1.

Die Anerkennung, welche Wolfgang in Wien gefunden hatte, wenn sie gleich den gerechten Wünschen seines Vaters nicht vollständig entsprach, bewirkte doch in Salzburg die Auszeichnung daß er zum Concertmeister ernannt wurde, als welcher er in den salzburgischen Hofkalendern schon im Jahr 1770 aufgeführt wird. Den größten Theil des Jahres 1769 brachte er ruhig in Salzburg unter Studien zu, von denen wir das Nähere nicht wissen; zwei Messen1 sind die einzigen Compositionen, welche bestimmt diesem Jahr angehören. Sie sind schon insofern nicht ohne Interesse, als man daraus sieht daß Leopold Mozart nicht etwa darauf ausging seinen Sohn auf dem kürzesten Wege zu einem fertigen Operncomponisten auszubilden, sondern ihn die strengste Schule durchmachen ließ, in der richtigen Ueberzeugung, daß ihn dann sein Genie an jedem Platz das Richtige ergreifen lassen würde.

Sein Plan mit Wolfgang nach Italien zu gehen stand fest und wir sahen, daß er den Aufenthalt in Wien als eine Einleitung dazu ansah. Damals war Italien für die Musiker, was es heute noch für die bildenden Künstler ist; ein Aufenthalt daselbst war gleich nothwendig um der künstlerischen Ausbildung des Musikers die Vollendung und seinem [173] Ruhm den Glanz zu geben. Die Musik war in Italien nicht allein eine allgemein verbreitete und beliebte Kunst, sondern sie galt als die Kunst überhaupt. Alle Stände theilten die unersättliche Luft, mit welcher man Musik überall, in der Kirche, im Theater, im Hause und auf der Gasse anhörte; nicht minder allgemein waren der angeborne seine Sinn für die Würdigung künstlerischer Ausführung, welchen die beständige Uebung geschärft und gebildet hatte, und der leidenschaftliche Enthusiasmus mit welchem man alles Vortreffliche aufnahm. So hatte sich in Italien nicht allein eine ganz bestimmte musikalische Tradition von nationalem Charakter in der Production wie im Urtheil gebildet, sondern auch sozusagen ein musikalisches Klima, welches ganz besonders geeignet für den Künstler war. Es wurde ihm leicht hier zu leben, wo er sich einen bestimmten Weg gewiesen sah um die Gunst eines Publikums zu erlangen, das ihn durch Aufmerksamkeit und Verständniß zu immer neuen Anstrengungen anspornte und für jedes Gelingen durch lebhaften Beifall belohnte.

Opern- und Kirchenmusik wurden fast gleichmäßig gepflegt und unterstützten einander wechselseitig. Es gehörte zum Glanz fürstlicher Höfe und reicher Städte im Carneval oder bei festlichen Gelegenheiten Opernvorstellungen zu geben; es wurde nicht allein kein Aufwand gescheut die ausgezeichnetsten Sängerinnen und Sänger zu engagiren, sondern es mußten für eine jede stagione auch mehrere, gewöhnlich drei, neue Opern geschrieben werden, für welche man nun ebenfalls berühmte und beliebte Componisten zu gewinnen bemüht war. Ebenso gehörte es auch zur Würde der Kirche mindestens an den Hauptfesttagen den musikalischen Theil des Cultus mit allem Glanze auszustatten, und die reich dotirten Kirchen und Klöster konnten mit den Theatern rivalisiren. Es wurde also fortwährend eine Menge von bedeutenden [174] Kräften für musikalische Production und Ausführung in Anspruch genommen, es war reichliche Gelegenheit da sich zu versuchen und sich auszuzeichnen, jedes Talent konnte steh ausbilden mit der Hoffnung bemerkt und benutzt zu werden: eine der wesentlichen Bedingungen für eine lebendige und mannigfaltige Entwickelung einer jeden Kunst.

Für eine methodische musikalische Ausbildung von Jugend an war hauptsächlich durch die Kirche gesorgt. Nicht allein daß viele Klöster und geistliche Anstalten darauf bedacht waren die musikalischen Kräfte, welche ihnen zu Gebote standen, für ihre Zwecke auszubilden2, es wurden eigene Anstalten gegründet, aus denen später zum Theil die Conservatorien hervorgingen, deren Aufgabe es war ihre Schüler je nach ihren Anlagen zu Sängern, Instrumentalisten oder Componisten, jedenfalls zu gründlich geschulten Musikern auszubilden. War gleich ihre erste und ursprüngliche Bestimmung als Pflanzschulen der kirchlichen Musik zu dienen, so förderten sie doch die weltliche Musik nicht minder, ja es war natürlich daß grade die ausgezeichnetsten Schüler sich der in jeder Hinsicht glänzender lohnenden Oper mit Vorliebe zuwandten. Indessen bestand hier keineswegs eine gänzliche Scheidung, die Operncomponisten arbeiteten meistens auch [175] für die Kirche, in der ja auch die Opernsänger sich hören ließen, und von der selbst die Leistungen der Instrumentalvirtuosen nicht ausgeschlossen waren; wir finden daher daß auch Geistliche sich thätig an der Ausübung der Musik in verschiedenen Richtungen mit Eifer und zum Theil mit dem ausgezeichnetsten Erfolg betheiligen.

Daß diese Einigung der musikalischen Kräfte durch den überwiegenden Einfluß, welchen die Oper der damals herrschenden allgemeinen geistigen Richtung gemäß gewinnen mußte, der Würde und Reinheit der kirchlichen Musik mehr und mehr Eintrag that, ist an und für sich anzunehmen und durch die Thatsachen bestätigt. Für die consequente Ausbildung in Allem was die Handhabung der Form und Technik anlangte, war diese Concentration aller Kräfte nach einer Richtung hin ein entschieden günstiges Moment und der Erfolg um so größer, als die fast instinctive Sicherheit eines nationalen Geschmacks, der sich nicht verführen ließ, vor Abirrungen und Ausschweifungen schützte, welche den fest bezeichneten Entwickelungsgang nur hemmen und aufhalten konnten. Daß eine so geartete Kunst durch die einseitige Ausbildung einer nationalen Richtung, zumal einer dem Formellen wesentlich zugewandten, sich am Ende ausleben mußte, war in dieser ihrer Natur begründet; vergegenwärtigt man sich aber die Entwickelung der italiänischen Musik, so wird man mit Bewunderung nicht allein die Masse der außerordentlichen künstlerischen Leistungen einzelner Meister anerkennen, sondern daß sie im Stande war durch ein reiches, bewegtes, vielseitiges und in aller Mannigfaltigkeit durch nationale und künstlerische Uebereinstimmung geeinigtes Leben eine musikalische Atmosphäre von bestimmtem Charakter zu erzeugen, und durch lange fortgesetzte consequente Ausbildung der Technik einen festen und sicheren Grund zu legen, von [176] dem aus allein eine Befreiung der Musik aus den ihr in Italien gesteckten Schranken möglich war, ohne die Gesetze künstlerischer Gestaltung überhaupt preiszugeben oder erst von Neuem entdecken zu müssen.

Es ist begreiflich daß unter diesen Umständen Italien eine musikalische Herrschaft ausübte, die nur wenig bestritten oder beschränkt war. Spanien und England erkannten sie so ziemlich unbedingt an; in Frankreich, wo die Impulse ebenfalls von Italien ausgegangen, aber unter nationalen Einflüssen in anderer Weise ausgebildet oder vielmehr in ihrer Ausbildung ins Stocken gerathen waren, begann der italiänische Einfluß, trotz vielfachen Widerspruchs, mehr und mehr sich geltend zu machen, was am Ende zu einer Art von Compromiß führte, der für die Geschichte der neueren Musik, auch der deutschen, sehr wichtig ist, und auf den wir noch zurückkommen werden. In Deutschland waren nicht nur Elemente einer eigenthümlichen künstlerischen Entwickelung – vom Volksliede kann hier nicht die Rede sein – vorhanden, sondern höchst bedeutende Leistungen großer Meister legten Zeugniß von ihrer großartigen Ausbildung ab; man darf nur an Keiser, den Schöpfer der deutschen Oper in Hamburg, an die Bachsche Familie als Repräsentantin der deutschen Kirchenmusik erinnern. Allein diese echt deutsche Musik3 war wesentlich beschränkt auf das protestantische Norddeutschland; sie wurde von keiner Gunst der Großen getragen und auch der kältere, und für die Kunst weniger empfängliche Sinn [177] der Norddeutschen ließ sie nicht zu einer ähnlichen Popularität gelangen, wie sie in Italien so erwärmend und belebend auf die Kunst wirkte, sie blieb immer ihrem Charakter und ihrer Wirkung nach mehr esoterisch. Bei allen deutschen Höfen, protestantischen wie katholischen, war die Oper italiänisch; die katholische Kirchenmusik stand ganz unter dem Einfluß der italiänischen; Componisten, Sänger und Sängerinnen, größtentheils auch die Instrumentalisten waren Italiäner oder mußten doch in Italien gebildet sein. Indessen war es die Instrumentalmusik, in welcher Deutschland sich zuerst Italien selbständig gegenüberstellte, die Deutschen zeichneten sich als Virtuosen ganz besonders aus, die deutschen Orchester übertrafen die italiänischen, und auch in den Instrumentalcompositionen der deutschen Meister regte sich am ehesten eine gewisse Selbständigkeit.

Der eigenthümliche Zug der Deutschen nach Italien, welcher zu allen Zeiten, wenn auch in sehr verschiedenen Aeußerungen, sich offenbart hat, mußte daher in den deutschen Musikern ganz besonders mächtig werden. Sänger und Componisten fanden, wenn sie sich auch nicht eigentlich in die Schule begeben wollten, dort die beste Gelegenheit durch Hören und Versuchen zu lernen und das Gelernte anzuwenden, und wenn es ihnen gelang dort Beifall und Anerkennung zu finden, so standen ihnen nicht allein die Bühnen in Italien offen, sondern überall war der in Italien gewonnene Ruhm die beste, wo nicht die einzige Empfehlung. Fast alle nahmhaften deutschen Componisten des vorigen Jahrhunderts haben in Italien ihre Studien gemacht und durch ihre Thätigkeit daselbst den Grund ihres Ruhms gelegt4, wenn sie auch[178] wie Händel und Gluck originale Kraft genug besaßen später selbständig eigene Bahnen einzuschlagen5. Man kann sagen daß Mozarts Römerzug in diesem Sinne der letzte war; ihm war es vorbehalten, nicht allein das höchste Ziel der italiänischen Oper zu erreichen, sondern die Schranken der Nationalität zu durchbrechen und ebensowohl der italiänischen Formvollendung Tiefe und Gehalt zu verleihen als mit dem dort erworbenen Reichthum frei schaltend die deutsche Oper künstlerisch zu gestalten.

Fußnoten

1 André Verzeichniß 5 (vom 14. Jenner) und 6 (vom Oct. 1769).


2 So waren in Venedig vier Stiftungen, in welchen theils Knaben theils besonders Mädchen mit aller Sorgfalt in der Musik unterrichtet wurden, zunächst um beim Gottesdienste verwendet zu werden, das Ospitale della pietà für Findlinge bestimmt; Ospetaletto, wo um diese Zeit Sacchini Capellmeister war; gli Mendicanti und gl'Incurabili, damals unter Galuppis Direction. Außer den Nachrichten, welche Burney über diese Anstalten giebt, sind Auszüge aus Th. Fr. Maier Beschreibung von Venedig. I. 1787 in der musik. Realzeitung 1788 S. 108ff. mitgetheilt. In Neapel waren ähnliche Anstalten de' Poveri di Giesù-Cristo, della pietà de' Turchini; S. Onofrio; Loretto.


3 Es versteht sich daß die deutsche Musik damaliger Zeit nicht urdeutsch wie die deutschen Eichen, sondern vielfach durch italiänische und französische Muster angeregt war; allein die Auffassung und Ausbildung der Formen, der innere Gehalt, der ganze Sinn und Geist dieser Musik ist echt deutsch.


4 Die norddeutschen protestantischen Kirchencomponisten sind natürlich ausgeschlossen, wie sie über haupt für sich stehen.


5 Eine merkwürdige Ausnahme macht Jos. Haydn, gewiß zum Glück für die Entwickelung der deutschen Musik, obgleich auch er durch den Unterricht von Poroora und den Verkehr mit Metastasio in seiner Jugend in die italiänische Schule eingeweiht war. Allein seine zahlreichen italiänischen Opern, auf die er selbst Werth legte, da er sich den gleichzeitigen Operncomponisten nicht nachstellen konnte und mochte, sind nicht durchgedrungen und haben ihm keinen Namen gemacht. Sein allgemeiner Ruhm knüpfte sich lange Zeit nur an seine Instrumentalcompositionen, die ganz deutsch waren, und seine beiden großen Oratorien entstanden zu einer Zeit, wo die universale Geltung der italiänischen Musik bereits erschüttert war.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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