dis Freude eines guten christlichen[88] Pilgrims, der in heidnischen Ländern gewallfahrtet hat, und nun wieder ein Agnus dei zu Gesicht bekommt. Wo sollte mein treuer Bedienter, mein ehrlicher Lütticher, diese ganze Zeit über gesteckt haben, als auf seinem Bette, in ruhigem und tiefem Schlafe? Und erst zwey Monat nachher entdeckte ich, daß ers für zuträglicher gehalten hatte, ein Bette zu suchen, als Herrn Seyfarths Haus; daß er mir lieber weiß gemacht, er sey ausgereiset, als daß er sich in einer fremden Stadt die Schuhe abreissen sollte, um eine Person auszufragen, die eigentlich ihn nichts anging. Um mir doch aber nach seiner Meinung die Pille zu vergülden, sagte er mir, der Herr sey bloß auf ein Paar Tage nach München verreiset, woselbst ich ihn gewiß vorfinden würde.

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S. 84. Hier kommt etwas vor, welches schon in einem Tagebuche einer Reise nicht stehen sollte, wenn es sich aber gar in die allgemeine Geschichte schliche! –»Ulm pflegte wegen seiner Kompagnie der Minnesänger oder Laudisti, gleich der zu Florenz, berühmt zu seyn, sie besteht aber nicht mehr.« Aus dem ersten Bande Seite 173 und 175, erhellet, was die Laudisti in Florenz sind. Die Minnesänger aus dem 12 und 13 Jahrhunderte, lebten zum Theil in Schwaben; sie schrieben Liebeslieder, (daher der Name) Ratterbücher u.s.f. Es waren ihrer unsäglich viele; aber in Thüringen u.s.w. nicht minder, als in Schwaben. Es waren Kaiser, Könige, Fürsten und Grafen darunter. Bodners Ausgabe ihrer vortreflichen Gedichte, und die kritischen Briefe, mögen dem Verfasser übrigens eines bessern belehren. Zur Geschichte der Musik gehören mehr die Meistersänger, welche im 15 und 16 Jahrhunderte im Gange waren, und deren Handwerkszunft noch in Nürnberg im Schwange seyn soll. Sie hatten in Ulm, Straßburg, Augsburg, Regensburg und Nürnberg, noch zu Ende des vorigen Sekuli ihr Wesen. Von ihrer Singart und Musik giebt unter anderm Wagenseil in seinem Buche: De civitate Norimbergensi, Alt. 1697. 4to, umständliche Nachricht. – Einen halb so aufmerksamen Leser, als es ein Uebersetzer Amtshalber seyn muß, wird es auffallen, daß Herr Burney bey jeder Gelegenheit gar gern vergleicht. Und daß ihm seine Vergleichungen oft verunglücken; wie Minnesänger und Laudisti, und so:

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S. 85. (Schnemus.) Damit liesse sich nun wohl besser die galante leichtfliessende Musik vergleichen; das andre ist lauter Pumpernickel und roher Schinken, worin man sich leicht den Magen verderben kann, zumal wenn es nicht gahr ist. Daß itzt die Sucht nach harten, schwankenden und gezwungenen Modulationen über ganz Deutschland herrsche, ist wohl nicht so völlig richtig. Olim sic erat; itzt herrscht eine ganz andre Sucht.

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S. 86. (Seifarth ein berühmter Sänger!) Möchte bezweifelt werden. Es war eben eine Sängerinn da, von dieser ward dem Herrn B. aus Hamburg geschrieben. Uebrigens ist Herr Seyfarth noch vorigen Winter gestorben.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 84-89.
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Tagebuch einer musikalischen Reise: Durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770-1772

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