XV.

[545] Da es für die richtige Würdigung dieser Compositionen nothwendig ist den ursprünglichen Text zu kennen1, so theile ich denselben hier mit.


1.

Zu Anfang des ersten Acts stellt die Bühne nach Geblers Vorschrift »das Innere des Sonnentempels zu Heliopolis vor. Im Grunde sieht man das goldene Bildniß der Sonne, dahinter angebrachte Lampen erleuchten es. Auf dem vor dem Sonnenbildniß stehenden Altar brennt ein Opferfeuer, in welches der Oberpriester, von zween anderen Priestern umgeben, Weyhrauch streut. Zur rechten Seite des Altars steht das Chor der Sonnenjungfrauen und diesem gegenüber das Chor der Priester. Alle sind weiß gekleidet. Auf dem Schleyer der Sonnenjungfrauen ist die Abbildung der Sonne eingestickt zu sehen. Bei Aufziehung des Vorhangs wird von beyden Chören eine Hymne zur Ehre der Gottheit wechselsweise gesungen.«


Beyde Chöre.


Schon weichet dir, Sonne! des Lichtes Feindin, die Nacht,

Schon wird von Egypten dir neues Opfer gebracht:

Erhöre die Wünsche! dein ewig dauernder Lauf

Führ heitere Tage zu Thamos Völkern herauf!


Chor der Priester.


Der munter Jugend

Gieb Lenksamkeit, Tugend,

Den Männern Muth!

Nach tapfern Thaten,

Weisheit zum Rathen

Allen gieb Vaterlandsblut!


Beyde Chöre.


Erhöre die Wünsche! dein ewig dauernder Lauf

Führ' heitere Tage zu Thamos Völkern herauf!


[545] Chor der Jungfrauen.


Egyptens Töchter

Sey'n ihrer Geschlechter,

Der Gatten Zier!

Vergnügt, im Stillen

Pflicht zu erfüllen;

Blühend und jahrvoll wie wir!


Beyde Chöre.


Erhöre die Wünsche! dein ewig dauernder Lauf

Führ' heitere Tage zu Thamos Völkern herauf!


Chor der Priester.


Gekrönt vom Siege,

Schreck Thamos im Kriege

Der Feinde Reich!


Chor der Jungfrauen.


Für uns durch Triebe

Sorgender Liebe

König und Vater zugleich!


Beyde Chöre.


Schon weichet dir, Sonne! des Lichtes Feindin, die Nacht,

Schon wird von Egypten dir neues Opfer gebracht:

Erhöre die Wünsche! dein ewig dauernder Lauf

Führ' heitere Tage zu Thamos Völkern herauf!


Diesem Chor ist später in Wien, wahrscheinlich für eins der Fastenconcerte Mozarts2, ein lateinischer Text untergelegt: Splendente te, Deus, discussa tristis est nox, der nicht allein den Noten, namentlich was den Rhythmus angeht, sorgfältig angepaßt ist, sondern auch mit Geschicklichkeit selbst in Einzelheiten sich dem ursprünglichen Ausdruck anschließt. Beides kann man dem deutschen Text »Preis Dir Gottheit! durch alle Himmel tönt dein Ruhm« nicht nachrühmen. Die Worte sind ganz allgemein gehalten ohne irgend eine bestimmte Färbung und der Musik so ungeschickt angepaßt, daß der Rhythmus vielfach dadurch gestört wird3.


2.

[546] Zu Anfang des letzten Aufzuges ist dieselbe Ceremonie im Tempel, nur sind auch die Großen des Reiches, Krieger und entgegen. Mit der Hymne wird die Handlung eröffnet.


Beyde Chöre.


Gottheit über alle mächtig!

Immer neu und immer prächtig!

Dich verehrt Egyptens Reich.

Steigend ohne je zu fallen,

Sey's das erste Reich aus allen,

Nur ihm selbst an Größe gleich!


Chor der Priester.


Von des Mittags heißem Sande

Bis zum fernen Meeresstrande

Wölkt sich Opferrauch empor.

Früh schon tönen unsre Lieder,

Hymnen bringt der Abend wieder,

Nie verstummet unser Chor.


Chor der Jungfrauen.


Wie in weiter Tempel Hallen

Unter der Trompeten Schallen

Sanfter Flöten Zauberklang;

So mengt sich, Osiris Söhne!

Unser Lied in eure Töne,

Sonne! dir ein Lobgesang.


Ein Priester.


Was der Mund des Fürsten schwöret,


Eine Jungfrau.


Was von seinem Volk er höret,


Zusammen.


Sei zu beyder Wohl der Grund!


Priester.


Er uns hold,


Jungfrau.


Treu wir dem Throne;


Priester.


Vatersorgen,


Jungfrau.


Lieb zum Lohne;


[547] Zusammen.


Ist der wechselvolle Bund.


Beyde Chöre.


Gottheit, über alle mächtig!

Immer neu und immer prächtig!

Dich verehrt Egyptens Reich.

Steigend, ohne je zu fallen,

Sey's das erste Reich aus allen,

Nur ihm selbst an Größe gleich!


»Nach abgesungener Hymne dauert eine sanfte, wenig Laut machende Musik fort; unter dieser tritt Sethos zum Altar, zündet das Opferfeuer an und wirst zu dreymalen Weyhrauch hinein; die Musik schweigt.«

Dieser Hymne hat Mozart soviel ich weiß keinen lateinischen Text unterlegen lassen; sie wurde zuerst bekannt mit einem nur an einzelnen Stellen um die ägyptischen Beziehungen herauszubringen geänderten Text4. Dann wurde ihr ein neuer Text untergelegt: »Gottheit! dir sei Preis und Ehre!«, welcher den Noten etwas besser angepaßt ist, übrigens sich auch in allgemeinen Redensarten bewegt5.


3.

Die Schlußworte, welche in Salzburg hinzugefügt sind, lauten:


Der Oberpriester.


Ihr Kinder des Staubes erzittert und bebet,

Bevor ihr euch wider die Gottheit erhebet!

Rächender Donner vertheidiget sie

Wider des Frevlers vergebene Müh'!


[548] Chor.


Wir Kinder des Staubes erzittern und beben

Und neigen die Häupter zur Erb';

Den Göttern zu frohnen sei unser Bestreben

Was immer ihr Rathschluß begehrt.


Höchste Gottheit, milde Sonne,

Hör' Egyptens frommes Flehn!

Schütz' des Königs neue Krone,

Laß sie immer aufrecht stehn.


Dieser Hymne hat wiederum Mozart den lateinischen Text: Ne pulvis et cinis superbe te geras unterlegen lassen, der ebenfalls mit Geschick gemacht ist, nur daß im letzten Satz eine Disharmonie bleibt, die freilich unvermeidlich ist, wenn man einen kirchlichen Text unterlegt. Die deutschen Worte: »Ob fürchterlich tobend sich Stürme erheben« verfehlen sogar den Sinn des Textes und haben noch dazu starke Veränderungen in den Noten veranlaßt, ohne an sich von irgend welcher Bedeutung zu sein6.

Fußnoten

1 Dann erledigen sich auch einige, übrigens nicht unbegründete Bedenken, welche bei der Besprechung dieser Hymnen A. M. Z. VII S. 162f. 687f. vorgebracht sind.


2 In Mozarts Nachlaß ist eine Abschrift dieses und des dritten Chors mit untergelegtem lateinischen Text vorgefunden.


3 Dieser Chor ist in Partitur als Hymne I mit deutschem und lateinischem Text Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschienen. Der Abdruck ist im Ganzen genau; das ursprüngliche Tempo ist Maestoso (nicht Allegro maestoso), was als Solo angegeben ist, ist im Original nicht so bezeichnet.


4 Hymne Gottheit über alle mächtig mit Begleitung des Claviers von W.A. Mozart. Leipzig Breitkopf & Härtel.


5 Die Partitur ist als Hymne III erschienen Leipzig bei Breitkopf & Härtel. Der Abdruck ist meistens genau; die Bezifferung des Fondamento ist zugesetzt. Auch hier ist im Original keine Bezeichnung der Solostellen, doch läßt sowohl die Bravurstelle S. 20, als die ausdrückliche Angabe Geblers kaum zweifeln, daß die Bemerkung nur von Mozart vergessen sei. Der Schluß ist verändert von S. 43 Takt 6 an. Im Original folgt nach weiteren zwei Takten die zu einem Halt führen, ein sanftes Moderato von 17 Takten das mit einem Calando pp schließt. Davon sind vier Takte vor dem Schluß S. 43 Takt 7 eingereiht, dann folgen die beiden vorher ausgelassenen Takte um mit einigen vollen Accorden ff schließen zu können. Zu solchen Aenderungen hielt man sich ohne Weiteres berechtigt.


6 Die Partitur ist unter dem Titel Motette II in Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschienen. Willkührlich zugesetzt ist die Bezifferung des Fondamento, ausgelassen ist die Angabe pizzicato für den Baß Takt 1–7; für alle Saiteninstrumente S. 10 Takt 6, S. 11 Takt 1; für die Bratsche S. 14 Takt 5 bis S. 15 Takt 6 und S. 24 Takt 7 bis S. 26 Takt 2.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 2, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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