[235] Zwey und dreyßigstes Schreiben.

Von den guten Gesetzen, welche der König in Sardinien gegeben hat.

Mein Herr!


Ich muß noch von etlichen rühmlichen Anstalten, welche der König von Sardinien in seinen Landen gemacht hat, melden. Rand rechts: Gute Anstalten wegen der Banditen. Die erste ist die Sorge für die Sicherheit der Landstraßen, zu deren Beförderung er sowohl seiner Vorfahren Gesetze erneuert, als auch selbst neue Verordnungen gegeben hat. Banditen sind Leute, welche des Landes verwiesen, oder wegen einer Missethat verurtheilt worden, aber in die Hände der Justiz entweder nicht gerathen, oder aus denselben entwischet sind. Weil sie sich öfters heimlich in der Nachbarschaft oder auf den Gränzen aufhalten und mit Rauben ihren Unterhalt suchen, so heißt man hernach auch alles lüderliche Volk, welches die Landstraßen unsicher macht oder sonst sich zu Mordthaten entschließt und brauchen läßt, Banditen. Italien war ehemals sehr damit angefüllt. Allein nachdem der neapolitanische Vicekönig de Carpi, durch seinen standhaften Entschluß und scharfe Strafen gezeiget, daß man ihrer wohl mächtig werden könne: so haben auch an dere Staaten von Italien und insonderheit das Haus Savoyen seinem löblichen Exempel gefolget, dergestalt, daß desfalls die Reisen in Italien so sicher als in andern Landen sind, wenn man sich nur nicht allein waget. Um das Reich des Beelzebubs unter sich selbst uneins und mistrauisch zu machen, ist verordnet, daß jeder Bandit sich von seiner Strafe frey machen kann, wenn er der Obrigkeit einen andern, der wegen eben solches oder eines größern Verbrechens verurtheilt ist, überliefert. Die Banditen, welche besonders große Bosheiten verübet haben, werden jährlich in einer Liste kund gemacht, und können von jedermann getödtet werden. Liefert man einen solchen Menschen lebendig, so hat man das Recht, sich selbst zur Freyheit von aller Strafe, die man sonst vorher verdient hatte, zu ernennen: oder wenn manin dergleichen üblem Stande sich nicht befindet, kann man einen jeden andern frey machen und ihm Gnade erlangen, niemanden als die schuldigen der verletzten Majestät ausgenommen. Liefert man aber einen solchen Banditen todt, so hat man nur das Recht, sich oder seinen Vater, oder Kind, Schwiegervater, Schwiegersohn, Bruder oder Schwager zum Genusse der gemeldten Freyheit von Strafen zu ernennen. Was diejenigen Banditen anlangt, welche nicht vogelfrey erkläret sind: so erlangt derjenige, so sie lebendig liefert, Gnade für sich oder obgemeldte Verwandten, im Falle dieser ihr Verbrechen nicht größer als des eingelieferten Gefangenen ist. Wenn diejenigen, welche Banditen übergeben, nicht wollen oder nicht können solcher Benennung zur Gnade genießen: so erhalten sie dafür aus der königlichen Kammer eine Belohnung in baarem Gelde, nämlich für jeden vogelfreyen Banditen,[235] den man lebendig bringt, hundert ecûsdor, oder siebenhundert und funfzig Livres, und für einen todten sechszig ecûs dor. Es kostete anfänglich viel Mühe, diese Bösewichter auszurotten, weil der vornehme Adel sich solcher bravi zu ihrer Privatrache bediente, und ihnen daher allen Schutz gab. Zween reiche Edelleute im lomelinischen Gebiethe Jap – – beschirmeten zween Banditen, die zusammen acht und vierzig Leute umgebracht hatten. Der schlimmste davon ermordete zuletzt zwey kleine Kinder mit ihrem Vater. Zu der Zeit, da dieses geschah, wurde Alexandria mit der umliegenden Gegend an den König von Sardinien abgetreten, und der dritte Sohn des umgebrachten Vaters stellete bey seinem neuen Oberherrn seine Klage und Unglück vor. Der König, so ein höchstnöthiges Exempel stiften wollte, berief die zween Cavaliere unter anderm Vorwande nach Hofe, ließ sie gefangen nehmen, und ihnen andeuten: es sollten ihnen die Köpfe vor die Füße geleget werden, wenn sie die bewußten Banditen nicht schafften oder die Mittel an Hand gäben, wie man sich ihrer bemächtigen könnte. Sie mußten zum Kreuze kriechen; und man erwischte den einen Erzbösewicht, über welchen der König in dem Flecken, woraus er gebürtig war, eine so scharfe als gerechte Todesstrafe ergehen ließ. Die Gegend herum und der Flecken selbst war voller heimlicher Banditen, und mußte der König zu desto sicherer Vollstreckung der Gerechtigkeit zwey Regimenter dahin verlegen, und am Tage der Hinrichtung wurde den Einwohnern angedeutet, daß derjenige, so selbigen Vormittag sich außer seinem Hause betreffen lassen würde, ohne alle Barmherzigkeit aufgeknüpft werden sollte. Des Verurtheilten Kamerade war nach Genua entwischet, und weil es ein listiger Vogel war, dem man nicht leicht beykommen konnte, und von dem man noch viel Böses zu befürchten hatte, so erhielt er unter gewissen Bedingungen und Versicherungen Pardon, dessen er auch noch genießt, indem er still und ruhig in Alexandria lebet.

Es fehlt auch nicht an andern löblichen Landesverordnungen. Rand links: Wider die Bestechung der Richter. Von dem untersten Richter appellirt man an den Präsidenten der Provinz, und von diesem innerhalb zehn Tagen nach erhaltener Kundschaft von dem Urtheile an den Senat zu Turin. Allen obrigkeitlichen Personen ist untersaget, Geschenke zu nehmen, ausgenommen an Eßwaaren und Getränke, und zwar von beyden nur so viel, als sie in dreyen Tagen verzehren können. Jeder Criminalgefangener muß innerhalb vier und zwanzig Stunden nach seiner Inhaftirung examiniret werden, bey Strafe von zehn ecûs dor, welche der Richter zu erlegen hat. Rand links: Verordnungen in Criminalsachen. Die Antwort und das Protocoll muß der Angeklagte, nachdem sie ihm deutlich zu Ende eines jeden Verhöres vorgelesen worden, unterschreiben, oder wenn er nicht schreiben kann, in Gegenwart anderer Zeugen ein Zeichen darunter machen. Alle Abtreibung der Kinder, welche ihre[236] Wirkung gehabt, wird mit dem Leben bestraft, ohne auf die elende Schuldistinction, ob die Geburt schon Leben gehabt oder nicht, zu sehen1. Rand rechts: In crimine abortus. Wer wissentlich falsches Geld ausgiebt, ob er gleich mit falschen Münzern nichts zu thun hat, kömmt zehn Jahre lang auf die Galeeren. Rand rechts: Falsche Münze. Diebstahl. Der erste Diebstahl ohne gewaltsames Einbrechen, wenn er nicht über zweeneecûs d'or, oder sechs und zwey-drittheil rheinische Gulden sich beläuft, wird mit der Arbeit im Karren bestraft; erstrecket er sich aber über gemeldte Summe, so wird der Thäter öffentlich gegeisselt. Für den andern Diebstahl, wenn er gleich am Werthe nicht so hoch ist, wird der Thäter auf dem Arme gebrandmarkt, und nach Beschaffenheit der Umstände wenigstens fünf Jahre lang auf die Galeeren gebracht. Derjenige, so des dritten Diebstahls überführt wird, kömmt lebenslang auf die Galeeren, und auf den vierten ist die Lebensstrafe gesetzt. Ein Hausdieb, der unter fünf und zwanzig ecûs d'or (deren jeder achthalb Livres beträgt) stiehlt, kömmt lebenslang auf die Ruderbank, und ein zweymaliger Hausdiebstahl wird mit dem Leben bestraft. Stiehlt aber ein Hausbedienter gleich das erstemal an Gelde oder Werthe über fünf und zwanzig ecûs d'or, so hat er auch für dieses erstemal den Strick zur Belohnung. Die Notarien, so ein falsches Instrument verfertigen, oder ein anders in einem Hauptpuncte verfälschen, werden am Leben gestraft. Rand rechts: Falsche Notariatsinstrumente. Verordnung wegen des Gewehres. Niemand darf Flinten, Musketen, Pistolen oder anderes auch sonst erlaubtes Feuergewehr tragen, nicht einmal auf der Reise, bey Verlust des Gewehrs und bey einer Strafe von funfzig ecûs d'or, oder in Mangel des Geldes, bey zweyjährigem Dienste auf den Galeeren. Diese Verordnung geht nicht an die Vasallen, ihre Brüder und Kinder, die Bedienten der obersten Gerichte, unter deren Zahl die Secretarien mit begriffen sind, die Intendanten und graduirten Richter mit ihren Bedienten, wenn sie auf der Reise sind, desgleichen fremde Reisende, welche aber, wenn sie nicht von Adel sind, das Feuergewehr von sich geben müssen, so lange sie sich an einem Orte aufhalten. Sollte es kommen, daß Wölfe oder andere wilde Thiere dem Landmanne Schaden zufügten, so darf der Richter des Ortes einer gewissen Zahl Leute Erlaubniß des Gewehrs zu solcher Jagd geben, allein es muß ein Syndicus oder Rathsherr des Ortes dabey gegenwärtig bleiben. Uebrigens sind etliche Arten Gewehrs gänzlich verbothen, als die kurzen Sackpistolen (welche wenigstens die Länge von einem dritten Theile der turinischen Elle haben müssen, wenn sie geduldet werden sollen), die Balestrins oder Terzolets, die Stilets, Poignards, Couteaux à la Genoise, oder spitzigen Messer mit doppelter Schneide, Degen in den Stöcken etc. wer dergleichen Gewehr in seinem Hause nur aufhebt, kömmt fünf Jahre lang auf die Galeeren, und wer es wirklich trägt, zehn Jahre lang. Durch diese Anstalten[237] wird der Sicherheit der Landstraßen Rath geschafft, und manchem Auflaufe des Volkes oder anderm Unglücke vorgebeuget.

Den Postmeistern ist verbothen, Pferde an Reisende zu geben, ohne Erlaubniß von der Staatssecretarie der auswärtigen Affairen zu Turin, und in den Provinzen von den Gouverneurs und Richtern der Orte. Rand links: Postordnungen. Es ist auch niemanden, der nicht besondern Befehl hat, erlaubt, die Post ohne Postillion zu reiten; man darf keine Post vorbey fahren, oder außer den gewöhnlichen Postwagen über die Gränzen des Landes gehen. Bey diesen Postordnungen ist sehr beschwerlich, daß, wenn man mit der Post gekommen, es nicht erlaubt ist, ein anderes Fuhrwerk zu nehmen, wenn man nicht an dem Orte, wo die Post ist, drey Tage still gelegen. Die Vetturini oder Miethkutscher müssen auf der Landstraße bleiben, und dürfen nicht ohne Paß, welchen sie auf dem letzten Postwechsel vorzuzeigen haben, außer Landes fahren. Es ist aber in dem Piemontesischen, Savoyischen und dem übrigen obern Theile von Italien, nämlich in dem mayländischen, mantuanischen und venetianischen Gebiethe sehr kostbar mit der Post zu fahren, weil man für jedes Pferd funfzig Sols (auf eine Post gerechnet) zahlen muß, also daß man in diesen Gegenden, man mag seinen eigenen Wagen haben oder nicht, mit Einrechnung der Sedie, so als ein Pferd bezahlt wird, achtehalb Livres zahlen muß, da man in dem übrigen Theile von Italien eben so gut und eben so geschwind für vier Livres oder acht Paoli mit der Cambiatura fortkömmt, wovon ich zu anderer Zeit ein mehreres melden werde.

Fußnoten

1 Die nichtswürdige Schuldistinction de fœtu animato & non animato hat ihr Ansehen den Decretalibus juris canonici Part. II, causs. 32, quæst. 2, c. 8 zu danken: non est homicida, quæ abortum procurat, antequam anima corpori sit infusa. Sieht man hiebey auf die finstern Zeiten der Unwissenheit zurück, so gründet sich das ungegründete Vorurtheil: als ob ein Kind im Mutterleibe ohne Seele und Leben wachsen könne, auf die Gültigkeit der Aussprüche des Hippokrates. Dieser gutwillig ehrliche Mann behauptet gleich im Anfange seiner Schrift de octimestri partu: qui octavo mense nascuntur; minime supersunt. Und abermals: eorum, qui octavo mense eduntur, nullus est superstes. Aber widerspricht sich nicht Hippokrates in einer andern Schrift de partu septimestri p. m. 255: Ex his, qui septimo mense nati sunt, supersunt quidam, licet ex multis pauci. Und lib. de carnib. p. m. 254: Puer septimo mense natus certa ratione in lucem prodiit & vitalis est, octavo autem mense natus nullus umquam vixit. Bey so widersprechenden Zeugnissen hat man dennoch mit vieler Zuversicht behauptet: daß wenn ein Kind in den ersten sechs Monaten, oder auch im achten Monate abgetrieben würde, so sey es kein Mensch sondern eine todte Masse, folglich kein Verdacht der Mordthat. Selbst die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls des fünften hat diesen Fehler beybehalten Art. 133: So aber ein Kind, das noch nicht lebendig wäre, von einem Weibsbilde getrieben würde, sollen die Urtheiler der Strafe halber bey den Rechtsverständigen, oder sonst, wie zu Ende dieser Ordnung gemeldet, Raths pflegen. Bey Erklärung dieser Stelle muß man nicht vergessen, was Joh. Paul Kreß angemerket hat in comment. in constit. crimin. Carol. V. p. 431: Partum in utero materno carere anima & demum exclusum animari, item puellæ licere abortum procurare, ne occidatur vel infametur, tamquam propositiones scandalosas rejecit Innocentius X in congregatione generali 1679. Drey Schriften verdienen hiebey gelesen zu werden: Mich. ALBERTIde termino animationis fœtus humani, Hal. 1724. Joh.IVNCKERdiss, sistens moderatam disquisitionem canonis istius juridici, quod scilicet non sithomicida, quæ abortum procuret, antequam anima corpori sit infusa, 1746. Carol Frid.KALTSCHMIDde distinctione inter fœtum animatum & non animatum ex medi. cina forensi eliminanda, 1747.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 238.
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