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Der 11. Juli des Jahres 1683 war für die, in Nieder-Oesterreich, am Ufer der Donau gelegene Stadt Hainburg ein Tag des Schreckens. Auf seinem Zuge nach Wien machte hier der Großvezier Kara Mustapha mit einem Theil seiner Heeresmacht Halt. Die wohlbefestigte Stadt, in die sich auch die Landbewohner der umliegenden Ortschaften geflüchtet hatten, vertheidigte sich heldenmüthig, mußte jedoch endlich der Uebermacht weichen. In Todesangst flohen die verzweifelnden Einwohner durch eine schmale, der Donau zuführende Gasse dem Fischerthore zu. Da aber dieser einzige Ausweg zur Rettung durch Verräthershand versperrt war, wurden fast Alle um so sicherer von den nachdrängenden Türken niedergemetzelt. Ueber achttausend vierhundert Menschen fanden hier den Tod und noch heute hat sich das Andenken an dieses gräuliche Blutbad im Namen des engen Gäßchens erhalten, von dem aus die Horden nun die Stadt durchzogen und Kirche, Spital, Rathhaus und die meisten Privatgebäude plünderten und in Asche legten.
Unter den Wenigen, welche dem Tode entrannen, befand sich auch ein Wagnergeselle, Sohn des Hainburger Bürgers Kaspar Haydn, dem in einem Urenkel jener Mann erstehen sollte, den wir noch heutzutage als den Vater der Symphonie und des Quartetts verehren. Kaspar Haydn, ein Burgknecht,[1] gebürtig von dem, nahe der Stadt gelegenen Dorfe »Datten auf der Haid«2 war bedienstet in dem im Rücken der Stadt Hainburg gelegenen, nun als Ruine noch vorhandenen uralten Bergschlosse.
Im Februar 1657 nahm dieser Burgknecht die Bürgerstochter Elisabeth Schaller zum Weib (Beil. I, 1). Diesem ersten authentischen, den Hainburger Pfarr-Registern entnommenen Nachweise der Vorfahren3 Haydn's reiht sich zunächst eine Notiz aus den Raths-Protokollen an. Kaspar Haydn war als Bürger zu Hainburg gestorben und sein Sohn Thomas bittet nun am 5. April 1686 um Auslieferung der noch vorhandenen Grundstücke seines Vaters. Hierauf wurde ihm der Bescheid, daß er sich als alleiniger Erbe gehörig legitimiren und auch verbindlich machen solle, alle vorhandenen Schulden des Vaters tilgen zu wollen.
Am 23. Nov. 1687 hatte sich Thomas Haydn mit der 16jährigen, aus Hainburg gebürtigen Jungfrau Katharina Blanninger vermählt (Beil. I, 2) und wurde bald darauf, am 3. Juli[2] 1688, als Bürger der Stadt aufgenommen. Bei Gelegenheit seiner Vermählung wird Haydn nun auch als Wagner bezeichnet, welches Handwerk fortan in der Familie vorzugsweise erblich wurde. Der Ehe entsprossen sieben Söhne. Am 4. Sept. 1701, nach der Geburt seines siebenten und letzten Sohnes, starb Thomas Haydn als Wagnermeister und Mitglied des innern Raths (Beil. I, 3). Wenige Tage zuvor, am 30. August, ließ er sein Testament aufsetzen, welches am 1. Oct. eröffnet wurde und sich noch erhalten hat.4 Er zeigt sich darin als ein religiöser, rechtschaffener Mann, dem das Wohl seiner Familie am Herzen liegt und der das Nöthige verfügt, daß bei Vertheilung seiner geringen Verlassenschaft keine Uneinigkeiten entstehen. Die arme Stadtpfarrkirche, zwei Kapellen und das Bürgerspital werden, wenn auch mit Wenigem, doch seinen Verhältnissen entsprechend bedacht und von den sechs Söhnen (der zweite war kurz nach der Geburt gestorben) erhält jeder als väterliches Erbtheil funfzehn Gulden rhein.; Haus und Wirthschaft, Acker und Weingarten und Handwerk vermacht Thomas »seiner lieben Ehewirthin wegen ihrer, ihm jederzeit erwiesenen ehelichen Lieb und Treue«. Dafür fordert er aber, daß sie alle vorhandenen Schulden gewissenhaft abzahle und die Kinder als eine treue Mutter in aller Zucht, Ehrbarkeit und Furcht Gottes erziehe. Die Erziehung von sechs Knaben allein auf sich zu nehmen, scheint der, wiewohl eben erst ins 31. Lebensjahr getretenen Mutter doch zu bedenklich gewesen zu sein. Die Verantwortlichkeit dieser Aufgabe sich zu erleichtern und zugleich das Handwerksgeschäft fortbetreiben zu können, vermählte sich die Witwe vier Monate nach dem Tode ihres Mannes, am 8. Jan. 1702 (Beil. I, 4), mit dem 29 jährigen Wagnergesellen Mathias Seefranz. Dieser war am 7. Sept. 1673 zu Bruck an der Leitha geboren, Sohn des dortigen aus Steiermark eingewanderten bürgerlichen Wagnermeisters Adam Seefranz, der im Jahre 1655 in Hainburg eine Hufschmiedstochter heirathete und dann nach Bruck an der Leitha zog, wo er im Jahre 1704 als Bürger der Stadt starb. Sein Sohn Mathias wurde dann selber Meister, im März 1702 Bürger und im Jahre 1719[3] Mitglied des äußern Raths zu Hainburg. Auf seinem, in der Wiener Gasse gelegenen Hause, dem früheren Eigenthum seines Vorgängers Thomas Haydn, besteht noch jetzt das Wagnergewerbe, gegenwärtig vom Wagnermeister Marx fortgeführt, der wiederum eine Seefranz, aus Preßburg gebürtig, ehelichte. Im Leben Haydn's verdient dieser, wie die Raths-Protokolle bezeugen, heftige und mitunter auch streitsüchtige aber energische Mann nicht ganz übersehen zu werden, denn ihm waren nun alle in der Ehe mit der Witwe Katharina Haydn übernommenen Söhne anvertraut, und daß sie rechtschaffen erzogen wurden, werden wir im Vater unsers Haydn erkennen. In ihrer zweiten Ehe gebar Katharina noch drei Söhne und eine Tochter; Letztere, Juliana Rosine, wurde die Frau des ersten Lehrers von Haydn und während dessen Schulzeit gewissermaßen seine Pflegemutter. Katharina starb am 17. Mai 1739 (Beil. I, 5); sie bedachte in ihrem Testamente Kirchen und Spitäler, ihre Kinder aus beiden Ehen und setzte ihren »lieben Ehewirth« zum Universalerben ein, der dann bald nach ihrem Hinscheiden die Schneiderswitwe Barbara Kainz heirathete. Seinen Pflichten als Mitglied des äußern Raths kam Seefranz gewissenhaft nach, denn er fehlte im Zeitraum von 43 Jahren fast bei keiner Sitzung und noch kurz vor seinem Tode, am 2. Mai 1762, finden wir ihn – bereits ein 89jähriger Greis – bei einer Rathsversammlung gegenwärtig. Durch seinen dritten Sohn, Johann Adam, im Testament der Mutter als Wagnermeister zu Neusiedl am See angeführt, hat sich der Name Seefranz in zahlreichen, vorzugsweise in Ungarn lebenden Nachkommen bis auf unsere Tage erhalten.
Von den sechs Söhnen, die ihren Vater, Thomas Haydn, überlebten (siehe Anhang: Stammbaum) finden wir den ältesten, Joseph Gregor, als bürgerlichen Wagnermeister in dem freundlichen Städtchen Ungarisch-Altenburg, wo er heirathete; als Witwer feierte er seine zweite Vermählung in Hainburg. Weitere Daten über ihn und seine Familie sind weder in Ungarisch-Altenburg noch in Hainburg zu finden; doch ist aus dem Testament der Großmutter, datirt 1739, zu ersehen, daß er damals schon todt war. Johannes, dessen späteren Aufenthalt die Hainburger Raths-Protokolle angeben (er hatte auf das mütterliche Erbtheil zu Gunsten einer Verwandten verzichtet), starb im Jahre 1751 als Wagnermeister in Frankenmarkt, einem hübsch gelegenen[4] Marktflecken in Ober-Oesterreich. Er hatte daselbst, 26 Jahre alt, als Wagnergeselle, eine gerade doppelt so alte Hufschmiedswitwe geheirathet, die ihn trotzdem noch mit Zwillingen beschenkte. Als sie im 70. Lebensjahre starb, nahm er (diesmal etwas wählerischer und nun selbst ein Meister) die 23jährige Tochter eines Seilermeisters als zweite Frau. Antonius, der jüngste, scheint im Jahre 1721, in welchem Jahre er vor Gericht seinen Geburtsbrief verlangt, von Hainburg weggezogen zu sein; nach Ausweis obiger Protokolle lebte er 1739 als Stadtgardist in Preßburg, von wo aus er wegen vorenthaltenen Erbtheils Klage führte; weitere Nachrichten über ihn fehlen. Ueber Kaspar und Gregorius, den dritten und vierten Sohn, war nichts zu ermitteln, doch waren sie vor dem Jahre 1739 schon todt, da sie im Testamente der Mutter nicht erwähnt sind.
Mathias, der vorletzte der Brüder und Haydn's Vater, auf den es hier doch hauptsächlich ankommt, wurde am 31. Jan. 1699 geboren (Beil. I, 6); er lernte bei seinem Stiefvater ebenfalls das Wagnergeschäft und zog dann nach Handwerksbrauch auf die Wanderschaft, die sich bis Frankfurt a.M. erstreckt haben soll.5 Nachdem er sich in der Welt umgesehen, kehrte er in die Heimath zurück und ließ sich in Rohrau, einem kleinen, am Leithafluß gelegenen Marktflecken nieder, der nun die Wiege Joseph Haydn's und seines Bruders Michael werden sollte.6
1 Quellen: Pfarr-Register und Raths-Protokolle von der Stadt Hainburg. Das früheste Pfarr-Register vom Jahre 1630–1659 enthält die Taufen und Trauungen; die Jahre 1660–1685 fehlen gänzlich. Erst mit 1686 sind Tauf-, Trauungs- und Todten-Register vollständig vorhanden. – Die Raths-Protokolle beginnen mit October 1683 (nach Abzug der Türken).
2 »Auf der Haid« ist eine noch heutzutage im Volksmund gebräuchliche Bezeichnung für jene Gegend der Umgebung Hainburgs, wo gegenwärtig ein städtischer Ziegelofen steht. Das einst bestandene Dorf, über das jeder Nachweis fehlt, wurde wahrscheinlich von den Türken zerstört.
3 Ob die Nachgenannten einer zweiten Familie Haydn angehörten, war nicht zu ermitteln. 1) Ist im Tauf-Register 1655 ein Thomas Heiden genannt; das defecte Blatt giebt aber nur noch den Namen (der Zeit nach kann es Haydn's Großvater gewesen sein). 2) 1658, 2. Jan., erscheint der Taufact des Kindes Barbara; als Eltern sind genannt: Michael Haidn, Schlosser, und seine Frau Anna. 3) 1715, 19. April, wurde Jos. Haiden, Bürger von Hainburg, begraben. – Der Familiennamen wird hier und anderwärts verschieden angegeben: Hayrn – Hayn – Haydtn – Haiden – Haidu – Heiden – Hayd'n – und selbst Hädn, Haden, Hain und Heim. Die Schreibart Haiden und Haidn erscheint am häufigsten und erhielt sich auch im gewöhnlichen Verkehr am längsten. Noch Beethoven schrieb im Jahre 1822 in einem Briefe »Haidn«. Haydn's Bruder Michael schrieb sich nur einigemal in früheren Jahren »Hayden«, sonst behielt er »Haydn«, die Schreibart des Bruders, bei und dieser hatte sie wohl deshalb gewählt, um bei den zahlreichen gleichlautenden Familiennamen, namentlich in Eisenstadt, Verwechslungen vorzubeugen. – In Archiven und Katalogen wird Jos. Haydn häufig mit dem gleichzeitig in Wien lebenden Organisten Jos. Hayda († 1806) verwechselt. – Daß die Tonkünstlerfamilie Haydn »böhmischen« Ursprungs gewesen, ist in der belletristischen Zeitschrift Lumir, Prag 1862, Nr. 3, zu lesen.
4 Ich verdanke dieses Testament, dessen Vorhandensein die Raths-Protokolle nachwiesen, der Güte des seitdem verstorbenen städt. Beamten Hrn. J. Picha.
5 Dies, biographische Nachrichten, S. 13. Griesinger, biographische Notizen, S. 7.
6 Der Name Haydn in allen möglichen Schreibabweichungen ist namentlich in der Gegend um Wiener-Neustadt noch jetzt sehr verbreitet. Meistens haben wir es da mit Müllermeistern zu thun. Die Ortschaften Zillingsdorf, Zemendorf, Mattersdorf, Bromberg, Thernberg, Kirchberg, Edlitz, Kirchschlag, Pitten, Erlach, Neunkirchen etc. weisen zum Theil ganze Reihen von Haydn bis zurück ins 16. Jahrh. auf. Auch in Wiener-Neustadt selbst, in Eisenstadt, Oedenburg und im weiteren Umkreis begegnen wir dem Namen. Ob sich directe Nachkommen der Hainburger Familie bis auf den heutigen Tag fortgepflanzt haben, muß dahingestellt bleiben, obwohl dies in zwei Fällen mit Bestimmtheit versichert wird. Der erste Fall betrifft den fürstlich Esterházyschen Beamten Paulus Haydn, der im Jahre 1860, 70 Jahre alt, zu Oedenburg starb. Sein Vater Michael war ein angesehener Bürger Eisenstadts und mit unserm Haydn sehr befreundet; sie nannten sich sogar gegenseitig Vetter (wohl scherzweise der gleichen Familiennamen wegen). Von diesem Paulus liegen die Daten nur bis zum Großvater vor und hier bricht jeder Nachweis ab. Der zweite Fall hat den noch lebenden Müllermeister Michael Haydn in Erlach (südlich von Wiener-Neustadt) zum Gegenstand. Aber auch hier bricht beim Urgroßvater die letzte und entscheidende Verbindung ab.
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