[11] Viertes Schreiben.

Beschreibung des Bodensees und der daran gelegenen Städte.

Mein Herr!


Ich bin von Schafhausen über Singen nach Ratolfszell oder Zell, (wie man es kürzer nennet) gegangen, habe daselbst den Wagen auf ein mittelmäßiges Schiff bringen lassen, und bis Costniz sieben Rhein. Gulden bezahlet. Rand rechts: Bodensee Man rechnet bis an letzt gemeldten Ort vier Stunden; man legt aber die Fahrt bey gutem Winde in zwoen Stunden zurück. Von Costniz bis Lindau brauchten wir fünf Stunden, da man bey üblem Winde bisweilen acht Tage nöthig hat zu Vollendung dieses Weges, welcher für sechs deutsche Meilen oder zwölf Stunden gerechnet wird. Da sich nun der Bodensee bis nach Bregenz erstrecket: so möchte[11] seine ganze Länge auf achtzehn Stunden zu schätzen seyn. Von Schafhausen bis Bregenz sind zwey und zwanzig Stunden.

Der Bodensee1. Lacus Brigantinus, oder Podamicus, theilet sich gegen Deutschland zu in zwo Beugungen, deren die eine der Zellersee, oder Venetus Lacus, der andere aber der Bodmer- oder Uberlingersee, Lacus Acronius, genennet wird. Rand links: Benennung. In diesem liegt die Insel Meinau, in jenem aber Reichenau. Man theilt auch den ganzen See von Bregenz bis Zell mit zwoen Benennungen, also, daß der Theil von Bregenz bis Costniz der obere See, der andere aber von Costniz bis Zell der untere See genennet wird. Dieser ist etwan zwanzig bis dreyßig Klafter tief, und liegen rings herum an seinen Ufern bey vierzig Städte, Flecken und Dörfer. Rand links: Tiefe. Um den Obersee zählt man derselben funfzig, und seine größte Tiefe ist, wie man sagt, von dreyhundert und funfzig Klaftern in der Gegend, wo er auch am breitesten ist, nämlich zwischen Buchhorn und Roschach, welche zween Oerter fünf Stunden von einander liegen. Rand links: Breite. Romanshorn oder Romißhorn liegt etwas näher gegen Buchhorn über, und als im 1596sten Jahre der Seezugefroren war (welches garselten geschieht), haben nach WAGNERI Bericht, zween Bürger von Costniz die Breite der See an itztgemeldten Ortengemessen, und solche von siebentausend zweyhundert und fünf und siebenzig Ruthen gefunden. Durch seine obere Theilung wird er gar schmal. Joh. Georg Schienbain oder TIBIANVS, in seiner Karte vom Bodensee, welche 1578 herausgekommen, merket bey Merspurg die Breite von zweytausend neunhundert, und die Tiefe von hundert und acht Klaftern an. Rand links: Sonderbare Fische. In der Gegend von Lindau und Bregenz, fängt man außer denen im Lande sonst gewöhnlichen Fischen auch eine Art Lachsforellen, Gangfische genannt, so mariniret, und als etwas sonderliches verschicket werden. Sie wachsen zu einer Länge von anderthalb bis zwo Ellen, und zu einem Gewichte von dreyßig bis vierzig Pfunden, da sie denn den Namen von Rheinlanken, Innlanken oder Rheinlacher bekommen. Weil die Fischer ein so großes Stück nicht allezeit auf einmal mit Vortheil los werden können, so befestigen sie ein kleines Stückchen Holz an einem Stricke, ziehen diesen bis an das Holz durch des Fisches Ohren oder hintersten Theil des Kopfes, und binden das andere Ende des Strickes an einen Pfahl, der am Ufer des Sees nahe bey ihren Fischerhäusern steht. Auf diese Art können sie ohne Gefahr dem Fische einen Platz von dreyßig bis funfzig Schritten zum Schwimmen vergönnen, und ihn so lange lebendig erhalten, bis sich eine Gesellschaft von Käufern zusammen findet, oder etwan eine Hochzeit und andere große Mahlzeit vorfällt, bey welcher man eines so großen Fisches auf einmal benöthiget ist.

Zwischen Costniz und Lindau habe ich eine unglaubliche Menge von Maykäfern sowohl einzeln als tausendweise, in dem See todt schwimmen gesehen, welche entweder vom Winde dahin getrieben worden sind, oder durch einen freywilligen verwägenen Flug ihr Grab allhier gefunden haben; denn daß das Wasser einigermaßen das von der Natur ihnen zur[12] Winterwohnung bestimmte Element sey, worinnen sie halb todt bis in den Frühling des künftigen Jahres gleichsam schlafen, kann nicht wohl behauptet werden; ob man gleich dergleichen Exempelan den Schwalben hat2, die zur Winterszeit oftmals als todt in den Fischernetzen aus großen Seen gezogen werden, und in warmen Stuben wieder aufleben. Rand links: Maykäfer. Die Käfer verkriechen sich jährlich nach ihrer Flugzeit in die Erde, woraus sie im Frühlinge und Herbste öfters häufig beym Ackern hervorgebracht werden. Rand rechts: Ihr Aufenthalt zur Winterszeit. Die Erde ist eigentlich auch ihr Vaterland, in welcher sie zwey Jahre lang als weiße dicke Würme, so einen dunkelrothen Kopf haben, leben. Rand rechts: Ihre Erzeugung. Diese werden im Sachsen-Lauenburgischen und Meklenburgischen Krabben, oder Ackerkrabben, im Holsteinischen aber Engern genennt, thun dem Getraide Schaden, und fressen sonderlich die Wurzeln des Grases dergestalt ab, daß solches hernach vom Viehe gleich aus der Erde gezogen, und mithin der Acker entblößet wird. In dem Herzogthume Holstein sind sie eine große Plage; und wird daher dergleichen Schade nicht selten bey Pachtung der Holländereyen oder milchenden Kühe, von den Pächtern mit deutlichen Clausuln frey gedungen. Die Krähen suchen gedachte Würme auf den Feldern, wo gepflüget wird, sowohl zu ihrer eigenen Nahrung, als zur Fütterung ihrer Jungen. Die Schweine fressen sie auch gern; ihr Speck aber wird dadurch nicht gut vom Geschmacke, hält sich auch nicht lange. Nachdem die Würme sich zwey Jahre in der Erde aufgehalten, werfen sie den hintern Theil ihres Leibes ab, verwandeln sich in Käfer und fliegen davon. Fast dergleichen Ursprung haben die Schröder, Feuerwürme oder cerfs volants, welche man vorher als Würme in faulem Eichenholze findet.

Von Zell fährt man in Zeit von einer halben Stunde nach der Insel Reichenau, welche mitten im untern See ist, und wegen ihrer Fruchtbarkeit und Reichthums der darauf erbaueten Abtey, den Namen Reiche Au, oder Augia dives, mit der That führet; wie denn ihr Abt ehemals auf fünfhundert adeliche Lehnleute, und mehr als sechszigtausend Gulden jährliche Einkünste rechnen konnte. Rand rechts: Kloster Reichenau. Seit dem 1540 Jahre, da sich der Bischof zu Costniz beym Pabste beschwerete, wie ihm die überhandnehmende Lehre Lutheri vielen Abbruch an seinem Einkommen gethan, wurde die fette Abtey sowohl als die von Oenigen mit dem Bißthume Costniz vereiniget. Der letzte freye Abt war Marcus von Knöringen. Die Schweizer, als souveraine Herren von Thurgau, regten sich zwar dawider; allein die Sache wurde 1555 durch einen Vergleich beygelegt, und versprachen der Bischof und das Capitel schriftlich, daß solche Vereinigung denen Schutz- und oberherrlichen Rechten, wel che den Schweizern zustehen, niemals zum Nachtheile gereichen, auch keine Befestigungswerke auf der Insel angelegt werden sollten. Sie ist etwan eine Stunde lang, anderthalb Stunden breit, und zu unterscheiden von Augia minore, welche nicht die im Bodmersee gelegene Insel Meinau ist, wie etliche schreiben, sondern das Kloster und Abtey Weißenau, so nächst bey Ravenspurg liegt.[13]

Das Kloster zu Reichenau ist wohl gebauet, und insonderheit daselbst der große Smaragd, welchen Karl der Große dahin verehret hat, merkwürdig. Rand links: Großer Smaragd. Es kostet anitzo einige Mühe, ihn zu sehen, nachdem das Kloster vor vier Jahren bestohlen worden, und der Pater Prior, zu mehrerer Sicherheit dieses Schatzes, selbst wenigen Ordensbrüdern wissen läßt, wo er verwahret liegt. Man hielt meine Gesellschaft lange auf, bis man diesen Stein in des Priors Kammer gebracht, allwo er uns gezeigt wurde. Der Prior versicherte, daß er erst in der Nacht von ihm allein an seinen Ort zurück gebracht würde, und wechsele man auch mit diesem Platze um, damit desto weniger jemand dahinter kommenmöge. Er ist in einen rothen hölzernen Rahm eingefasset, größer als ein gewöhnlicher Foliant, wiegt acht und zwanzig und drey Vierthel Pfunde, undsollenvon Juwelireru für jedes Pfund funfzig tausend Gulden gebothen worden seyn. Seine Dicke ist von zween Zollen und die Figur folgende:


4. Schreiben

Wo der Stein am längsten ist, nämlich in der Diagonallinie c-b, trägter viertehalb Mannsspannen aus, a bis c ist anderthalb Spanne. Von a bis d ist ein Sprung oder Ritze: auch sind etliche Anfangsbuchstaben von Namen auf den Stein gekritzelt, welches man heut zu Tage billig nicht mehr leidet.

In der Kirche dieser Abtey ist der anfänglich so mächtige, hernach aber in großer Armuth von jedermann verlassene und im Jahre 888 zu Neidingenan der Donau verstorbene, oder von den Seinen hingerichtete Kaiser Carolus Crassus begraben. Rand links: Grab des Kaisers Caroli Crassi. Im sechszehnten Jahrhunderte wurde sein Grab erneuert und folgende Schrift darauf gesetzet:


Carolus Crassus, Rex Sueviæ, Pronepos Caroli Magni, Italiam potenter intravit eamque devicit, Imperiumque Romanum, ubi Cæsar coronatus, obtinuit; ac mortuo fratre Ludovico, universam Germaniam & Galliam jure hæreditario acquisivit Demum animo, mente & corpore deficiens, ab Imperio, sane magnocum fortunæ ludibrio, dejectus, a suis omnibus postpositus, humilihoc inloco sepultusjacet. Obiit An. Dom. DCCCLXXXVIII. Idib. Jan.


Man hat diesen Grabstein jetzt weggenommen. Das Grab selbst wird wegen der neuen Sacristey verlegt, und muß die Zeit lehren, ob man ihm ein besseres Andenken gönnen werde.[14]

Die Mönche zeigen hier ferner auf dem Altare einen von den Wasserkrügen, so auf der Hochzeit zu Ema in Galiläa gebrauchet worden. Rand rechts: Wasserkrug von Cana. Man sieht dergleichen zween zu Bamberg im Dome, einen zu Hildesheim; desgleichen zu Denys, Anjou, Quedlinburg und an mehr als zwanzig andern Orten. Sechse bis achte davon habe ich selbst betrachtet, und keinen von gleicher Größe, Farbe und Gestalt mit den andern gefunden. Diejenigen, so gar klein und mit einem engen Halse versehen sind, machen sich dadurch selbst schon verdächtig genug, weil sie zu den gewöhnlichen Reinigungen der Juden, welche ihre Aerme bis an den Ellnbogen ins Wasser steckten, unmöglich hätten dienen können.

Im Klostergangeist ein Edelmann abgemalt, der im Jahre 1675, im siebenzigsten Jahre L seines Alters gestorben ist, und einen Bart bis auf die Knieegetragen hat. Rand rechts: Lange Bärte. Der Namen desselben ist durch Wind und Regen unleserlich worden. Ich er innere michaber hiebeydes niederländischen Malers Joh. Mayo oder Mermeyen, welcher einen so langen Bart hatte, daß er, ohne sich zu bücken, auf selbigen treten konnte, und wurde er aus dieser Ursache insgemein Johannes Barbatus genennet. Er folgte Karln dem fünften in allen seinen Kriegszügen, und die Tapeten, welche im Escurial dieses Kaisers vornehmste Heldenthaten vorstellen, sind nach den Zeichnungen dieses Meisters verfertiget.

Costniz, so imganzen umliegenden Lande Coschtanz ausgesprochen wird, ist eine mittelmäßige Stadt, die auf der Seite gegen Lindau ein gutes Ansehen hat. Rand rechts: Costniz. Man rechnet in ihr fünf hundert und funfzig Bürger, zu Lindau aber zwischen sechs bis sieben hundert. In der Domkirche ruhet die Kanzel auf der Statue des allhier zum Feuer verdammten Johann Hußen3: Rand rechts: Johann Huß Verbrennung. und man hat geglaubt, seinem Andenken eine Schmach anzuthun, wenn man seine Statue zum Pfeiler der Kanzel brauchte, da man jedoch solches viel eher zu seinem Ruhme auslegen könnte. Gleiche Bewandniß hat es mit dem Aberglauben des hiesigen gemeinen Mannes, welcher vorgiebt, der Ort, wo Huß verbrannt worden, sey so verflucht. daß daselbst niemals mehr Gras wachse. Unser römischkatholischer Führer, ein ehrbarer Bürger aus der Stadt, war von dieser Meynung dergestalt eingenommen, daß er solches behauptete, indem wir wirklich auf diesem zu itziger Jahreszeit gar schönen und grünen Orte, so wegen seiner Annehmlichkeit das Paradies genennet wird, herum giengen, und durch den Gebrauch der Sinnen ihn leicht hätten widerlegen können, wenn wir für rathsam gefunden hätten, uns mit ihm in einen Wortstreit einzulassen. Wer weis auch, ob er den Ausspruch der Sinnen hier hätte zugelassen, welchen seine Glaubensgenossen in einem andern wichtigern Streitpuncte gegen die Protestanten gänzlich verwerfen. An dem Franciscanerkloster steht der Thurm, woselbst Joh. Huß gefangen gelegen, und zwar in einem hölzern. Gehäuse oder Verschlage, welchen man auf- und niederlassen konnte. Christian Junker Rand rechts: Darauf geprägte Medaille. führt, in seinem goldenen und silbernen Ehrengedächtniß D. Martin Luthers, a. d. 32, 522, 525, S. verschiedene, theils alte, theils neue Münzen an, die zum Andenken Johann Huß gehören,[15] welchen ich noch diejenige neuere beyfüge, so auf der einen Seite das Bildniß Johann Huß hat, mit der Umschrift: Ist zu Costniz verbrannt 1415. den 6. Jul. Auf der andern das Brustbild Lutheri, mit den Worten:


Was jene Gans gedacht,

Hat dieser Schwan vollbracht.4


Die Exergue von jener Seite ist: M. Johannes Hus,

von dieser aber: D. Martin Luther.


Im Predigerkloster liegtderberühmte Emanuel Chrysolaras begraben, welcherim Jahre 1389 von den Türken aus Griechenland nach Italien vertrieben, und von Joh. Paläologo an die italiänische, den englischen, französischen und andere Höfe, um Beystand wider den Erbfeind des christlichen Namens zu erhalten, verschicket worden. Rand links: Grab Chrysolarä. Nach solcher Verrichtung, welche ohne sein Verschulden fruchtlos ablief, behielt man ihn in Italien: allwo er zu Venedig, Florenz: Rom und Padua die griechische Sprache lehrte, und durch die geschickten Leute, so aus seiner Schule kamen (worunter vornehmlich Philelphus, Poggius und Aretinus zu zählen sind) den Nachkommen deutlich zeigte, wie viel ihm Europa, als einem glücklichen Werkzeuge der wiederhergestellten Wissenschaften, und sonderlich der griechischen Sprache, zu danken habe.

In obgemeldter Dominicanerkirche liest man an der Wand bey dem Altare:


Ante aram hanc situs

Dominus Manel Chrysolara, Miles Constantinopolitanus,

Ex vetusto genere Romanorum, qui cum Constantino Imp.

Migrarunt. Vir doctissimus, prudentissimus, optimus;

Qui tempore Generalis Concilii Constantiensis obiit.

Ea existimatione, ut ab omnibus summo inter mortales

Sacerdotio dignus haberetur, die XV. Aprilis MCCCCXV.

Conditus est apud Dominicanos.


Nächst dabey zeiget sich die schöne Grabschrift, welche Aeneas Sylvius diesem berühmten Gelehrten verfertiget hat, und deren geistreicher Schluß vor andern in Betrachtung gezogen zu werden verdienet. Die ganze Inscription ist folgende:


Ille ego, qui Latium priscas imitarier artes

Explosis docui sermonum ambagibus, & qui

Eloquium magni Demosthenis & Ciceronis

In lucem retuli, Chrysolaras nomine notus

Hic sum post vitam, & peregrina in sede quiesco.

Huc me concilii deduxit cura, trium dum[16]

Pontificum Ecclesiam vexaret sæva tyrannis.

Roma meos genuit majores, me bona tellus

Bisantina tulit, cinerem Constantia servat

Quo moriare loco nil refert; undique cœlum

Pœnarumque domus mensura distat eadem.


d.i. Rom ist meiner Vorfahren Vaterland; in Constantinopel bin ich gebohren, und zu Costniz ruhet meine Asche. Es liegt wenig daran, wo man sterbe. Der Ort der ewigen Freuden und die Hölle sind von allen Plätzen der Welt in gleicher Weite entfernet.

Costniz war ehemals eine freye Reichsstadt, ist aber bey Gelegenheit der Religionsunruhen und desInterim im 1551sten Jahre in die Gewalt des österreichischen Hauses gekommen. Rand rechts: Wie die Stadt um ihre Freyheit gekommen. Der Bischof hat nichts über sie zu sagen, und seine Residenz ist Merspurg, jenseit des Bodensees.

Von Costniz geht alle Donnerstage ein Stadtschiff, so Ledi genennet wird, nach Lindau; Rand rechts: Lindau. ich fand aber nicht rathsam, dasselbe abzuwarten, und nahm ein besonderes Fahrzeug für dreyzehntehalb Gulden. Lindau hat ein schönes Territorium, auf dem fußfesten Lande, welches Joh. Andr. Rauhen mit allen seinen Gränzen wohl abgezeichnet und in Kupfer hat stechen lassen. Die Stadt selbst liegt in dem Bodensee, und wird deswegen auch das schwäbische Venedig genannt. Die Brücke nach dem fußfesten Lande ist zweyhundert und neunzig Schritte lang. Was für Schriften wegen des Diplomatis, kraft dessen das Frauenkloster oder Stift viele Gerechtigkeiten gegen die Stadt zu haben vermeynet, bisher in Druck gekommnen sind, ist jedermann bekannt: und wünsche ich, daß die neue Behauptung der Gerechtigkeiten der Stadt, welche der gelehrte tübingische Professor, Helffrich, über sich genommen hat, auch bald das Tageslicht sehen möge. Der letzte Brand, welcher die Abtey und einen Theil der Stadt betroffen, hat die Foderungen und Schwierigkeiten auf beyden Seiten nicht um ein geringes vermehret. Die sogenannte Heidenmauer wird für ein Werk der alten Römer ausgegeben, es ist aber nichts besonders daran zu bemerken.

In den Dörfern des benachbarten Bregenzerwaldes hat bisher die wunderliche Gewohnheit regieret, daß die unverheiratheten Baurensöhne und Knechte ohne Scheu so lange bey einem ledigen Mägdchen haben schlafen können, bis dieselbe ein Kind von ihnen bekommen, da dann jene erst und zwar bey höchster Strafe verbunden waren, sie zu heirathen. Rand rechts: Wunderliche Gewohnheit der bregenzischen Bauren. Diese Art von Galanterie heißen sie füegen, und finden sie daran so wenig auszusetzen, daß, da man seit etlichen Jahren, kraft obrigkeitlichen Amtes, diese schändliche Weise abschaffen wollen, es zu einer Art von Aufruhr gediehen, und die Sache noch in einen Proceß, zu dessen Führung sie einen Advocaten aus Lindau angenommen haben, verwickelt ist5. In einer Versammlung, welche die Bauren wegen dieser Sache hielten, stund ein alter Greis[17] auf, und rieth zu Fortsetzung des Processes mit folgendem trefflichen Voto: Mein Großvater hat gefüeget, mein Vater hat gefüeget, ich habe gefüeget, und also will ich, daß mein Sohn und seine Nachkommen auch füegen sollen. etc.


Lindau, den 3 Jun.

1729.

Fußnoten

1 Den Namen hat dieser See von dem alken Castro Botami, Potami oder Potini, dessen EKKEHARDVS Iunior, de casibus monasterii S. Galli cap. I. p. 15. 16. MonachusWEING ARTENSIS, de Principibus Guelphis p. 784. LadislausSVNDHEIMIVSin Historia de Guelphis, und andere gedenken. Solches liegtnicht weit von Costniz, und wird in unsern Zeiten Podman oder Vodmen genannt. Durch eine Schenkung des Kaisers Arnulphs ist es unter Salomon dem III. an das Bißthum Costniz gekommen. Es ist in diesem Lande auch eine adeliche Familie von Bodman berühmt, von welcher Bucelinus weitläuftige Nachrichten ertheilet.


2 Der Verfasser scheinet hier den Winteraufenthalt der Schwalben mit einer unnöthig zweifelhaften Feder zu bestimmen. Wan kann wider den Aristoteles: Plinius und alle alte und neue Naturkündiger mit vieler Zuversicht behaupten, daß alle Arten der Schwalben im Winter bey uns bleiben, und daß das Wegziehen derselben eine durch die Lange der Zeit bewahrte Fabel sey. Morastige Ufer hole Bäume, und die Ritzen alter Gebäude, das sind die Herbergen, welche sich die Schwalben zur Winterszeit zu erwählen pflegen. Wan lese Jac. Thomasens Abhandlung, de hibernaculis hirundinum, Leipzig, 1658, 4. und vornehmlich Hrn. Jac. Theod. Kleins Untersuchung, von Ueberwinterung der Schwalben und Störche, welche in dem ersten Theile der Versuche und Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Danzig, a. d. 466 bis 494 S. befindlich ist.


3 Aus den Handlungen der costnizischen Kirchenversammlung erhellet mehr als allzudeutlich, daß die römische Clerisey Joh. Hussen zum Opfer ihrer Rache gemacht, ohne daß sie ihn eines einzigen Irrthums überführen können. Johann Zachariä aus Erfurt war der vornehmste Klopffechter, welcher an Hussen zum Ritter werden wollte, und des vermeynten Sieges wegen mit einer Rose beehret wurde. Joh. Schiphofer ertheilt ihm das Lob, ap. MEIBOM. rer. Germ. Tom. II. p. 170: Egregius et doctissimus M. Ioh. Zachariæ de conventu Eschwegensi ordinis Fratrum Eremitarum divi Augustini eruditissimus theologus et utriusque juris vir con. sultissimus per hæc tempora Erfordiæ et alibi, quam maxime autem in Constantiensi synodo obeius doctrinam et elegantiam clarissimus fuit, et suæ eruditionis experimentum fecit. Hic invictissimum Ioh. Hussum hæreticum disputando superavit, ac immersum igni cremari fecit. Nemo enim theologorum potuit eumdem Hussum convincere, nisi iste senex pater solus. Und dennoch stimmen alle Zeugnisse der damaligen Geschichtschreiber darinnen überein, daß Zachariä bloß durch heimtückische Hinterlist, und durch Verfälschung einer Schriftstelle aus Ezech. 34, 11. gesieget habe. Hat nun ein so versuchter Fechter bloß durch Tücke gesieget: so kann man auf die übrigen leicht die Rechnung machen. Andreas Proles, ein Zeuge der Wahrheit, har von dem Siegeszeichen des Zacharia ganz recht geurtheilet: Ego revera nollem honoris caussa gestare rosam.


4 Das Andenken einer Verdammung, welche der christlichen Religion zu schlechter Ehre gereichet, erhalten noch zwo andere merkwürdige Münzen. Die eine zeigt Hussens Bildniß mit den Buchstaben: IOA. HVS. und die Umschrift: CREDO. VNAM. ESSE. ECCLESIAM. SANCTAM. CATHOLICAM. Die andere Seite stellt Hussen nackend auf dem Scheiterhaufen aneinen Pfahl gebunden vor, mir beygefügtem Worte:


con dem

na tur.


Die innere Umschrift: IG. HVS. ANNO. A. CHRISTO. NATO. 1415. Die obere Umschrift: CENTVM. REVOLVTIS. ANNIS. DEO. RESPONDEBITIS. ET. MIHI. Die zwote Münze, welche auf beyden Seiten einerley Zeichnung mit der erstern hat, ist bloß in der Umschrift unterschieden, sintemal um Hussens Bildniß diese Worte stehen: SANCTVS. IOHANNES. HVS MARTYR. CHRISTI. COMBVSTVS. CONSTANT. 1415. Auf der andern Seite hingegen liest man: GRATIOSA. MORS. SANCTORVM. IN. CONSPECTV. DOMINI. Hussens Weißagung, welche man in der Kirche Wenceslai angezeichnet gefunden, scheint zu dem Inhalte der erstern Münze Gelegenheit gegeben zu haben:


Anni abeunt centum, caussam Christoque mihique

Dicetis, cygnus quum anseris ultor erit.


5 Eine unglückliche Frucht der πατροπαραδοσίας, welche man in Absicht auf die unartigen Gewohnheiten Ms einen Nationalfehler der Deutschen betrachten muß. Schon von unsern ersten Stammvätern meldet Herodot in seiner Melpomone: Capitis supplicio in eos animadvertisse, qui novos ritus novaque instituta et peregrina ad patrios mores transferre ausi fuerint. Bey unsern neuern Deutschen aher behalten die alten Gerechtigkeiten um destomehr das Bürgerrecht, weil sie geneigter sind, die Laster, als die Tugenden ihrer Vater nachzuahmen.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 18.
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