242. Wiener Zeitschrift, 1842, Nr. 79.

[434] Prag 15. Jan. 1787.

Liebster Freund! Endlich finde ich einen Augenblick an Sie schreiben zu können; – ich nahm mir vor gleich bei meiner Ankunft vier Briefe nach Wien zu schreiben, aber umsonst! – nur einen einzigen (an meine Schwiegermutter) konnte ich zusammenbringen, und diesen nur zur Hälfte – meine Frau und Hofer [der Mann seiner Schwägerin Josepha] mußten ihn vollenden. Gleich bei unserer Ankunft (Donnerstag den 11. um 12 Uhr zu Mittag) hatten wir über Hals und Kopf zu thun um bis 1 Uhr zur Tafel fertig zu werden. Nach Tisch regalirte uns der alte Herr Graf Thun mit einer Musik, welche von seinen eigenen Leuten aufgeführt wurde und gegen anderthalb Stunden dauerte. Diese wahre Unterhaltung kann ich täglich genießen. Um 6 Uhr fuhr ich mit dem Grafen Canal auf den sogenannten Breitfeldischen Ball, wo sich der Kern der Prager Schönheiten zu versammeln pflegt. Das wäre so etwas für Sie gewesen, mein Freund! – ich meine, ich sehe Sie all den schönen Mädchen und Weibern nach – – laufen glauben Sie? – nein, nachhinken! – Ich tanzte nicht und löffelte nicht. Das erstere, weil ich zu müde war, und das letzte aus meiner angebornen Blöde; – ich sah aber mit ganzem Vergnügen zu, wie alle diese Leute auf die Musik meines Figaro, in lauter Contretänze und Teutsche verwandelt, so innig vergnügt herumsprangen; denn hier wird von nichts gesprochen als von – Figaro, nichts gespielt, geblasen, gesungen und gepfiffen als – Figaro; keine Oper besucht als Figaro, und ewig Figaro; gewiß große Ehre für mich. Nun wieder auf meine Tagordnung zu kommen. Da ich spät[434] vom Ball nach Hause gekommen und ohnehin von der Reise müde und schläfrig war, so ist nichts natürlicher auf der Welt als daß ich sehr lange werde geschlafen haben; und gerade so war es. – Folglich war der ganze andere Morgen wieder sine linea. Nach Tisch darf die hochgräfliche Musik nie vergessen werden, und da ich eben an diesem Tage ein ganz gutes Pianoforte in mein Zimmer bekommen habe, so können Sie sich leicht vorstellen, daß ich es den Abend nicht so unbenutzt und ungespielt werde gelassen haben; es gibt sich ja von selbst, daß wir ein kleines Quatuor in caritatis camera (und das schöne Bandl hammera97) unter uns werden gemacht haben, und auf diese Art der ganze Abend abermal sine linea wird vergangen sein; und gerade so war es. Nun zanken Sie sich meinetwegen mit Morpheus; dieser Laras ist uns beiden in Prag sehr günstig; was die Ursache davon sein mag das weiß ich nicht; genug, wir verschliefen uns beide sehr artig. Doch waren wir im Stande schon um 11 Uhr uns beim Pater Unger einzufinden und die k.k. Bibliothek und das allgemeine geistliche Seminarium in hohen niedern Augenschein zu nehmen. – Nachdem wir uns die Augen fast aus dem Kopf geschauet hatten, glaubten wir in unserm Innersten eine kleine Magenarie zu hören; wir fanden also für gut zum Grafen Canal zur Tafel zu fahren. Der Abend überraschte uns geschwinder als Sie vielleicht glauben, – genug es war Zeit zur Opera. Wir hörten also Le gare generose [von Paisiello]. Was die Aufführung dieser Oper betrifft, so kann ich nichts Entscheidendes sagen, weil ich viel geschwätzt habe; warum ich aber wider meine Gewohnheit geschwätzt habe, darin möchte es wohl liegen – basta, dieser Abend war wieder al solito verschleudert. Heute endlich war ich so glücklich einen Augenblick zu finden um mich um das Wohlsein Ihrer lieben Eltern und des ganzen Jacquinschen Hauses erkundigen zu können. Ich hoffe und wünsche von Herzen daß Sie sich alle so wohl befinden mögen als wir beide uns befinden. Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen daß (obwohl ich hier alle möglichen Höflichkeiten und Ehren genieße[435] und Prag in der That ein sehr schöner und angenehmer Ort ist) ich mich doch recht sehr wieder nach Wien sehne, und glauben Sie mir, der Hauptgegenstand davon ist gewiß Ihr Haus. – Wenn ich bedenke daß ich nach meiner Zurückkunft nur eine kurze Zeit noch das Vergnügen genießen kann in Ihrer werthen Gesellschaft zu sein und dann auf so lange – und vielleicht auf immer dieses Vergnügen werde entbehren müssen, dann fühle ich erst ganz die Freundschaft und Achtung, welche ich gegen Ihr ganzes Haus hege.

Und nun leben Sie wohl, liebster Freund. – – Nun Adieu. Künftigen Freitag den 19. wird meine Academie im Theater sein; das wird meinen Aufenthalt hier leider verlängern. Ich bitte Ihren würdigen Eltern meinen Respect zu melden und Ihren Herrn Bruder [Joseph, den Nachfolger des Vaters] für mich tausendmal zu embrassiren. Ihrer Frl. Schwester [Franziska, einer von Mozarts echtesten Schülerinnen] küsse ich tausendmal die Hände, mit der Bitte auf ihrem neuen Pianoforte recht fleißig zu sein – doch diese Ermahnung ist unnütz, denn ich muß bekennen, daß ich noch nie eine Schülerin gehabt, welche so fleißig und so viel Eifer gezeigt hätte wie eben sie – und in der That, ich freue mich recht sehr wieder darauf ihr nach meiner geringen Fähigkeit weiter Unterricht zu geben. Apropos, wenn sie morgen kommen will, ich bin um 11 Uhr gewiß zu Hause.

Nun aber wäre es doch Zeit zu schließen? – nicht wahr? – schon längst werden Sie sich das denken. – Leben Sie wohl, mein Bester! – erhalten Sie mich in Ihrer werthen Freundschaft. – Schreiben Sie mir bald – aber bald, und sollten Sie vielleicht zu träge dazu sein, so lassen Sie den Salzmann kommen und dictiren Sie ihm den Brief an; doch es geht nie so vom Herzen, wenn man nicht selbst schreibt. Nun – ich will sehen, ob Sie so mein Freund sind, wie ich ganz der Ihrige bin und ewig sein werde.

Mozart.

P.S. In dem Briefe, so Sie mir vielleicht schreiben werden, setzen Sie: im Graf Thunischen Palais. – Meine Frau empfiehlt sich bestens dem ganzen Jacquinschen Hause, wie auch Hr. Hofer. – Mitwoch werde ich hier den Figaro[436] sehen und hören, wenn ich nicht bis dahin blind und taub werde. – Vielleicht werde ich es erst nach der Oper. – –

In Prag auch erhielt Mozart vom Impresario Bondini den Auftrag, für den nächsten Herbst eine Opera buffa zu schreiben. Er schlug da Ponte als Textdichter vor und es ward der »Don Juan« gewählt. Mit diesem sogetto esteso multiforme sublime, wie da Ponte sich ausdrückt, war nun Mozarts Seele beschäftigt, als er die Nachricht erhielt, daß sein Vater, der schon seit Monden gekränkelt hatte, ernstlich erkrankt war. Darauf schreibt er folgenden letzten Brief an den geliebten treuen Mann, der ihm sein ganzes Leben geopfert hatte und obwohl er in der letzten Zeit weniger Theilnahme für den Sohn gezeigt, doch von diesem unverändert innig und dankbar geliebt ward.

97

Ein komisches Terzett von Mozart. Köchel Nr. 441.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 434-437.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mozarts Briefe
Mozarts Briefe