Obgleich L. Mozart nicht die Genugthuung hatte durch die Aufführung dieser Oper dem Genie seines Sohnes die öffentliche Anerkennung zu verschaffen, so bot sich ihm doch eine Gelegenheit das dramatische Talent desselben vor einem kleinen Kreise zur Geltung zu bringen. Die mit Mozart befreundete Mesmersche Familie1 ließ in ihrem Gartenhaus auf der Landstraße2 eine kleine deutsche Operette aufführen, welche Wolfgang componirt hatte. Sie hieß Bastien und Bastienne und war von dem schon oben erwähnten Schachtner nach dem Französischen bearbeitet, woraus man schließen möchte [113] daß die Composition in Salzburg wenigstens schon angefangen, wenn auch vielleicht nicht ganz vollendet worden sei3.
Wir müssen hier, zurückgehen auf J.J. Rousseaus Intermezzo Le devin du village, über dessen Entstehung er im achten Buch seiner Confessions berichtet. Die Freude, welche ihm während seines Aufenthaltes in Italien die lebendigen heiteren Darstellungen deropera buffa gemacht hatten, wurde im Jahr 1752 bei einem Aufenthalt in Passy durch das Zusammensein mit einem eifrigen Musikfreund Musard, der diesen Geschmack theilte, lebhaft wieder aufgefrischt. Dies erweckte in ihm den Gedanken, etwas Aehnliches für die französische Bühne zu schaffen; in wenig Tagen wurde der Plan des Stücks, Text und Musik zu einigen Couplets entworfen, binnen sechs Wochen war Gedicht und Composition des Ganzen vollendet. Bei einer Privatprobe, welche Duclos veranstaltete, machte die Operette großes Aufsehen und erregte auch die Aufmerksamkeit des Intendant des menus plaisirs, de Cury, welcher die Aufführung derselben bei Hofe verlangte und durchsetzte. Zweimal, am 18. und 24. October 1752, wurde sie in Fontainebleau vor dem König aufgeführt und machte den größten Eindruck; dann wurde sie in Paris öffentlich von der académie royale de musique am 1. März 1753 gegeben, und erntete gleich großen und allgemeinen Beifall4. Vom Könige an, der »mit der schlechtesten Stimme [114] seines ganzen Königreichs den ganzen Tag sang: j'ai perdu mon serviteur« hatte alle Welt die Couplets der Operette im Munde, die in einem seltenen Grade populär wurde und länger als 70 Jahre sich auf den Bühnen Frankreichs erhalten hat5.
Die Handlung könnte nicht einfacher sein. Colette, ein Landmädchen, ist trostlos daß ihr Liebhaber Colin sie verlassen hat und sucht einen Wahrsager auf, der ihr rathen und helfen soll. Er erklärt ihr, daß die Herrin des Gutes Colin in ihre Netze verstrickt habe, im Herzen aber liebe er sie noch und werde sie wieder aufsuchen, dann müsse sie aber durch verstellten Kaltsinn ihn strafen und seine Liebe neu anfeuern; sie verspricht es. Colin tritt dann auf: er sei von seinem Wahn geheilt und kehre zu seiner Colette zurück. Als der Wahrsager ihm erklärt, sie liebe nun einen anderen, fleht er ihn um Hülfe an; dieser verspricht durch einen Zauber Colette herbeizurufen,[115] dann möge er selbst sein Heil bei ihr versuchen. Colette erscheint und spielt mit Mühe die Spröde; als er darauf verzweiflungsvoll sich entfernt, ruft sie ihn zurück, und es erfolgt die Versöhnung und erneuerte Versicherung der Liebe und Treue. Der Wahrsager holt sich seinen Dank und Lohn und an dem Glück der Liebenden, das sich in verschiedenen Couplets ausspricht, nehmen die versammelten Landleute Theil.
Der einfache und zarte Ausdruck einer naiven Empfindung, welcher in dem Gedicht herrscht, spricht sich auch in der Musik aus. Wenn gleich in der Behandlung des Technischen hie und da der Dilettant sich sogar durch grobe Fehler verräth, so zeigt sich doch in den Melodien ein natürliches Gefühl und eine Anmuth, welche man auch heute noch als wahr und rührend empfindet, und deren außerordentliche Wirkung in damaliger Zeit man sehr wohl begreift. Rousseau, der mit Recht das Hauptgewicht auf die Einheit des Tons in diesem kleinen Gemälde legte, begnügte sich nicht die Couplets durch fließende wohllautende Melodien auszustatten, sondern wandte die größte Sorgfalt auf die Wiedergabe des Dialogs durch ein Recitativ, welches der Sprache frei und flüssig folgte, und eine naturgemäße aber künstlerisch ausgebildete Declamation darstellte6. Er suchte auch hier an die Stelle des eintönigen, in einzelnen Momenten heftig aufschreienden Recitativs der französischen Oper, welches dem Psalmodiren [plainchant] ähnlich geworden war, ein dem italiänischen nachgebildetes aber der französischen Sprache angemessenes Recitativ [116] zu setzen. Man wagte es nicht bei der ersten Aufführung auch diese Neuerung einzuführen und setzte an dessen Stelle ein von dem ersten Sänger Jelyotte nach alter Weise componirtes Recitativ, ebenso wurde auch Rousseaus dem italiänischen Geschmack nachgebildete Ouverture erst bei der öffentlichen Aufführung gespielt. Mit dem Versuch aber auch dem nach der üblichen Sitte auf die Operette folgenden Ballet (divertissement) einen entsprechenden einheitlichen Ton und Charakter zu geben drang er nicht durch.
Die Aufführung von Rousseaus Oper fiel zusammen mit dem ersten Auftreten der italiänischen opera buffa, welche jene lebhaften Angriffe gegen die alte französische Opec hervorrief, bei denen Rousseau ebenfalls die Hauptperson spielte. Aber mit Recht durfte er sich rühmen daß der Vergleich mit den italiänischen Opern, die ihm zum Muster gedient hatten, am besten die Selbständigkeit seiner Schöpfung herausstellte, indem er nur im Allgemeinen durch sie angeregt, seiner Individualität und dem französischen Nationalcharakter gemäß seine Operette gestaltet und ihr eben dadurch jenen eigenthümlichen Ton verliehen hatte.
Der allgemeine und tiefe Eindruck, welchen die Oper Rousseaus machte, zeigt sich nicht allein in zahlreichen Opern, welche den hier angeschlagenen Ton aufzunehmen und weiter zu führen suchten7, sondern auch in einer Parodie, welche noch in demselben Jahre aux Italiens8 gegeben [117] wurde9. Die Parodie führt den Titel: Les amours de Bastien et Bastienne und ist verfaßt von Harny, der auch andere komische Operntexte gemacht hat10, und Mad. Favart11, einer vortrefflichen Sängerin und Schauspielerin, welche um diese Zeit bei der comédie italienne engagirt war und besonders durch die Rolle der Bastienne ihren Ruf begründete. Der Spaß dieser Parodie besteht darin, daß nicht ideale sondern wirkliche Landleute darin auftreten, die im gemeinen Patois reden und singen12, deren Gefühle und Empfindungen daher auch dem Ausdruck entsprechend auf das Niveau des natürlich Gemeinen herabgestimmt sind; die Musik ist aus beliebten Melodien zusammengesetzt. Eigentlicher Spott auf das Original ist weder im Ganzen noch in einzelnen Pointen bemerkbar, auch wohl schwerlich beabsichtigt, wie [118] denn auch Rousseau nirgend davon spricht, da er doch keinen Angriff vergißt, der je auf ihn gemacht war. Es kam wohl lediglich darauf an durch den Contrast eine komische Wirkung hervorzubringen und von einem beliebten Stück auf diese Weise Vortheil zu ziehen.
Diese Parodie ist es, welche Schachtner zu einer deutschen Operette bearbeitete13. Während im Original kein Dialog ist, sondern das Ganze eine fortlaufende Kette an einander gereihter Lieder bildet, ist in der deutschen Bearbeitung ein versificirter Dialog hergestellt, der durch einzelne Arien und Duette an der geeigneten Stelle unterbrochen wird14. Diesen Dialog hat Mozart in den ersten Scenen als Seccorecitativ componirt – wie man aus dem Manuscript sieht, nachdem das Uebrige schon fertig war –, nachher aber wieder aufgegeben; wie weit äußere, durch die Aufführung bei Mesmers veranlaßte Gründe den einen wie den andern Entschluß bestimmt haben, weiß ich nicht. Was nun bei der französischen Parodie beabsichtigt ist und mit Geschick behandelt eine komische Wirkung macht, das ist hier die unfreiwillige Folge des Mangels an Sinn und Bildung für Poesie15. Nicht nur unbeholfen sind Vers und Ausdruck sondern so platt und roh, daß man sich den allgemeinen Ton der Bildung und des Geschmacks [119] vergegenwärtigen muß um zu begreifen daß die Oper in einem angesehenen Hause aufgeführt werden konnte16.
[120] Mozart hat in seiner Musik den Charakter des Schäferspiels durchweg festgehalten und wo es schicklich war auch äußerlich angedeutet. Die Instrumentaleinleitung (Intrada), ein Allegro 3/4 von etwa 70 Tacten beginnt mit einem pastoralen Thema
das nur durch einige rasche von Oboen und Hörnern unterstützte Figuren unterbrochen wird, welche offenbar die Störung [121] des ruhig heiteren Schäferlebens ausdrücken sollen und verläuft in ein zartes pianissimo, welches die Arie der Bastienne vorbereitet. Daß das Thema »an Beethovens Sinfonia eroica erinnert« bemerkt Holmes, noch größer wird die Uebereinstimmung im Verlauf der Ouverture
wobei hoffentlich Niemand ernstlich an eine wirkliche Reminiscenz denkt. Der Charakter der Melodie wie der Begleitung, das Festhalten des Grundtons oder der Quinte, oft auch beider zusammen, soll den Dudelsack andeuten. Er gebraucht dabei nur die Saiteninstrumente; eine eigenthümliche Klangfarbe bringt er auch dadurch hervor, daß er die erste Geige zu der Melodie den Grundton auf der leeren G oder D Saite angeben läßt. Angedeutet wird dieser pastorale Charakter auch später mitunter im Accompagnement; geradezu nachgeahmt ist der Dudelsack in einem kleinen Satz mit dem Colas auf dem Dudelsack spielend auftritt
[122] Hier hat steh Mozart auch den Spaß gemacht durch das gis den zwischen g und gis liegenden Ton nachzuahmen, welchen Blasinstrumente mit einfachen Röhren dann angeben, wenn sie nicht kunstgemäß behandelt werden17.
Am bemerkenswerthesten ist auch bei dieser Operette die allgemeine Haltung und Farbe, welche Mozart derselben zu [123] geben gewußt hat. Vergleicht man sie mit der finta semplice, so findet man daß beide einem ganz anderen Genre angehören. So wie jene entschieden den Charakter der italiänischen opera buffa, so trägt diese ebenso bestimmt den deutschen Charakter. Nicht allein daß die hergebrachten Formen der italiänischen Oper hier nicht angewandt sind, die Art der Erfindung, der Melodienbildung ist eine verschiedene und unverkennbar liegt das deutsche Lied zum Grunde.
Bekanntlich verfaßte Chr. Fel. Weiße auf Veranlassung Kochs im Jahr 1752 für die Leipziger Bühne eine Bearbeitung der englischen Oper Der Teufel ist los oder Die verzauberten Weiber, welcher bald darauf der zweite Theil Der lustige Schuster folgte. Beide, von Standfuß, dem Correpetitor der Kochschen Truppe in Musik gesetzt, fanden außerordentlichen Beifall18. Nachdem Koch nach der durch den siebenjährigen Krieg veranlaßten Unterbrechung im Jahr 1765 wieder nach Leipzig kam, richtete er sein Augenmerk auch auf das Singspiel. Er fand an Joh. Ad. Hiller was ihm vorher gefehlt hatte, einen Componisten von Talent und Eifer. Den ersten Versuch, nachdem er zu Weißes neuer Bearbeitung von Der Teufel ist los eine Anzahl neuer Arien geschrieben hatte, machte er mit Schieblers Oper Lisuart und Dariolette, welche am 25. Nov. 1766 aufgeführt wurde19, dann[124] vereinigte er sich mit Weiße. Dieser hatte bei seinem Aufenthalt in Paris für die komische Oper aux Italiens eine große Vorliebe gefaßt; seine ersten Opern Lottchen am Hofe20 und Die Liebe auf dem Lande21 sind Nachbildungen französischer Originale22, denen dann selbständige Singspiele folgten. Hiller, nicht nur ein tüchtiger Musiker, sondern wohl unterrichtet und denkend, und ein Mann von patriotischer, deutscher Gesinnung, war mit Interesse den Bestrebungen gefolgt in Paris der italiänischen Musik Eingang zu verschaffen und sie mit den Forderungen des französischen Geschmacks zu versöhnen. Mit Lebhaftigkeit ergriff er den Gedanken auf ähnlichem Wege eine nationale deutsche Oper zu begründen23. Er leugnete daß die deutsche Sprache zum Gesange ungeschickt sei, wenn nur die Dichter sich Mühe geben wollten sie der Musik angemessen zu behandeln, und wenn man für den deutschen Gesang mit derselben Sorgfalt Künstler bildete wie für den italiänischen. »Er würde dem Vaterlande Glück wünschen, wenn man die Oper Lisuart und Dariolette als den Vorboten eines ernsthaften Geschmacks auf der Singbühne ansehen dürfte und sich Hoffnung machen könnte, jene großen Leidenschaften, jene Heldentugenden einst an der Stelle gemeiner Thorheiten und Ungezogenheiten des Pöbels glänzen [125] und durch die Musik verschönert zu sehen«24. Da ohne Frage der deutsche Geschmack dem italiänischen am nächsten stehe, die Franzosen aber in der dramatischen Behandlung des Stoffes den Italiänern überlegen wären, so würde ein französischer Plan in italiänische Form umgegossen den Deutschen am meisten zusagen. Vor allen aber sollten die Deutschen ihr eignes Genie, ihren eignen Geschmack zu Rathe ziehen und nicht am Nachahmen kleben. Gute deutsche Sänger, geschickte und aufmerksame Dichter, glückliche und mit Geschmack arbeitende Componisten, an denen es in Deutschland selbst nach dem Geständniß des Auslandes weniger als jemals fehle, könnten wohl endlich gute deutsche Singspiele schaffen, wenn das deutsche Vaterland die Augen mehr auf seine Kinder werfen wollte25. Hiller begnügte sich daher nicht mit Liedern, sondern suchte, wo es den Ausdruck tieferer Empfindungen galt, wo die Handlung in eine höhere Sphäre als die des gewöhnlichen Lebens trat, die kunstmäßig ausgebildeten Formen der italiänischen Oper zweckmäßig modificirt anzuwenden. Hier fand er aber nicht nur an den schwachen Kräften der Schauspieler sondern auch an der Abneigung Kochs ein Hinderniß, der alle Musik so leicht und populär als möglich haben wollte. Durch den Charakter der Weißeschen Opern und die Sphäre, in welcher sie sich meistens bewegten, wurde dann von selbst eine Art von Compromiß herbeigeführt26.
[126] Deutsche Singspiele und Operetten waren auch in Wien und bei den herumziehenden Schauspielertruppen nicht ungebräuchlich; wissen wir doch daß J. Haydn im Jahr 1751 oder 1752 für Kurz-Bernardon die komische Oper Der krumme Teufel componirte, die noch 1771 in Prag aufgeführt wurde (Müller zuverl. Nachr. II S. 158), Weißkerns Bastien und Bastienne ist bereits genannt, andere Singspiele kommen auch sonst vor, und Hillers Lisuart und Dariolette wurde am 6. Januar 1767 in Wien gegeben (Müller zuverl. Nachr. I S. 35). Vereinzelt steht also Mozarts Versuch nicht da, wie weit aber jene früheren komischen Opern oder die Hillersche unmittelbar auf die Entstehung von Bastien und Bastienne Einfluß gehabt haben, weiß ich nicht zu sagen. So sehr der Text auch noch jenen plumpen und derben Stücken verwandt ist, so spricht sich in Mozarts Musik entschieden dieselbe Richtung aus, welche Hiller verfolgte. Einfachheit und Natürlichkeit im Ausdruck der Empfindung war durch den Gegenstand geboten, der Gesang ist ohne alle Coloratur und Fioritur27; der Charakter der Musik, [127] der Melodiebildung ist, wie schon bemerkt, entschieden deutsch, meist liedartig; wo eine mehr ausgebildete Form hervortritt, ist wohl der Einfluß der italiänischen Oper zu erkennen, allein sie ist wesentlich vereinfacht. Die eigentliche Form der Arie in zwei Theilen, mit Wiederholung des ersten oder beider und den dabei üblichen Veränderungen, ist gar nicht angewendet; und wenn eine Arie aus zwei Theilen besteht, so hat sie kein da Capo28. Die Erfindung ist im Ganzen nicht glänzend, es kommen keine Stücke von so hoher Bedeutung vor, wie einzelne in der italienischen Oper sich finden; die geringere Gewandtheit läßt vermuthen, daß die deutsche Operette eine frühere Arbeit ist29; hie und da sind kleine Stockungen im Rhythmus und in der Harmonie, auch gelegentlich einige altmodische Wendungen bemerkbar. Indessen sind das zum Theil Mängel, die nur dem späteren Mozart gegenüber als solche erscheinen, nicht an dem Werk eines zwölfjährigen Knaben. Daneben fehlt es nicht an Stellen von großer Lieblichkeit und Anmuth und zarter Naivetät, die Harmonie ist nicht selten gewählt, für jene Zeit selbst kühn, und besonders ist es auch hier der Ausdruck der einfachen Empfindungen des Herzens, der am besten gelingt. Das Talent dramatischer Charakteristik verleugnet sich nicht, die drei Figuren sind bestimmt gezeichnet, manche kleine komische Effecte sind mit einem gewissen kindlichen Behagen herausgehoben z.B. die Arie, in welcher Colas sein Hocuspocus treibt, das Duett, in welchem Bastienne auf alle verzweiflungsvollen Entschlüsse Bastiens immer nur erwiedert: Viel Glück! u.a.m. Die technische Ausführung ist ebenfalls sehr einfach. In den [128] Duetts und dem Schlußterzett sind die Stimmen nicht künstlich verschlungen, sondern sie lösen einander ab oder gehen einfach harmonisch neben einander her; nur ein einzigesmal kommt ein kurzer imitatorischer Einsatz vor. Ebenso ist auch die Begleitung des Orchesters sehr einfach. Nur ganz ausnahmsweise tritt es, auch nur mit einer durchgeführten Figur selbständig auf, gewöhnlich geht es mit der Singstimme, zu welcher ein einfacher aber meist gut geführter Baß gesetzt ist; die übrigen Stimmen füllen die Harmonie aus, selten treten sie dabei mit einer gewissen Selbständigkeit hervor. Wesentlich ist die Begleitung dem Saitenquartett überlassen. Zwar wild dieses noch durch Oboen – einmal durch zwei Flöten – und Hörner verstärkt, aber diese füllen meistens nur die Harmonie, besonders die Oboen, welche nie gebraucht werden um eine Melodie selbständig zu führen oder auch nur hervorzuheben. Eigenthümlicher sind schon die Hörner verwandt; nicht nur ist von den gehaltenen Tönen mitunter ein wirksamer Gebrauch gemacht, in der zweiten Arie der Bastienne »Ich geh jetzt auf die Weide« sind sie sehr einfach aber doch obligat und recht hübsch gebraucht.
Wenn diese Operette von dem Talent und der Bildung des jungen Componisten uns eine günstige Vorstellung giebt, so steigert sich dieselbe sehr, wenn man die deutsche Oper mit der gleichzeitigen italiänischen vergleicht und sich vergegenwärtigt, was es sagen will, daß ein zwölfjähriger Knabe nicht allein mit gleicher Gewandtheit und Sicherheit die verschie denen Formen handhabt, eine frische Productionskraft und Talent für Charakteristik zeigt, sondern seines Gefühl und richtigen Takt für die künstlerische und nationale Grundverschiedenheit der deutschen und italiänischen Oper in der Behandlung des Ganzen und Einzelnen bewährt. Merkwürdig, wie er bei seinen ersten dramatischen Versuchen schon die [129] beiden Pole fixirt, welche einander diametral entgegengesetzt in seiner künstlerischen Individualität neutralisirt werden sollten.
Diese Privataufführung einer Oper konnte für die fehlgeschlagene Hoffnung die finta semplice auf der Bühne zu sehen freilich keinen Ersatz geben; indessen sollte L. Mozart die Genugthuung haben, daß sein Sohn noch in Wien öffentlich eine Composition aufführte. Sie waren mit Pater Parhammer30 bekannt geworden, der sie mitunter zu Tisch zu sich einlud. Dort sah sie der Kaiser als er den Grundstein zu der neuen Waisenhauskirche legte und unterhielt sich mit Wolfgang über seine Oper. Dies mag mit dazu beigetragen haben, daß ihm zur Benediction der Kirche die Composition einer solemnen Messe nebst dem Offertorium und eines Trompetenconcerts für einen Knaben aufgetragen wurde.31 Am 7. December 1768 fand die Aufführung, bei welcher Wolfgang mit dem Taktstock dirigirte, in Gegenwart des kaiserlichen Hofes Statt und machte, wie der Vater nach Hause schrieb, das wieder gut, was die Feinde durch Verhinderung der Oper zu verderben trachteten, da sie den Hof und das zahlreich versammelte Publicum überzeugten, daß Wolfgang als Componist mit Ehren bestehen könne.
1 Nissen, welcher von dem »bekannten Freunde der Mozartschen Familie, Dr. Mesmer« spricht, hat offenbar den berühmten Magnetiseur im Sinne, allein mit Unrecht. Der hier gemeinte Mesmer war Normalschulinspector, ein wunderlicher Kauz, wie mir in Wien berichtet wurde, der durch eine Grille den frühen Tod seiner beiden Töchter verschuldet haben soll. Er war musikalisch und spielte, wie L. Mozart berichtete (21. Aug. 1773) vortrefflich die Glasharmonika, welche durch Miß Davies in Mode gekommen war, als der Einzige, der es ordentlich gelernt hatte. Bon seinem Sohn schrieb später Wolfgang (28. März 1781): »Er spielt magnifique – nur daß er aus Einbildung schon genug zu können faul ist – hat auch viel Genie zur Composition – ist aber zu träg sich damit abzugeben – das ist seinem Vater nicht recht.« Als Mozart 1781 nach Wien kam, suchte er gleich die Familie Mesmer auf und fand dort freundliche Aufnahme. Indessen behagte es ihm dort bald nicht mehr; Mesmar war, wie er seinem Vater schrieb (13. Juli 1781) ein greßer Gönner Righinis, der dort wohnte, »und die gnädige Frau noch mehr.« Noch später schrieb er seiner Schwester (15. Dec. 1781), das Haus sei nicht mehr wie früher, und es sei ihm wenig daran gelegen dort umsonst zu speisen, denn das könne er an vielen Orten.
2 So heißt eine Vorstadt Wiens.
3 Nissen sagt bestimmt daß der Text von Schachtner war, die Mozartsche Partitur giebt keinen Verfasser an. Ich kann mich indessen kaum des Verdachts erwehren, daß hier ein Irrthum sei und Mozart den bald zu erwähnenden Text von Weißkern (s. S. 119) componirt habe.
4 Le devin du village est un intermède charmant dont les paroles et la musique sont de M. Rousseau schreibt Grimm 23. Juni 1753 an Gottsched (Danzel Gottsched S. 351). So nennt er es auch 15. Dec. 1753 (corr. litt. I p. 92f.) intermède agréable, qui a eu un très-grand succès à Fontainebleau et à Paris, und noch im Febr. 1754 intermède français très-joli et très-agréable (ebend. p. 112f.). Später übergeht er es stets, wenn von Rousseaus musikalischen Leistungen die Rede ist und nennt nur dessen verunglückte Operles Muses galantes. Rousseau giebt ihm sogar Schuld, daß er durch einen unwürdigen Kniff den Verdacht verbreitet habe, als sei die Musik nicht wirklich von ihm. Einige behaupteten die Musik sei von Gauthier, einem im Jahr 1697 verstorbenen Provençalen, andere schrieben sie Garnier, einem Componisten in Lyon zu (A. M. Z. XIV S. 469). Mit Recht bemerkt aber Fétis, daß die Consolations des misères de ma vie, welche nach Rousseaus Tode erschienen, keinen Zweifel lassen, daß er die Operette wirklich componirt habe. Die geringschätzige Aeußerung Rousseaus gegen Weiße (Selbstbiogr. S. 73) über dieselbe war wohl nicht so ernst gemeint; sie stimmt keineswegs zu dem Werth, den er in den Confessions darauf legt.
5 Noch 1819 und 1821 wurde die Operette in Paris mit dem größten Beifall gegeben, zum Erstaunen deutscher Musiker, welche diesen Beifall zu der Zeit nicht begreiflich fanden (A. M. Z. XXI S. 841. XXIII S. 141).
6 Ueber das Recitativ spricht Rousseau sowohl imdictionnaire de musique als in der Lettre sur la musique française (oeuvr. XI. p. 296ff.) ausführlicher und meist durchaus treffend. Es ist unglaublich, mit welcher Genauigkeit er den Vortrag seiner Recitative bis ins geringste Detail angiebt; man sieht daß er den Sängern für den musikalischen Ausdruck gar kein Gefühl zutraute.
7 Z.B. Rose et Colas; Annette et Lubin; La clochette.
8 Die Comédie italienne, welche seit 1717 eingerichtet war, ist wohl von jener Opera buffa zu unterscheiden, welche auf kurze Zeit in Paris bestand. Ursprünglich für das eigentlich italiänische Lustspiel mit seinen nationalen Masken bestimmt, bildete sich hier aus den eingelegten Liedern und Tänzen die französische komische Oper aus. Besonders Parodien waren ein sehr beliebtes Genre aux Italiens, die häufig gegen die große Oper der académie royale de musique gerichtet waren; welcher dieses Theater, das am meisten Beifall fand, eine Entschädigung von 35000 Frcs. jährlich zahlen mußte. Vgl. Grimm corr. litt. VI. p. 229ff.
9 Vor mir liegt ein in Amsterdam 1758 gedrucktes Textbuch, welches auf dem Titel die Bemerkung hat:représenté à Bruxelles dans le courant du mois de Novembre 1753 par les Comédiens françois sous les ordres de Son Altesse Royale. Es muß also schon früher in Paris gegeben worden sein.
10 Grimm berichtet über ihn nicht allzu vortheilhaft (corr. litt. IV p. 400. 417).
11 Maria Justine-Benoite du Ronceray, geb. in Avignon 1727, betrat als Mlle. Chantilly die Bühne und heirathete den als Verfasser zahlreicher komischer Opern bekannten Favart. Man glaubte, daß sie an mehreren derselben Antheil habe, so wie der Abbo Voisenon für ihren Helfer galt. Sie starb 1772. Grimm macht bei ihrem Tode eine sehr ungünstige Beschreibung von ihr (corr. litt. VII p. 463ff.).
12 Im Jahr 1754 wurde eine Pastorale Daphnis et Alcimadure im Dialect von Languedoc, eine Bearbeitung der dort volksthümlichen Opéra de Frontignan, von Mondonville erst bei Hofe dann öffentlich gegeben (Grimm corr. litt. I p. 218ff. 289), und später auch französisch bearbeitet (ebend. V p. 445f.).
13 Er ist nicht der erste; schon im Jahr 1764 wurde in Wien Bastien und Bastienne, ein Singspiel von Weiskern gegeben (Müller zuverl. Nachr. I S. 31), das im Jahr 1770 auch in Brünn (ebend. II S. 213) und 1772 in Prag (ebend. II S. 163) aufgeführt ward. Ueber die Musik wird nichts Näheres berichtet, es war wohl vaudevilleartig mit Liedern.
14 Diese Musikstücke entsprechen nicht denen in Rousseaus Oper, die wohl der Bearbeiter gar nicht gekannt hat. Manche Arien haben wahrscheinlich mehrere Verse gehabt, von denen Mozart nur den ersten untergesetzt hat. Die Operrette enthalt 11 Arien, drei Duette und ein Terzett.
15 Ich stelle hier die drei Bearbeitungen der ersten Arie einander gegenüber:
Rousseau.
J'ai perdu tout mon bonheur;
J'ai perdu mon serviteur;
Colin me délaisse.
Hélas! il a pu changer!
Je voudrois n'y plus songer:
J'y songe sans cesse.
Harny.
(Air: J'ai perdu mon âne)
J'ons pardu mon ami!
Depis c' tems-là j'nons point dormi,
Je n' vivons pû qu' à d'mi.
J'ons pardu mon ami,
J'en ons le coeur tout transi,
Je m' meurs de souci.
Schachtner.
Mein liebster Freund hat mich verlassen,
Mit ihm ist Schlaf und Ruh dahin;
Ich weiß vor Leid mich nicht zu fassen,
Der Kummer schwächt mir Aug' und Sinn.
Vor Gram und Schmerz.
Erstarrt das Herz,
Und diese Noth
Bringt mir den Tod.
16 Einige Proben werden genügen. Bastienne singt:
Ganz allein
Voller Pein
Stets zu sein
Ist kein Spaß
Im grünen Gras!
und Bastien:
Geh, du sagst mir eine Fabel,
Bastienne trüget nicht.
Nein, sie ist kein falscher Schnabel,
Welcher anders denkt als spricht.
Zum Schluß singen alle drei:
Lustig, preist die Zaubereien
Von Colas dem weisen Mann!
Uns vom Kummer zu befreien
Hat er Wunder heut gethan.
Auf! stimmt sein Lob an!
Er stift't diese Hochzeitsfeier.
O zum Geier
Welch trefflicher Mann!
Auch Zweideutigkeiten glaubt Schachtner starker auf tragen zu müssen. Wenn es im Französischen heißt
Colas. S'rais-vous reconnaissante?
Bastienne. Autant qu'il vous plaira.
Colas. Ah! qu'lle est innocente!
so lautet es im deutschen Text
Colas. Wirst du mir auch dankbar leben?
Bastienne. Ja, mein Herr, bei Tag und Nacht.
Colas. O die Unschuld!
Bergleicht man damit etwa die Proben welche Hiller (über Metastasio S. 17ff.) aus einer in Wien 1769 erschienenen Uebersetzung des Metastasio anführt, so wird man Verwandtes genug finden.
17 Ein ähnliches Beispiel findet sich in Webers Composition des Voßschen Reigens, Verwandtes auch in Mendelssohns Sommernachtstraum.
18 Weiße Selbstbiographie S. 25ff. 41. Blümner Geschichte des Theaters in Leipzig S. 98ff. Bekanntlich richteten Gottsched und seine Frau, welche Grimms Propheten von Böhmischbroda übersetzte und mit beißenden Bemerkungen gegen die Kochsche Oper ausstattete, ihre Angriffe gegen diese Aufführungen, welche ihnen so übel bekamen (Blümner a.a.O. Danzel Gottsched S. 172ff.). Neben deutschen Singspielen gab Koch auch italiänische Intermezzi; vgl. Cäcilia VIII S. 277ff.
19 Blümner a.a.O. S. 159. Hiller wöchentl. Nachr. I S. 219. vgl. Göthe XVII S. 295.
20 Lottchen (oder das Bauermädchen am Hofe, eine Bearbeitung von Ninette à la cour (von Duni 1755), wurde Anfang 1767 zuerst gegeben (Hiller wöchentl. Nachr. I S. 376).
21 Die Liebe auf dem Lande, bearbeitet nach Anette et Lubin mit La clochette (von Duni 1766) verbunden, wurde zuerst am 18. Mai 1768 aufgeführt (Hiller wöchentl. Nachr. I S. 368).
22 Weiße Selbstbiogr. S. 102ff.
23 Die deutschen komischen Opern Keisers scheinen nicht über Hamburg hinausgekommen zu sein; von einem Anknüpfen an dieselben kann nicht die Rede sein; vgl. Lindner, die erste stehende deutsche Oper S. 123ff.
24 Wöchentl. Nachr. I S. 219. Der Dichter der Oper erklärte sie für eine romantische und machte darauf aufmerksam, daß neben der ernsten Helden- und Götteroper wie der komischen Oper, durch Benutzung des romantischen Epos auch die romantische Oper mit Erfolg ausgebildet werden könne (ebend. II S. 135ff.).
25 Wöchentl. Nachr. I S. 253ff., ein Aufsatz, der wenn er nicht von Hiller selbst ist, doch seine Ansichten wiedergiebt. Vgl. ebend. III S. 59f.
26 Hiller Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrten S. 311f. Mit der Entwickelung der deutschen Operette war später Hiller durchaus nicht zufrieden, er schrieb im Jahr 1786 daß sie, ob sie gleich seit ihrer Entstehung durch so viele Hände gegangen sei doch keine höhere Vollkommenheit erhalten habe, so daß die ersten vor zwanzig Jahren gedichteten komischen Operetten immer noch bei weitem die besten waren (über Metastasio S. 6f.).
27 Es ist bemerkenswerth daß der in der italiänischen Arie damals fast zur allgemeinen Regel gewordene Schlußfall
in dieser Operette höchstens ein- oder zweimal angewendet ist.
28 Dies hebt auch Hiller als charakteristisch an seiner Behandlungsweise hervor (wöchentl. Nachr. I S. 376. II S. 118).
29 Das Seccorecitativ, welches zuletzt geschrieben ist, ist mit großer Erwandtheil und Sicherheit behandelt.
30 Ign. Parhammer, geb. 1715, trat nach vollendeten Studien 1734 in den Jesuiterorden, wurde 1746 in Wien zum Doctor der Theologie promovirt, dann Missionär der Wiener Diöcese, 1756 Obervorsteher aller Missionen in Oesterreich und Kärnthen, 1758 Beichtvater des Kaiser Franz I. Im folgenden Jahr wurde ihm die Leitung des Waisenhauses übertragen, welchem er eine Reihe von Jahren mit großer Auszeichnung vorstand. In allen von den Jesuiten geleiteten Anstalten der Art in Deutschland wurde nach Art der venetianischen Anstalten die musikalische Ausbildung der Waisen zunächst zur Verwendung beim Gottesdienst mit Sorgfalt betrieben (Burney Reise II S. 107), und hier mit solchem Erfolg daß Kaiser Joseph sie für seine Oper zu nutzen beabsichtigte (Müller Abschied von der Bühne S. 237). Parhammer starb 1780.
31 Die Messe ist in Andrés Verzeichn. n. 4.
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