[80] Dreyzehntes Schreiben.

Nachrichten von Stutgard, Ludwigsburg und Tübingen.

Mein Herr!


Stutgard liegtin einer angenehmen Gegend, in welcher man fast nichts als Gärten oder Weinberge findet, und ist höchst zu bedauern, daß man die Unkosten, so in Ludwigsburg gestecket worden, nicht hier angewendet hat, um gegen Berge und Canstädt hinaus ein fürstliches Gebäude anzulegen, als wozu die Lage vortrefflich gewesen wäre. Rand rechts: Lage von Stutgard. Anitzo aber wird für die schönen herrschaftlichen Palläste in Stutgard wenig Sorge getragen, und empfindet dieses insbesondere schon das Lusthaus, worinnen ehemals die Redouten gehalten wurden. Rand rechts: Herrschaftliche Gebäude. Rand rechts: Redoutensaal. Dieses Gebäude verdienet wegen seines Saals, der wenige seines gleichen in Europa hat, gesehen zu werden. Er ist zweyhundert und zwanzig Fuß lang, achtzig breitund neunzig Fuß hoch, ohne daß seine gewölbte Decke (so mit sonderbarer Kunst durch hölzerne Schrauben befestiget ist) auf einer Seule ruhe. Als im Jahre 1707 der französische Marschall von Villars, dieses Werk besah, sagte er aus Unwissenheit und mit Verwunderung: Voicy un beau temple. In der Höhe sind etliche biblische Historien gemalt, an den Seiten aber alle Forsten des Herzogthums Würtemberg mit etlichen Lächerlichen Begebenheiten, so sich auf den Jagden zugetragen haben.

Nahe hiebey liegt die Orangerie, welche zwar aus sehr dicken und hohen Bäumen besteht, aber nicht wohl gezogen ist, weil man das Dach, so alle Frühjahre nebst den Wänden weggenommen wird, nicht genug erhöhet hatte, und daher viele Bäume sich oben haben beugen müssen. Rand rechts: Orangerie. Die dabey angelegten Grotten werden wenig gebessert.

Der sogenannte neue Bau ist von schönen Quadersteinen aufgeführet, hat eine treffliche steinerne Treppe und einen großen Saal, dessen obere Galerie auf zwölf hohen Seulen ruhet. Rand rechts: Das neue Gebäude. An diesen sind die zwölf Monate in Gemälden vorgestellet, an der Decke die ältesten Begebenheiten des würtembergischen Hauses, und an den Seiten vielerley Maskeraden und Einzüge. An der Wand hängen Kürasse von fürstlichen Personen, und ein großes Gemäld von der Schlacht bey Höchstädt. Rand rechts: Rüstkammer. Die obersten Zimmer dienen zur Rüstkammer, und sieht man darinnen außer dem alten und neuen Gewehre und Turnierrüstungen, auch einige ausgestopfte Pferde, die den Herzogen ehemals vor andern lieb gewesen, besondere Hirsche, Schweine und Hunde; unter welchen letzten ein Jagdhund, welcher die andern zu führen pflegte, dem itzigen Herzoge eilf hundert Gulden gekostet haben soll.

In der Kunstkammer zeigt man viele Portraite der herzoglichen Familie, versteinerte Sachen, mechanische und mathematische Erfindungen, besondere Handschriften, Meisterstücke der Drechslerkunst, kostbare Steine und Gefäße, Mumien, alte Münzen etc. und unter andern das Portrait einer Weibesperson mit einem großen Barte1, wie sie solchen[81] 1587 im 25sten Jahre ihres Alters gehabt hat. Rand rechts: Kunstkammer. Rand rechts: Weibsperson mit einem Barte. Sie hieß Barteld Grätje, und ist allhier noch einmal geschildert, wie sie in ihrem Alter ausgesehen. Auf dem Vorplatze dieses Gebäudes sind viele alte Monumente und Inscriptionen gesammlet, von welchen ich mir vorbehalte, einen besondern Bericht mit der Zeit abzustatten. Rand links: Inscriptiones antiquæ. Es ist dabey nur auszusetzen, daß man diesen alten Dingen einen sonderlichen Zierrath dadurch zu geben geglaubt, daß man sie theils schön weiß angestrichen, und theils mit neuen Inscriptionen vermehrt oder verbessert hat, welches mit der Zeit ihrer Autorität keinen geringen Abbruch thun könnte2.

In dem herzoglichen Schlosse ist itzt wenig zu sehen; die Haupttreppe nimmt ohne Stufen allmählich in der Höhe zu, also daß man mit Pferden auf und ab reiten kann.

Ludwigsburg liegt zwo Stunden von Stutgard, und war ehemals nur ein Viehhaus, an welches vermuthlich der Herzog anfänglich nicht so viel zu verwenden gedachte, als mit der Zeit geschehen, da die Gewalt der Landhofmeisterinn von Grävenitz zunahm, und des Herzogs Gemüth nach und nach immer mehr von Stutgard, woselbst sich seine Gemahlinn aufhielt, abgewendet wurde. Rand links: Gelegenheit zum ludwigsburger Schloßbau. Ob es anitzo eine Residenzstadt oder Landschloß des Herzogs sey und bleiben werde, getraue ich mir noch nicht zu entscheiden; und kann man vielleicht davon sagen, was man ehemals vom Pabste urtheilte: Nec Deus es, nec homo, sed neuter inter utrumque Der kaiserliche Minister, welcher vor zwey Jahren einige Unterhandlung allhier zu Stande zu bringen hatte, machte es etwas plump und einfältig, als er auf Befragen, was er von Ludwigsburg halte, über der Tafel von seinem Landsmanne, dem Claus Narrn erzählte, daß solchem zu Ehren das Dorf, worinnen ergebohren war, von dem Landsherrn zu einer Stadt gemacht worden sey. Als nun bey dem desfalls angestellten Freudenfeste jedermann sich lustig bezeiget, habe Claus allein den Kopf hängen lassen, und endlich, als man inständig nach der Ursache seiner Traurigkeit gefraget, zur Antwort gegeben: es verdrieße ihn, daß, an statt man bisher gesagt, dieß sey ein schöner Flecken, man inskünftige sprechen würde, es sey ein dreckiges Städtchen.

Zu leugnen ist nicht, daß das Schloß eines von den schönsten Gebäuden Deutschlandes sey: und stehen viele in den Gedanken, daß es anitzt nur gar zu weitläuftig gerathen, und durch das neue große Hauptgebäude mit der Aussicht nach dem Garten auch vieles von seiner ehemaligen Schönheit verlohren habe. Rand links: Fehler daran. Wegen der beständigen Zufuhre von Steinen, Holze, Kalke etc. hat noch auf kein Pflaster gedacht werden können, und daher hat man entweder von vielem Staube große Beschwerlichkeit auszustehen, oder man kann bey Regenwetter durch den leimigen Koth kaum mit Stiefeln kommen. Dieser Umstände ungeachtet, sind doch schon die meisten Collegia hieher verlegt, mit großem Nachtheile derjenigen Bedienten, die eigene Häuser in Stutgard besitzen. In Ludwigsburg ist sehr kostbar zu hauen; Steine, Kalk und Holz sind theuer, und ein mittelmäßiger Wagen voll Sand muß mit einem Thaler bezahlet werden. Mit dem Wasser wollte es sich anfänglich nicht recht[82] schicken, anitzt aber hat man damit sowohl zum Kochen und Trinken, als auch zur Lederfabrik Rath geschafft; mit der Färberey will es sich noch nicht zwingen lassen. Die Feuerung ist so kostbar, daß da bey hartem Winter der Mangel gehöriger Ordnung dazu gekommen, es geschehen, daß man das Holz so gar aus den Ofen wieder heraus gestohlen hat.

Das Schloß ist ganz neu meublirt, und insbesondere darinnen zu sehen das Spiegel- und lackirte Kabinet; die große Treppe für Gesandte, welche mit schönen Plafonds gezieret ist, nebst der Galerie von Gemälden, unter welchen etliche Nachtstücke wohl gerathen sind. Die Gemälde von schönen Hunden und Pferden etc. sind hier in Menge anzutreffen, nebst der Abbildung eines schwarzen Wolfes, der lange am Hofe unterhalten worden. Er hieß Melak, begleitete den Herzog allenthalben, und schlief auch vor seinem Bette. Rand rechts: Wolf Melak. Einsmals war er mit bey der Armee überm Rheine; als sich aber der Feldzug in den späten und kalten Herbst verzog, mochte ihm die Zeit zu lang währen, und fand man ihn unvermuthet zu Ludwigsburg vor des Herzogs Zimmer wieder, ohne daß man weis, wo er über den Rhein gekommen. Von Frankfurt nahm er auf gleiche Weise seinen heimlichen Abschied, als ihm bey der kaiserlichen Krönung im Jahre 1711 vielleicht zu viel geschossen wurde. Er war indessen bey aller seiner Treue für den Herzog, dennoch falsch gegen andere, und riß dem Oberstlieutenant von Forstner einsmals ein Stück aus dem Backen, da man sich solches am wenigsten versah.

Die Schloßkapelle ist sehr artig, aber etwas zu klein, und hat diesen Hauptfehler, daß bey der Sacristey eine Menge Cloaken zusammen geleitet sind. Rand rechts: Schloßkapelle. Man sollte fast glauben, es sey solches von den römischkatholischen Baumeistern, darunter Fxisoni der vornehmste ist, mit Fleiß geschehen; und sind diese Italiener übrigens diejenigen, welche bey solchem anhaltenden kostbaren Baue am wenigsten Schaden leiden. Dem untern Theile des Schlosses gegen über auf einem Hügel in dem Fasanengarten liegt die Favorite, ein schönes und nach der neuesten italienischen Manier angelegtes Gebäude, aus welchem man, wenn die Thüren geöffnet waren, durch das ludwigsburger Schloß in den Lustgarten sehen konnte, welches aber nun auch durch das neueCorps de Logis verhindert wird. Rand rechts: Favorite. Hiebey befindet sich eine artige Menagerie von ausländischem Federviehe.

Des Herzogs Kammermusik ist so wohl eingerichtet, als sie irgend an einem Hofe seyn kann. Rand rechts: Kammermusik. Der Erbprinz selbst componiret, und ist ein großer Liebhaber der Musik.

Die ludwigsburger Orangerie ist eine von den schönsten, die ich jemals, auch selbst in Italien gesehen habe. Rand rechts: Orangerie. Sie besteht aus etlichen hundert geraden Stämmen, welche der Herzog vor drey Jahren aus Sardinien hat kommen lassen. Viele darunter sind untenher so dick; als ein starker Mann, und beschneidet man sie itzt noch sehr, um erst eine starke Krone zu ziehen, da sie sonst schon im ersten Jahre, als sie in dieses Land gekommen waren, Schusse von sieben bis acht Fuß getrieben hatten.[83]

Der Herzog wendet auch vieles Geld auf Stutereyen und Pferde, von welchen er ein großer Liebhaber und Kenner ist. Rand links: Marställe. Es sind itzt drey Gespanne, jedes von acht Pferden, vorhanden, welche von einem einzigen Kutscher3 und ohne Vorreuter also regieret werden, daß sie vor dem Wagen allerley Künste der Reitschule machen. Der Herzog selbst hat etlichemal auf diese Art als Kutscher gefahren. Zum Lobe dieses Herrn muß man noch sagen, daß das starke Trinken an seinem Hofe nicht mehr, wie ehemals, im Schwange gehe. Rand links: Trinken bey Hofe. Wer indessen Luft und Vergnügen hat, daß ihm mit einem Rausche nach alter Gewohnheit eine Ehre angethan werde, findet hier allezeit Leute, die bereit sind, ihn zu bedienen: nur muß er nicht von der Stärke des bischöflichwürzburgischen geheimen Raths und Ministers Hrn. v. K. seyn, welcher sich in seines Herrn Geschäfften seit etlichen Tagen hier aufhält, und in einem Tage zehn würtembergische Maaß Burgunderwein ausgetrunken hat, ohne daß man es ihm viel anmerkte, oder an seinem gewöhnlichen Umgange und Manieren etwas abgieng. Die Hofcavaliere löseten einander treulich ab; es schien aber doch, daß wenig gegen ihn auszurichten wäre: und versichert man, daß er in diesem Stücke noch fünf seines gleichen am besagten bischöflichen Hofe habe, welche alle, so zu sagen, auf zehn Maaß geeichet sind.

Das Schloß Hohentübingen wird anitzo nur als ein Jagdschloß angesehen, auf welches der Herzog gemeiniglich alle fünf Jahre einmal mit seinem Hofe zu kommen pfleget. Rand links: Schloß Hohentübingen. Die nächst an dem Berge gelegene Stadt Tübingen besteht ohngefähr aus fünf tausend Seelen, und ist wegen ihrer Universität berühmt. Das Ammer-Necker- und Lustenauer-Thal geben diesem Orte eine so angenehme Lage und schöne Aussichten, als wenige Orte in Deutschland haben. Das Schloß hat gute Zimmer; und muß in alten Zeiten für sehr fest gehalten worden seyn, weil es außer dem steilen Berge noch mit einem tiefen Graben umgeben ist. Rand links: Gewölber. Es ist ganz unterwölbet, undhat unter andern einen unvergleichlichen Keller in Felsen und von Quaderstücken, der dreyhundert Fuß lang, und über zwanzig hoch ist. Die Dicke des Gewölbes ist von zwey und zwanzig Fuß, und liegt an dem einen Ende ein lediges Weinfaß4, so im Jahre 1548 gemacht, vier und zwanzig Fuß lang und sechszehn hoch ist. Rand links: Großes Faß. Aus gedachtem Gewölbe geht man in ein anderes, worinnen ein ausgemauerter großer Brunnen schönes klares Wasser, und eine Tiefe von drey hundert Klaftern hat, also, daß das Wasser niemals benommen werden kann. Rand links: Tiefer Brunnen. Man muß sich verwundern über den Lärmen und das Getön, welches entsteht, wenn man einen Stein hinein wirft, oder ein Pistol über dem Loche löset. Dieses Schloß ist noch von den alten Grafen von Tübingen erbauet, zur Zeit, da ein Arbeitsmann nur einen Kreuzer (deren sechzig einen Gulden ausmachen) Taglohn bekam. Rand links: Wohlfeile der alten Zeiten. In Holland werden dritthalbe Groot oder zehn Deute noch heut zu Tage ein Braspennig genannt, weil man dafür ehemals herrlich und in Freuden leben konnte. Man liest mit Verwunderung in den alten Nachrichten, wie bisweilen ein[84] fürstliches Beylager, das acht Tage gewähret, und bey welchem eine Menge Standespersonen mit weitläuftigem Gefolge erschienen waren, kaum dreyßig bis vierzig Thaler gekostet habe. Ein herzoglicher – – – Rentschreiber meldet in der noch ungedruckten Chronike seines Landes: Heute dato ist unser Herzog mit allen seinen Junkern in das Weinhaus gegangen, haben da banquetiret, und habe ich dafür acht Thaler ausgezahlt, dat het schlampampen. In Pommern hat man währenden letzten Krieges von einer Morge Landes eilf Thaler Contribution geben müssen; ein altes Document aber meldet, daß ein Herzog von Pommern, als er in Krieg verwickelt gewesen, von einer Morge Landes drey Sößling oder fünftehalb Pfenninge verlanget, welches ihm die Landstände abschlugen, daher er dazu schriebe: Das sey Gott geklaget. Damals hatte ein Prinz von Würtemberg neunzig Gulden apanage und zehn Gulden zu einem Ehrenkleide. Die herzoglichwürtembergischen geheimen Räthe haben nach dem Formular der alten Bestallungsbriefe noch heut zu Tage unter ihrer übrigen Besoldung zehn Gulden zu einem Ehrenkleide, und die Vögte oder Amtleute im Lande sechs Gulden zu eben solcher Ausgabe. Wie noch vor zwey hundert und etlichen Jahren ein Prinz aus einem alten herzoglichen Hause zu seiner Reise ausstaffiret worden, sieht man aus seines Herrn Vaters Schreiben an den Churfürsten – – dem er den Sohn zusandte, wie solches noch in dem Archive zu – – – befindlich, und unter andern folgenden Inhalts abgefasset ist: Nachdem auch unser Sohn – – – groß und bengelhaft5 wird, so finden wir nöthig ihn in die Fremde zu schicken, und vornehmlich an Ew. Liebden Hof, damit er daselbst mores lerne. Wir haben ihn also mit einem reisigen Knecht wohl versehen etc6.

Wie sich aber der Werth des Geldes geändert, so sind auch die Titel gestiegen. Rand rechts: Steigen der Titel. In den Lehenbriefen vom vierzehnten Jahrhunderte, heißt es noch der erbare oder achtbare Förste, hernach hießen die Fürsten Wohlgebohrne, und in emem guten Theile vom funfzehnten Jahrhunderte, die Grafen nur Edle; die von Adel tüchtige, und hernach veste oder gestrenge. Im Jahre 1350 gaben die Städte Lübeck, Hamburg und Lüneburg dem mecklenburgischen Herzoge Albert den Titel: Vestra Magnificentia, wie aus HermanniCORNERIChron. Lubeccens-erhellet. Die Kaiserselbst führten lange Zeit den Titel von Gnaden. und die Prinzeßinnen waren Fräulen, und die Fräulen Jungfern, und die Jungfern Dirnen. Meines Erachtens ist durch solche Veränderungen die Welt weder besser noch schlimmer geworden: und wenn man vor zwey hundert Jahren mit einem Thaler zehnmal weiter hat reichen können als itziger Zeit; so muß man auch gestehen, daß die Einnahme der Leute von allerley Stande damals zehn und mehrmal geringer war.


Stutgard, den 10 Aug.

1739.

Fußnoten

1 Den widersprechendscheinenden Begriff eines bärtigen Frauenzimmers muß man mit dem Irrthum der Natur entschuldigen, welcher sich gemeiniglich auf den Ueberfluß der Feuchtigkeiten und auf den Mangel der monatlichen Reinigungen gründet. In diesem Falle ist es möglich, daß die bärtigen Damen einer dauerhaften Gesundheit genießen können. Zum Beyspiele kann Margaretha, die ehemalige Regentinn der Niederlande dienen. Ihr starker Bart war eine ungewöhnliche Zierde des starken Körpers. Im Jahre 1726 ergötzte eine bärtige Seiltänzerinn auf dem Carneval zu Venedig die Augen der Zuschauer. Und was ist bekannter als das Beyspiel einer Amazoninn, welche den Feldzügen des schwedischen Königs Karls des zwölften, unter der Gestalt eines Grenadiers beygewohnt, und mehr als männliche Proben der Tapferkeit abgeleget, endlich aberinder Schlacht bey Pultava im Jahre 1709 gefangen worden. Sie wurde im Jahre 1724 aus Siberien nach Petersburg gebracht, und mit ihrem anderthalb Ellen langen Barte dem rußischen Monarchen vorgestellet. Die Elisabeth Knechtinn, eine schweizerische Bauerfrau, hat Ernst Ludwig, Herzog zu Sachsen-Meinungen, nebst ihrem ehrwürdigen Barte abschildern lassen, davon der Abriß in den breßlauer Sammlungen B. 29, S. 73 befindlich ist. Und wozu sind mehr Beyspiele nöthig? da schon Hippokrates des Weiberbartes Erwähnung thut de morb. vulgar. l. VI, sect. 7: Abderis Phaëtusa Pythei coniux antea per juventam foecunda erat, viro autem ejus diu exulante menses defecerunt, ex quo postea dolores et rubores ad articulosexorti sunt. Quæ ubi contigerunt, tumcorpus virile et in universum hirsutum est redditum, barbaque est enata, et vox adspera reddita.


2 Nichts ist unartiger, als die übersichtige Klugheit gelehrter Witzlinge, welche die Ueberreste des ersten Weltalters durch Johann Balhorn verbessern, und dem Alterthume das Alterthum rauben wollen. Wie vielen Denkmaalen ist nicht eine neue Gestalt gegeben? Die alte Schrift ist weggehobelt und die itzt gebräuchliche anderen Statt gesetzet. In dieser jungen Gestalt erscheint Wittekinds Grabmaal zu Engern in Westphalen. Die seichten Begriffe eines allzuklugen Gelehrten haben diese Veränderung zur Wirklichkeit gebracht, damit nämlich jedermann die Grabschrift lesen könnte. O medici! medici! mediam pertundite venam.


3 Eine noch größere Seltenheit zeigte der mehr als königlich prachtige Hofstaat des grossen Augusts in Polen. Man sah im Anfange dieses Jahrhunderts in Dresden sechs weiße abgerichtete Hirsche einen leichten Wagen ziehen, welche ebenfalls von einem einzigen Kutscher regieret wurden.


4 Deutschland hat im Anfange dieses Jahrhunderts drey ledige Weinfässer gezählet, deren Erbauung unserm Vaterlande bey den Ausländern eben nicht viel Ehre machet. Das erste zu Tübingen, das andre zu Heidelberg, und das dritte zu Grüningen bey Halberstadt. Die Größe derselben ist wenig voneinander unterschieden. Des tübingischen Fasses Länge – 24 Fuß, Höhe – 16 Fuß, des heidelbergischen Länge – – 31 Fuß, Höhe – 21 Fuß, des grüningischen Länge – – 30 Fuß Höhe – 18 Fuß. Diese drey ungeheuren Maschinen waren schon zureichend, unsre ausgearteten Deutschen bey den Ausländern verdächtig zu machen. Man hat aber im Jahre 1725 die vierte zu Königstein, welche die vorhergehenden an Größe übertrifft, zu allem Ueberflusse undzur Schändung der deutschen Ehre hinzugethan.


5 Dieses Wort wird noch in etlichen Provinzen von Niedersachsen in keinem schimpflichen Verstande genommen, und sagt das gemeine Volk von einem jungen anwachsenden Menschen, es sey ein halbwassen Bengel.


6 Die Zeiten des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts konnten den Namen der wohlfeilen Zeiten mit Recht führen. Im sechszehnten Jahrhunderte wurden schon hundert Thaler erfodert, wenn ein Prinz auf einer fremden Schule unterhalten werden sollte. Philippus Magnanimus, Landgraf zu Hessen, wollte einige von seinen Prinzen, die ihm seine erste Gemahlin, die sächsische Prinzeßinn Christina gebohren hatte, einem straßburgischen Lehrer, dem Johann Sturm, zur besondern Aufsicht anvertrauen. Laßt uns seine eigne Worte hören: und wollen wir ihm jährlich auf eine jede Person so viel wir deren schicken werden, ein hundert Thaler für die zwo Mahlzeiten, Suppen, Unterzehr, Schlaftrunk, Leuchtenung und anders erlegen. Man lese die Sammlung verschiedener Nachrichten aus allen Theilen historischer Wissenschaften des zweyten Bandes I. Stück N. 9.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 85.
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