[251] Fünf und dreyßigstes Schreiben.

Reise von Turin nach den Borromäischen Inseln.

Das Verlangen, die berühmten Borromäischen Inseln im Lago Maggiore noch bey guter Jahreszeit zu besehen, hat mich bewogen, gleich nach meiner Ankunft in Turin eine kleine Reise in das Mayländische anzutreten, wobey ich gefunden, daß man diesen Weg am bequemsten mit Vetturini zurück legen kann.

Chivasso ist der erste gute Ort, welchen man, nachdem man mit Fährten über die Doira und Stura gekommen, antrifft. Rand rechts: Chivasso. Besagter Ort ist fest, weil man ihm wegen der umliegenden morastigen Gegend mit Minen nicht beykommen kann. Er liegt vier Lieües von[251] Turin in einem ebenen Lande, welches mit vielem türkischen Korne bebauet ist, gegen Zigllano aber unfruchtbar wird, und an vielen Orten nur eine Art von röthlicher Heide hervorbringt. Rand links: Verua. Die ehemals berühmte Festung Verua, so man zwischen Chivasso und Zigllano zur rechten Hand auf einer Höhe läßt, liegt noch in dem verwüsteten Zustande, worein sie durch die lange französische Belagerung im Jahre 1705 gesetzet worden. In diesen Gegenden schlagen die Uhren nach der italienischen Art, da man nämlich eine Stunde nach der Sonnen Untergang Eins zählet, und damit bis vier und zwanzig fortfährt. Rand links: Italienische Uhren. An etlichen Orten geht der Glockenschlag nur auf zwölf, an andern nur bis sechs, da er dann abermals mit Eins anfängt, und man anfänglich etwas Mühe hat, in die Vergleichung der italienischen Schlaguhren mit der französischen oder deutschen Stundenrechnung sich völlig zu finden. Wo die Uhr bis auf zwölf Stunden schlägt, fällt zur Zeit der æquinoctiorum alle Schwierigkeit hinweg.

Vercelly ist von Zigllano (welches Ciano ausgesprochen wird) siebenzehn italienische Meilen oder achtehalb französische Lienes und von Chivasso zwölftehalb Lienes entfernet. Rand links: Vercelly. Die Stadt ist ziemlich groß und in gutem Stande, die Citadelle und alle Befestigungswerke aber liegen seit dem Jahre 1704, da sich die Franzosen von diesem Orte Meister gemachet, in einer völligen Verwüstung. Rand links: Sonderbare Inscription. Ueber der Thüre einer Kirche, welche vielleicht ein besonders asylum seyn soll, bemerket man die Worte:


Quod Justitia punit, Pietas protegit.


Nicht anders, als wenn die Gerechtigkeit der Frömmigkeit entgegen stünde, und beyde nicht wohl vereinigt werden könnten; wie man hingegen mit gutem Fuge die Gerechtigkeit und Gnade zusammen gesetzet hat in folgender Inscription, welche über dem Eingange der neuen Gefängnisse in Rom zu lesen ist:


Justitiæ & Clementlæ

Securiori ac mitiori reorum custodiæ

Novum Carcerem Innocentius X. Pont. Max.

Posuit

Anno Domini MDCLV.


Indessen zeigt die tägliche Erfahrung genug, wie sehr die den Kirchen und Klöstern beygelegte Freystäte nicht nur mit der Gerechtigkeit, sondern auch mit der Frömmigkeit streiten.

So weit auf dieser Seite das piemontesische Gebieth sich erstrecket, wird das so genannte türkische Korn, Meliga, Melga, Grano Turco oder Formentone häufig gebauet. Rand links: Türkisches Korn. Das gemeine Volk gebraucht sich desselben zu seinem Brodte: und wenn es mit Rockenmehle vermischet ist, bedienen sich dessen auch Leute von mittelmäßigem Stande. Die Hülfe der Frucht kann zur Feuerung genutzet werden, und mit den großen Stängeln bessert man die schlimmen Wege. Es sind kaum hundert Jahre, daß man diese Feldfrucht in den hiesigen und benachbarten Ländern eingeführet hat, und zwar wie viele dafür halten, zu schlechtem Vortheile des Landes, weil man vermeynet gefunden zu haben, daß die Meliga nicht nur das Land auszehret und unfruchtbarer machet, sondern auch diejenigen Leute, welche mit dessen Bauung beschäfftiget sind sowohl als diejenigen, welche es zu ihrer Nahrung genießen, ihrer Gesundheit dadurch Abbruch thun. Rand links: Ungestunde Bauung desselben und des Reißes. Daß die Bauung des Reißes eine für das Land und die Einwohner ungesunde Sache sey, hat man auch in Piemont erkannt, und daher in solchem ganzen Gebiethe verbothen, den Acker dazu zu gebrauchen. Sobald man aber in das Mayländische kömmt, findet man denselben häufig, jedoch mit dieser Einschränkung, daß es nicht erlaubet ist, solchen nahe an den Städten zu säen, wie man dann auch auf dieser Seite noch[252] eine Liene von Novara einen aufgerichteten Stein antrifft, welcher zur Gränze dienet, über welche man sich der Stadt mit Bauung dieser Frucht nicht nähern darf. Es ist kaum ein Land in der Welt, welches so wohl bewässert ist als Mayland: und weil die Canäle und Gräben aller Orten die Felder und Wiesen durchschneiden, so giebt solches die beste Gelegenheit zu Bauung des Reißes. Sobald diese Frucht gesäet ist, setzet man den ganzen Acker unter Wasser, und bleibt er in solchem Zustande, bis die Frucht reif wird. Die Austrocknung aber solcher morastigen Gegend kann nicht anders als ungesund seyn, wie solches auch diejenigen, so nur auf denen daranstoßenden Landstraßen bey warmer Zeit reisen, von den ihnen zustoßenden Kopfschmerzen, Schwindel und Flüssen genug erfahren.

Uebrigens ist der Grund und Boden des Herzogthums Mayland an den meisten Orten so gut, daß die Felder jährlich zweymal Früchte tragen. Rand rechts: Fruchtbarkeit des Landes. Der Waizen, oder das Korn, so im Herbste des vorigen Jahres gesäet worden, erlanget seine Reise im Junio, und sobald das Land davon entlediget worden, besäet man es noch einmal mit Haber, türkischem Korne, Reiße etc. welche Früchte im Monate October geärntet werden.

Novara ist von dieser Seite die erste mayländische Stadt. Rand rechts: Novara. Sie ist wohl bebauet, und mit einigen Befestigungswerken versehen. Ihre Hauptkirche ist wegen vieler marmornen Seulen und Statuen, wie auch wegen verschiedener Arbeit von Bronzo und der sogenannten Silberkapelle in Augenschein zu nehmen. Rand rechts: Bischöfliche Vorrechte. Weil dem Bischofe von Novara auch die weltliche Jurisdiction in einem großen Striche Landes bis an den Lago Maggiore zusteht: so hat er, wenn er reitet, den Degen an der Seite.

Die Gegend bis Sesti ist angenehm, und reiset man meistentheils in Alleen von Kastanienbäumen, davon auch kleine Wälder zur Seite liegen. Rand rechts: Schönheit der Gegenden. Die Wege sind gut, haben aber diesen Fehler, daß sie etwas niedriger, als das übrige Land liegen, und daher bey entstehendem Regenwetter leicht mit Wasser angefüllet werden. An vielen Orten vor und in den Dörfern fährt man in berceaux oder Gängen, die mit Weinreben bedecket sind.

Der um diese Zeit eingefallene starke Regen benahm mir zwar nicht wenig von der Annehmlichkeit, welche ich sonst in einem so schönen Lande würde gefunden haben, gab mir aber dafür Gelegenheit etliche sonderbare Trachten, deren man sich allhier auf der Reise wider den Regen bedienet, zu beobachten. Rand rechts: Sonderbare Trachten. Unter andern waren etliche zu Pferde reisende Personen mit einer Art von Frauenröcken aus Wachstuch umgürtet, den Oberleib aber beschützte ein kurzer Mantel von gleichem Zeuge. Leute von geringem Stande, so zu Fuße giengen, trugen bis auf die Waden einen Mantel von Strohe oder dünnem Schilfe, so um den Hals fest zusammen gemachet, übrigens aber nirgends mit einander verbunden war, sondern frey in seiner Länge herabhing, und das darauf fallende Wasser alsbald wieder abtropfen ließ. Etliche Moden der americanischen Wilden kommen völlig mit dieser Tracht überein: und weil viele mayländische Einwohner bey solchem Aufzuge auch barfuß gehen, so kann ein Fremder sie kaum ohne Lachen ansehen.

Ehe man nach Sesti kömmt, läßt man sich mit Fahrzeugen über den Teßino setzen. Von Sesti bis an die borromäischen Inseln sind funfzehn bis sieben zehn italienische Meilen, nachdem der Wind ist, und man entweder gerade zufahren kann, oder bey starkem Winde sich an der Landseite halten muß. Rand rechts: Borromäische Inseln. Den ganzen Weg leget man in fünftehalb Stunden zurück, und bezahlet man einen Boot von fünf Rudern für die Hin- und Herfahrt (welche in einem Tage verrichtet werden) insgemein mit vierzehn Livresde Savoye, welche ein und zwanzig mayländische Livres austragen.

Il Lago Maggiore oder Lago di Locarno, hat in der Länge sechs und funfzig italienische[253] Meilen. Rand rechts: Lago Maggiore. Seine Breite erstreckt sich an den meisten Orten auf sechs italienische Meilen, und die Tiefe seiner Mitte wird von achtzig braccii angegeben. Gegen die Schweiz endiget er sich mit einem Canale, welcher der Handlung großen Vortheil bringt. Zu Lande kömmt man über Sion in vier Tagen nach Geneve; die Wege aber sind sehr schlimm. Unten bey Sesti ergießt sich der See in den Strom Teuse, Teßin oder Ticino, welcher eigentlich der Abfluß des Lago Maggiore ist, und anfänglich so schnell läuft, daß man auch bey nicht starkem Wasser und mit Hülfe eines einzigen Ruderknechts innerhalb drey Stunden bey dreyßig italienische Meilen zurück legen kann. Rand links: Fluß Ticino. Allein eben wegen dieses geschwinden Laufes ist die Fahrt bey niedrigem Wasser gar gefährlich. Aus dem Ticino lenkt man sich linker Hand in den Canal Ticinello oder Navilio, welcher vom Könige Francisco dem ersten, nach der Stadt Mayland geführet worden, und dreyßig italienische Meilen lang, acht und zwanzig bis dreyßig Fuß breit, und bisweilen vier bis sechs Meilen ohne Krümmung ist. Rand links: Il Navilio. Was man vorher zu geschwind gefahren, wird auf diesem Canale wieder eingebracht, indem man Pferde vor das Fahrzeug spannen, und auf solche Art bis Mayland fast einen ganzen Tag zubringen muß, an statt daß man die zehn Lienes, welche Sesti von der Stadt Mayland entfernet ist, mit einem Vetturino in zehn Stunden zurück legen kann. Rand links: Nutzen desselben. Unterdessen ist obgedachter Canal für gedachte Stadt von unschätzbarem Nutzen, weil sie vermittelst desselben und des Lago Maggiore mit verschiedenen deutschen Provinzen, wie auch mit der Schweiz und von dannen ferner mit Frankreich Handlung treiben kann.

Der Grund und Boden des Lago Maggiore ist steinicht, das Wasser hell und von solchem grünlichen Ansehen, dergleichen man in andern tiefen Seen, die reines Wasser haben, bemerket, und fängt man darinnen Forellen, Parsen, Schleyen und andere Arten von Fischen, von welchen ein großer Theil mariniret und in die umliegende Gegend verführet wird. Rand links: Fische im Lago Maggiore. Das viele Essen solcher Fische machet die Fasttage in hiesigen Landen sehr unangenehm, nicht daß man keine gute Fische haben könnte, sondern weil die Wirthe ihre Tische nur mit den wohlfeilsten Gerichten zu versehen pflegen.

Wenn man von Sesti nach den Borromäischen Inseln fährt, läßt man Lizanza, ein altes Schloß, rechter Hand auf seinem Berge, der in zehn bis zwölf Terrassen mit Espaliers von Weinreben eingetheilet ist, und einen guten Prospect abgiebt. Rand links: Arona. Arona liegt eine Stunde von Sesti linker Hand, und gehört nebst den meisten um den See gelegenen Orten dem Grafen Carolo Borromäo, welcher noch viele andere ansehnliche Güter im Mayländischen besitzt. Dieser Graf unterhält in dem auf einem Berge gelegenen Schlosse zu Arona eine Besatzung von vierzig Mann, und giebt die Parole an die zwey hundert Mann kaiserliche Truppen, welche seit der Zeit, da das Herzogthum Mayland an das Haus Oesterreich gekommen, gemeiniglich in der Stadt Arona einquartieret sind. Außerhalb der Stadt und zwar auf der Seite nach den Inseln, verdienet die auf einer Höhe aufgerichtete metallene Statue des heil. Borromäi in Augenschein genommen zu werden. Rand links: Merkwürdige Statue St. Borromäi. Solche ist zu Mayland gegossen, und besteht, ungeachtet ihrer Höhe von fünf und dreyßig braccii oder Ellen, nur aus einem einzigen Stücke, welches auf einem Piedestal von fünf und zwanzig braccii ruhet. Die sämmtliche Höhe des Werkes beträgt demnach sechszig braccii, so viel nämlich auch die Erhöhung der Terrassen auf den borromäischen Inseln austrägt. Von der Proportion itztgedachter Statue kann man sich aus dem Modell des vordersten Gliedes vom Daumen, welches in dem einen Saale der ambrosischen Bibliothek zu Mayland gezeiget wird, einen Begriff machen, als woran der Nagel allein eine Mannsspanne lang ist, das ganze Glied aber zwo Spannen in der Länge, und beynahe drey Spannen im Umfange hat. Das gesicht[254] der Statue ist gegen die Stadt Mayland, welcher St. Borromäus den Segen zu ertheilen scheint, gerichtet.

Der Stadt Arona gegen über liegt zur rechten Hand am See der Flecken Anghiera (lateinisch Angleria) nebst seinem Schlosse.

Der Lago Maggiore ist allenthalben mit Hügeln umgeben, auf welchen Weingärten und viele Gartenhäuser angeleget sind. Rand rechts: Kastanien. Ueber den Weinbergen finden sich Wälder von Kastanienbäumen, deren Früchte im obern Theile von Italien so häufig gebrauchet werden, daß sonderlich im Genuesischen der Preis des Getraides fällt, wenn sie wohl gerathen. Sie bleiben bis Weihnachten frisch und grün, das gemeine Volk aber ißt sie auch noch bis Ostern, sonderlich wenn sie gebraten und in rothem Weine abgekühlet worden sind. An dem Ufer des Sees zeigen sich schöne Alleen und gewölbte Gänge, die mit Weinreben bedecket sind. Absonderlich findet man diese Zierde linker Hand des Sees um Aleso und Belgirada, woselbst wegen der Einbuge des Landes, so der Mittagssonne vollkommen genießt, der beste Wein dieser Gegend wächst, welchen man häufig nach Mayland führet. Rand rechts: Belgirada. Die schönen von der Natur hervor gebrachten Cascaden, so sich hier und da von den Bergen in den See ergießen, vermehren die angenehme Aussicht, die man aus dem Fahrzeuge hat.

Zwo Stunden von Sesti erweitert sich der See: und wenn man endlich in den Busen, worinnen die zwo berühmten Inseln, Isola Madre und Isola bella liegen, einfährt, läßt man Intra und Palanza zur rechten Hand hinter sich. Rand rechts: Isola bella. Jener Ort gehöret dem Grafen von Borromäo, dieser aber dem Kaiser. Billig sollte man l'Isola Madre zuerst in Augenschein nehmen, weil das menschliche Gemüth also beschaffen ist, daß man auch treffliche Dinge nicht nach Würden beurtheilet, wenn man kurz vorher etwas noch viel schöneres von gleicher Art besehen hat. Allein wegen des widrigen Windes hielten sich die Schiffer noch ferner auf der linken Hand, also daß wir zuerst an der Isola bella anlangeten. Beyde Inseln können am besten verglichen werden mit zween nach Art der Pyramiden eingerichteten, mit grünem Laubwerke und Bluhmen ausgezierten Aufsätzen, in welchen die Confituren auf die Tafel gebracht zu werden pflegen. Der Garten der lsola bella, welcher sich uns zuerst zeigete, hat zehn Erhöhungen oder Terrassen, welche perpendiculariter von der Fläche des Wassers anzurechnen, sechszig braccii oder Ellen, deren jede drey Mannsspannen lang ist, ausmachen. Diese Erhöhungen nehmen in ihrem Umfange immer ab, je mehr ihrer werden, nicht anders als wenn zehn oblonga oder Folianten von ungleicher Größe auf einander solchergestalt geleget werden, daß der größte unten zu liegen kömmt, hierauf die kleinern nach der Ordnung ihrer abnehmenden Größe folgen, und endlich auf dem Gipfel das kleinste Volumen den Beschluß machet. Der oberste viereckicht-länglichte Platz des hiesigen Gartens hat eine treffliche Aussicht, ist mit Quadersteinen bepflastert, und mit einer Lehne umgeben. Seine Länge erstrecket sich auf fünf und vierzig bis funfzig gemeine Schritte, und ist er auf allen vier Seinen mit außerordentlich großen steinernen Statuen besetzet. Das Regenwasser, welches auf diesen Platz zu fallen kömmt, sammelt sich in den darunter verborgenen Cisternen, welche auch vermittelst anderer Werke mit Wasser angefüllet werden, um die hier und da angelegte Waserkünste daraus zu versorgen. Um jeden von den obberührten zehn Absätzen ist zulänglicher Platz zu bequemen Spaziergängen, und wechseln an jedem von den vier Ecken große steinerte Statuen und Pyramiden mit einander ab. Alle Wände von unten an bis oben hinauf sind mit Lorberhecken und Espaliers von Orangen, Citronen, Pfirschen etc. bedecket und ganz grün. Die Lorberbäume bleiben des Winters unter freyem Himmel stehen; die Espaliers von Citronen und Orangen aber werden mit einem Dache von Brettern bedecket, und im[255] Falle der Noth auch mit Feuerung vor dem Froste gesichert. Zu solchem Ende liegen alle fünf bis sieben Schritte Quadersteine in der Erde, so in ihrer Mitte ein Loch haben. Diese sind ohngefähr drey Schritte in der Breite von dem Espalier, und dienen zur Einsetzung der Pfeiler, auf denen das halbe Dach, so über dem Espalier herab geht, ruhen kann. Sowohl das Dach, als die Wand, welche von einem Pfeiler zum andern gezogen wird, bestehen aus Brettern von anderthalb Fuß in der Breite und sieben Fuß in der Länge. Was für eine fast unglaubliche Menge solcher Bretter zu diesem Werke erfodert werde, ist leicht zu erachten, wenn es gleich nicht wahr seyn sollte, was die hiesigen Gärtner, wann sie ihre Anzahl bis auf zweymal hundert tausend Stücke erheben, davon vorgeben. Die sämmtlichen Unkosten, so noch jährlich auf diese borromäische Gärten verwendet werden, belaufen sich auf vierzig tausend Livres de Piemont; die Hauptanlage aber und was erfodert worden, um diese Inseln in den gegenwärtigen Stand zu setzen, scheint mehr als fürstliche Einkünfte weggenommen zu haben, indem die itzt also genannte Isola bella anfänglich und noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, nichts anders als ein unfruchtbarer Fels gewesen, auf welchen jeder Korb voll Erde, und was man sonst darauf findet, mit vielen Unkosten zu Wasser hat gebracht werden müssen. Der Garten der Isola bella liegt gegen Mittag, und zieren zweene runde Thürme, so zu Gartenhäusern dienen, die zwo Ecken seines Frontispicii. Die Zimmer dieser Thürme sind hoch und sowohl rother als schwarzer Marmor reichlich darinnen angebracht. Linker Hand des Gartens (wenn man von Sesti kömmt) findet sich eine bedeckte Galerie, so auf steinernen Säulen ruhet, und allenthalben von Limonenbäumen beschattet wird. Auf der andern Seite, nämlich gegen Morgen, kömmt man in eine angenehme Allee von großen Pomeranzenbäumen, die vier- bis fünffach stehen. Nahe dabey liest man in weissem Marmor folgende zwo Inscriptionen:


Vitalianus Comes Borromæns

Ex consilio secreto Majestatis Catholicæ

Rei Tormentariæ Præfectus Generalis

Et Procurator Generalis Cæsaris in Italia

Informibus scopulis substruens & exstruens

Dignitatem otiis, majestatem deliciis comparabat

MDCLXXI.


Nahe dabey:


Renatus Borromæns

Aronæ & arcis suæ

Subjectarum terrarum Novarensium

Lesiæ, Vergantis, Vallis Vígletii, Eumenlæ,

Laveni, Palestri, Stresiæ, Furmigariæ,

Guardasoni & Traverseduní

Comes & Dominus

MDCLXXI.


Renatus Borromäus ein Bruder Vitaliani, war der Vater des itzigen Besitzers der borromäischen Güter, welcher Karl heißt, und ein Herr von sechszig Jahren ist. Aus seiner Ehe mit einer Dame vom Hause Albani sind zween Söhne vorhanden, Johann und Friedrich. Dieser letztere ist nicht verheirathet. Johann aber hat sich mit Clelia aus dem Hause Grilli vermählet und mit ihr schon drey Söhne gezeuget. Karls Bruder, Guilbertus Borromäus ist Kardinal, Patriarch zu Antiochia und Bischof zu Novara, unter[256] welchem Bißthume in Ansehung der geistlichen Sachen, die meisten in hiesiger Gegend befindliche borromäische Güter liegen.

Nahe bey obgedachten Inscriptionen ist ein kleiner Lorberwald, welchen etliche schmale Alleen und eine Cascade von etlichen und zwanzig Fällen oder Absätzen sehr angenehm machen. Ein anderer Platz ist mit großen Granatbäumen besetzet. Der See bespühlet den Garten nebst dem Pallaste ganz genau, und ist kaum einer Handbreit trockenes Erdreich übrig gelassen, ausgenommen ein wenig vor der Façade des Wohnhauses, welches gegen Norden liegt und seine Aussicht nach Iselle hat. Die übrigen Seiten sind alle aus der See mit perpendicularen Mauern oder auf Felsen aufgeführet. Einwärts gegen den Garten finden sich auf der Ost- und Westseite sehr große Arkaden oder Gewölber, über welche die Erde zu den obgedachten Erhöhungen gebracht ist, und in deren Absicht man dieses Werk gar wohl mit den Hortis pensilibus des Alterthums vergleichen könnte. Besagte Arkaden dienen nicht nur zum nöthigen Fundament des Erdreichs, sondern auch zur Zierde des Gartens, indem sie als Grottenwerke angeleget worden. Nahe bey dem Pallaste sieht man in einem besondern Verdecke oder Hause drey schöne Gondoln liegen, deren sich die Herrschaft beym Spazierenfahren zu bedienen pfleget.

Der Pallast ist noch nicht ausgebauet, indessen aber schon mit vielen schönen Gemälden, vases, bustes und andern Merkwürdigkeiten versehen. Unter den Gemälden verdienen insonderheit die Bluhmenstücke, deren etliche auf marmorne Tafeln gemalet sind, ein großes Lob. In verschiedenen Zimmern stehen die Portraite derjenigen Kardinäle, welche das borromäische Haus der römischen Kirche gegeben hat. Die Gewölber dieses Pallastes stoßen dicht an den See, und sind als Grotten mit Muschelwerke und Marmor gezieret. Der Fußboden besteht aus kleinen Steinen, welche auf solche Art zusammengesetzet sind, daß sie allerley Figuren vorstellen. Wenn man zu diesen Umständen rechnet, daß die Wellen des Sees fast beständig an den Fuß dieser Grotten spühlen: so ist zu erachten, daß bey heißer Sommerszeit kaum ein angenehmerer Aufenthalt, als dieser, ersonnen werden könne. Gleich hinter dem Hause gegen die Mittagsseite stehen fünf Cypressen von außerordentlicher Größe, indem sie haushoch sind, und untenher nebst ihrem dicken Laubwerke, das den Stamm bis an die Erde bekleidet, der dicksten Eiche beykommen. Sobald man aus dem Hause nach dem Garten geht, empfindet man den angenehmen Geruch von Bluhmen und Früchten. Das erste Contra-Espalier, welches man nach Ersteigung einer hohen Treppe antrifft, besteht aus grünen oder Bergamottecitronen; nach welchem ein sehr hohes Geländer von Pomeranzen folget. Ferner kömmt man an eine hohe und sowohl mit Wasserkünsten als Statuen gezierte Grotte, über deren Mitte ein sehr großes springendes Einhorn, worauf der Cupido sitzt, zu sehen ist. Auf beyden Seiten führen Treppen nach dem obersten Platze der zehn Erhöhungen, von welchen vorher schon Erwähnung geschehen ist.

Mit der Ueberfahrt von der Isola bella nach der Isola Madre bringt man eine halbe Stunde zu, ob sie gleich wegen ihrer Höhe ganz nahe beysammen zu liegen scheinen. Rand rechts: Isola Madre. Diese letztgedachte Insel hat sieben Absätze, die zwar hoch, aber weit hinter einander angeleget sind, daher sie niedriger als die Isola bella scheint, obgleich beyde einerley Höhe haben sollen. Das äußerste Fundament der Isola Madre besteht meistentheils aus steilen und perpendicular-abhängenden Felsen, welche weit über das Wasser hervorreichen und verursachen, daß man auf dieser Insel nicht so vieles Mauerwerk wie auf der Isola bella sieht. Das Wohnhaus ist nicht sonderlich, auch nur auf den Seiten von Sesti und der Isola bella ausgebauet, indessen findet man jedoch auch allhier schöne Gemälde von Bluhmen, Portraiten,[257] Landschaften etc. und unter andern Vercelly, wie es vor der Demolition ausgesehen hat. Dem Garten mangelt es gleichfalls nicht an Schönheiten, und bemerket man darinnen ein schönes Espalier von Cedri, mit einem niedrigen Contra-Espalier von grünen Pomeranzen; einen bedeckten Gang von Cedri; ein kleinesEspalier von Jasmin; ein Espalier von Agacia; dergleichen von Rosmarin, der über anderthalb Mann hoch ist, und Stämme von der Dicke eines Arms hat; ferner etliche Lorberwäldlein, so mit Alleen durchschnitten sind, und hie und da Bäume von mehrerer als Mannsdicke haben. Ein neuangelegtes Espalier vom Lorber soll über achtzehn Fuß hoch werden, von welcher Höhe sie gleichfalls Hecken oder Wände von Lorber haben, an welchen vornehmlich das dichte Laubwerk zu bewundern ist. Eine solche Hecke wächst allhier innerhalb sechs bis sieben Jahren in die Höhe, weil die Luft gelinder ist, und die Nordwinde durch die vorliegenden Berge abgehalten werden.L'Isola Madre dienet gleichsam zu einem weitläuftigen Gefängnisse für viele Fasanen, welchen die Breite des Sees alle Gelegenheit zur Flucht benimmt. Geschieht es, daß bisweilen einer oder der andere dieser Vögel einen so fernen Flug unternimmt, so hat die Reise bald ein Ende, weil er ins Wasser fällt und daraus mit einem Kahne zurück gebracht wird. Dergleichen Flucht aber wird gar selten unternommen, weil diese Insel um ein gutes Theil größer als die Isola bella, auch dabey mit vielem Bluhmenkohl und anderm Gartengewächse, Obst, Wein, Buschwerk und Schatten versehen ist, daß die Fasanen gute Gelegenheit und überflüßigen Unterhalt finden. Für die jungen Fasanen ist ein besonderes Haus gebauet, nahe bey welchem eine Allee von sehr hohen Cypressen besehen zu werden verdienet. Auf jeder Seite zählet man fünf und dreyßig dieser Bäume, deren Stämme ohne die Aeste oder das Laub unten fast mannsdick sind, mit dem Buschwerke aber kaum von etlichen Männern umklaftert werden können. Ich halte solches für das schönste Stück dieser Insel, bey welchem man nicht umhin kann, sich der fabelhaften Beschreibungen von bezauberten Inseln und Pallästen zu erinnern. Itztgedachte Allee führet Berg-ab in ein Gartenhaus, so an der See liegt, und woselbst die itzige Kaiserinn, welche sich etliche Tage allhier aufgehalten hat, ans Land getreten ist. Ihr Gemahl Karl der sechste, hat gleichfalls etliche Tage auf der Isola bella, wiewohl zu anderer Zeit, zugebracht.

Unter die Merkwürdigkeiten der Isola Madre kann man noch einen großen Nasso oder Ebenbaum rechnen, welcher einer Tanne sehr ähnlich sieht, aber große rothe Beeren trägt.

Die sämmtlichen Ufer der beyden Inseln sind mit gefärbten Bluhmentöpfen besetzet: und wenn fremde Prinzen bey Nacht ankommen, oder sich allhier verweilen, werden beyde Inseln mit Feuer von allerley Farben illuminiret, welches nicht anders als vortrefflich in die Augen fallen kann. Ein mayländischer Kupferstecher, Namens Marc Antonio dal Ré hat von der Isola bella einen großen Kupferstich, und von beyden Inseln acht andere kleinere verfertiget, mit welchen sich Reisende versehen können.

Endlich ist noch zu erinnern, daß man von Sesti das benöthigte Mittagsessen nebst dem Weine mit sich bringe, weil unbekannte Reisende auch für Geld auf diesen Inseln nichts bekommen können.[258]

Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 251-259.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon