Bei der Aufnahme zum Mitgliede der philharmonischen Academie in Bologna ward dem Aufzunehmenden ein Cantus firmus, ein alter feststehender Gesang aus dem gregorianischen Antiphonar zu contrapunktischer Bearbeitung übergeben, die nach den Regeln des strengen Satzes nicht allein, sondern auch mit Beobachtung der den alten Kirchentonarten eigenthümlichen Behandlung der Harmonie ausgeführt werden mußte. Die Aufgabe verlangte aber drei verschiedene Bearbeitungen des gegebenen Gesanges. Zuerst war derselbe vierstimmig im »Falsobordone« zu setzen, was hier soviel heißt, als ihn schlicht harmonisch, in der Art unseres Gemeindechorals, zu bearbeiten. Der Cantusfirmus wurde dann gewöhnlich dem Tenor zugetheilt. Die zweite Bearbeitung bestand in einer »Disposizione di parte.« In dieser erhielt eine der Stimmen den Cantusfirmus, zu welchem die übrigen in canonischer oder doch nachahmender Führung zu setzen waren. Die Motive für diese begleitenden Stimmen entlehnte man gern aus dem Cantusfirmus selbst und wandte sie gegen diesen meist in rhythmisch verkleinerter Form an. Wie weit der Componist hier in der Strenge der Nachahmung gehen wollte, war ihm nicht vorgeschrieben, es genügte auch eine sangmäßig geführte Behandlung nacheinander mit ähnlichen Figuren eintretender Stimmen. Der dritte Theil der Aufgabe aber bestand in einer »Fuga reale«, einer nach den Regeln des Kirchentones, in welchem der Cantusfirmus stand, zu setzenden vollständigen Fuge, in welcher eine in sich geschlossene Phrase des Cantusfirmus als Thema durchgeführt wurde, andere Theile desselben zu Zwischensätzen dienten.
[659] W. Mozarts Arbeit zur Aufnahme in die philharmonische Academie von Bologna ist erhalten worden; wir lassen sie nebst dem zur Aufgabe ihm vorgelegten Cantusfirmus hier folgen. Diese Bearbeitung enthält nur die zweite Nummer der drei oben genannten, in denen die Aufgabe bestand: die Disposizione di parte, eine frei nachahmende contrapunktische Führung der begleitenden Stimmen über den hier in die Baßstimme gelegten Cantusfirmus, der eben nur in seinen melodischen Fortschreitungen zu bewahren ist, in der rhythmischen Eintheilung vom Bearbeiter nach Bedürfniß modificirt werden kann. Ob zu Mozarts Zeit die Aufgabe überhaupt nur in dieser einen Bearbeitung bestand, wissen wir nicht zu sagen, ebensowenig ist uns bekannt geworden, auf welche Weise in neuester Zeit die Prüfung geschieht. Die vorstehenden Angaben beruhen auf mündlicher Mittheilung eines jetzt verstorbenen Italiäners, der selbst Philharmoniker war, und der im Anfange dieses Jahrhunderts die Prüfung nach der oben bezeichneten Weise zu bestehen gehabt hatte.
Die dem Wolfgang Amadeus Mozart von demPrinceps Acad. Philharmon. und den zwei Censoren vorgelegte Antiphona zur Ausarbeitung war folgende, aus dem Antiphonarium Romanum (Antiph. ad Magnificat. Dom. XIV. post Pentecost. et in Festo Cajetani):
[662] Bei dieser Bearbeitung Mozarts, die den Cantusfirmus von den Worten Regnum Dei in der Baßstimme aufnimmt (das Vorhergehende desselben wird als Introitus psalmodirt), finden sich in dieser Stimme mehrere Abweichungen von der gegebenen Melodie des Antiphonars; sie müssen wohl als Licenzen betrachtet werden, die Mozart sich zu geschmeidigerer Harmonieführung erlaubt hat. Da sie von den Censoren nicht gerügt worden sind, so scheint es daß solche Freiheiten in Bezug auf den Cantusfirmus in der Mitte und am Ende des Satzes gestattet oder nachgesehen wurden; es würde, wenn es strenge Forderung gewesen wäre, Mozart sicher nicht schwer geworden sein die Melodie auch buchstäblich beizubehalten zu eben so richtiger Ausführung des contrapunktischen Satzes.
Buchempfehlung
Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«
270 Seiten, 9.60 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro