2.

Der Zweck, welchen L. Mozart vor Augen hatte, als er seinen Sohn nach Italien führte, war ein doppelter; er sollte dort nicht schulmäßig lernen – denn dafür war zu Hause gesorgt –, sondern durch die Fülle außerordentlicher Leistungen, wie er sie bisher nur vereinzelt hatte kennen lernen, sollten seine künstlerischen Erfahrungen reicher und umfassender werden; er sollte aus den engen Schranken einer provinciellen Existenz in die künstlerische Welt eingeführt werden und sich die Freiheit, den seinen und gewählten Geschmack eines durchgebildeten Weltmannes im Gebiete seiner Kunst erwerben. Dann aber wollte er ihn dort bekannt machen und durch [179] den dort erworbenen Ruhm ihm seinen Weg für die Zukunft sicher bahnen. Er rechnete auf einen ungewöhnlichen Beifall bei den leicht entzündlichen Italiänern, da das Interesse für die an sich ungewöhnlichen Leistungen Wolfgangs durch seine Jugend einen erhöhten Reiz erhielt; und zu allen Zeiten hat diese menschliche oder eigentlich physiologische Theilnahme bei der Menge vor der rein künstlerischen die Oberhand gehabt: er täuschte sich darin nicht. Bald überzeugte er steh auch daß bei der Art und Weise, wie die musikalischen Productionen mit den Einrichtungen und Gewohnheiten des socialen Lebens in Italien verwebt waren1, ein pecuniärer Gewinn von dieser Reise nicht zu erwarten sei. Da er aber die Hauptsache im Auge behielt und hier erreichte was er beabsichtigte, so ließ er sich durch das was ihm mit Recht als Nebensache erschien nicht beirren; bald nach dem Eintritt in Italien macht er seine Frau hierauf aufmerksam und betont es dann wiederholt in seinen Briefen, daß er, wenn er auch keine Reichthümer erwerbe, doch stets soviel einnehme um ganz außer Sorgen zu sein und daß er damit völlig zufrieden sei2. Als ein [180] Mann, der den größten Werth auf die Stetigkeit in jeglicher Pflichterfüllung legte und darin das wesentlichste Moment der Erziehung und Bildung erkannte, hielt er darauf daß Wolfgang auch auf der Reise regelmäßig in der hergebrachten Weise sich beschäftigte; eine Reihe von Compositionen, zum Theil durch momentane Veranlassung hervorgerufen, zum Theil auf eigenen Antrieb oder zur Uebung verfaßt legen von dieser regelmäßigen Thätigkeit Zeugniß ab, die ununterbrochne technische Ausbildung im Klavier- und Violinspiel versteht sich von selbst3. Er war zu gebildet um einen Aufenthalt in Italien für lehrreich bloß in musikalischer Rücksicht anzusehen; wir sehen aus seinen Briefen daß er für Staatseinrichtungen und Volksleben, für Natur wie für bildende Kunst und die Reste des Alterthums Interesse zeigt, dieselben aufsucht und sich über dieselben zu unterrichten sucht, er verweist die Seinigen auf Reisebeschreibungen, aus denen sie sich vorläufig belehren könnten, bis die von ihm gesammelten Kupferstiche und Bücher anlangen würden, als ein reichhaltiger Stoff für künftige Unterhaltungen4. Mit dieser Sorge [181] für Wolfgangs geistige und künstlerische Ausbildung verband er die größte Achtsamkeit auf seine Gesundheit, deren es bei so verschiedenem Klima und gänzlich veränderter Lebensweise allerdings bedurfte. Wiederholt stellt er ihm das Zeugniß aus, daß er selbst mit verständiger Vorsicht und Mäßigung für seine Gesundheit sorge und einer eigentlichen Aufsicht gar nicht bedürfe5.

Bei allen Ehrenbezeugungen, mit denen Wolfgang überhäuft wurde, ohne daß sie auf ihn einen sonderlichen Eindruck gemacht zu haben scheinen, bei seinen künstlerischen Arbeiten und Leistungen bleibt er doch stets ein unbefangener Knabe, klug und lebhaft, zu lustigen Scherzen, auch zu Albernheiten stets aufgelegt, aber unter allen Zerstreuungen der Reisen immer mit der treuesten Anhänglichkeit eines warmen Gemüthes den Seinigen und der Heimath zugethan. In den Briefen an seine Schwester6 ergeht er sich in einem possenhaften Jargon, der alle möglichen Sprachen durcheinander mengt, in kindischen Späßen und Neckereien, wie sie unter Geschwistern, die mit einander aufgewachsen sind, durch ein gewisses Gewohnheitsrecht sich lange erhalten können. Allein sowie die Rede auf Musik kommt gewahrt man durch die Tändeleien hindurch ein lebhaftes Interesse und ein sicheres selbständiges Urtheil, und in allen gemüthlichen Dingen spricht [182] sich die liebenswürdigste Offenheit und herzlichste Theilnahme aus. Auch nicht ein Schatten fällt auf diesen reinen Ausdruck einer kindlichen Unschuld, wie sie in diesem Alter, auch ohne so außerordentliche Leistungen, nicht eben gewöhnlich ist. Glückliche Anlagen und verständige Erziehung waren einander begegnet um dieses Resultat zu erzielen, und gewiß hatte auch die concentrirte Ausbildung seiner künstlerischen Fähigkeiten darauf hingewirkt nicht zwar seine übrige Cutwickelung zurückzuhalten, wohl aber manches fern zu halten, das auf sie einen ungünstigen Einfluß hätte üben können.

Fußnoten

1 Die Concerte (academie) wurden meistens von einer geschlossenen Gesellschaft oder durch ein öffentliches Institut gegeben; es wurde kein Eintrittsgeld für den Abend bezahlt und der Künstler kennte auf keine Einnahme rechnen als etwa ein von den Unternehmern ihm gezahltes Honorar, das nicht groß ausfallen konnte.


2 Es ist freilich dabei auch zu erwägen daß diese Briefe an seine Frau gerichtet sind, auf deren Verschwiegenheit er wahrscheinlich nicht in gleichem Maße rechnete, wie auf die seines Freundes Hagenauer. So schreibt er ihr (Neapel 5. Juni 1770): »Du wirst übel zufrieden sein, daß ich dir unsere Einnahme nicht umständlicher schreibe. Ich thue es darum nicht, weil man in Salzburg nur die Einnahme ansieht und auf die Ausgabe nicht denkt, und wenige wissen, was Reisen kostet. Es wird dir genug sein daß wir an Nichts Gottlob! Mangel haben, was immer uns nothwendig ist, unsere Reise mit aller Ehre fortzusetzen.« Auch in anderen Dingen zeigen sich Spuren einer zurückhaltenden Vorsicht, wie er ihr z.B. schreibt (Neapel 26. Mai 1770): »Daß ich dir nichts ausführlichers von Rom geschrieben habe, bat seine Ursachen; du wirst Alles umständlich hören«; und später (Rom 8. Juni 1770): »Was der König (von Neapel) für ein Subject ist, schickt sich besser zu erzählen als zu beschreiben. – Ich werde seiner Zeit eine Menge lustige Sachen von diesem Hofe erzählen.«


3 Wolfgang, der eine große Vorliebe für die Rechenkunst hatte (s. S. 31), läßt sich von seiner Schwester sein Rechenbuch nachschicken (Beil. V, 10. 14) um sich darin weiter zu üben. In Rom bekam er eine italiänische Uebersetzung von Tausend und eine Nacht geschenkt, die ihn sehr unterhielt (Beil. V, 21); später finden wir ihn bei der Lecture des Telemach (Beil. V, 25).


4 Im städtischen Museum von Salzburg werden noch einige dieser Reiseerinnerungen, auch von der ersten großen Reise, aufbewahrt, Ansichten von Neapel und London, ein Bild Rameaus, ein engl. Gebetbuch u. dgl.


5 »Mit Essen und Trinken wird sich der Wolfgang nicht verderben« schreibt er von Mailand 17. Febr. 1770. »Du weißt daß er sich selbst mäßigt und ich kann dich versichern, daß ich ihn noch niemals so achtsam auf seine Gesundheit gesehen habe als in diesem Lande. Alles was ihm nicht gut scheint läßt er stehen, und er ißt manchen Tag gar wenig und befindet sich fett und wohl auf und den ganzen Tag lustig und fröhlich.« Und von Rom aus schreibt er 14. April 1770 daß Wolfgang »so Acht auf seine Gesundheit hat, als wäre er der erwachsenste Mensch.«


6 Die Briefe Wolfgangs, großentheils kurze Nachschriften zu den Briefen seines Vaters, sind zusammengestellt Beilage V.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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