68. Mozarteum.

[73] Augsburg 23. Oct. 1777.

Gestern ist meine Academie in scena gegangen. Graf Wolfeck war fleißig dabey und brachte etliche Stiftsdamen mit. Ich war schon gleich die ersten Tage in seinem Logement um ihm aufzuwarten, er war aber nicht hier. Vor etlichen Tagen ist er wieder angelangt, und da er erfahren daß ich hier bin, so erwartete er nicht daß ich zu ihm kam, sondern, da ich just Hut und Degen nahm um ihm meine Visite zu machen, trat er eben zur Thür herein. Nun muß ich eine Beschreibung von den vergangenen Tagen machen, ehe ich zum Concert komme. Vergangenen Samstag war ich zu St. Ulrich wie ich schon geschrieben habe. Etliche Tage vorher führte mich mein Hr. Vetter zum Prälaten vom Hl. Kreuz, der ein recht braver ehrlicher alter Mann ist. Den Samstag ehe ich auf[73] St. Ulrich ging, war ich mit meiner Baase nochmals im Hl. Kreuzerkloster, weil das erstemal der Hr. Dechant und Procurator nicht hier war und weil mir mein Bäsle sagte, daß der Procurator so lustig sei – – –

[Hier folgt wie in manchen Briefen ein Stück von der Hand der Mama. Sie schließt: »Mich wundert sehr, daß du die Duetti von Schuster (vgl. Nr. 63 a.E.) noch – –« Darauf Wolfgang:] »Ach er hat sie ja bekommen.« – Mama: »Ei beileibe, er hat ja immer geschrieben, daß er sie noch nicht hat –« Wolf: »Das Disputiren kann ich nicht leiden, er hat sie gewiß, und hiemit ists aus.« Mama: »Du irrst dich.« Wolf: »Nein, ich irre mich nicht, ich wills der Mama geschrieben zeigen.« Mama: »Ja, und wo?« Wolf: »Da, lies die Mama.« – Nun liest sie just. – Vergangenen Sonntag war ich im Amt beim Hl. Kreuz, um 10 Uhr ging ich aber zum Hrn. Stein. Wir probirten ein paar Sinfonien zum Concert. Hernach speiste ich mit meinem Vetter beim Hl. Kreuz. Unter der Tafel wurde Musik gemacht. So schlecht als sie geigen ist mir die Musik im Kloster doch lieber als das Orchester von Augsburg. Ich machte eine Sinfonie und spielte auf der Violine das Concert in B von Vanh all mit allgemeinem Applaus. Der Hr. Dechant ist ein braver lustiger Mann; er ist ein Vetter von Eberlin [dem verstorbenen Salzburger Capellmeister], heißt Zeschinger; er kennt den Papa ganz gut. Auf die Nacht beim Souper spielte ich das Straßburger Concert; es ging wie Oel; alles lobte den schönen reinen Ton. Hernach brachte man ein kleines Clavichord, ich präludirte und spielte eine Sonate und die Variationen von Fischer. Dann zischelten die Andern dem Hrn. Dechant ins Ohr, er sollte mich erst orgelmäßig spielen hören. Ich sagte, er möchte mir ein Thema geben, er wollte nicht, aber einer aus den Geistlichen gab mir eins. Ich führte es spazieren und mitten darin (die Fuge ging ex G minor) fing ichmajor an und ganz was Scherzhaftes, aber im nämlichen Tempo, dann endlich wieder das Thema und aber von hinten. Endlich fiel mir ein, ob ich das scherzhafte Wesen nicht auch zum Thema der Fuge brauchen könnte? – Ich fragte nicht lang, sondern machte es gleich und es ging so accurat, als[74] wenn es ihm der Daser [ein Salzburger Schneidermeister] angemessen hätte. Der Hr. Dechant war ganz außer sich. »Das ist vorbei, da nützt nichts«, sagte er, »das habe ich nicht geglaubt, was ich da gehört habe; Sie sind ein ganzer Mann. Mir hat freilich mein Prälat gesagt, daß er sein Lebetag Niemand so bündig und ernsthaft die Orgel habe spielen hören.« (Denn er hat mich etliche Tage vorher gehört, der Dechant war aber nicht hier.) Endlich brachte einer eine Sonate her, die fugirt war, ich sollte sie spielen. Ich sagte aber: »Meine Herren, das ist zu viel, das muß ich gestehen, die Sonate werde ich nicht gleich so spielen können.« »Ja, das glaube ich auch«, sprach der Dechant mit vielem Eifer, denn er war ganz für mich, »das ist zu viel, da gibts Keinen dem das möglich wäre.« »Uebrigens aber«, sagte ich, »ich will es doch probiren.« Da hörte ich aber immer hinter mir den Dechant: »O du Erzschufti, o du Spitzbubi, o du du!« – Ich spielte bis 11 Uhr, ich wurde mit lauter Fugen-Themata bombardirt und gleichsam belagert.

Neulich bei Stein brachte er mir eine Sonate von Becke; ich glaube ich habe das schon geschrieben. Apropos wegen seinem Mädl.23 Wer sie spielen sieht und hört und nicht lachen muß, der muß von Stein wie ihr Vater sein. Es wird völlig gegen den Discant hinaufgesessen, beileibe nicht mitten, damit man mehr Gelegenheit hat, sich zu bewegen und Grimassen zu machen. Die Augen werden verdreht, es wird geschmuzt; wenn eine Sache zweimal kommt, so wird sie das 2te Mal langsamer gespielt; kommt sie 3 Mal, wieder langsamer. Der Arm muß in alle Höhe, wenn man eine Passage macht, und wie die Passage markirt wird, so muß es der Arm, nicht die Finger und das recht mit allem Fleiß schwer und ungeschickt thun. Das Schönste aber ist daß, wenn in einer Passage (die fortfliessen soll wie Oel) nothwendigerweise die Finger gewechselt werden müssen, so brauchts nicht viel Acht zu geben, sondern wenn es Zeit ist, so läßt man[75] aus, hebt die Hand auf und fängt ganz commod wieder an. Durch das hat man auch eher Hoffnung einen falschen Ton zu erwischen, und das macht oft einen curiosen Effect. Ich schreibe dieses nur um dem Papa einen Begriff von Clavierspielen und Instruiren zu geben, damit der Papa seiner Zeit einen Nutzen daraus ziehen kann. Hr. Stein ist völlig in seine Tochter vernarrt. Sie ist 8 Jahr alt, sie lernt nur alles auswendig. Sie kann werden, sie hat Genie; aber auf diese Art wird sie nichts, sie wird niemals viel Geschwindigkeit bekommen, weil sie sich völlig befleißt die Hand schwer zu machen. Sie wird das Nothwendigste und Härteste und die Hauptsache in der Musik niemals bekommen, nämlich das Tempo, weil sie sich von Jugend auf völlig beflissen hat nicht auf den Tact zu spielen. Hr. Stein und ich haben gewiß 2 Stunden mit einander über diesen Punct gesprochen. Ich habe ihn aber schon ziemlich bekehrt, er fragt mich jetzt in Allen um Rath. Er war in den Becke völlig vernarrt; nun sieht und hört er daß ich mehr spiele als Becke, daß ich keine Grimassen mache und doch so expressive spiele, daß noch Keiner, nach seinem Bekenntniß, seine Pianofortes so gut zu tractiren gewußt hat. Daß ich immer accurat im Tact bleibe, über das verwundern sie sich alle. Das tempo rubato in einem Adagio, daß die linke Hand nichts darum weiß, können sie gar nicht begreifen. Bey ihnen gibt die linke Hand nach. Graf Wolfeck und mehrere, die ganz passionirt für Becke sind, sagten neulich öffentlich im Concert, daß ich den Becke in den Sack spiele. Graf Wolfeck lief immer im Saal herum und sagte: »So hab ich mein Lebtage nichts gehört.« Er sagte zu mir: »Ich muß Ihnen sagen, daß ich Sie niemals so spielen gehört wie heute, ich werde es auch Ihrem Vater sagen, sobald ich nach Salzburg komme.« Was meint der Papa was das erste war nach der Sinfonie? – Das Concert auf 3 Claviere: Hr. Demmler spielte das erste, ich das zweite und Hr. Stein das dritte. Dann spielte ich allein die letzte Sonate ex D für Dürnitz, dann mein Concert ex B, dann wieder allein ganz orgelmäßig, eine Fuge ex C minor und auf einmal eine prächtige Sonate ex C major so aus dem Kopf mit einem Rondo auf die letzt; es[76] war ein rechtes Getös und Lärm. Hr. Stein machte nichts als Gesichter und Grimassen vor Verwunderung. Hr. Demler mußte beständig lachen. Das ist ein so curioser Mensch, daß wenn ihm etwas recht sehr gefällt, so muß er ganz entsetzlich lachen. Bey mir fing er gar zu fluchen an. Addio.

23

Nannette, damals 8 Jahre alt, später die so vortreffliche Frau von Schillers Jugendfreund Andreas Streicher und in Wien eine der besten Freundinnen Beethovens.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 73-77.
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