[245] Vier und dreyßigstes Schreiben.

Von dem unterdrückten Zustande des piemontesischen Adels.

Mein Herr!


Ich komme ungern an die Beantwortung der Frage: in was für einem Zustande der Adel in hiesigen Landen sich befinde? Rand rechts: Unterdruckung des Adels. weil ich den König von Sardinien wegen seiner großen Qualitäten so hoch achte, daß ich wünschte, von der Liebe seiner Unterthanen gegen ihn so viel schreiben zu können, als er verehret und gefürchtet ist. Allein es ist nicht zu leugnen, daß sein Verfahren gegen den Adel viele unglücklich und noch mehrere misvergnügt gemacht, weil sie von ihrem alten Ansehen und Freyheiten wenig oder nichts mehr aufzuweisen haben. Als der geheime Rath von Forstner dem Herzoge von Savoyen die im Jahre 1710 durch Meyern herausgegebene Landkarte des Herzogthums Würtemberg zeigte, verwunderte sich dieser über die kleinen hin und wieder dazwischen liegende Territoria der reichsfreyen Ritterschaft, und fragte: wer das Haus Würtemberg verhindere, daß es solche nicht unter sich brächte? Auf die Antwort, daß die Reichsgesetze und das kaiserliche Interesse dieses nicht zugäben, versetzte er: man müsse den Adel nicht mit Gewalt, sondern durch Kunst bezwingen, wie er und seine Vorfahren gethan hätten. Es ist wahr, daß der König auch in seinen neuen Landsverordnungen hin und wieder bezeuget, wie er das Wohlseyn seines Adels suche, und zu dessen Aufnahme verschiedene Verordnungen gebe.[245]

Hieher gehöret die Einführung des Juris Primogenituræ in allen Lehen auf ewig, da in allodiis kein Adelicher ein fideicommissum weiter hinaus als auf vier Grade machen kann. Rand links: Einführung des Juris Primogenituræ in allen Lehen. Die Bürgerlichen können gar kein sideicommiss machen; und ob sie gleich einem von ihren Söhnen (unbeschadet der Legitimæ von den übrigen) alles zuwenden können: so ist doch dieser nicht gehalten, es beysammen zu lassen und zu behalten, welches für einen reichen Mann, der einen verschwenderischen Sohn hat, und doch seinen Nachkommen gern aufgeholfen wissen will, eine verdrießliche Sache ist. Rand links: Succession in Lehen. In den adelichen Fideicommissis, wo keine besondere Regel wegen der Nachfolge fest gestellt ist, sieht man erstlich auf die Linie, zum andern auf den Grad, drittens auf das Geschlecht, und viertens auf das Alter. Rand links: Apanage der jüngern Brüder. Derjenige, so nach dem Rechte der Erstgeburt zur Besitzung des Guts kömmt, muß zwar den jüngern Brüdern und deren Leibeserben einen Unterhalt geben, der ihrer Geburt und der Größe des Lehens gemäß ist; allein diese Apanage wird nach der Taxe, welche der Senat verordnet, gezahlet, und überschreitet niemals den vierten Theil der Einkünfte des Lehngutes, wenn weniger als vier Prätendenten sind; finden sich diese aber in größerer Anzahl, so ist der dritte Theil zu ihrem Unterhalte angewiesen.

Ferner gereichet zum Aufnehmen der Familien, daß durch eine billige Aussteuer alle Töchter von der Folge und Foderung an ein Lehngut ausgeschlossen sind, so lange jemand vom männlichen Stamme ihres Vaters vorhanden ist. Rand links: Aussteuer der adelichen Töchter. Allein dieser Verordnungen ungeachtet, wird der Adel in keinen andern Ländern mit dem savoyischen und piemontesischen in Ansehung der Freyheit tauschen wollen. Rand links: Reduction der Domainen 1724. Jener, nämlich der savoyische, ist schon längst herunter gebracht worden, und hat der Neid der Piemonteser tüchtig dazu geholfen, bis endlich seit wenigen Jahren auch die Reihe an diese kommen, und eine solche Gleichheit unter beyden gemacht worden ist, daß kein Theil dem andern was vorzuwerfen hat. Die Gelegenheit dazu gab die Erinnerung, daß des itzigen Königs Frau Großmutter Christina, des König Heinrichs des vierten in Frankreich Tochter, sonderlich in währender Vormundschaft über ihren Sohn Karl Emanuel den andern, vielen Staat geführet, dem Adel vieles geschenket, und hier und da Kammergüter veräußert hatte. Diesen Schaden wieder gut zu machen, nahm der König im Jahre 1724 eine allgemeine Reduction oder Widerrufung der veräußerten Kammergüter vor, welche ihm schon über eine Million Livres de Piemont jährliches Einkommen gebracht hat. Die Besitzer der Güter mußten beweisen, wie sie zu denselben gekommen: und wenn man auch bewiese, daß sie von dem Könige oder seinen Vorfahren erkaufet worden; so wurde doch noch ein Beweis erfodert, daß das dafür ausgezahlte Geld zum Nutzen der Krone oder des Landes sey verwendet worden. Wie hart es jedem Unterthanen in der ganzen Welt falle, zu beweisen, wohin die Landesherren ihre Gelder verwenden, ist leicht zu erachten, und daraus auch abzunehmen, wie viele Güter in Piemont eingezogen worden. Rand links: Parallele mit der schwedischen Reduction. Diesem Lande ist also, wie dem Königreiche Schweden und dem Herzogthume Liefland, der Namen Christina sehr fatal gewesen; und ein in höchsten Kriegesdiensten stehender Liefländer, nämlich der General Rhebinder, ist in Verdacht, daß er dem Könige von Sardinien dergleichen Anschläge an die Hand gegeben, oder ihn wenigstens darinnen gestärket habe1. Die vornehmsten Staatsräthe selbst sind dabey sehr zu kurz gekommen: und hat sich der Marquis del Borgo, als ihm der König neulich den Ritterorden de l'Annonciade zusandte, nicht enthalten können zu sagen: er wolle dieser neuen Gnade des[246] Königes gern entübriget seyn, wenn er nur dafür seine alten Güter wieder bekommen hätte. Inskünftige ist alle Veräußerung der Domainen verbothen, und sollen auch die heimfallenden Lehen dazu geschlagen werden; Rand rechts: Verordnungen wegen der Domainen. alle Anwartschaften sind aufgehoben; Lehen, so durch Felonie oder wegen des Verbrechens der beleidigten Majestät eingezogen werden, kann zwar der Landsherr inskünftige vergeben, auch im Falle der Noth und um sonderbare Dienste zu vergelten, ein Lehngut veräußern oder verschenken; allein solches ist nicht länger gültig als nur auf die Lebenszeit desjenigen, welchem das Gut geschenket wird. Rand rechts: Vieler neue Adel. Der alte Adel verliert auch nach und nach von seinem Ansehen durch den vielen neuen, der gemacht wird. Wer ein Gut kaufet, auf welchem der Titel von Marquisat, Baronie, etc. haftet, ist dadurch geadelt, und nennt sich Marquis, Baron, etc. Es kostet dieses weniges Geld und geringe Mühe, weil man vom Könige dergleichen Güter für fünf bis acht tausend Livres kaufen kann. Zu den Zeiten der vorigen Königinn und der Madame Royale durfte niemand nach Hofe zu ihnen kommen, als diejenigen Frauen, so Hofdamen waren, oder es gewesen waren, nebst wenigen andern, denen der König die besondere Erlaubniß dazu gab. Hiedurch wurden öfters auch die vornehmsten Frauen ausgeschlossen, und konnte es kommen, daß ein Frauenzimmer bey Hofe erscheinen durfte, ihre Schwestern aber nicht. Allein nach dem Tode der Königinn und der Madame Royale hat der König allen Damen Erlaubniß gegeben, nach Hofe zu kommen: und erscheinen also auch diejenigen, welche vor kurzer Zeit noch Kaufmanns- oder Banquier-Frauen gewesen, und von dem alten Adel zum Spott Comtesse de l'année 1724, genennet werden. Rand rechts: Verordnung wegen der adelichen Wapen und Titel. Jeder von Adel muß beweisen, woher er sein Wapen habe; sonst wird ihm dieses Recht genommen, oder er muß es erneuern lassen. Ein ganz neues Wapen kostet zehn bis sechszehntausend Livres, nach den verschiedenen Umständen der Personen. Wer den Titel von Duc, Prince, Marquis, Comte, Baron oder dergleichen führen will, muß darüber ein in die Register verzeichnetes Diploma vom itzigen Könige oder seinen Vorfahren aufzuweisen haben. Wer einen Theil der Jurisdiction über einen Ort hat, darf sich nicht davon schreiben, wo er nicht in solchem Platze, wenn er aus hundert Feuerstäten besteht, wenigstens die Hälfte, oder den dritten Theil (wo der Ort noch größer ist) besitzt. Den Titel verliert man mit dem Gute, und kann man sich denselben im Verkaufe des Lehns nicht vorbehalten. Weil auch besondere und unterschiedene Kronen über die Wapen gesetzt zu werden pflegen, nachdem einer Duc, Prince, Marquis, Comte oder Baron ist, so ist eine Strafe von fünf und zwanzig ecûs d'or gesetzt, so oft sich einer eines solchen Titels, der ihm nicht gebühret, anmaßet, oder eine Krone in seinem Wapen oder Pitschaft führet, die über seinem Stande sind. Niemand kann ein Lehen, zu welchem einige Jurisdiction gehöret, an sich bringen, wo er nicht von Adel ist, oder von dem Könige einen Adelsbrief, oder eine Habilitation, wie sie es nennen, auswirket. Dieses vermehret die Menge des neuen Adels, und zugleich die Einkünfte des Königs. Wegen des Verbrechens der beleidigten Majestät werden auch die Fideicommiss-Güter confisciret. Rand rechts: Recht der Jagden. In Ansehung der Jagdenhat der Adel in Deutschland viele besondere Rechte, von welchen man in Piemont nichts weis. Der Bezirk von zehn piemontesischen Meilen um Turin herum ist ein Gehege für den König, in dem übrigen ganzen Lande haben die Officiere freye Jagd, ohne daß ihnen der adeliche Besitzer eines Gutes etwas in den Weg legen darf. Rand rechts: Bergwerke. Es steht auch jedem frey, wo er will, Metalle und Erzgruben zu suchen, und auf seine Unkosten zu bearbeiten; dem Könige oder dem Vasallen, der[247] mit den Metallen belehnet ist, zahlt man nichts, als den zehnten Theil vom Golde, den funfzehnten vom Kupfer und Zinn, den zwanzigsten vom Bley, wobey dem Grundherrn der Schaden, welcher ihm etwan an seinem Felde oder seiner Wiese geschieht, gut gethan werden muß. Fängt man eine Grube an und läßt sie hernach ein Jahr lang liegen, so wird sie für verlassen gehalten, und kann ein jeder darinnen fort arbeiten. Gold und Silber darf nicht aus dem Lande geführet werden, so wenig als Stufen und Erzsteine, woraus das Metall noch nicht gezogen worden. Kupfer muß vorerst dem Conseil d'Artillerie angebothen werden. Flüsse und Bäche gehören zu den königlichen Domainen. Rand links: Schonung des Holzes. In seinen eigenen Waldungen darf niemand Holz fällen ohne Erlaubniß des Intendanten: und schonet man vornehmlich die Ormen- oder Ulmenbäume, als deren Holz zum Gebrauche der Artillerie aufgehoben wird. Es darf auch kein Holz außer Landes geführet werden. Damit auch der Fiscus desto mehr um sich greifen möge, so unterläßt man nicht, die Gemüther zu fleißiger Wachsamkeit oder mehrerm Nachdenken aufzumuntern: und bekömmt derjenige einen vierten Theil Profites, der dem Fisco ein bisher unbekanntes Recht oder einen andern verborgenen Zufluß entdecket und angiebt. Rand links: Favor fisci. Rand links: Politik wegen der auswärtigen Minister. Sowohl dem Adel als den Ministris an auswärtigen Höfen und den übrigen Unterthanen ist verbothen, außer Landes Geld an Güter oder auf Zinsen zu legen, bey Strafe einer gleichen Summe, als sie in solchen fremden Orten angebracht haben. Wer Pension von einem auswärtigen Prinzen, mit welchem man in Krieg verwickelt ist, zieht, wird mit der Strafe der beleidigten Majestät angesehen. Rand links: Verboth der auswärtigen Pensions und Orden. Geschieht solches in Friedenszeiten, so steht die ewige Gefängniß darauf, und einem Vasallen wird über dieses das Lehn genommen. Kein Lehnmann oder anderer Unterthan darf einen Ritterorden annehmen außer denenjenigen, welche der König von Sardinien vergiebt, und ist hievon der einzige Maltheserorden ausgenommen.

Sobald ein Edelmann nicht mehr in den Gränzen seines Lehens ist, darf er außer dem Degen an der Seite weder ein Paar Pistolen am Sattel, noch ein anderes Feuergewehr tragen. Rand links: Verboth des Feuergewehrs. Wer kein Lehen hat, darf gar kein Feuergewehr führen, wenn er auch gleich ein Officier unter den Nationaltruppen ist, der gleichen Rang mit den Officieren der andern Regimenter hat. Zweymal des Jahres kömmt er zur Musterung, und bey diesen Gelegenheiten allein führt er Pistolen am Sattel.

Der Adel von der Gegend um Alexandria hat nicht Vorsorge genug umihre Vorrechte getragen, als sie vom Kaiser an den König von Sardinien abgetreten worden, und wird er daher unter dieses Gesetz mit gezogen. Rand links: Versehen des alexandrinischen Adels. DerMarquis Raymondo Bagliano, ein sehr kluger Mann, war vor etlichen Wochen hier, und stellte unter andern Puncten im Namen der Stadt und des Landes von Alexandria vor, daß, da sie so nahe mit dem mayländischen und genuesischen Gebiethe gränzeten, theils auch in solchen Nachbarschaften Güter besäßen, wohin sie öfters reisen müßten, es vielen vornehmen Leuten, Präsidenten, Marquis und allen Cadets sehr hart falle, wenn sie unter ihres gleichen kommen müßten, ohne ein Paar Pistolen am Sattel zu haben. Der König aber gab auf dieses Begehren diejenige Antwort, welche auch seine andern Unterthanen bekommen, nämlich: ein jeder, der solches Vorrecht verlange, solle sich selbst melden, und wolle er alsdann auf Verdienste sehen. Es ist aberwohl zu vermuthen, daß es mit der Zeit nebst den Verdiensten vornehmlich aufs Geld ankommen, und diese Anstalt nur eine neue Quelle und Zufluß in die Kammereinkünfte abgeben werde. Die piemontesischen Bauern haben noch Gewehr im Hause, welches den Savoyarden genommen ist, die Jagd aber ist beyden untersaget, und findet man auch in ganz Piemont keine königlichen Jäger, ausgenommen in den Gegenden um Turin. Rand links: Jagden.[248]

Seit wenigen Wochen ist allen Unterthanen verbothen, in fremde Kriegesdienste zu gehen: und kann man sich leicht die Rechnung machen, daß dieses dem Adel hart vorkommen müsse, da er in so großer Menge und die Anzahl der Truppen nicht so stark ist, daß er füglich mit Kriegesbedienungen versehen werden könnte. Rand rechts: Verbot in fremde Kriegsdienste zu gehen. In der Stadt Quiera allein wohnen sechs und neunzig adeliche Familien, in welchen anitzo bey achtzig junge Leute sind, so Dienste nehmen könnten. Kein Edelmann darf ohne schriftliche Erlaubniß des Königs in fremde Lande reisen und wird es wenigen vergönnet. Rand rechts: Verboth außer Landes zu reisen. Es ist wahr, daß dieses seinen Nutzen habe, und daß die vielen Reisen junger Leute großes Geld aus ihrem Vaterlande und wenig Nutzen davon wieder hinein zu bringen pflegen; allein jede Sache hat ihre Mittelstraße, und manches Gesetz andere Absichten oder Bewegnisse, als äußerlich an den Tag geleget werden. Es darf allhier nicht einmal ein Lehenmann in das nächstangränzende fremde Gebieth gehen ohne schriftliche Erlaubniß des Königes: und diejenigen, so gänzlich an der Gränze wohnen oder wegen höchstdringender Noth nicht Zeit haben, desfalls ihr Verlangen an den König gelangen zu lassen, müssen solche schriftliche Erlaubniß, welche sich aber nur auf funfzehn Tage erstrecken darf, von den Gouverneurs oder Commendanten einholen. Man sieht wohl, daß der König den vielen Umgang seiner Unterthanen und Vasallen mit Fremden nicht gern sieht, und man merkt leicht die politische Absicht, so darunter verborgen liegt. Rand rechts: Warum man Fremde scheuet? Es ist daher kein Wunder, daß es schwer gemacht wird, wenn ein Fremder sich in hiesigen Landen niederlassen und fest setzen will. Fremde sind anderer Sitten und Lebens-Art gewohnt, und oftmals mit solchen Maximen eingenommen, welche nicht gänzlich mit den Grundsätzen eines Landesherrn, der seine Unterthanen auf gleichen Fuß und mit höchster Gewalt regieren will, überein kommen.

Eine mannbare Fräulein oder Witwe, die eine Jurisdiction, Erbzinsgüter oder Lehen in des Königs von Sardinien fußfestem Gebiethe besitzt, verliert alle ihre Rechte, welche sie oder ihre Nachkommen daran hätten haben können, und fallen solche auf den andern nächsten Anverwandten, sie kann auch nichts mehr erwerben weder durch Schenkungen, Contracte noch letzten Willen, wenn sie sich an einen Fremden verheirathet. Rand rechts: Heirath mit Fremden schwer gemacht.

Ein Fremder, der sich hier niederlassen will, muß sich naturalisiren lassen und den Eid der Treue ablegen; ist er hernach über drey Jahre lang aus dem Lande abwesend, so verliert er alle seine vorher erhaltenen Rechte. Rand rechts: Andere harte Gesetze wider die Fremden. Ein Fremder, so sich im Lande nicht niedergelassen und naturalisiret worden ist, er mag auch von was Stande er wolle seyn, kann nicht das geringste weder an Lehen noch Erbgütern durch ein Testament oder anderes Erbrecht erwerben, und alles was zu seinem Vortheile in einem Testamente gesetzet worden, wird für null und nichtig gehalten, es sey dann, daß mit Nachbarn durch besondere Verträge ein anderes verglichen worden. Dieses Gesetz ist gewiß für Fremde sehr hart, zumal da in keinem andern Lande verbothen ist, einen Savoyarden oder Piemonteser zum Erben einzusetzen, oder ihm etwas zu vermachen. Es ist auch allen Fremden verbothen, Lehen oder andere Güter sich anzuschaffen, die bis auf zwo piemontesische Meilen (deren drey etwan eine deutsche Meile betragen) an den Gränzen liegen, und dieses bey Strafe der Confiscation gemeldter Güter. Allen Unterthanen ist bey fünf und zwanzig ecûs d'or untersaget, ihre in solcher Weite von der Gränze gelegene Güter an Fremde zu verpfänden oder auch nur zu vermiethen. Dasjenige aber, was den Adel in Ansehung der Lehengüteram meisten drücket, sind folgende zwey Stücke. Rand rechts: Lehensänderungen, so der König gemacht. Erstlich hat der König alle Lehen seines ganzen Landes für recta und propria erkläret, und hilft dawider keine Präscription oder Besitz, sondern wer hierinnen was anders behauptet, muß solches aus den Lehenbriefen beweisen. Zum andern hat der König sich die[249] Freyheit gegeben, zu wählen, ob die Lehnleute die Ritterdienste in Person leisten, oder Geld dafür zahlen sollen. Rand links: Ritterdienste. Die Worte der in diesem Jahre ausgegangenen Gesetze lauten:Nos Vassux devront servir en personne chaque fois, que la Cavalcade sera imposée, ou y satisfaire en argent, si bon Nous semble. Wählet der König das Geld, so müssen diejenigen, so den Titel von Duc oder Prince führen, jährlich zahlen funfzig ecûs d'or, (deren jeder für achtehalb Livres de Piemont gerechnet wird) ein Marquis funfzehn, ein Baron zehn, und der geringste Vasall fünf. Dieses wäre vielleicht noch zu verschmerzen, wenn nicht noch dabey verordnet wäre, daß man auch den sechsten Theil des Einkommens von allen Gütern und Lehengerechtigkeiten, so zur Jurisdiction gehören, zahlen solle, und den vierten Theil von dem Einkommen der Güter und Rechte, so nicht dazu gehören. Das Gesetz ist neu, und noch keine Gelegenheit zur Ausschreibung der Ritterpferde vorgefallen, steht also niemanden zu, zu urtheilen, wie oft dergleichen Anlage geschehen, und wie weit sie die Unterthanen aushalten werden. Rand links: Wer den König zu so harten Dingen rathe? Mein Herr könnte vielleicht fragen, wie es komme, daß dergleichen Gesetze von denen Staatsräthen, welche vieles dabey leiden und zu fürchten haben, durch Vorstellungen oder andere Künste nicht ins Stecken gerathen, ehe sie ihre Kraft als Gesetze erlangen. Allein wenn sie sich belieben zu erinnern, wie ich schon von des Königes Gemüthe berichtet, daß er die wichtigsten Sachen vor sich und ohne Zuziehung seiner geheimen Räthe abhandelt, so werden sie ihren Einwurf leicht selbst beantworten können. Die allerklügsten und witzigsten Regenten sind nicht allezeit diejenigen, welche das Wohl ihrer Lande am genausten befördern, weil sie ihren eigenen Kräften allein alles zutrauen, und nicht in Erwägung ziehen, daß vier Augen vermuthlich mehr als zwey sehen. Machen ihnen dann gewissenhafte Bediente einige Vorstellungen, so heißt es, (wie der König von Sardinien auch saget) sie handelten aus eigennützigen Absichten, sie seyen bigots, oder misgönneten dem Herrn den Anwachs seiner Macht. DerMarquis de St. Thomas, del Borgo, Meillarede, Riccardi, Garese, haben, allem Ansehen nach, wenigern Antheil an denjenigen harten Verordnungen, die vor kurzer Zeit herausgekommen sind, als ein junger Advocat von etwan vier und zwanzig bis sechs und zwanzig Jahren, Meister genannt, welchen der König reisen lassen, um die Verbesserung der Kammereinkünfte zu lernen. Man hat mir erzählet, daß einsmals der König bey seinem ersten Lever gehöret, daß jemand in der Vorkammer herum gienge, da er dann gefragt, wer es sey; und als man geantwortet: es sey sein Advocat, (wie ihn denn der König selbst son Advocatino nennet) habe er ihn gleich in das Schlafgemach kommen lassen und zu ihm gesaget: er habe die vergangene Nacht lange gewacht und vielerley Dingen nachgedacht, wobey ihm eingefallen sey, daßeine gewisse Stelle der neuen Lehnverordnungen deutlicher könne gegeben werden, damit die Lehenleute gar keine Ausflucht fänden. Es betraf dieses Lib. VI, Tit. III, c. I, §. 1. da alle Lehen ohne die geringste Absicht auf die Possession oder Observanz zu haben, alsrecta und propria declarirt werden. Als der König ausgeredet, exclamirte der Advocat mit Aufhebung seiner Hände: es sey hier keine pure menschliche Weisheit vorhanden, sondern ein Schutzengel des Landes müsse dem Könige solche erleuchtete Gedanken unmittelbar eingegeben haben, Justinianus selbst würde die Sache nicht bündiger abgefasset haben etc. Nun halte ich zwar meines Orts dafür, daß die Vergleichung mit des Kaisers Justiniani großem Verstande in der That nicht die herrlichste Lobrede sey; allein sowohl der Advocat als der König nahmen solche Ausdrückung in einem höchst rühmlichen Verstande. Dieser bezeugte auch nicht das geringste Misvergnügen über die angeführte niederträchtige Schmeicheleyen, sondern befahl nur dem Advocaten, unverzüglich in die Druckerey zu[250] gehen, und den etwan schon gedruckten Bogen nach der neuern Einsicht verändern und umdrucken zu lassen.

Sollte nicht aller menschliche Witz Ursache haben sich zu demüthigen, wenn man sieht, daß ein so großer Herr, wie dieser König ist, den Fallstricken der Schmeicheley nicht entgehen kann, sondern denselben auf eine offenbar indie Augen fallende Art unterliegen muß?

Nebst dem Könige haben auch der Marquis Riccardi als Obersiegelverwahrer, wie auch Palma, Ferrero und Mellarede die oftgedachten Constitutiones unterzeichnet; allein der erste hat das Siegel darunter drucken müssen, ehe er sie durchlesen dürfen. Er berufte sich zwar auf sein Amt, welches dieses erfodere, und könne etwas darinnen vorkommen, worüber dem Könige Vorstellungen zu machen seyn möchten; er bekam aber zur Antwort: es sey des Königes Befehl, die Constitutiones alsbald zu figniren, widrigenfalls es durch einen andern geschehen sollte; worauf Riccardi ohne ferneres Einwenden dem königlichen Befehle gehorchte.

Schließlich finde ich wegen des piemontesischen und savoyischen Adels noch zu bemerken, wie er dieses vor dem andern italienischen besonders, mit dem englischen und französischen aber gemein hat, daß Personen von einerley Familie, sich nach den Gütern und Lehen verschiedene Zunamen geben, und geht dieses so weit, daß bisweilen sogar Mann und Frau nicht einerley Namen führen. Der alten Prinzeßinn und Witwe von Cisterne Schwiegertochter (die gleichfalls ihren Mann schon verlohren hat) heißt Marquise de la Trousse, und ihres Enkels des Prince de Cisterne Gemahlinn führt den Namen einer Marquise de Voghera, weil nur eine einzige Person von jedem Geschlechte in dieser Familie sich von Cisterne nennen darf. Des Comte de Gouvon Sohn heißt Marquisde Bage, und der Enkel Comte de Fabrian. Hiedurch wird zwar der Vortheil erreichet, daß man an einem Orte, wo viele Personen von einerley Familie sind, nicht nöthig hat, ihre Bedienungen oder andere Umstände, die den Personen nicht allezeit vortheilhaftig sind, dabey zu nennen, wenn man sie von andern ihres Geschlechtsnamens unterscheiden will; allein einem Fremden fällt es schwer, sich alle solche Genealogien bald bekannt zu machen, und hat er indessen viele Behutsamkeit zu gebrauchen, damit er nicht vorwitzige Fragen oder Anmerkungen mache von einer Person, die vielleicht in der nächsten Verwandtschaft mit demjenigen steht, mit welchem man sich unterredet.

Fußnoten

1 Hierinnen geschieht diesem General vermuthlich zu viel, als welcher bey verschiedenen Gelegenheiten dem Könige seine Meynung frey gesagt und manches widerrathen hat; daher auch der König ihm einsmals mit einiger Ungeduld sagte: C'est bien libre. Worauf Rhebinder antwortete: Oui, Sire, je parle comme un Gentilhomme né libre.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 251.
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