[8] Drittes Schreiben.

Vom Schwarzwalde, den Waldstädten, und dem nicht ferne vom Ursprunge der Donau gelegenen Theile des Schwabenlandes.

Es gereuet mich nicht, daß ich von hier einige Reisen in das benachbarte Schwaben gethan, welches insonderheit damit pranget, daß es dem berühmten Donaustrome seinen Ursprung giebt. Rand rechts: Ursprung u. Lob der Donau. Wenige Flüsse können mit diesem in Vergleichung gesetzet werden, wenn man in Erwägung zieht, daß er vier hundert Meilen lang fließt, bey funfzig große Städte berühret, und über zwölf Hauptströme, nebst mehrdenn achtzig kleinern Flüssen, zu sich nimmt. Rand rechts: Ob sie dem Nil vorzuziehen? Diese Vorzüge hat der Nil nicht, welchem jedoch jener Türk mit einem artigen Gedanken den Rang zuerkannte, weil der Nil nicht so vieles Menschenblut in sich gesoffen habe, als die Donau. Diese entspringt bey Don-Eschingen im Fürstenbergischen, und wird gar bald durch die Vereinigung mit etlichen starken Bächen zueinem großen Wasser. Ich kann nicht umhin, als eine geographische Seltenheit anzuführen, was ich beyder Kapelle bemerket, die der kaiserliche Rittmeister Conier, bey Burlatingen, einem fürstl. hohenzollerischen Land- und Jagdhause, auf einem schmalen Berge solchergestalt hat anlegen und bauen lassen, daß die Traufe der einen Dachseite vermittelst der Lauchart in die Donau, und die Traufe der andern Seite durch die Starzel und den Neckar in den Rhein fließt. Rand rechts: Merkwürdige Lage einer Kapelle. Zur Ueberschrift dieser Kapelle hat der Stifter derselben die aus einem Psalme entlehnten Worte gebrauchet:


Sit nomen Domini laudabile ab Oriente ad Occidentem.


Die Lage des itztgedachten Berges erinnert mich an die Worte CLAVDIANI. in bello Getico:


– – – Sublimis in Arcton

Prominet Hercyniae confinis Rhaetia sylvae,

Quae se Danubii jactat Rhenique parentem,

Utraque Romuleo praetendens flumina regno.


Die fürstenbergischen Länder sind zwar sehr zerstreuet, in der That aber wichtiger, als die hohenzollerischen, welche in allen etwan sechszig tausend Gulden jährlich abwerfen, wovon die sigmaringische Linie achtzehn bis zwanzig tausend Gulden zieht. Rand rechts: Fürstenbergische Länder. Die Einkünfte der hechingischen Länder, welche den vornehmsten Antheil ausmachen, waren vor etlichen Jahren an den Erbprinzen selbst für zwey und dreyßig tausend Gulden verpachtet. Rand rechts: Hohenzollerische Länder. Es hat aber der itzt regierende Fürst zu Hohenzollern-Hechingen einen guten Zufluß von seinem kaiserlichen Regimente, wie auch jährlich sechs tausend Gulden für das Recht der Besatzung in der Festung Hohenzollern, welches er an den Kaiser überlassen hat. Den eigentlichen Zusammenhang dieser Sache werde ich Ihnen einandermal eröffnen. Das hechingische Gebieth ist allodial, und ob es wohl die Reichssteuern giebt, so ist jedoch der Blutbann daseinzige, so vom Reiche zu Lehen genommen wird.

Der Fürst von Fürstenberg, ein Herr von großer Klugheit und Verdiensten, hat die reiche Erbinn des gräflichen Hauses von Wallenstein geheirathet: wodurch er in den Stand[9] gesetzt worden, seine itzigen Einkünfte nicht nur theils zu sparen, und theils auf schöne und andere zum Vortheile seiner Unterthanen gereichende Gebäude zu verwenden, sondern auch nach des Schwiegervaters Tode jährlich mit achtzig tausend Gulden zu vermehren. Rand rechts: Umstände der fürstenbergischen Die Frau Mutter des Fürsten von Fürstenberg, eine gebohrne Gräfinn von Königseck: hatte anfänglich andere Anschläge wegen der Vermählung ihres Sohnes; allein ihr Geheimniß wurde von einer Fürstinn, an welche sie solches vertrauet hatte, wider die Pflichten der Freundschaft zur Vermählung ihres eigenen Prinzen gebrauchet, und darüber eine Prinzeßinn, mit deren Heirath fast alles richtig war, nicht ohne Verdruß und Zwiespalt, unter dem Vorwande, daß ihr Herr Vater seiner Tochter nicht hundert tausend Thaler baares Geld zur Aussteuer zahlen könne, hindan gesetzet. Rand links: und einer andern Vermählung. Beyde durch solche Aufführung beleidigte Parteyen, nämlich der Fürst von Fürstenberg und die Prinzeßinn fanden mit der Zeit in demjenigen, was anfänglich ihr Schade zu seyn schien, ihr Glück. Jener durch die vortheilhafte Heirath, wovon ich schon gemeldet habe, die Prinzeßinn aber durch eine wunderbare Veränderung, welche sie auf den mächtigsten Thron von Europa gesetzethat. Die andere Prinzeßinn, welche anfänglich dem fürstenbergischen Hause zugedacht war, kam zwar an der ehemaligen vertrauten Freundinn1 einzigen Sohn; allein diejenigen Umstände, die sie vordem zu einer der größesten Parteyen von Deutschland gemacht hatten, veränderten sich, indem nach vollzogener Heirath ihre Aeltern, welche vierzehn Jahre lang von einander abgesondert und in Uneinigkeit gelebet hatten, sich miteinander versöhneten, und auf solchen wiederhergestellten Frieden durch Beystand des heiligen Nepomuc, (wie vorgegeben wurde) die Geburt eines Sohnes erfolgete, der seine Schwester aus den bisher gehabten oder wenigstens gewiß vermutheten Vortheilen einer einzigen Erbinn unversehens setzte.

Die Gegenden des schwäbischen Kreises sind gar ungleich, was die Fruchtbarkeit des Erdbodens anlanget, daher es auf den Kreistagen niemals an Klagen von solchen Ständen mangelt, welche im Beytrage zu des Landes und Reiches Anlagen sich allzusehr belästiget glauben; man ist auch schon viele Jahre her mit Beylegung solcher Schwierigkeiten und Einführung mehrerer Gleichheit beschäfftiget gewesen: zu welchem Ende das ganze Land durch geschickte Feldmesser auf Unkosten der Stände aufgenommen und in eine große Karte von neun Bogen gebracht worden, welche Seutter zu Augspurg in Kupfer gestochen hat. Rand links: Schwäbische Kreistage. Allein je mehr hiedurch die Wichtigkeit und Größe der Länder, so in der römischkatholischen Stände und sonderlich in etlicher Prälaten Gewalt und Händen sind, vor Augen geleget worden, desto vermuthlicher scheint die Sache von einem glücklichen Schlusse sich mehr und mehr zu entfernen. Rand links: Grosse Landkarte. Bey dergleichen Kreisversammlungen kann es nicht fehlen, daß nicht immer noch etwas beyzulegen übrig bleiben, und nicht alle Entschlüsse oder eingebrachte Vorschläge aus dem Areopago zu kommen scheinen sollten. Denn außer den Fürsten, Bischöfen, Grafen, reichen Prälaten, Aebten und vornehmen Städten, sind noch so unvermögende Stände,[10] sonderlich unter den Reichsstädlen, daß ihre Vota und Stimmen nicht jederzeit mit geschickten und würdigen Gesandten vertreten werden, und daher viele Fehler nothwendig unterlaufen2.

Dis Schwaben müssen unschuldiger Weise viele Histörchen von sich ausbreiten lassen; sie sind über so klug, daß sie selbst solche zur Belustigung der Gesellschaften erzählen, und sich nebst andern Nationen mit gleichem Rechte oder Unrechte an den Schweizern wieder zu erholen pflegen. Rand rechts: Lob der schwäbischen Nation. Der Herr von Berga, ein Schwabe, gieng vor etlichen Jahren nach Paris, wurde römischkatholisch, und ergriff den geistlichen oderAbbé-Stand, umsichden Weg zu einträglichen beneficiis zu bahnen. Nach etlichen Jahren sprach er mit dem itzigen kaiserlichen Minister, dem Herrn Grafen von Harrach, dem er rühmete, wie er schon so weit in seinen Wissenschaften gekommen, daß er mit der Zeit anfangen müsse, andere Protestanten zu bekehren, und hätten ihm die Jesuiter vor wenigen Tagen einen Schweizer gegeben, um an selbigem seine erste Probe abzulegen.

Ueberhaupt muß ich gestehen, daß bey der schwäbischen Nation so viel guter Verstand und dabey vielleicht mehr von der alten deutschen Treue und Redlichkeit gefunden werde, als bey mancher andern3. Absonderlich sind im Würtembergischen die Bauren so klug und witzig, als in andern Ländern kaum die gemeinen Bürger: wozu meines Erachtens dieses nicht wenig beyträgt, daß sie ihre kleine Dorfgerichte selbst halten, und auf diese Weisenicht ihrem Voigteoder Amtmanne allein, auch in dengeringsten Dingen, blinden Gehorsam zu leisten haben.

Fußnoten

1 Diese Fürstinn zog auch ihr Wort, welches sie dem Fürsten Alexander von Thurn und Taxis wegen der Heirath ihrer einzigen Tochter gegeben hatte, zurück, als der Herzog von Orleans durchseinen Kanzler, Mr. d' Argenson, um solche anhalten ließ. Des durchdiese neue Verbindung erhaltenen Glückes hat die Prinzeßinn nicht lange genossen, sondern ihr Leben in der besten Blüthe ihrer Jahre geendiget.


2 Numerantur enim sententiæ non ponderantur, nec aliud in publico consilio potest fieri, in quo nihil est tam inæquale, quam æquali. tas ipsa. Nam cum sit impar prudentia, par omnium jus est. PLIN. lib. II. Ep. XII.


3 Schon in den ältesten Zeiten haben die Schwaben die Tugend der Redlichkeit als ein vorzügliches Eigenthum besessen. Sie haben dieses wahre Lob auch in den mittlern Zeiten, und selbst zu der Zeit behauptet, da Salvian und Vopiscus wider die Redlichkeit der Franken gesprudelt haben: Francis familiare est ridendo fidem frangere. Nichts ist hiebey schöner, als die Anmerkung von der Verbindung der alten deutschen Treue mit einem guten und witzigen Verstande. Müssen nicht alle römische Geschichtschreiber die Redlichkeit und unwandelbare Treue unserer ältesten Väter mit ungezwungenen Lobsprüchen be legen? und müssen nicht eben diese Feinde des deutschen Namens mit hämischem Munde bekennen: Germanos in summa feritate versutissimos fuisse? Mächten doch nicht unsre heutige ausgeartete Deutschen dasjenige trennen, was jene so glücklich verbunden haben!


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 11.
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