Vierter Abschnitt.

Künstlerwirtschaft.

1783.

»Not erzieht ihn und hilft ihm schaffen,

Not begleitet ihn durchs Leben

und legt ihn endlich auf die Bahre.«


Das nächste Ereignis, worauf das glückliche junge Ehepaar sich freute, war eine Reise nach Salzburg. Schon im Oktober denken sie daran, und im November wollen sie sicher abreisen. Constanze ist »begierig ihrem liebsten Vattern 1000mal die Hände zu küssen« und trägt sein Porträt fortwährend bei sich im Sack. Sie ist außer sich vor Freude, wenn sie nur von Salzburg und der Reise hört. Das erstemal aber, als sie abzureisen gedenken, bekommt Constanze arges Kopfweh, das zweitemal tritt so schlechtes Wetter ein, daß die Wege unfahrbar werden. Darauf kehren die vornehmen Schüler vom Lande zurück und schicken sogleich nach ihrem Lehrer. Dieser aber will trotzdem abreisen, die Koffer bleiben gepackt, bis der Vater geantwortet hat, ob er seine gehorsamen Kinder jetzt auf wenig Wochen oder im Frühjahre auf längere Zeit bei sich sehen wolle. Erst als dieser sich geäußert, werden die Koffer wieder ausgepackt, und man bleibt vorerst in Wien.

Hier hat denn auch Mozart die Hände voll zu tun, und der Kopf steckt ihm so voll von allerlei Dingen, daß er immer in der größten Eile und nur wenig an den Vater schreibt. Aber getreulich wandert jeden Posttag ein Brief nach Salzburg, die Verbindung mit dem elterlichen Hause bleibt immer noch die innigste. Die Geschäfte freilich, die Mozart am Briefschreiben hindern, sind nur die gewöhnlichen: Stundengeben und Akademien, nicht etwa[305] eine Oper oder dergleichen größerer Auftrag. Allein da er stets bereit ist, mit seinem Können jedem Bekannten zu helfen, so wird er vielfach in Anspruch genommen. Heute hat er der Auerhammer, die er doch nicht leiden konnte, versprochen, in ihrer Akademie zu spielen, und schreibt dafür ein Konzert oder eine Sonate, morgen giebt seine Schwägerin Aloysia einen Abend, und Mozart komponiert ihr dazu ein neues Rondo. Unterdessen hofft er aber immer wieder auf eine Oper, weil die »Entführung« nach wie vor mit dem ungemessensten Beifall gegeben wird, und da der alte Ignaz Umlauf (1756–1796)1 wieder ein »elendes Stück« geschrieben hatte, und Mozart überhaupt findet, daß man »das Wahre in allen Sachen jetzt nimmer schätze und kenne und daß man, um Beyfall zu erhalten Sachen schreiben müsse die so verständlich seien, daß es ein fiacre nachsingen könnte, oder so unverständlich, daß es ihnen, eben weil es kein vernünftiger Mensch verstehen kann, gerade eben deßwegen gefalle« – so vertraut er seinem Vater, daß er nicht übel Lust hätte, ein Buch – eine musikalische Kritik mit Exempeln zu schreiben – »aber NB. nicht unter meinem Namen«. Er begreift nicht, wie die Komponisten zu so allerhand schlechten »Bücheln« greifen können. Er läßt sich von Italien her die neuesten Texte der komischen Oper kommen, hat dann wohl hundert durchgelesen, ohne auch nur einen zu finden, der seinem Geschmack zusagte, der seinen Genius zu entfesseln vermöchte.

Sein Weiberl derweilen ist in ihrem Kreise ebenso fleißig (»sie ist ganz dick, aber nur ......«), und beide sind miteinander äußerst lustig und unbesorgten Gemütes, wie man aus folgendem Briefe ersieht. »Und nun noch eine Bitte, denn meine Frau läßt mir keinen Frieden. Sie wissen ohne Zweifel, daß jetzt Fasching ist; und das hier so gut wie in Salzburg und München getanzt wird; – und da möchte ich gerne (aber daß es kein[306] Mensch weiß) als Harlequin gehen – weil hier so viele, aber lauter Eseln auf der Redoute sind; folglich möchte ich Sie bitten, mir Ihr Harlequinkleid zukommen zu lassen – aber es müßte halt recht gar bald seyn – wir gehen eher nicht auf die Redoute, obwohl sie schon im größten Schwunge ist – uns sind die Hausbälle lieber.« Also der alte Hanswurst lebt wieder auf, oder vielmehr, er war noch nicht gestorben, nur anhaltende Arbeiten hatten ihn für einige Zeit zurückgedrängt. Aber jetzt springt auch die Freude hell lachend hervor. »Vergangene Woche habe ich in meiner Wohnung einen Ball gegeben«, fährt er fort, »versteht sich aber die Chapeaux haben Jeder zwey Gulden bezahlt. Wir haben Abends um 6 Uhr angefangen und um 7 Uhr aufgehört; – was nur eine Stunde? – Nein, nein! – Morgens um 7 Uhr. – Sie werden aber nicht begreifen wie ich den Platz dazu gehabt habe? – Ja – da fällt mir eben ein, daß ich Ihnen immer zu schreiben vergessen habe, daß ich seit anderthalb Monathen ein anderes Logis habe – aber auch auf der hohen Brücke – bey Herrn v. Wetzlar – einem reichen Juden. – Nun da habe ich ein Zimmer – 1000 Schritt lang und einen breit – und ein Schlafzimmer – dann ein Vorzimmer – und eine große schöne Küche; – dann sind noch 2 schöne große Zimmer neben unser, welche noch leer stehen – diese benutzte ich also zu diesem Hausball – Baron Wetzlar und sie waren auch dabey – wie auch die Baron Waldstätten – Herr v. Edelbach – Gilowsky der Windmacher – der junge Stephanie et uxor – Adamberger und sie – Lange und Langin u.s.w. Ich kann Ihnen ohnmöglich alle hersagen.«

So erfahren wir denn auch, wie Mozart lebte und wohnte. Diese Wohnung war gewiß bescheiden, aber – es war seit einem halben Jahre schon die zweite, und bald mußte er, freilich ohne eigene Schuld, die dritte nehmen. Ueberhaupt finden wir ihn oftmals mit dem Logis wechseln, man ersieht nicht immer, aus welchen Anlässen. Aber sicherlich lag dabei etwas Unaufmerksamkeit[307] mit zu Grunde, wie denn über haupt eine strenge Hausordnung nicht die Sache der beiden Eheleute war. Er hatte andere Dinge zu denken, und was von Ordnungssinn in ihm lebte, ging in seine künstlerische Tätigkeit über, wo sich denn auch, abgesehen von der wunderbaren Gesetzmäßigkeit seiner Produktion eine musterhafte Ordnung bis auf die geringsten Einzelheiten des Mechanischen hin erstreckte. Seine Partituren sehen durchweg aus wie Reinschriften, selten ist nur etwas ausgestrichen, fast nie eine Note verwischt. Auch beginnt er bald über seine sämtlichen Werke einen Katalog zu führen, in dem auf das genaueste alles eingetragen wird mit dem Datum, wann es vollendet ward. Später hält er auch die sorgfältigste Rechnungsführung für notwendig, er schreibt die Einnahmen auf einem länglichen Stück Papier auf und die Ausgaben in einem Quartbüchlein, welches früher zu englischen Exerzitien bestimmt war und noch mehrere übersetzte Briefe enthielt. Da steht denn:


»1.Mai 1784 –zwei Mayblumel 1 Kr.

27.Mai 1784 –Vogel Stahrl34 Kr.«


und daneben eine Melodie mit der Bemerkung: »Das war schön.« Der Vogel sang nämlich den Anfang des Rondos aus einem Konzerte, das Mozart kurz vorher komponiert und öffentlich gespielt hatte, mit der komischen Veränderung eines Tons. Das hatte Mozart überrascht und vergnügt, und er hatte ihn gekauft. Er liebte ja überhaupt die Tiere sehr, vom Hund Pimperl haben wir schon mehrmals vernommen, und den »Stahrl« hielt er so sehr in Ehren, daß er ihm nach seinem Tode in seinem Garten ein Grabmal und darauf die Inschrift setzte, die er selbst gedichtet hatte.

Trotz dieser Genauigkeit des Rechnungsbuches, in dem eben die kleinen Aeußerungen eines allzeit fertigen Humors nicht störten, ist dasselbe fast ein Jahr lang fortgeführt worden. Dann übernahm es Constanze und mag es wohl mehr summarisch geführt haben. Wir wissen nichts Näheres von ihrer Haushaltung. Allein man darf sagen, wäre sie in der Wirtschaft von der gleichen[308] Ordnungsliebe und Meisterschaft gewesen, wie ihr Mann in seiner Kunst, es hätte wohl um die Haushaltung trotz der Unregelmäßigkeit der Einnahmen und so vieler Störungen besser gestanden, als es stand. Sogleich am ersten Tage passierte jene reizende Begebenheit, die als Vorbedeutung gelten kann, wie sorglos das ganze Leben dieser Beiden geführt werden sollte. Am Morgen nach der Hochzeit kam der Komponist Abbé Stadler, ein Freund Mozarts, in die Wohnung der jungen Eheleute, um der Sitte gemäß seinen Glückwunsch abzustatten. Er fand die Eingangstür offen, ging in die Küche, in die Zimmer und sah niemand. Am Ende kommt er unvermutet in das Schlafzimmer. Da liegt denn das junge Paar im süßesten Schlummer. Stadler weckt sie, und Mozart ladet lachend und sogleich bei der Hand den Freund zum Frühstück ein. Da gab's aber keine Magd, noch sonst ein dienendes Wesen. Es blieb also nichts übrig, als daß Constanze, die nur ihr seidenes Hochzeitskleid zur Hand hatte, am Herde selbst den Kaffee kochte, den sie dann in heiterster Laune miteinander verzehrten. Und ein anderer war einmal zu Mozart gekommen und hatte ihn mit seiner Frau durch die Zimmer tanzend gefunden. Auf seine verwunderte Frage, ob Constanze Tanzunterricht erhalte, erfuhr er, daß kein Holz da sei, daß ihnen kalt sei, und sie sich so erwärmen wollten. Es war Joseph Deiner, der Hausmeister aus einem Gasthause, wo Mozart häufig verkehrte und sich mit diesem Mann leicht ins Gespräch einließ. Er erbot sich jetzt sogleich Holz zu holen, und Mozart versprach es ihm, sobald er wieder Geld habe, gut zu bezahlen. Wir werden diesem treuen Manne noch begegnen.

Solche heitere Begebenheiten, deren letztere freilich viele Jahre später stattfand, charakterisieren den jungen Haushalt in seinem Beginne wie in seinem Fortgange. Sorglosigkeit, Mangel an einer festen Ordnung, oftmals Not und doch eine glückliche Heiterkeit! Zwar Mozart selbst hatte wohl Sinn für die Regelung auch des praktischen Lebens, ja der ökonomischen Verhältnisse; war er[309] doch aus einem Hause, wo stets eine strenge Ordnung geherrscht hatte. Allein seine Arbeiten sowie überhaupt die ganze Richtung seines Geistes ließen ihn gleicherweise nicht zu einer Anwendung dieser Eigenschaften gelangen, die dann freilich in einer Wirtschaft, welche mit Schulden begann und zeitlebens auf unsichere Einnahmen angewiesen blieb, doppelt und dreifach hätten gesteigert werden müssen. Nun kam aber noch dazu, daß seine Frau durch langwierige Wochenbetten und schwere Krankheiten der Haushaltung oftmals Monate lang entzogen wurde, und daß obendrein noch Badereisen und Medizinen den größten Teil der Einnahmen in Anspruch nahmen. Großmütige Hilfeleistungen wie beispielsweise das Vorgehen eines Flecksieders Rindum, der ohne Mozart persönlich gekannt zu haben, aus reiner Begeisterung für dessen Musik der Frau Constanze, die wegen einer Lähmung am Fuße Bäder von gekochtem Magengekröse nehmen sollte, von freien Stücken anbot, ihr dieselben in seinem Hause, solange es nötig sei, zu verschaffen, und nach Beendigung der Kur nicht zu bewegen war, weder für diese noch für Logis und Kost während einer langen Zeit eine Entschädigung anzunehmen, dürften die Sorgen des jungen Paares doch wohl nur ganz ausnahmsweise gemindert haben. In der Regel hatte Mozart die ganze Last der Ausgabe selbst zu tragen, und mit der größten Sorgfalt bot er alles auf, was der Frau, wenn sie krank war, Erleichterung schaffen konnte, selbst wenn ihn die Kosten schwer drückten. Aber was halfen in solchen Fällen seine oftmals bedeutenden Einnahmen? – Im ganzen war Mozart pekuniär so gut, ja besser gestellt als die übrigen Komponisten seiner Zeit, und wenn auch die Verleger und Theaterunternehmer leicht das Hundertfache gewonnen haben mögen von dem, was Mozart für seine Opern erhielt, so traf diese Ungerechtigkeit, die erst die neueste Zeit aufheben sollte, doch nicht ihn allein, und es ist gewiß, daß ein Joseph Haydn sowie auch Mozarts Vater mit seinen Einnahmen wohl ausgekommen wären.[310]

Aber wie stand es bereits jetzt, ein halbes Jahr nach der Verheiratung! »Hochgeschätzte Frau Baronin!« muß er kurz nach jenem lustigen Ball an die Waldstädten schreiben: »Nun befinde ich mich in einer schönen Lage! – Mit Herrn v. Tranner besprachen wir uns letzthin, daß wir eine Prolongation auf 14 Tage begehren wollten; da dieses doch jeder Kaufmann thut, ausgenommen es müßte der indiskreteste Mann von der Welt sein, so war ich ganz ruhig und hoffte bis dahin; wenn ich es auch nicht zu zahlen im Stande wäre, die Summe geborgt zu bekommen! Nun läßt mir Herr v. Tranner sagen, daß derjenige absolument nicht warten will, und wenn ich zwischen heut und morgen nicht zahle, so wird er klagen. – Nun denken Ew. Gnaden, was das für ein unangenehmer Streich für mich wäre! Ich kann jetzt nicht zahlen, nicht einmal die Hälfte! – Hätte ich mir vorstellen können, daß es mit der Souscription meiner Concerte so langsam hergehen würde, so hätte ich das Geld auf längere Zeit genommen! – Ich bitte Ew. Gnaden ums Himmelswillen helfen Sie mir meine Ehre und guten Namen nicht zu verlieren! – Mein armes Weiberl befindet sich ein wenig unpaß und folglich kann ich sie nicht verlassen, sonst würde ich selbst gekommen sein, um Ew. Gnaden mündlich darum zu bitten.«

An demselben Tag ersucht er den Vater, ihm » dem Ramm sein Oboenconcert« zu schicken, der Oboist des Fürsten Esterhazy wolle ihm 3 Dukaten dafür geben, und 6, wenn er ihm ein neues mache. Zugleich zeigt er aber an, daß sie die letzten Faschingstage eine »Compagnie-Masque« machen und eine kleine Pantomime aufführen werden, worüber dann nachher berichtet wird: »Meine Schwägerin Aloysia war die Colombine, ich der Harleqin, mein Schwager der Pierrot, ein alter Tanzmeister der Pantalon, ein Maler der Dottore. – Die Erfindung der Pantomime und die Musik dazu war beydes von mir. Der Tanzmeister hatte die Güte uns abzurichten, und ich sag es Ihnen, wir spielten recht artig. Hier lege ich Ihnen die Ankündigung davon bey, welche[311] eine Masque als Klepperpost gekleidet den Masquen austheilte. Die Verse, wenn sie schon Knittelverse sind, könnten besser seyn; das ist kein Product von mir, der Schauspieler Müller hat sie geschmiert.«

So wenig wurde seine Laune durch die kleine Not des Lebens gestört. Mozart liebte ja das Tanzen sehr. Er tanzte aber auch sehr schön, besonders Menuett; Vestris war sein Lehrer gewesen, berichtet der Sänger Kelly2, den wir noch näher kennen lernen werden. Er hatte übrigens jetzt wohl Ursache heiter zu sein, denn soeben waren ihm wieder Anerkennungen geworden, die ihn zu den schönsten Hoffnungen berechtigten. Er schreibt: »Gestern hat meine Schwägerin Lange ihre Academie im Theater gehalten, worin ich auch ein Conzert gespielt habe. Das Theater war sehr voll und ich wurde auf eine schöne Art von dem hiesigen Publikum wieder empfangen, daß ich ein wahres Vergnügen darüber haben muß. Ich war schon weg. Man hörte aber nicht auf zu klatschen – und ich mußte das Rondeau repetiren – es war ein ordentlicher Platzregen. – Das ist eine gute Ankündigung für meine Academie, welche ich Sonntags den 23. März geben werde. – Ich gab auch meine Sinfonie vomConcert spirituel dazu. Meine Schwägerin sang die Aria Non sò d'onde viene. Gluck hatte die Loge neben der Langischen, worin auch meine Frau war – er konnte die Sinfonie und die Aria nicht genug loben und lud uns auf künftigen Sonntag alle Vier zum Speisen ein.« Ueber das eigene Konzert berichtet er dann: »Ich glaube es wird nicht nöthig seyn Ihnen viel von dem Erfolg meiner Academie zu schreiben, Sie werden es vielleicht schon gehört haben. Genug, das Theater hätte ohnmöglich voller seyn können, und alle Logen waren besetzt. – Das liebste aber war mir, daß Seine Majestät der Kayser auch zugegen war, und wie vergnügt er war, und was für lauten Beifall[312] er mir gegeben; – es ist schon bey ihm gewöhnlich, daß er das Geld, bevor er ins Theater kommt, zur Caffe schickt, sonst hätte ich mir mit allem Recht mehr versprechen dürfen, denn seine Zufriedenheit war ohne Grenzen; – er hat 25 Ducaten geschickt.«

Das war freilich nicht gerade wenig. Dazu kam die Einnahme, die ein gleichzeitiger Bericht auf 1600 Gulden schätzt. Und doch mußte Mozart, als er mit dem nächsten Briefe dem Vater seine Schuldigkeit für die Opern-Kopie entrichtet, sich entschuldigen: »Mehr kann ich dermalen nicht entbehren, dieweil ich wegen der Niederkunft meiner Frau viele Unkosten voraus sehe.« Immer noch hoffte er, daß der Kaiser, der in einem Konzerte nach wenig Tagen, wo Mozart auch gespielt hatte, wieder seinen großen Beifall zu erkennen gab auch etwas für ihn tun werde. Allein das sollte noch mehrere Jahre dauern. So dachte Mozart zunächst wieder an eine Oper. Er hatte Lorenzo da Ponte kennen gelernt. Diese Bekanntschaft wurde ihm später noch von großer Bedeutung. Da Ponte war damals Theaterdichter. Er mußte für Salieri ein neues Opernbuch schreiben und hatte dann Mozart ebenfalls eins versprochen. Und dieser schreibt: »Wer weiß nun, ob er dann auch sein Wort halten kann – oder will! – Sie wissen wohl die Herren Italiener sind ins Gesicht sehr artig! – Genug, wir kennen sie! – ist er mit Salieri verstanden, so bekomme ich meiner Lebtage keines.« Er bekam auch in der Tat zunächst keines. Er hatte aber den Vater ersucht, den Abbate Varesco, wenn er wegen der Münchener Oper, bei der ihm Mozart manche Umstände gemacht, nicht noch böse sei, zu bitten ein neues Buch auf sieben Personen zu schreiben, und wir werden ihn nun bald in Salzburg, wohin er im Juli reiste, mit der Komposition einer komischen Oper beschäftigt finden.

Die Reise nach Salzburg erfüllt nämlich noch immer die Gedanken des jungen Ehepaares. Zwar fürchtet Mozart, daß der Erzbischof ihn arretieren lassen möge, denn ein Pfaff sei zu allem fähig. Allein der Vater beruhigt ihn darüber, und so wird[313] also die Reise festgesetzt. Der Vater freilich, der seine Zustimmung zur Heirat »willig, obgleich unwilligen Herzens« gegeben hatte, war tief verstimmt, und im ganzen war ein unheilbarer Riß in das schöne Verhältnis der beiden gekommen. Er schreibt an die Baronin Waldstädten, als diese ihn kurz nach der Trauung noch zu begütigen suchte: »Als ich ein junger Pursche war, glaubte ich immer, daß diejenigen Philosophen wären, die wenig sprechen, selten lachen und gegen alle Welt eine mürrische Miene machten. Meine eigenen Begebenheiten aber haben mich nun vollkommen überzeugt, daß ich einer bin, ohne es selbst zu wissen: denn da ich als ein wahrer Vater meine Schuldigkeit gethan, ihm in so vielen Briefen über alles die klarsten und begreiflichsten Vorstellungen gemacht, – ich auch überzeugt bin, daß er meine mühsamen Umstände, meine bei einem solchen Alter höchst beschwerlichen Umstände kennt und meine Herabsetzungen in Salzburg einsieht, – da er weiß, daß ich sowohl im moralischen als physikalischen Verstande durch sein Betragen aufgeopfert bin, – so bleibt mir nichts übrig, als ihn (da er es so wollte) sich selbst zu überlassen und Gott zu bitten, daß er ihm meinen väterlichen Segen angedeihen lasse und ihm seine göttliche Gnade nicht entziehe. Ich aber werde meine mir angeborene noch bey diesen Jahren übrige Munterkeit nicht verlieren, sondern immerhin das Beste hoffen.«

Allein er verlor die Munterkeit dennoch und gab der Verbitterung gegen den Sohn in seinem Herzen immer mehr Raum. Doch ließ der Sohn sich nicht irre machen. Jeder Brief spricht die Liebe und Verehrung aus, die er in seinem Herzen gegen den Mann hegte, der ihn bisher durch das Leben geleitet, und er wünscht nichts sehnlicher als durch seine Constanze die volle Versöhnung herbeizuführen. Denn er meint, so liebenswürdig wie er sein liebes Weiberl fand, müsse sie auch der Vater finden. Zunächst aber mußte das Weiberl ihre besonderen Dinge abmachen. »Sie wollte meiner Schwester gern selbst schreiben«,[314] heißt es anfangs Juni, »allein in ihren dermaligen Umständen muß man es ihr schon zu gut halten, wenn sie ein wenig commod, – zu teutsch: gelegen ist. Sie wünscht es sich je eher je lieber; besonders um desto bälder so glücklich zu seyn, Sie und unsere liebe Schwester mit mir in Salzburg zu umarmen. Da ich nicht glaubte, daß aus dem Spaß so geschwind Ernst werden könnte, so verschob ich immer mich auf die Knie niederzulassen, die Hände zusammenzufalten und Sie, mein liebster Vater, recht unterthänig zu Gevatter zu bitten. Da es nun aber vielleicht noch Zeit ist, so thue ich es halt jetzt. Unterdessen (in getroster Hoffnung, daß Sie mir es nicht abschlagen werden) habe ich, seit die Amme den visum repertum eingenommen, schon dafür gesorgt, daß Jemand das Kind in Ihrem Namen hebt, es mag generis masculini oder feminini seyn! es heißt halt Leopold oder Leopoldine

In solchen Tagen war es, wo Mozart, der zu Zeiten morgens um fünf Uhr spazieren ritt, stets vorher ein Papier in Form eines Rezeptes vor das Bett seiner Frau zu legen pflegte mit Ermahnungen dieser Art: »Guten Morgen, liebes Weibchen, ich wünsche, daß Du gut geschlafen habest, daß Dich nichts gestört habe, daß Du nicht zu jäh aufstehest, daß Du Dich nicht erkältest, nicht bückst, nicht streckst, Dich mit Deinen Dienstboten nicht zürnst, im nächsten Zimmer nicht über die Schwelle fällst. Spar häuslichen Verdruß bis ich zurückkomme. Daß nur Dir nichts geschieht! Ich komme um 7 Uhr.« Als nun ihre Stunde herannahte, blieb Mozart möglichst viel bei seinem Weibchen daheim, und als sie sich vorbereitete, saß er in ihrem Zimmer und arbeitete. Wenn sie nun vor Schmerzen klagte oder irgend etwas bedurfte, so lief er hin, tröstete sie und reichte ihr Hilfe. Dann arbeitete er wieder fort und zwar an dem berühmten Streichquartett in D-moll, dem auch keiner ansehen wird, in welcher Lage, in welcher Gemütsstimmung es zur Welt kam.

Alles ging gut von statten und Mozarts Freude über seinen[315] ersten Sohn war groß. Leider sollte »der arme dicke fette und liebe Buberl« schon nach einem halben Jahre sterben.

Vorerst aber ging das Buberl mit nach Salzburg. Die Reise, auf die sich die jungen Eltern so sehr gefreut hatten, schlug freilich nicht zu ihrer Zufriedenheit aus. Schon sogleich beim Abfahren geschah etwas Unangenehmes. Als sie im Begriff waren in den Wagen zu steigen, kam erst noch ein dringender Gläubiger, – er wollte zwar nur 30 Gulden haben, aber auch so viel zu entbehren fiel Mozart damals schwer! Und kurz nach der Rückkehr überraschte ihn ebenso unangenehm jene Forderung von 12 Louisdor, welche er vor fünf Jahren in Straßburg entliehen hatte und längst bezahlt glaubte: er vermochte sie im Augenblicke nicht zu zahlen. In Salzburg selbst aber, wo sie fast drei Monate blieben, fanden sie nicht den Grad von herzlicher Zuneigung, den sie gehofft hatten. Eine äußerliche Annäherung der jungen Frau an Vater und Schwester scheint wohl stattgefunden zu haben. Allein beide fühlten sich zu diesem Wesen nicht besonders hingezogen. Der Vater war seit der Verheiratung seines Sohnes in pekuniärer Hinsicht sehr zurückhaltend, und so hatte er, was Mozart hoffte, die Schwiegertochter nicht einmal mit einigen der Jugendgeschenke des Sohnes erfreut. Er war sogar geneigt, die junge Frau für eigennützig zu halten, und noch mehr mochte Marianne, die schon als junges Mädchen in der Familie für »interssiert« galt, sie in ökonomischer Hinsicht mit etwas mißtrauischen Augen ansehen. Von Wolfgang aber war man es ja nicht anders gewohnt, als daß er nicht mit dem Gelde umzugehen wisse. So scheint eben nicht viel Erfreuliches bei diesem Besuche gewesen zu sein.

Mozart aber verbrachte seine Zeit auch hier gut. Er hatte, ehe er verheiratet war, »in seinem Herzen das Versprechen gethan, wenn er Constanze als seine Frau nach Salzburg bringen werde, dort eine neue Messe aufzuführen«. Das geschah auch, und zwar am 25. August in der Peterskirche. Im Jahre 1785 hat er[316] dann die Stücke dieser Messe zu dem Oratorium »Davidde penitente« verwendet. Sodann schrieb er mit solchem Eifer an der komischen Oper, die ihm Varesco in der Tat gemacht hatte, »L'oca del Cairo« (Die Gans von Cairo), daß er bereits einen Teil des ersten Aktes skizziert mit nach Wien zurückbrachte. Auch erwies er seinem alten Freunde Michael Haydn, den eine heftige Krankheit seit längerer Zeit arbeitsunfähig machte, nach seiner liebenswürdigen Art einen großen Dienst. Haydn hatte pflicht seines Amtes alljährlich einige Duetten für Violine und Bratsche zu schreiben, und da er sie nun zum bestimmten Termin nicht fertig liefern konnte, ward ihm mit Einziehung des Gehaltes gedroht. Sogleich übernahm Mozart diese Arbeit und schrieb, da er Haydn täglich zu besuchen pflegte, bei ihm mit solchem Eifer, daß die Duetten in kurzer Zeit vollendet waren. Sie wurden dem Erzbischof unter Haydns Namen übergeben, und Mozart hatte sie so gemacht, daß sie seiner wie seines geschätzten Freundes durchaus würdig sind.

Auf der Rückreise hielt er sich in Linz auf und schrieb dort, weil er im Theater eine Akademie geben wollte und keine einzige Symphonie bei sich hatte, »über Hals und Kopf an einer neuen, welche bis dahin fertig sein muß«. Merkwürdiger aber ist, daß er dort ein Ecce homo, welches großen Eindruck auf ihn gemacht hatte, für seine Frau abzeichnete. Diese bewahrte das Blatt mit seiner Unterschrift: »dessiné par W.A. Mozart, Linz le 13. Nov. 1783, dedié à Mme. Mozart son épouse« auf, als einen Beweis, »daß er auch dazu Talent hatte«.

Nach Wien zurückgekehrt, wirft sich Mozart nun mit erneutem Bestreben auf jede Art von Komposition, die seinen Namen bekannt machen und ihm selbst ein sicheres Brot verschaffen konnte. An der italienischen Oper freilich hatte er, wie immer, auch jetzt mit starken Kabalen zu kämpfen. Wir erfahren das aus einer Begebenheit, die er selbst dem Vater berichtet, und sie mag als ein Beispiel für viele dienen.[317]

Es sollte eine Oper Pasquale Anfossi's (1727 bis 1797) »Il curioso indiscreto« gegeben werden, und Mad. Lange sowie Adamberger, die als deutsche Sänger an der welschen Oper ebenfalls mancherlei Widerstand erfuhren und wußten, daß sie mit Mozarts Arien Glück machten, hatten diesen gebeten, zu ihrem ersten Debüt für sie ein paar Arien zu schreiben. Das tat er und berichtet nun: »Die Oper ist gestern zum erstenmal gegeben worden; es gefiel gar Nichts, als die zwei Arien von mir, und die zweite, welche eine Bravour-Arie ist, mußte wiederholt werden. – Nun müssen Sie wissen, daß meine Feinde so boshaft waren, schon vornhinein auszusprengen: Mozart will die Opern des Anfossi corrigiren. Ich hörte es. Ich ließ also dem Grafen Rosenberg sagen, daß ich die Arien nicht hergäbe, ausgenommen, es würde Folgendes sowohl deutsch als welsch dem Opernbüchl beigedruckt:


Verwarnung.


Die beiden Arien, Seite 36 und 102, sind von Herrn Maestro Mozart aus Gefälligkeit für Madame Lange und nicht vom Herrn Meister Anfossi in Musik gesetzt worden. Dieses wird zur Ehre desselben hiermit bekannt gemacht, ohne nur im Mindesten dem Ansehen und dem Rufe des vielberühmten Neapolitaners zu nahe zu treten.


Es wurde beigedruckt und ich gab die Arien her, welche sowohl mir als meiner Schwägerin unaussprechliche Ehre machten. – Und die Herren Feinde sind ganz betroffen! – Nun kömmt eine Tour des Hrn. Salieri, welche nicht so viel mir als dem armen Adamberger Schaden thut. Ich glaube, daß ich Ihnen geschrieben, daß ich auch für den Adamberger ein Rondo gemacht habe. Bey einer kleinen Probe, wo das Rondo noch gar nicht abgeschrieben war, ruft Salieri den Adamberger auf die Seite und sagt ihm, daß der Graf Rosenberg nicht gern sähe, daß er eine Aria einlegte, und er ihm folglich als ein guter Freund rathe, es nicht zu thun. Adamberger, aufgebracht über[318] den Rosenberg und dermalen zur Unzeit stolz, wußte sich nicht anders zu rächen, begieng die Dummheit und sagte: ›Nun ja, um zu zeigen, daß Adamberger schon seinen Ruhm in Wien hat und nicht nöthig hat, sich erst durch für ihn geschriebene Musik Ehre zu machen, so wird er singen, was darin steht, und sein Leben lang keine Aria einlegen‹. Was war der Erfolg davon? – Das, daß er gar nicht gefiel, wie es auch nicht anders möglich war! Nun reuet es ihn, aber zu spät, denn wenn er mich heute ersuchte ihm das Rondo zu geben, so würde ich es nicht mehr hergeben. Ich kann es sehr gut in eine der meinigen Opern brauchen. Das Aergste aber dabey ist, daß die Prophezeiung seiner Frau und von mir wahr geworden ist, nämlich, daß der Graf Rosenberg sammt der Direction kein Wort davon weiß, und daß es nur so ein Pfiff des Salieri war.«

Solche Pfiffe gebrauchte dieser Kapellmeister noch mehr und besonders gegen Mozart. Gleichwohl blieb – »denn so viel Politik besaß Salieri« – das äußere Verhältnis zwischen beiden gut, und Mozart soll oftmals zu ihm gekommen sein mit den Worten: »Lieber Papa, geben Sie mir einige Partituren aus der Hofbibliothek, ich will sie bei Ihnen durchblättern«; und er versäumte dann über deren Studium wohl manchmal das Mittagbrot. So erzählt ein Schüler Salieris nach dessen eigenen Mitteilungen.

Bei diesen Verhältnissen ist es begreiflich, daß Mozart die Oper, die er in Salzburg angefangen, liegen ließ, um so mehr als im Texte, wenn das Ganze brauchbar sein sollte, bedeutende Aenderungen nötig waren. Er konnte nur hoffen, mit etwas in jeder Hinsicht Ausgezeichnetem an der italienischen Bühne durchzudringen. Die deutsche Oper war infolge von mancherlei Intrige der Sänger und Schauspieler, bei denen wohl auch Salieri nicht ganz ohne Anteil blieb, leider aufgelöst und so Mozart jede Gelegenheit abgeschnitten worden, der »Entführung«, die in Wien noch immer mit großem Applaus gegeben[319] wurde, ein zweites Werk an die Seite zu setzen. Ebenso verhielt es sich mit der Kirchenmusik; Kaiser Joseph, der überall nach den Grundsätzen der »Aufklärung« reformieren wollte, hatte die Anwendung der Musik beim Gottesdienst auf den Gemeindegesang beschränkt. Nicht Messen, nicht Instrumentalstücke sollten gemacht werden, die Gemeinde sollte deutsche Choräle singen, und von diesen war niemand recht erbaut. Freilich war allmählich ein weltlich sinnlicher Geschmack, die ganze italienische Opernmusik selbst in die Kirche eingedrungen, und diese Musik schien allerdings mehr geeignet, von der religiösen Andacht zu entfernen, als sie zu erzeugen. So konnte Mozart mit Recht behaupten, daß sich derzeit die gute Kirchenmusik unter dem Dache und fast von Würmern zerfressen befinde. Allein er selbst, gerade er wäre durch seine Kunst wie durch sein Gemüt der Mann gewesen, wenigstens der welschen Flut einen Damm entgegenzusetzen und dem Kultus seiner Kirche auch in der Musik die geziemende Würde wiederzugeben, die ihm erst heute, nach mehr als hundert Jahren, wieder zu werden beginnt.

Es ist erklärlich, daß wo so die Hauptgelegenheiten zum Erwerb der Lebensmittel abgeschnitten waren, die kleine Familie oftmals Druck empfand. Allerdings gab sich Mozart alle Mühe, durch Stunden, Akademien und Subskriptionen auf Werke das Nötigste herbeizuschaffen, wobei denn auch durch Nebeneinnahmen manch schöne Summe in die häusliche Kasse floß. War es doch damals unter dem hohen Adel allgemeine Sitte, die Abendgesellschaften durch Musik zu schmücken und dazu vor allem die berühmten Künstler zu laden. So schreibt Mozart dem Vater, daß er vom Fürsten Galitzin für alle Akademien des Winters engagiert sei, und sicherlich bezahlten solche Herren den Künstler, dessen Leistungen sie hoch schätzten, nach Gebühr. Freilich passierten trotz aller Begeisterung für den Künstler auch Geschichten wie die folgende: Ein polnischer Graf hatte bei einer der Sonntagsmusiken, die Mozart in seiner Wohnung zu geben pflegte, und die auch Fremden[320] gegen Eintrittsgeld zugänglich waren, außerordentliche Freude an dem Klavierquintett mit Blasinstrumenten, das am 24. März 1784 entstanden war, gefunden und Mozart ersucht, ihm gelegentlich ein Trio mit obligater Flöte zu schreiben. Mozart sagte ihm das »gelegentlich« zu, und der Graf, kaum nach Hause gekommen, schickte ihm hundert halbe Souveränsdor mit einem sehr verbindlichen Billett, in welchem er seine lebhaften Danksagungen für das bei ihm genossene Vergnügen wiederholte. Mozart, der dieses Geld natürlich als ein großmütiges Geschenk ansah, dankte verbindlichst und sendet, noch großmütiger, dem Grafen die Originalpartitur jenes Quintetts, – was er sonst nie zu tun pflegte, – rühmte auch mit großer Freude allenthalben den Edelmut des Grafen. Nach einem Jahre kam dieser wieder und erkundigte sich nach dem Trio. Mozart entschuldigte sich, daß er sich noch nicht aufgelegt gefühlt habe, etwas des Grafen Würdiges zu komponieren. »So werden Sie sich wohl auch nicht aufgelegt fühlen, mir die hundert halben Souveränsdor wiederzugeben, die ich Ihnen dafür vorausbezahlte«, erwiderte dieser. Mozart, »unwillig aber edel«, zahlte ihm die Summe zurück, der Graf aber behielt die Partitur des Quintetts, das bald darauf ohne Mozarts Wissen als Quartett für Klavier und Saiteninstrumente in Wien herauskam.

Solche Großmut vermochte leicht Ebbe in die Hauskasse zu bringen, selbst wenn sie einmal reichlicher gefüllt war. Ein andermal hatte Mozart gerade 50 Dukaten vom Kaiser erhalten. Das erfuhr ein Bekannter, der leichtfertige Klarinettist Anton Stadler, und stellte ihm aufs bewegteste seine Not vor; er sei verloren, wenn er nicht diese Summe erhalte. Mozart, der das Geld selbst notwendig brauchte, gab ihm zwei schwere goldene Repetieruhren zum Versetzen, unter der Bedingung, daß er ihm den Zettel bringen und sie zur rechten Zeit einlösen werde. Da dies jedoch nicht geschah, gab ihm Mozart, um die Uhren nicht zu verlieren, 50 Dukaten nebst Zinsen, – Stadler behielt das[321] Geld und ließ die Uhren auf dem Leihhaus. Er war ein ausgezeichneter Klarinettist und ein Mensch, der Possen und Spaß zu treiben und sich einzuschmeicheln wußte. So kam es, daß Mozart ihn häufig mit sich zu Tische nahm. Dieses Vergnügen machte er sich überhaupt gern. Wer sich bei ihm zur Mittagszeit einstellte, war sein Gast und um so willkommener, je mehr er aufgeräumt und lustig war. Mozart war froh, wenn seine Gäste es sich bei ihm schmecken ließen. Doch war die Kost des Hauses einfach. Selbst der Vater schreibt, als er in Wien den Sohn besuchte, die Hauswirtschaft sei, was Essen und Trinken betreffe, im höchsten Grade ökonomisch, und Mozarts jüngste Schwägerin Sophie Haibl bestätigt, er sei nicht entfernt ein Feinschmecker gewesen und habe auf seinem Tische nie etwas anderes als einfache Hausmannskost gefunden. Trotzdem kam so mancher Gast zu ihm, und es waren darunter, wie dieselbe Schwägerin erzählt, »manche falsche Freunde, Blutsauger ohne sein Wissen, werthlose Menschen, die ihm zu Tischnarren dienten und deren Umgang seinem Rufe schadete«.

Aber Mozart war gern heiter. Wir wissen, wie er die Geselligkeit liebte. Eigentliche Gesellschaften zu geben erlaubten freilich die gesamten häuslichen Verhältnisse nicht; höchstens wurden vor einigen Freunden kleine Musikaufführungen gemacht. Mehr wohl suchte er heitere Erholung, wenn er deren bedurfte, an Belustigungsorten im Freien. »Gemma in Proda, gemma in d'Hötz« (Gehn wir in den Prater, gehn wir zum Pläsier), heißt es in einem der heiteren Kanons, deren übrigens viele in ihrem Texte sich auf dergleichen Belustigungen beziehen. Auch ist es erklärlich, daß Mozart offenen Sinn für die freie Natur hatte. War er doch in dem herrlichen Salzburg geboren, und wie schön, wie weit, wie frei ist auch die Umgebung der heiteren Kaiserstadt! – Die einzige Passion, die er hatte, war das Billardspiel. Er besaß, was übrigens damals nichts Seltenes war, selbst ein Billard und spielte mit seiner Frau, oft gar allein, manchmal auch mit[322] einem seiner Schüler. Wer eine Vorstellung von der ungemein intensiven Art gewinnt, womit Mozarts Phantasie fortwährend arbeitete, der wird leicht den Grund finden, warum er dieses Spiel so sehr liebte. Es beschäftigte die niederen Funktionen seines Geistes, ohne ihn in dem eigentlichen Schaffen zu hindern, vielmehr förderte es das innere Wirken, weil es den Geist frei machte. In Prag entstand so während des Billardspiels jenes unvergleichliche zweite Quintett der Zauberflöte; Mozart spielte, brummte vor sich hin, zog ein Notizbuch aus der Tasche, sah hinein, schrieb etwas, spielte wieder, brummte wieder und arbeitete so im Kopfe das fertig, was bald nachher aufs Papier geworfen seine erstaunten Freunde und die ganze Nachwelt entzückte. Dabei war aber noch der Vorteil, daß dieses Spiel auch dem Körper Bewegung giebt, und deshalb begünstigten die Aerzte diese Neigung des rastlos arbeitenden Künstlers, der ja ohnehin so viel Zeit am Schreibpult zu verbringen hatte. Auch veranlaßte ihn sein Hausarzt, das Schreiben fortan wenigstens stehend abzumachen.

Die Neigung zum Billardspiel mochte ihn freilich dann und wann auch ins Gasthaus führen. War es doch auch dort, wo er aufgefunden wurde, als man in einer Gesellschaft, wo er der Dame des Hauses ein neues Lied versprochen hatte, vergebens auf ihn wartete. Er hatte in dem Drang seiner Geschäfte oder auch des inneren Schaffens, Gesellschaft und Lied durchaus vergessen. Jetzt mußte ihm der Bediente eilends Notenpapier holen; er setzte sich hin und schrieb, aber nur die Singstimme, zum Aufschreiben der Begleitung fehlte die Zeit. Dann eilte er in die Gesellschaft, und nach einigen zärtlichen Vorwürfen, gegen die er sich mit seiner gewohnten liebenswürdigen Offenheit verteidigte, sang die Dame das Lied, das denn auch allgemeines Entzücken hervorrief. – Es ist gewiß, daß er in der einsamen Ecke einer Wirtsstube oftmals einzig für eine Stunde die Ruhe fand, die ihm so großes Bedürfnis war. Hier suchte ihn nicht leicht jemand, und hier[323] konnte er in Muße arbeiten. Denn seine Arbeit war ja nicht das schreiben, das kam erst, wenn die eigentliche Arbeit bereits abgetan war, und wurde möglichst lange, oftmals bis zum äußersten Momente hinausgeschoben. Ja, manchmal war es kaum noch Zeit, was doch bereits ganz fertig war, nun auch für andere vorhanden zu machen. Dann schrieb er, wie diesmal, nur das, was der Sänger oder das Orchester brauchte, und oftmals nicht in Partitur, sondern sogleich in die einzelnen Stimmen. So geschah es einmal mit einer Sonate, die er für sich und die hübsche und muntere Violinspielerin Strinasacchi komponiert hatte. Mit der Violinstimme war er noch eben fertig geworden, mit der Klavierpartie nicht. So legte er denn, als das Konzert begann, ein Notenblatt vor sich aufs Pult. Allein der Kaiser, der nahebei in der Loge saß, glaubte mit seiner Lorgnette zu erkennen, daß nichts auf dem Papier stand. Er ließ es sich bringen, und es war so, er hatte richtig gesehen. Mozart freilich durfte sich auf sein Gedächtnis verlassen.

Wie manches der Art mag in dem Summen der lautesten Gesellschaft, im Wirtshause fertig geworden sein! Mozart mußte desselbe lieben. Man bedenke nur einen Künstler, der mit der wunderbarsten Fähigkeit begabt ist, die Eigentümlichkeiten der Menschen zu beobachten, der wegen seiner seinen Erfassung alles Komischen, zumal der heiteren Schwächen der Menschen, unter Freunden wie Feinden wohlbekannt, ja als besonders »schlimm« bezeichnet war, und dem es also ein innerstes Bedürfnis sein mußte, häufig in der Gelegenheit zu leben, wo sich der Mensch unbefangen nach seiner Art und Weise giebt, – dem das Sein im häuslichen Kreise tausend Züge des inneren Bewegens der Seele aufdeckte, das Leben in dem freien Treiben der Menschen aber noch tausendfach mehr Anlaß bot, besonders die tragikomische Art der Menschennatur in ihrer ganzen sinnenhaften Beschränkung zu erfassen, – wie sollte einem Solchen der Verkehr an den Orten, wo der Mensch nach des Tages Arbeit sich vergnügt und, indem[324] er »spielt«, erst seine wahre Natur enthüllt, nicht ein ganz besonderes Behagen, ja die reichste Nahrung für Phantasie und Geist gewähren! Wie manche Aeußerung der allerderbsten Sinnlichkeit und auch wohl komischer Bestialität mußte Mozart gesehen haben, ehe er sich das Bild eines Osmin aus all dem Schmutze des Tageslebens zur erheiternden Befreiung des Geistes hervorarbeiten konnte! Wie mancher ehrliche, dumme, deutsche Hausknecht mußte in seiner ganzen Natürlichkeit, so wie er sich abends beim Biere in kurzer Muße behaglich gehen läßt, sich vor des Komponisten Augen gähnend gereckt, dann mit seinen Siegen über die »Stubenmädel« renommiert haben und dergleichen, ehe Mozart einen Leporello zusammenbrachte!

Aber auch abgesehen davon, – war nicht auch das bloße sinnliche Vergnügtsein einem Künstler wie Mozart notwendig? Er mußte an Orten sein, wo man sich freut, wo man mit Lust das kurze Erdendasein genießt, und zwar oft und immer. Er mußte ein unbefangen heiteres Leben um sich sehen, und da fragte er nicht immer erst, wes Standes, welchen Charakters die Menschen waren, mit denen er sich freute. Ihm waren sie Menschen, und mit Menschen konnte er sich freuen. Freilich suchten infolgedessen die Neider und Feinde, die Mozart selbst so oft erwähnt, sogleich nach seinem Tode die übelsten Verleumdungen über ihn zu verbreiten, als wenn die häufige häusliche Not, ja sein frühzeitiger Tod nur Folge eines unordentlichen Lebenswandels gewesen wäre. Die Witwe kaufte zwar jenen infamen Aufsatz in Schlichtegrolls Nekrolog auf, allein die Gerüchte über diese Dinge liefen doch, wie es so zu gehen pflegt, fort in die weiten Lande: denn »es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen«. Wir aber, die wir Mozart aus so manchen eigenen Aeußerungen nun allgemach persönlich genug kennen, wissen es nun, wie arbeitsam, wie pflichtgetreu er sein leben führte. Und wenn er dann, ermüdet von der Arbeit, sich eine Ausspannung gönnte oder auch wohl während[325] des Schaffens, um sich zu erfrischen, an die Wand klopfte, damit sein Freund Loibl, der neben ihm wohnte und einen guten Weinkeller besaß, ihm eine Flasche herübersende, und dieser dann sofort in den Keller schickte – »denn Mozart componirt schon wieder, da muß ich ihm einen Wein schicken«, sagte er, – wer wird das tadeln, wer täte das nicht? Oder wenn er mit Freunden einmal heiter war, – wer liebte es nicht? Bei ihm waren solche Dinge ebensowenig die Hauptsache, wie sie es bei andern Schaffenden sind. Vielmehr waren all seine Geister bei seiner Kunst, und nur daß er darin nicht Maß zu halten verstand, könnte man tadeln, wenn nicht gerade diesem unüberwindlichen inneren Schaffensdrange die Fülle wie die Vollendung seiner Werke verdankte. Er mußte eben arbeiten. Hätte ihm auch das Leben Ruhe gelassen, ihm selbst ließ es innen keine Ruhe. Läßt sich wohl mit einem solchen unbezwingbaren Hange zu geistigen Dingen eine Sinnlichkeit vereinen, die den Menschen wirklich beherrscht? Ein »Punscherl« liebte der heitere Maestro, selbst bei der Arbeit. Aber seine Schwägerin, die dies erzählt, bemerkt zugleich, berauscht habe sie ihn nie gesehen. Tadelnswerter könnte jene Schwäche sein, daß er zu leicht den Bitten der Notleidenden Gehör gab, und oftmals mehr, als die Pflicht gegen Frau und Kinder es gestattete. Aber sie floß aus der schönsten Tugend seines Herzens, aus der natürlichen Güte, aus der warmen Mitempfindung, die er mit jeder menschlichen Existenz hatte.

Dies beweist so recht eine Anekdote, die unsern Meister besser charakterisiert als alle Worte über ihn, und aus der so recht jene Art seines Herzens hervorleuchtet, die uns an einem großen Manne vor allem erfreut und fast mehr Segen ausströmt, als all sein Schaffen. Als Mozart in Leipzig war, gestattete er nicht allein den Chorsängern, ohne daß sie darauf einen Anspruch hatten, freien Eintritt in sein Konzert, sondern er drückte einem Bassisten unter den Thomanern, der ihm besonders gefallen hatte,[326] ohne daß es einer merkte, ein ansehnliches Geschenk in die Hand. Ein alter Klavierstimmer aber, den er um seine Schuldigkeit fragte, stotterte vor Verlegenheit die Worte heraus: »Ihre Kaiserliche Majestät – wollt' ich sagen, Ihrer Kaiserlichen Majestät Herr Kapellmeister – ich bin freilich zu verschiedenen Malen hier gewesen – ich bitte deswegen mir aus – einen Thaler.« – »Einen Thaler? Dafür soll ein so guter Mann nicht einmal zu mir kommen!« sagte Mozart und drückte ihm einige Dukaten in die Hand. »Ihre Kaiserliche Majestät«, fing der Mann erschrocken an. »Adieu, lieber Alter! Adieu!« rief Mozart und eilte ins andere Zimmer.

Fußnoten

1 Sehr bekannt war seine Romanze »Zu Steffen sprach im Traume«, über die auch Mozart eine Reihe von Klaviervariationen geschrieben hat.


2 Michael O'Kelly, ein Ire, geb. 1764, gest. 1826, von 1784–1787 am Wiener Hoftheater engagiert.


Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 327.
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