XVII.

Es wird von Interesse sein hier zwei Beurtheilungen der Entführung aus Journalen jener Zeit zu lesen, um so mehr, wenn man erfährt daß sich in Mozarts sehr kleiner Bibliothek die beiden Zeitschriften fanden, aus welchen sie entlehnt sind, daß er selbst also ein lebhaftes Interesse an denselben nahm. In Cramers Magazin für Musik wurden nicht allein Glucks und Salieris, sondern auch Haydns und Mozarts Compositionen mit einer lebhaften Anerkennung und einer eingehenden Kritik gewürdigt, welche ihnen in Wien nicht zu Theil wurde und sie sehr erfreuen mußte. So schreibt Haydn sehr befriedigt an seinen Verleger Artaria (5. April 1784 ): »Mit nächstem Posttag werde ich Ihnen etwas Gedrucktes und zwar eine Zergliederung meiner Cantate, so Sie haben stechen lassen[Ombra del caro ben], mit einem ungemeinen Beyfall übermachen, so mir Hr. Prof. Cramer aus Kiel nebst einem Schreiben zuschickte« [Magaz.f. Musik I, 2 S. 1073ff.].

Aus dem langen Aufsatz im Magazin für Musik (II, 2 S. 1056ff.), welcher mit einer Kritik des Textes beginnt und in eine ausführliche Abhandlung über die Reformation der deutschen Oper ausläuft, hebe ich das aus, was Mozarts Musik angeht.

»Die Entführung aus dem Serail ist zu Wien mit einem sehr ausgezeichneten Beifall aufgenommen worden. Ein Beifall, den sie nicht sich, sondern der vortrefflichen Musik des Hrn. Mozart und der sehr guten Vorstellung der Sänger der Nationalbühne zu verdanken hat.«

[469] »Ich bin kein eigentlicher Kenner der Musik, ich verstehe von den eigentlichen Kunstregeln der Composition ganz und gar nichts; nicht einmal die Noten kenne ich. Ich beurtheile die Musik bloß nach dem allgemeinen Grundsatze aller schönen Künste, nach dem Grundsatze der Wahrheit und Natur. Die Musik die auf menschliches Herz und menschliche Leidenschaft wirkt, die Freud und Leid, die etwas mehr als Ohrenkitzel, die Nahrung der Seele ist: die Musik ist in meinen Augen vortrefflich und das unleugbare Product eines musikalischen Genies. Nach diesem Grundsatz geurtheilt hat denn auch Hrn. Mozarts Musik meinen ganzen Beifall, und ich bekenne mit Vergnügen daß nur Benda und Gluck mein Herz stärker treffen und rühren können, als Hr. Mozart mit seiner lieblichen Musik getroffen hat.«

»Ich kann das Werk dieses noch sehr jungen Künstlers nicht im Detail loben; dazu bin ich zu wenig eigentlicher Musikverständiger, ich kann nur sagen, daß seine Declamation richtig, sein Gesang ungemein redend, Sprache des Herzens und der Natur sei, und daß er durchaus die richtigsten Begriffe von dem wahren Zwecke der schönsten aller menschlichen Künste verräth.«

»Die Sänger der hiesigen Nationalbühne verdienen das Lob daß sie gefühlt haben was sie sangen; daß sie mit der ganzen Seele wiedergaben was Mozart setzte; daß auch bei ihnen der Gesang aus dem Herzen kam; daß sie nicht bloß gurgelten, sondern sprachen; und ich bin überzeugt, daß Mozarts Werk auf keiner Bühne Deutschlands so vollkommen gefühlt und dargestellt werden wird, als auf der hiesigen Nationalbühne geschehen ist.«

»Daher ists denn auch kein Wunder, daß diese Entführung aus dem Serail, trotz den Makeln, die ihr von Seiten des Dichters und der unweisen Verbesserung ankleben, mit dem allgemeinen Beifall ist aufgenommen worden, und noch immer mit diesem allgemeinen Beifall aufgenommen wird. Wenn Componist und Sänger so mit vereinigten Kräften arbeiten, den wahren Zweck der Musik zu erfüllen: so muß auch unter Herz dadurch interessirt werden, und wo die Kunst unser Herz interessirt, da ist auch ihr Eindruck dauernd und bleibend.«

Die zweite Beurtheilung findet sich in Knigges dramaturgischen Blättern (Hannover 11. Oct. 1788, II S. 21ff.), welche die Vorstellungen der Großmannschen Gesellschaft besprachen, die seit 1787 in Hannover spielte. Sie lautet folgendermaßen:

[470] »Den 3. October: Belmonte und Konstanza, oder: Die Entführung aus dem Serail« –

»Vom Stück selbst ist nicht viel zu sagen, die Erfindung der Intrigue und die Art der Bearbeitung haben nicht den Werth der Neuheit und poetische Schönheiten trifft man hier auch nicht an; doch ist man immer froh, die vortheilhaften Eindrücke, welche die Music macht, nicht, so wie in den italiänischenopere buffe, durch planloses, plattes Gewäsche und Possenreisserei geschwächt zu fühlen. Eben von der Music aber will ich etwas weitläuftiger reden. Ich hatte mir selbst oft die Frage aufgeworfen, woher es kommen könnte, daß die herrliche Composition von Mozart, die man in der Partitur mit wahrem Entzücken liest und spielt, und deren einzelne Schönheiten uns auch in der Aufführung hinreißen, dennoch im Ganzen nicht die allgemein vortheilhafte Wirkung macht, die man davon erwarten sollte. Zwar hat dieses Kunstwerk bei der ersten Erscheinung überrascht und sehr gefallen. Die brillante Ouvertüre; das ungewöhnliche der türkischen Music, selbst zu Begleitung von Arien; das alles hat seines Zwecks nicht verfehlt; aber noch einmal! daß diese herrliche Music, bei so viel einzelnen Schönheiten, das Herz so mancher Leute, die weniger Kenner der Kunst als gefühlvolle Liebhaber der Melodie sind, leer läßt, das wußte ich mir nicht recht zu erklären. Ich sprach darüber mit einem Manne, dessen theoretische und practische Kenntnisse in der Music, dessen Fleiß, noch täglich weitere Fortschritte darin zu machen, und dessen Bescheidenheit gleich viel Lob verdienen –. mit einem Worte? mit unserm Weber1, der, da er hier die Music bei den Singspielen, um deren gute Aufführung er kein geringes Verdienst hat, dirigirt, am genauesten mit den einzelnen Schönheiten und Fehlern jeder Composition bekannt ist, und ich will einen Theil dessen, wodurch er meine Ideen über den Mozartschen theatralischen Stil berichtigt hat, hierher setzen.«

»Die Music zu der Entführung aus dem Serail ist erstlich [471] hie und da zu ernsthaft für das Sujet einer komischen Oper; sie nähert sich in manchen, übrigens meisterhaft gearbeiteten Stellen zu sehr dem ernsthaften Opernstile; und da andere ächt komische Stücke zu sehr dagegen abstechen; so fehlt es also an Einheit des Stils. Sodann ist der Tonsetzer zu geschwätzig mit den Blasinstrumenten gewesen. Statt daß diese nur den stärkern Nachdruck, da wo es nöthig ist, der Melodie geben, und die ganze Harmonie unterstützen sollten; so verdunkeln sie oft jene, und verwirren diese, unterdrücken den schönen einfachen Gesang, und stören den Sänger im Vortrage. Dies fiel mir vorzüglich in einer Arie auf, welche Konstanze singt – ein Fehler, in welchen die besten italiänischen Tonsetzer nie verfallen, der aber jetzt um so allgemeiner bei uns wird, je mehr wir ehemals die Einwirkung der Blasinstrumente vernachlässigten. Nicht weniger verdunkelt das zu große Kunstgewebe in manchen Stellen den fließenden Gesang. Der Kenner fühlt den Werth dieser Stellen; aber für den populären Vortrag taugt das nicht. Der nemliche Fall ist mit den häufigen Ausweichungen und den vielfachen enharmonischen Gängen, die, so schön sie am Clavier klingen, im Orchester keine Wirkung thun, theils weil sie nie rein genug vorgetragen werden, weder vom Sänger noch von den Spielern, besonders von den Blasinstrumenten, theils weil die Auflösungen zu schnell mit den Mißklängen abwechseln, so daß nur ein geübtes Ohr den Gang der Harmonie verfolgen kann. Diese Ungemächlichkeit hat besonders in den häufig hier vorkommenden Arien aus Moll-Tönen Statt, die der vielfach chromatischen Sätze wegen, von dem Sänger schwer vorzutragen, von dem Zuhörer schwer zu fassen sind, und überhaupt etwas Beunruhigendes haben. Solche fremde Harmonien verrathen den großen Meister, aber sie gehören nicht für das Theater. Herr Weber hat schon oft bemerkt, daß, wenn sich die Quarte in der weichen Tonart mit der verminderten Terz und Septime oder in der Umwendung mit der übermäßigen Sext im Theater auf einmal ohnvermuthet hören ließ, diese Harmonie viel Sensation erregte, oft wiederholt aber der größeren Anzahl von Zuhörern nicht gefiel, sondern alle Wirkung verlor. Aus manchen der vorerwähnten ursachen bleibt z.B. die Hälfte der Schönheiten des ganz vortrefflich gearbeiteten Quartetts am Ende des zweiten Aufzugs ohngefühlt. Dies Quartett ist ein wahres Meisterstück für den Kenner; aber wie wenige werden den Werth der darin angebrachten Kunst fühlen! [472] Endlich ist der Gesang in manchen Stellen dieser Oper zu sehr syncopirt, besonders in Duetten, Quartetten etc. Der Sänger hat nicht Zeit, Odem zu schöpfen, seiner Stimme neue Kraft zu geben, diese wird matt und lahm, ein schöner Gedanke verdrängt den andern, und entrückt ihn der Bewunderung des Zuhörers.«

»Aber o! mögten alle Tonsetzer im Stande sein, solche Fehler zu begehen! Und welche herrliche einzelne Stücke sind nicht in dieser Oper! Am reichsten an Schönheiten ist der zweite Aufzug. Das erste darin vorkommende Duett ist hinreißend, Blondens Arie, welche Madam Großmann so unverbesserlich sang, ganz vortrefflich; das Rondeau: ›Welche Wonne, welche Lust!‹ allerliebst; das Vaudeville am Ende des dritten Aufzugs in dem reitzendsten Stil geschrieben – doch wer kann alle einzelnen Schönheiten dieser Oper herzählen?«

Fußnoten

1 Bernhard Anselm Weber, geb. 1766 in Mannheim, wurde frühzeitig Voglers Schüler und schloß sich auch später an ihn an, so daß er sich einige Zeit mit ihm in Stockholm aufhielt. Durch Knigges Vermittlung kam er 1787 als Musikdirector zu der Großmannschen Gesellschaft nach Hannover (vgl. Aus einer alten Kiste S. 170f.), ging später von Neuem nach Stockholm zu Vogler und wurde 1792 Kapellmeister in Berlin (Reichardt mus. Monatsschr. S. 169) wo er 1821 starb.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 3, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1858, S. 1.
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