[227] Ein und dreyßigstes Schreiben.

Zustand der Gelehrsamkeit in Piemont.

Mein Herr!


Sie verlangen zu wissen, in was für einem Zustande die turinische Ritterakademie sich befinde, und ob ein Protestant daselbst vielen Nutzen schöpfen könne? worauf ich kürzlich diene: daß alle diese Anstalten, wovon man auch einige Nachrichten in den Druck gegeben hatte, wieder aufgehoben worden. Rand links: Turinische Ritterakademie. Die Ursache mag wohl von der Sparsamkeit herzuleiten seyn, sonderlich nach dem Tode der Madame Royale, welche sehr auf den äußerlichen Staat und die Anlockung der Fremden nach Turin sah. Es hat aber der König ein anderes löbliches Werk unternommen, nämlich die Erneuerung der Universität und Verordnung, wie inskünftige die Jugend durch das ganze Land auf einerley Weise unterrichtet werden soll, zu welchem Ende man auch den Jesuiten und andern Ordensleuten die Haltung öffentlicher Schulen untersaget hat. Rand links: Erneuerung der Universität. Die Aufsicht über diese neue Akademie hat der Großkanzler, welcher des Königs Person vorstellet, und deswegen bey allen öffentlichen Verrichtungen der Universität den Rang über alle andere, sogar ohne Ausnahme der Prinzen, nimmt. Wenn ein Professor vierzehn Jahre lang seinem Amte vorgestanden, und er wegen seiner durch viele Arbeit zugezogenen Unpäßlichkeit, oder wegen Alters dasselbe nicht mehr verrichten kann: so behält er den Titel und die Hälfte der Besoldung auf sein Lebenlang. In der Theologie sind vier Professores; einer zur Erklärung der heil. Schrift, zween um die Theologiam Scholastico-Dogmaticam zu lehren, und einer um die Theologiam Moralem zu treiben. Die ersten bringen mit ihrem Cursu fünf Jahre zu, und der letzte drey. Rand links: Systema S. Thomæ zum Grunde gelegt. Zum Grunde und zur basi der theologischen Schulen ist die Lehre des heil. Thomä gesetzt, welcher, wie der König in seinen desfalls publicirten Verordnungen redet, a merité l'estime & la veneration de tout l'Univers, soit à cause de sa pureté, soit par la solidité & la profondeur de ses Principes. Mit gleichem Eifer wird denen Professoribus Philosophiæ St. Thomas zur Regel vorgeschrieben, und die neuen Entdeckungen der Gelehrten zwar erlaubt zu Hülfe zu nehmen, jedoch nicht weiter, als so fern sie dem Systemati[228] S. Thomæ nicht zuwider sind. So lautet die Verordnung; ich weis aber nicht, ob man derselben genau nachkömmt, und haben sie sonderlich in Physicis einen Mann von so großer Einsicht und Freyheit von vielen Vorurtheilen, daß er sich schwerlich in so enge Schranken wird einschränken lassen; der Graf R – – versicherte mich auch kürzlich, daß der König diese Stelle nur aus Gefälligkeit für den Pabst einfließen lassen, und man in der That gar wohl wüßte, daß die Philosophie aus ganz andern Quellen, als aus des Thomä subtilem Gewäsche, hergeleitet werden müsse1.

Im Jure sind vier Professores; einer Juris Canonici, zween Juris Romani, einer Institutionum Civilium. Rand rechts: Professores Juris Die ersten drey vollenden ihren Cursum in vier Jahren, und der letzte in einem. Zum Grunde der Rechtsgelahrtheit werden die königlichen Landesverordnungen gesetzt.

In der Medicin sind fünf Professores. Rand rechts: Medicinæ. Einer lehret die Praxin, einer die Theoriam, einer die Anatomiam, einer die Botanicam, und einer die Instituta Medicinæ.

Zween Professores sollen die Philosophie lehren, mit Auslassung aller unnützen Streitfragen, welche die Köpfe junger Leute nur anfüllen, ohne ihnen etwas tüchtiges beyzubringen.

Die Herren Professores und Doctores werden sapientissimi Patres genennt. Alle Schulbedienungen durch das ganze Land werden erst nach ausgestandenem Examen und auf Recommendation der Universität besetzt. Von dem Collegio Medicorum, das aus vier und zwanzig Doctoren, einem Prior, zween Räthen, einem Secretär und einem Pedellen besteht, (dergleichen Collegia auch die theologische und juristische Facultäten haben) werden alle Licentiati undDoctores Medicinæ im ganzen Lande gemacht, wel che unter andern schwören müssen, daß sie dem Kranken am dritten Tage eines febris continuæ, oder auch im Fall der Noth noch eher, andeuten wollen, sein Leben sey in Gefahr, und müsse er sich mit den heiligen Sacramenten versehen, widrigenfalls wolle er ihm keine Arzeneyen mehr geben2. Rand rechts: Eine gute Verordnung wegen der Kranken. So hart es mir scheint, jemanden gleichsam mit Lebensstrafe zum heil. Abendmahle zwingen zu wollen: so löblich kömmt mir die erste Verordnung vor, und wäre zu wünschen, daß in andern Landen auch theils Medici weniger blinde Gefälligkeit für ihre Kranken oder deren Verwandten hätten, und ihnen lieber zu früh als zu spät von ihrer Gefahr Eröffnung thäten. Es ist zwar überhaupt eine mißliche Sache mit den Bekehrungen, welche man erst bis auf das Todtenbette sparen will, allein es ist doch auch für die Ueberlebenden das sicherste, wenn sie sich hierinnen keine Nachläßigkeit und Verwahrlosung des Verstorbenen vorzuwerfen[229] haben3. Es ist auch in Piemont den Feldscherern und Chirurgis bey großer Geldstrafe gebothen, bey gefährlichen Operationen die Patienten desfalls zu warnen. Rand links: Protomedicat. Das Protomedicat hat das Recht, alle Apotheken im ganzen Lande jährlich unvermuthet zu unter, suchen oder visitiren zu lassen, damit sie mit guten und frischen Medicamenten jederzeit versehen bleiben. Rand links: Visitation der Apotheken. Jede solche Visitation der Apotheke muß mit sieben Livres zehn Sols bezahlet werden, welche in den Schatz der Akademie kommen. Die Visitatores haben außer diesem in der Stadt dritthalb Livres, und auf dem Lande mit Zehrung und Fuhrlohn zusammen gerechnet, sechs Livres. Man kann sich aber leicht einbilden, und ist auch die Klage, daß es casus pro amico gebe, und die Visitatores öfters mehr auf die Geschenke als eine mühsame Untersuchung der Apothekerschachteln und Büchsen die Augen gerichtet haben. Der alte Ricca, des itzt noch lebenden Leibmedici Vater, brachte die Einkünfte seines Protomedicats auf tausend Louisdor, verpachtete aber die Visitationes der Apotheken gegen Abgabe einer gewissen Portion, auf solche Art, daß es endlich nur auf eine Geldschneiderey hinaus lief. Damals aber hatte er nicht nöthig, etwas an die Akademie abzugeben.

In der Nähe von dem Universitätsgebäude darf kein Handwerk, das vieles Geräusch machet, getrieben werden. Rand links: Verordnungen wegen der Universität. Alle Studenten müssen monatlich das heil. Abendmahl nehmen, und desfalls ihre Zeugnisse aufweisen. Itzt ist ihre Anzahl von der Philosophie angerechnet, über dreytausend. Bey akademischen Solennitäten tragen die Professores Juris rothe Echarpen mit Hermelin über ihre langen Röcke, die Medici hellblau, und die Theologi violet. Die Besoldungen werden aus der königlichen Kammer gereichet, welches keine gute Vorbedeutung für die Dauerung dieser Anstalten ist; denn wenn einmal ein Herr kömmt, der die Kammerausgaben genauer einschränkt oder die Jesuiten höret: so sieht es für die neue Universität schlecht aus. Die Besoldungen sind von tausend bis viertausend Livres de Piemont.

Die Universitätsbibliothek ist im Winter vormittags drey Stunden und nachmittags drey Stunden offen. Rand links: Bibliothek der Universität. Zu Sommerszeiten hat mandes Morgens vier und des Nachmittags drey Stunden lang freyen Zutrirt, ausgenommen in währenden Vacanzen. Zum Grunde hat man aus der königlichen Bibliothek siebentausend Bände nebst denen Manuscripten, welche der Herr Kanzler Pfaff durchsuchet hat, genommen. Die Aufsicht darüber hat Franciscus Dominicus Bencini, Abbas Sancti Pontii, ein Lehr gelehrter Mann, der im Jahre 1728 den ersten Theil seiner Dissertationum de Literis Encyclicis veteris Ecclesiæ Christianæ herausgegeben, und für sich einen schönen Büchervorrath sowohl in historia sacra als profana und den Alterthümern besitzt. Rand links: L'Abbé Bencini. Er ist zugleich Professor Primarius Theologlæ, und versichert mich, daß dieComtesse de Verüe schon vor des Herrn Kanzlers Pfaff Zeiten durch einen Barnabiten, P. Mezzabarba, die besten Codices manuscriptos weggefischt, und hernach an den König in Frankreich verkaufet habe; daß indessen doch noch bey neunzehnhundert vorhanden, worunter einige zur Kirchenhistorie sehr nützliche und bisher ungedruckte Sachen, sonderlich vom Photio, seyn. Uebrigens ist noch nichts in seiner gehörigen Ordnung, und der Catalogus auch noch nicht verfertiget.

Das Gebäude der Akademie ist sehr weitläuftig und eines von den schönsten der[230] Stadt; absonderlich hat es gegen die Rüe de l'Academie eine hohe, lange und prächtige Façade.

Unter den Arkaden des innern Hofes sind auf Veranstaltung des Marchese Scipionis Maffei viele alte Inscriptionen, marmorne bas reliefs und andere fragmenta Antiquitatis eingemauert worden, damit man sie besser erhalten möge. Rand rechts: Alte Monumente. Es sind darunter etliche gute Vorstellungen von der Art, wie die Alten zu Tische gelegen. Unter den Inscriptionen ist folgende wohl erhalten.


VIRIBVS

AETERN ..

SEMPRONIA

EVTOCIA.


Eine Inscription Viribus Sacrum, nämlich Romæ findet sich beym GRVTERO LXXXIX, n, 9. conf. GVD. adPhædr. fab. XI. GRVTERVS hat auch p. CXXXI, 1, 7.


VIRRIVS. A.

NEM. V. S.


Ob nun gleich auch a Nemauso vorkömmt, p. CXI, n. 12; so wollte ich doch kein Bedenken tragen, an statt des ersten Wortes Viribus zu lesen, und könnte der nächstfolgende Buchstabe Augustis bedeuten.

Ferner findet sich allhier folgende in Marmor gegrabene Schrift:


GENIO

MVNICIP

SEGVSINI

JVL. MARCE.

LINVS V P

EX VOTO POSVIT.


Das Volk der Segusier erstreckte sich gar weit in dieser Gegend und in Gallia Lugdunensi, wie aus PLIN.lib. 4. c. 18. und STRABONE L. 4, p. 292 zu ersehen. Susa ist abbreviret aus Segusium, gleichwie auchFeurs (en forêt) aus Foro Segusianorum. An diesem letzten Orte hat man ein altes Gewicht gefunden mit den darauf gegrabenen Worten:


DEÆ

SEG.

F

PONDO

X.


Von der Dea Segusia oder dem Genio Municipii Segusini ist zu unterscheiden die Dea Segetia, s. Dea Abundantlæ. welche von Segetibus oder Feldfrüchten ihre Benennung hat, und aus Schmeicheley auf die eine Seite der Münze, so man der Saloninæ Augustæ zu Ehren gepräget hat, gesetzt worden, mit der Umschrift: Deæ Segetiæ.[231]

Die vornehmsten Gelehrten in Turin sind itzt außer dem gemeldten Abbé Bencini, 1) der Professor Juris Civilis, Campiani, so de Magistratibus Romanorum geschrieben hat, 2) Lama, ein Neapolitaner von Geburt, Eloquentlæ & Histor. Professor, ein Mann von vielen Reisen und großer Erfahrung, der aber ein beschwerliches Amt darinnen hat, daß er alle diejenigen, so in die Akademie wollen aufgenommen werden, examiniren muß, ob sie dazu schon tüchtig sind, oder noch länger in den untern Schulen bleiben müssen. Rand links: Gelehrte Campiani. Lama. Er schreibtOrigines Assyriacas & Babylonicas, desgleichenCarmen Epicum de nova Philosophia. Seine Historie des Hauses Savoyen ist fertig und vom P. Roma auch in die französische Sprache übersetzet worden; allein der König hat sie noch in Verwahrung, und höret man nichts von ihrer Herausgebung.

Itzterwähnter P. Roma ist einer von den geschicktesten Gelehrten in des Königs Landen, daher ihm auch die Unterweisung des jungen Prinzen Eugene de Soissons anvertrauet worden. Rand links: P. Roma. Er ist einMinime, der Geburt nach ein Franzos, und Professor Philosophiæ Experimentalis, dem der König zu mehrerer Untersuchung seiner Wissenschaften sehr schöne Instrumente angeschaffet hat. Man findet an ihm einen höflichen, klugen und aufgeweckten Kopf. In Theologia wird P. Krust, ein Dominicaner gerühmet. Bey dem Medico Bianchi sind in Anatomicis merkwürdige Sachen zu sehen. Rand links: Bianchi. Der Marquis de Graneri hat in seinem schönen Pallaste eine Bibliothek, die sonderlich mit juristischen Büchern wohl versehen ist. Rand links: Bibliothek des Marquis de Graneri. Fähiger Verstand der Piemonteser in Religionssachen, wegen der Constitution Unigenitus.

Die Piemonteser sind aufgeweckte und scharfsinnige Leute, und würden sie es weit in Wissenschaften bringen, wenn sie völlige Freyheit hätten, ihre Vernunft zu gebrauchen. Man erkennet solches genug, wenn man mit ihnen so bekannt wird, daß sie einiges Vertrauen zu einem bekommen. Sie zeigen alsdann häufig, daß sie nicht alles glauben, was die päbstliche Kirche blindlings geglaubt haben will. Die Constitutio Unigenitus findet hier viele Widersacher; und fragte ich neulich den P. R – – – wie er ein sichtbares Haupt der Kirche und dessen Untrüglichkeit in Glaubenssachen behaupten könne, da er wider die gemeldte Constitution streite? Er antwortete, daß er dem Pabstesolche Untrüglichkeit alsdann nur gestattete, wenn er in der Versammlung der allgemeinen Kirche etwas verböthe oder geböthe. Allein er begriff bald, daß dergleichen Versammlung der ganzen Kirche oder auch nur ihrer Bevollmächtigten, welche fromme, erleuchtete und unparteyische Leute wären, niemals in der Welt seyn könne, und daher so lange auch das Haupt der Kirche unsichtbar und Irrthümern unterworfen bleiben müsse. Ein gelehrter GeistlicherB – – – suchte diesen Einwürfen mit leichterer Mühe zu entgehen, indem erbehauptete, die Constitutio Unigenitus sey nur eine intrigue verschiedener Parteyen über gekünstelte Schulfragen, daran nichts läge, und könne man in ihren Hauptpuncten allezeit die Worte des Pabstes gut erklären. Rand links: Prädestination. Nachdem die Jesuiten viel von ihrem Ansehen verlohren: so erkläret man sich auch freyer für die Prädestination, und rühmte neulich der Pater Roma in einer Gesellschaft sehr des LEIBNITZIITheodicée, vermeynte auch, man habe desfalls im ganzen braunschweiglüneburgischen Lande einerley Meynung mit Leibnitzen. Als ich ihm das Gegentheil berichtete, und versicherte, daß die Geistlichkeit des itztgedachten Landes diesem berühmten Manne vielmehr schlechten Dank wisse, daß er auf solche Art ihre Partey, wie es äußerlich schiene, habe nehmen wollen, da er in der That den Schwierigkeiten des BAYLE und den Sätzen der harten Reformirten nur eine bessere Farbe anstreiche: so vermeynte er, ich sey auch aus solchem Lande; und als ich die Frage, ob die gemeine Lehre daselbst für die allgemeine Gnade sey, mit Ja beantwortete, fuhr er fort: Vous êtes donc Jesuites. In diesem Stücke gab[232] ich es zu, glaubte aber, die gebrauchte Benennung sey itzt auch in Turin nicht so angenehm und vortheilhaftig, daß man sich große Ehre daraus machen würde, einer obgleich mächtigen Gesellschaft Namen zu führen.

Ich kann nicht umhin, allhier noch einer Religionsunterredung zu erwähnen, welche im Jahre 1711, als der Erbprinz von Würtemberg zu Turin war, zwischen seinem damaligen Reiseprediger und Informator, dem itzigen tübingischen Kanzler D. Pfaff, und dem herzoglichen Bibliothecario Abbé Machet in der Bibliothek, da der Herzog selbst gegenwärtig war, vorgefallen ist. Rand rechts: Unterredung zwischen dem Hrn. Kanzler Pfaff und dem Abbé Machet in Gegenwart des Königs. Die Zwistigkeit betraf die Lehre von der Transsubstantiation, und Herr Pfaff hielt unter andern seinem Gegenpart den Spruch Pauli 1 Cor. 10, v. 16 vor, von der Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi. DerAbbé gestund, daß dieser Tert ein starker Einwurf wider seine Meynung seyn würde, wenn er in der Bibel zu finden wäre, woran er aber zweifele. Man schlug die Bibel auf, und der Spruch fand sich, wie er war angeführet worden. Machet wußte sich nicht gleich zu helfen, antwortete derohalben, es sey dieses ein schwerer Versicul, über welchen er vorher noch etliche Bücher und Commentatores nachschlagen wolle. Der König oder damalige Herzog, welcher die Unterredung heimlich veranlasset hatte, sagte: Je ne suis pas Theologien, und gieng hinweg. Dieses war das Ende des ganzen Colloquii.

Es ist nichts leichters, als daß ein aufgeweckter Geist, der die Irrthümer seiner Kirche in einem und anderm erkennet, und in andern Dingen Zweifel bekömmt, die er niemanden eröffnen darf, auch aus gelehrten Schriften, die als verbothen im Lande nicht geduldet oder verkauft werden, nicht widerlegen kann, auf einmal in das andere extremum verfalle, und aus einem abergläubischen Menschen ein Atheist werde, der sich nur wegen des weltlichen Vortheils zu einer äußerlichen Kirchengemeine hält. Rand rechts: Verfall auf die Atheisterey. Dergleichen findet man sehr häufig wie in ganz Italien, also auch hier. Der Abbé Bencini wollte neulich dem K. eine Recommendation an etliche Gelehrte in Rom und Florenz mitgeben, und D. R. erinnerte ihn daran, mit dem Zusatze, daß K. einige Schriften herausgegeben, davon er aber nicht wollte, daß der gemeldte Theologus etwas wisse, weil verschiedene Erörterungen wider die römische Kirche darinnen enthalten seyn. Bencini antwortete: wegen der Zwistigkeiten mit den Sätzen der römischen Kirche habe man sich nicht vor ihm zu scheuen, und glaube er vielleicht weniger von den letzten als K. Eben diesem Abbé warf man in einer Satire wegen seines wenigen Glaubens in der römischen Religion und wegen der genauen Wissenschaften in Alterthümern vor: sein Glaube gründe sich nur darauf, daß er gefunden, wie vor Alters der Göttinn Fidei ein Altar in Rom aufgerichtet gewesen. R. verglich neulich in einer Gesellschaft das Weihnachtsfest mit der ägyptischen Tradition, daß Isis den Osirim gebohren. Er führte mich bald nach meiner Hieherkunft in die Kirche von St. Jean, um eine gute Musik daselbst zu hören, indessen daß etliche Messen gelesen wurden, ohne daß er bey Erhebung der Hostie niederknieete. Ich fragte ihn endlich: warum er es nicht mache, wie andere seines Glaubens? und bekam das Compliment: er thue esaus Gefälligkeit gegen mich, um mich nicht allein stehen zu lassen, oder mir einige Unruhe wegen des Niederknieens zu verursachen. Ich fragte, was denn die Leute, welche ihn kenneten, davon urtheilen würden? und er versetzete, sie würden sagen: er sey ein Mensch von wenig Religion. Er hielt dieses Urtheil für eine Bagatelle; ich aber gab ihm zu verstehen, daß meines Erachtens die Gefälligkeit in solchen Dingen zu weit getrieben wäre, und er dergleichen von mir nicht zu erwarten hätte, in einer Sache, so ich wider mein Gewissen zu laufen glaubte. Er fragte mich[233] ein andermal, ob ich die Geschichte vom heil. Schweißtuche in der Hofkapelle zu Turin glaubte? und als ich antwortete: er würde aus seiner Meynung schon urtheilen, was ich davon hielte, und sollte er zuerst sein Bekenntniß ablegen; versetzte er: gleichwie er mich nicht zwänge, diese Historie zu glauben, also sollte ich ihm auch nicht verdenken, wenn er mir in Turin seine Meynung davon nicht entdeckte. Der Comte R – – – hat einen aufgeweckten Kopf und viele Wissenschaften; allein der Umgang mit einer sichern Gesellschaft hat ihn in Religionssachen gänzlich verdorben. Als ich kürzlich mit ihm allein spazieren gieng, gestund er zwar: es sey kein Buch oder System in der Welt, welches so herrliche Lehren und Wahrheiten in sich halte, als die heilige Schrift; er meynte indessen doch, daß es unmöglich sey, einen gewissen Beweis von der Wahrheit und dem göttlichen Ursprunge der christlichen Religion zu geben, sonderlich wenn man sich auf die Propheten gründen wollte. Ich versetzte: daß, wenn in den prophetischen Schriften des alten Testamentes einige Schwierigkeit zu finden, solche bloß von der Unwissenheit in den Alterthümern der jüdischen Nation, ihrer Historie und der Art, wie die Juden die Propheten anzuführen und zu erklären pflegten, herrühre; daß aber diese Materie für eine kurze Zeit zu weitläuftig sey, und ich den Beweis aus den Wunderwerken für eben so kräftig und deutlicher hielte, um die Wahrheit des christlichen Glaubens fest zu setzen. Seine Antwort war: jede Religion habe ihre Wunderwerke, und würde ich als ein Protestante schlecht fahren, wenn ich mich auf einem solchen Grunde mit den Römischkatholischen in Streit einlassen wollte; er blieb aber stecken, als ich ihn um ein Wunderwerk befragte, so einen zwischen der römischen und der protestantischen Kirche obwaltenden Streitartikel zum Vortheile der ersten entscheide, und zwar müsse solches Wunderwerk nebst andern Gleichheiten mit Christi und der Apostel Wundern, auch diese insonderheit haben, daß es in Gegenwart kluger Protestanten, denen man alle Freyheit zu untersuchen gegeben, verrichtet worden, wie der Heiland und die ersten Jünger ihre Wunder in Beyseyn ihrer hitzigsten und klügsten Feinde gethan, nach dem eigenen Zeugnisse der Feinde Christi, z. E. CELSI IVLIANIApost. des Talmud etc.

Diejenigen, welche characterem indelebilem imClero und dessen unumgängliche Nothwendigkeit zu vielen geistlichen Handlungen erfodern, sindvor einigen Zeiten sehr verwirrt worden durch dasjenige, was in Turin mit einem, Namens Caligaris, sich zugetragen hat. Rand links: Begebenheit, so den Characterem indelebilem Cleri betrifft. Dieser war ein Laye, der auf der Landstraße einen fremden Priester umgebracht, dessen schriftliche Zeugnisse und Kleidung genommen, und sich in Turin für den ermordeten ausgegeben hat. Er verrichtete sein geistliches Amt hierauf bey zwanzig Jahre lang, theils in Turin, theils als Kapellan in der h. Kapelle zu Loretto, wohin er einsmals aus Furcht entdeckt zu werden, entwichen war. Er führte ein ärgerliches Leben mit Weibsvolke, und die Sache kam endlich durch seine eigene Anverwandte, welche sich ein Gewissen machten, zu solchen Bosheiten länger zuschweigen, an das Tageslicht. Nun hatte er in währendem seinen Amte viele tausend Messen gelesen, viele hundert Leute getrauet, absolviret, getauft etc. und mein Herr sieht leicht, mit was für Folgerungen man die Verfechter der römischen Kirchensatzungen aus diesem Verlaufe in die Enge treiben kann. Alles was der Erzbischof zu Turin thun konnte, war, daß er in des falschen Priesters Pfarre einen Geistlichen schickte, welcher die Gemeine außerordentlich versammelte, und durch besondere Vollmacht alles dasjenige, was Caligaris in geistlichen Dingen verrichtet hatte, gut hieß und bekräftigte. Dabey wurde eine gewisse Zeit bestimmt, innerhalb welcher man sich bey dem Erzbischofe melden könnte, wenn jemand noch insbesondere wegen seiner Beichte, Absolution, Ehe oder Taufe einige Gewissensanfechtung hätte. Caligaris sitzt indessen noch in Turin zu[234] Wasser und Brodt auf seine Lebenszeit verurtheilet, und hat er zum Nachbar einen Priester, der sich active und passive nach Sodoma geschickt hätte. Man wollte ihn öffentlich henken lassen; allein der König verhinderte es, damit dieses Laster, so noch nicht viel in den savoyischen Landen fußfesten Gebieths bekannt ist, nicht zu mehrerer Leute Kundschaft gelangen möchte.

Fußnoten

1 Zu unsern Zeiten hat der gelehrte P. Gordon in Erfurt angefangen, den philosophischen Lehrbegriff seiner Brüder mit einem glücklichen Erfolge zu reinigen; wobey er sich auf der einen Seite viele unverschuldete Verfolgungen zugezogen, auf der andern Seite aber desto mehr gegründeten Ruhm erworben hat. Er erzählet seine Schicksale in einer eignen Schrift: Andr.GORDONvaria philosophiæ mutationem spectantia, Erford. 1749, 4.


2 Es gründet sich dieso Verordnung auf eine Satzung der vierten allgemeinen lateranischen Kirchenversammlung, welche im Jahre 1215 gehalten worden, tom. VII. concil. HARDVIN.can.22, p. 38: Præcipimus, quum eos ad infirmos vocari contigerit, ipsos ante omnia moneant, & inducant, ut medicos advocent animarum, ut postquam fuerit in sirmo de spirituali salute provisum, ad corporalis medicinæ remedium salubrius procedatur. Die sorglose Nachläßigkeit der meisten Kranken mußte diesem Gesetze den feinsten Anstrich geben: Hoc quidem inter alia huic caussam dedit edicto, quod quidam in ægritudinis lecto jacentes, quum eis a medicis suadetur, ut de animarum salute disponant, in desperationis articulum incidunt, unde facilius mortis periculum incurrunt. Die hinzugefügte harte Drohung mußte hiebey die Aerzte aufmerksam machen: Si quis autem medicorum hujus nostræ constitutionis, postquam per prælatos locorum fuerit publicata, transgressor exstiterit, tamdiu ab ingressu eccleslæ arceatur, donec pro transgressione hujusmodi satisfecerit competenter. Man kann ohne viele Tiefsinnigkeit errathen, daß die ehrwürdigen Gesetzgeber durch eine so ernsthafte Erklärung die milden Stiftungen und Vermächtnisse an die Klöster unvermerkt befördern wollen. Es scheint aber auch. daß die ungehorsamen Aerzte der ihnen anbefohlnen Pflicht nicht selten müssen vergessen haben. Denn man mußte ihnen in der der tusanischen Kirchenversammlung, welche im Jahre 1429 zu Tortosa in Catalonien gehalten worden, noch härter zu Leibe gehen: Universis corporum medicis districte præcipimus& mandamus, ut ipsum studeant sideliter observare, ipsis nihilominus sub excommunicationis pœna, quam incurrere ipso facto mandamus, ut nullum infirmum ultra tertiam vicem visitare præsumant, de quo non sciant, quod in illa ægritudine salutare pœnitentiæ sacramentum susceperit. In der narbonensischen Kirchenversammlung von 1551,Concil. tom. X, can. 52, p. 459, und in der mayländischen von 1565, p. 654 ist eben dieser Befehl mit gleichen strengen Ausdrücken wiederholet. Man besehe auch Sever. BINIIconcilia generalia & provincialia can. 22, tom. III, P. II, p. 1456.


3 Da die Krankheiten der Menschen entweder hitzig oder langsam, lenti vel acuti, zu seyn pflegen. so wird allemal die Fürschrift Sirachs gerechtfertiget c. 18, v.: Spare deine Buße nicht, bis du krank wirst; sondern bessere dich, weil du noch sündigen kannst. Denn bey hitzigen Krankheiten verstattet die Heftigkeit der Schmerzen, und bey langsamen Krankheiten die abmattende Entkräftung nicht, an die allerwichtigste Sinnesänderung mit Ernste zu gedenken. Das Beyspiel des Schächers am Kreuze kann diese Nothwendigkeit nicht entkräften. Denn zu geschweigen, daß dieser Mensch nicht auf dem Krankenbette gestorben: so ist dieses das einzige Exempel in der nähern göttlichen Offenbarung, welches keinen Schluß aufs allgemeine zur Nachfolge verstattet. Man kann über dieses aus den letzten Reden dieses Sterbenden sicher muthmaßen, daß die bearbeitende Gnade Gottes sein Herz in dem langwierigen Gefängnisse geändert habe.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 235.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon