Noch vor Ende Januar kamen sie nach Mailand, wo sie im Kloster der Augustiner von S. Marco eine sichere und bequeme Wohnung1 in der Nähe des Grafen Firmian erhielten2, der sich ihrer mit der wahren Theilnahme und Liberalität [190] annahm, welche er gegen jede bedeutende Erscheinung in Kunst und Wissenschaft bewährte3, und in seiner einflußreichen Stellung ihnen jeden Vorschub leisten konnte. Bei den vornehmen Familien eingeführt genossen sie die Freuden des Carnevals, besuchten wiederholt die Oper, wo Cesare in Egitto gegeben wurde4, Bälle und Maskeraden, über welche Wolfgang seiner Schwester Bericht erstattet, indem er sich seinerseits über die Salzburger Lustbarkeiten genaue Nachrichten ausbittet5. Die Leistungen Wolfgangs in einem öffentlichen Concert und in einer glänzenden Gesellschaft beim Grafen Firmian, an welcher auch der Herzog von Modena Theil nahm, die Proben welche er vor Liebhabern und Künstlern, namentlich dem alten Sammartini6 ablegte, erregten [191] auch hier staunende Bewunderung. »Es ging wie aller Orten« schreibt L. Mozart »und braucht keine weitere Erklärung.« Auch mit Componiren wurde nicht gefeiert; für zwei junge Castraten von funfzehn und sechszehn Jahren, mit denen er Kameradschaft gemacht hatte und die schön sangen, componirte er ein Paar lateinische Motetten7 und für die Soiree im Firmianschen Hause componirte er drei Arien und ein begleitetes Recitativ. Hierzu war er, wie er selbst angiebt, veranlaßt worden um zu zeigen, daß er im Stande sei dramatische Sachen zu componiren8. Denn das wichtigste [192] Resultat dieses Aufenthaltes in Mailand war es daß Wolfgang für die nächstestagione die scrittura erhielt. Er sollte unter Voraussetzung der Erlaubniß seines Fürsten – welche gleich nachgesucht und auch ertheilt wurde – die erste Oper schreiben, für welche man die ersten Sänger, die Gabrielli und Ettore, engagiren wollte; das Honorar wurde auf 100 gigliati9 und freie Wohnung während des Aufenthalts in Mailand bestimmt. Das Textbuch würde man ihnen nachschicken, damit Wolfgang sich mit demselben vertraut machen könne, die Recitative mußten im October nach Mailand eingeschickt werden und mit Anfang November sollte der Componist selbst da sein um in Gegenwart der Sänger die Oper zu vollenden und einzustudiren, welche in den Weihnachtstagen gegeben werden sollte. Diese Bedingungen waren ihnen insofern angenehm und bequem, als sie ungehindert erst Italien durchreisen konnten und dann immer noch Zeit genug für Wolfgang blieb, in Ruhe die Oper zu vollenden.
Nachdem sie von Mailand abgereist waren, componirte Wolfgang unterwegs in Lodi am 15. März, Abends 7 Uhr, wie er selbst angemerkt hat, sein erstes Quartett10. In Parma machten sie die Bekanntschaft der berühmten Sängerin Lucrezia Ajugari, genannt la Bastardella, welche Vater und Sohn durch den unglaublichen Umfang ihrer Stimme und ihre Kehlfertigkeit ins äußerste Erstaunen setzte11, und[193] langten am 24. März in Bologna an. Hier wurden sie von dem Feldmarschall Grafen Pallavicini mit gleicher Freundlichkeit und Liberalität aufgenommen wie in Mailand vom Grafen Firmian. Er veranstaltete eine glänzende Akademie in seinem Hause, bei welcher 150 Personen, unter ihnen der Cardinal-Legat Antonio Colonna Branciforte mit dem ganzen Adel und an der Spitze der Kenner Padre Martini Theil nahm, obgleich dieser sonst kein Concert mehr besuchte. Um halb acht Uhr versammelte man sich und erst gegen Mitternacht dachten die Gäste an den Aufbruch.
L. Mozart schreibt, sie seien in Bologna ganz ungemein beliebt und Wolfgang werde dort noch mehr als an anderen Orten bewundert, weil dort der Sitz von vielen Gelehrten und Künstlern sei; von dort aus werde steh sein Ruhm am meisten über Italien verbreiten, da er vor Padre Martini die stärkste Probe bestanden habe. Er hatte Recht; denn Padre Martini12, ohne alle Frage durch seine gründlichen und umfassenden Forschungen über die Geschichte der Musik wie über den Contrapunkt der bedeutendste Gelehrte in der Musik, wie auch als Kirchencomponist geschätzt, war das allverehrte Orakel in musikalischen Fragen, nicht allein in Italien. Er hatte stets Schüler um sich versammelt, stand in einer ausgebreiteten Correspondenz, Streitfragen wurden ihm zur Entscheidung vorgelegt, bei der Besetzung von Stellen sein Rath eingeholt: eine Empfehlung von Padre Martini war daher die [194] beste Unterstützung für ein gutes Fortkommen. Seine Autorität ward um so bereitwilliger anerkannt, als er mit seinem unermeßlichen Wissen die größte Bescheidenheit, eine stets bereite Dienstfertigkeit, und eine sich immer gleich bleibende Freundlichkeit und Gelassenheit verband13. Es mußte daher L. Mozart vor allen Dingen daran gelegen sein Padre Martini für seinen Sohn zu gewinnen. Dieser prüfte ihn auf seine Weise: er ließ ihm Fugen schreiben, setzte ihm das Thema auf und war sehr zufrieden, als Wolfgang nach den Regeln der Kunst sofort die Ausführung, wie er verlangte, schriftlich oder auf dem Klavier machte. Er stellte ihm ein günstiges Zeugniß aus, und hat auch in späteren Zeiten, da ein freundschaftliches Verhältniß zwischen ihnen unterhalten wurde, sich Wolfgang theilnehmend und hülfreich erwiesen; allein ein besonderes Interesse, eine nähere Beziehung Martinis zu Mozart ist dabei doch nicht wahrzunehmen. Seine Güte und Gefälligkeit ließen ihn einem Jüngling, dessen bedeutende Talente ihm nicht zweifelhaft sein konnten, seine Unterstützung nicht versagen; die Richtung aber von Mozarts Genie und Leistungen auf dramatische und Instrumentalmusik zogen ihn, der der Kirchenmusik und der streng contrapunktischen Kunst – auch wohl Künstelei – zugethan war, wohl nicht in erhöhetem Maße an. Auch scheint es, als ob später dieser Verkehr mehr von Mozarts, besonders dem Vater, als von Martini unterhalten worden sei14.
Eine andere interessante Bekanntschaft war die des berühmten Farinelli15, welcher sie auf seinem prächtigen [195] Landgut bei Bologna mit gewohnter Liebenswürdigkeit aufnahm. Was uns von dem Umfange und der Schönheit der Stimme dieses Sängers berichtet wird, von seinem Athem, seinem Portamento, der unglaublichen Bravur und dem seelenvollen Vortrag ist ebenso wunderbar als die Wirkung dieser Gesangskunst, welche ihn während fünf und zwanzig Jahre zum einflußreichen Günstling bei zwei Königen von Spanien machte. Er erscheint fast wie ein phantastisches Bild von der Größe und Macht der Gesangskunst im vorigen Jahrhundert, von der selbst die außerordentlichsten Leistungen dieses Jahrhunderts uns keine entsprechende Vorstellung mehr zu geben vermögen, und durch welche die Geschichte der Musik dieser Zeit zu einem großen Theil zu einer Geschichte des Gesanges und der Sänger wird. Die Zeit, in welcher Mozart steh heranbildete, stand noch durchaus unter diesem Einfluß, und obgleich die absolute Herrschaft der Sänger mit ihrer absoluten Kunst bereits im Abnehmen war, so ist es doch nicht ohne [196] Bedeutung daß Mozart als Jüngling noch den Eindruck jener Größen der Gesangskunst in sich aufnahm16.
1 Man hatte die Aufmerksamkeit ihnen bei der Kalte, über welche sie bitterlich klagen, ihre Betten zu wärmen, worüber Wolfgang jeden Abend neues Vergnügen empfand.
2 Carl Joseph Graf von Firmian, geb. 1716 zu Deutschmetz im Trientischen, erhielt seine Erziehung zum Theil in Salzburg (wo sein älterer Bruder Joh. Bapt. Anton bis 1740 Erzbischof war), studirte in Leyden und vollendete seine Bildung durch Reisen in Italien und Frankreich. Später war er Gesandter in Neapel, wo Winckelmann ihn als einen Mann von großem Verstande und unglaublich großer Wissenschaft und als einen Mann seines Herzens und einen der würdigsten unserer Nation preist (Briefe I S. 271. 279). Im Jahr 1759 wurde er Generalgouverneur der Lombardei und hat im edelsten Sinn und mit Einsicht für den materiellen Wohlstand wie für Aufklärung und Bildung gewirkt. Selbst ein Freund und Kenner der Wissenschaften und Künste, machte er seine bedeutenden Sammlungen mit großer Liberalität zugänglich, und unterstützte Künstler und Gelehrte auf jede Weise. Er starb 1782 in Mailand.
3 Er machte Wolfgang mit Metastasios Werken ein sehr willkommenes Geschenk, und belohnte ihn auch außerdem freigebig.
4 Leopold Mozart schreibt er habe in der Hauptprobe den Maestro Piccini gesprochen, der diese Oper componirt hatte; obgleich sie in den, allerdings sehr unvollständigen, Verzeichnissen seiner Opern nicht erwähnt wird.
5 S. Beil. V, 6. Um der Sitte gemäß gekleidet zu sein mußten sie sich Mantel und Bajuten (die Maskentracht) machen lassen. L. Mozart, der findet daß sie dem Wolfgang unvergleichlich anstehen, schüttelt den Kopf dazu daß er auf seine alten Tage noch diese Narredey mitmachen müsse, und tröstet sich damit daß man das Zeug wenigstens zu Fürtuch und Unterfutter werde verwenden können.
6 Giambattista Sammartini, ein geborner Mailänder, galt schon 1726 als ein ausgezeichneter Componist, und war später Organist an verschiedenen Kirchen und Kapellmeister des Klosters Santa Maria Maddalena. Außer unzähligen Kirchencompositionen hatte er eine Menge von Symphonien und Instrumentalsätzen geschrieben, die auch in Deutschland und England beliebt waren. Man rühmte ihm Feuer und Reichthum an Erfindung nach, und Misliweczeck sagte, als er zuerst eine seiner Symphonien hörte: »Ich habe den Vater des Haydnschen Stils gefunden.« Haydn lachte darüber herzlich, er habe früher wohl Sachen von Sammartini gehört, aber nie geschatzt, er sei ein Schmierer (Griesinger biogr. Notizen S. 15). Carpani, der dieselbe Aeußerung Haydns mittheilt, sucht dagegen die Verdienste Sammartinis als Instrumentalcomponist in einer interessanten Auseinandersetzung zu heben (Le Haydine p. 56ff.).
7 Zwei Sopranarien Introibo domum tuam domine (André Verzeichn. 64) und Quaere superna, fuge terrena mit vorausgehendem kurzem Recitativ Ergo interest an quis male vivat an bene (André Verz. 77) gehören der Handschrift nach in eine spätere Zeit.
8 Die große Arie mit dem begleiteten Recitativ ist aus Metastasios Demofoonte (A. III sc. 5) »Misero me, qual gelido torrente mi ruina sul cor« und »Misero pargoletto il tuo destin non sai.« Die Partitur und die Stimmen, letztere von der Hand des Vaters und des Sohns geschrieben (wie L. Mozart es angiebt) sind noch vorbanden (André Verzeichn. 65). Das Recitativ ist im hochtragischen Stil und sehr ausgeführt, die Arie besteht aus einem Adagio mit einem Poco Allegro als Mittelsatz. Die genaue Uebereinstimmung im Papier und in der Handschrift zweier anderer Arien macht es mir fast zur Gewißheit, daß es die beiden mit jener zugleich componirten sind. Die eine (André Verz. 62) Per pietà bel idol mio aus Metastasios Artaserse (A. I. sc. 5) besteht aus einem einzigen Satz; die andere (André Verz. 63) Per quel paterno amplesso aus derselben Oper (A. II sc. 11), ebenfalls in einem Satz, eingeleitet durch ein Recitativ Temerario Arbace, dove trascorri. Beide unterscheiden sich von der ersten durch Bravourpassagen, die dort nicht vorkommen; alle drei sind für Sopran. – Die Arie Misero tu non sei welche Wolfgang ebenfalls in Mailand componirte (Beil. V, 2) ist aus Metastasios Demetrio (A. I sc. 4), den er kurz vorher in Mantua gehört hatte; sie ist nicht erhalten.
9 Ein gigliato, Florentiner Goldgulden, ward ungefähr einem Ducaten gleich gehalten.
10 André Verz. 176.
11 S. Beilage V, 8.
12 Giambattista Martini war in Bologna 1706 geboren und zeigte früh ein hervorstechendes musikalisches Talent, so daß er, nachdem er 1722 in den Franziskanerorden eingetreten war, schon 1725 Kapellmeister an der Franziskanerkirche wurde. Er starb 1784. Seine berühmten Werke sind die Storia della musica, und Esemplare osia saggio fondamentale pratico di contrappunto; von seinen Compositionen sind wenige gedruckt.
13 So erwies er sich z.B. gegen Gretry (mém. I S. 91f.), Naumann (Meißner Biogr. I S. 150ff.), Burney (Reise I S. 142ff.).
14 Was ich von diesem italiänisch geführten Briefwechsel aufgefunden habe ist mitgetheilt Beilage VI.
15 Carlo Broschi, als Sänger Farinelli genannt, ist 1705 geboren. Er bildete sich unter Porpora und Bernacchi und feierte, seitdem er die Bühne betrat, in Italien und England, in Wien und Paris unerhörte Triumphe. Als er im Jahr 1736 nach Spanien kam, gelang es ihm, durch seinen Gesang Philipp V aus einer tiefen Schwermuth zu reißen. Er mußte von da an täglich ihm vorsingen und durfte nicht mehr öffentlich auftreten; er wurde der erklärte Günstling des Königs und hatte unbeschränkten Einfluß auf ihn, welchen nie mißbraucht zu haben sein anerkannter Ruhm ist. Die gleiche Stellung nahm er dann bei Ferdinand VI ein. Nach dem Regierungsantritt Carls III mußte er Spanien 1761 verlassen und erhielt Bologna zum Aufenthalt angewiesen, wo er im Genuß seiner Reichthümer seiner Neigung für Kunst und Wissenschaft lebte; ein Mann von redlichem und wohlwollendem Charakter, seiner Bildung, allgemein geliebt und verehrt. So schildert ihn Burney, der ihn ebenfalls im Jahre 1770 aufsuchte (Reise I S. 150ff.); auch die Briefe Metastasios an ihn geben uns die günstigste Vorstellung. Einige andere Züge treten hervor in der Schilderung bei Lamberg Mémorial d'un mondain p. 97. Er starb 1782.
16 Man wird nicht ohne Interesse lesen was Dittersdorf in seiner Selbstbiographie S. 110ff. von seinem Aufenthalt in Bologna im Jahr 1762 und dem Verkehr mit P. Martini und Farinelli erzählt.
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