In einer flachen, ziemlich reizlosen Gegend Nieder-Oesterreichs, östlich von Wien und 13/4, Wegstunden von Bruck an der Leitha entfernt, liegt zwischen den Dörfern Gerhaus und Hollern der Marktflecken Rohrau. Hart am Orte vorbei fließt die aus Steiermark kommende Leitha, die auf einer längeren Strecke Oesterreich und Ungarn scheidet und sich bei Ungarisch-Altenburg in einen Arm der Donau ergießt. Rohrau, seit Jahrhunderten im Besitz der Familie Harrach, wurde im Jahre 1627 unter Karl von Harrach, Staatsminister Ferdinand's II., von diesem Kaiser zur Reichsgrafschaft erhoben. Unter den Cavalieren, die im Jahre 1724 in Wien bei Hofe in der Oper »Euristeo« von Caldara mitwirkten, wird auch ein Ferdinand Graf Harrach genannt. Zur Zeit, die uns hier zunächst beschäftigt, war der Besitzer Graf Karl Anton (1692–1758), k.k. Kämmerer, geh. Rath, oberster Hof- und Landjägermeister und Erblands-Stallmeister. Von seinen Nachfolgern wurde Karl Leonhard (geb. 1765, † 1831) im Jahre 1826 in Rücksicht seiner großen Verdienste und seiner mit Einsicht verbundenen Vorliebe für die Tonkunst zum k.k. Hofmusikgrafen ernannt. Er war derselbe, der in seinem, erst unter ihm in den 90er Jahren angelegten weitläufigen Schloßpark dem von seinen Londoner Triumphen heimkehrenden Haydn ein Denkmal setzte. Schloß und Park, von Wassergräben umgeben, liegen abseits vom Orte.
Der Markt Rohrau (jetzige Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha) besteht fast nur aus einer Doppelreihe ebenerdiger Häuser, von der Poststraße durchzogen, welche Bruck mit Petronell und Hainburg verbindet. Der Ort hatte wiederholt mit Feuers- und Wassersnoth zu kämpfen. In den Jahren 1847 und 1865 brannte der größere Theil der Wohnungen nieder und in letzterem Jahre litt dabei auch die auf halbem Weg des Ortes stehende,[6] erst unlängst wieder hergestellte Pfarrkirche zum h. Vitus, wo sich auch die Familiengruft der Grafen von Harrach befindet. Wiederum unterwühlten Hochwasser der zeitweilig wild daherbrausenden Leitha die dem Flusse zu gelegenen Häuser und richteten namentlich in den Jahren 1813 und 1833 große Verheerungen an. Vor dieser Zeit und zum Theil noch später standen an Stelle der nun solid aufgebauten und weiß übertünchten Häuser meist nur ärmliche, mit Stroh gedeckte Lehmhütten. Feuchte Aecker und von Wässern durchsickerte Wiesen, mit Schilf, Rohr und Weidenbäumen bewachsene Flußufer gaben wohl dem Orte seinen Namen. Jahrzehnte gingen hier spurlos vorüber; noch immer bewegt sich die Einwohnerzahl in gleicher Höhe (circa 500, und mit dem 1/4 Stunde entfernten Gerhaus bei 700 Seelen); noch immer ist der Markt über die Häuserzahl 75 nicht hinausgekommen. Von der Ferne repräsentirt sich derselbe nur unansehnlich; die lohnendste Seite ist noch von Osten her bei den ebenfalls an der Leitha gelegenen Dörfern Hollern und Schönabrunn. Doch vergebens würde man hier ein Landschaftsbild suchen, das im Stande wäre, zu elegischen Zeilen gleich jenen im »Spaziergang« anzuregen.
Am südlichen Ende des Marktes, nach der Brucker Seite hin und gegen das Schloß liegend, wo die Umgebung sich doch etwas freundlicher und auch baumreicher entfaltet, reicht die Häuserreihe zur rechten Seite beim Ausgang des Ortes bis zum Grenzpfahl; die linke Seite endigt früher und das letzte Häuschen trägt die Nummer 60. Dies ist Haydn's Geburtsstätte – »eine schlechte Bauernhütte, in der ein so großer Mann geboren wurde«.1 Nicht ohne Rührung betritt man diese unscheinbare Wohnung, denn wenn auch bei den einzelnen Veränderungen im Verlauf so vieler Jahrzehnte unsere Phantasie nicht wenig nachhelfen muß, so genügt uns doch der Gedanke: auf diesem Fleckchen Erde ist ein großer rechter Meister in die Welt getreten.[7]
Der Handwerksbursche, Mathias Haydn, nun Bürger und Wagnermeister in Rohrau, hatte sich im Jahre 1728 das genannte Häuschen gebaut, um daselbst mit seiner jungen Frau einzuziehen, denn am 24. Nov. 1728 vermählte er sich mit der 21 jährigen Jungfer Maria, Tochter des verstorbenen Marktrichters und Bürgers Lorenz Koller (Beil. I, 7 und 8). Als Heirathsgut brachte die Braut, laut Ehevertrags2 vom 13. Nov., 120 Fl. bares Geld sammt einer »ehrlichen Ausstaffirung«, welches der Bräutigam mit der Hälfte seines »ganz neu erbauthen Kleinhäusl« per 240 Fl. sammt dem Wagnerhandwerk widerlegte. Noch in demselben Jahre ist sein Häuschen, dem dazugehörigen Grund entsprechend, als Hofstatt- und drei Jahre später durch die am 12. Sept. 1731 erfolgte weitere Grundzutheilung als Halblehn-Haus bezeichnet (als Halblehner besaß er 6 Joch Grund). Seine Frau gebar ihm 12 Kinder, von denen die Hälfte gleich oder kurz nach der Geburt starb. Das zweite Kind, unser Haydn, erhielt am 1. April 1732 die Taufnamen Franz Joseph. Der herrschaftliche Bestandmüller zu Gerhaus Joseph Hoffmann3 und seine Frau Anna Katharina waren die Taufpathen (Beil. I, 9). Von den beiden Taufnamen Haydn's kam der erste nie in Gebrauch, wie wir dies u.a. auch bei Franz (Peter) Schubert und (Wilhelm) Richard Wagner finden. So wenig wie bei Beethoven konnte man auch bei Haydn bis jetzt den eigentlichen Tag der Geburt ermitteln. Der Taufact im Kirchenbuch ist unterm 1. April eingezeichnet. Dagegen soll Haydn selbst, wenn Jemand das bei ihm aufgestellte in Holz geschnitzte kleine Modell des Monuments im Park zu Rohrau besichtigte, das dort angegebene Datum 1. April[8] sehr eifrig mit »31. März« verbessert haben. Und wiederum geben die Aufzeichnungen seines Schülers Neukomm zu der betreffenden Stelle bei Dies (S. 12, wo sogar der 30. März angegeben ist) die Erklärung: Haydn sagte mir – »ich bin am 1. April geboren und so steht es in meines Vaters Hausbuch eingeschrieben – aber mein Bruder Michael behauptet, ich sei am 31. März geboren, weil er nicht will, daß man sage, ich sei als Aprilnarr in die Welt getreten.« Der Mittelweg dürfte auch hier der richtige sein: Haydn, geboren in der Nacht vom 31. März zum 1. April, und so kann es immerhin bei dem vorzugsweise angenommenen 31. März sein Verbleiben haben.
Bevor wir uns nun mit den Eltern und dem Familienleben in Haydn's ersten Kinderjahren eingehender beschäftigen, sei noch ein Blick geworfen auf das Aeußere und Innere des Hauses, wie es zu jener Zeit mag bestanden haben.4 Wohl hatten die erwähnten Ueberschwemmungen der Leitha (1813 und 1833) das Wohnhaus wiederholt zerstört, doch wurde es jedesmal im Hauptmauerwerk wieder hergestellt und daß auch die innere Eintheilung der Hauptsache nach dieselbe geblieben, bestätigte der erst unlängst (1873) verstorbene Landmann Martin Hoffmann, der noch in dem alten Hause im Jahre 1785 geboren wurde, es dann seit 1809 selbst besaß und nach der ersten Ueberschwemmung wieder aufbaute. Eine Abbildung in Oel aus dem Jahre 1829, also vor dem letzten Hochwasser, verdanken wir dem akademischen Künstler und Schüler des Wiener Conservatoriums, Wilhelm Kröpsch, der seine Arbeit dem Museum der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zum Geschenk machte.5[9] Wir erblicken in dem Bilde ein ebenerdiges, ziemlich ausgedehntes und mit einem Strohdache gedecktes Gebäude. Zur Linken der Einfahrt befinden sich vier Fenster, vor denen sich hölzerne Stakete auch noch dem Nachbarhause entlang hinziehen; ein üppig belaubter Baum giebt dem Hause auf dieser Seite einen freundlichen Abschluß. Rechts vom Thore zeigt sich zunächst eine größere Maueröffnung, der sich zwei schmälere Fenster anschließen. Die weiterhin sichtbaren Luftlöcher hart unterm Dache deuten auf Stallungen, der angebaute, mit loser Lattenwand gedeckte Theil unter besonderem Dache auf einen zur Aufbewahrung für Wagen, Feld- und Arbeitsgeräth bestimmten Schuppen. Diese ganze Gassenfront des Hauses ziert zu beiden Seiten des Hofthores ein breit angelegter Rasen. Zur Rechten öffnet sich die Landschaft ins Freie; die Straße führt am Hause vorbei nach Bruck an der Leitha und ist jenseits der Brücke, die sie beim Grenzpfahl überschreitet, mit Bäumen bepflanzt; in der Ferne erblickt man auf mäßiger Anhöhe das Kirchlein des nächstliegenden Ortes Höflein. So weit die Abbildung.6 – Der rückwärtige Theil des Hauses hat sich fast unverändert erhalten. Noch heute findet man dort die schon angedeuteten Abtheilungen: Stall, Vorraths- und Geräthskammer. Verschwunden ist dagegen die ehemals hier befindliche Werkstatt, in der Vater Mathias sein Wagnergeschäft betrieb. Ein kleiner Obst- und Gemüsegarten, der vom Hofraum bis an die vorbeifließende Leitha reicht, vervollständigt die Wirthschaft, doch war das jetzige Flußbett in früherer Zeit dem Hause näher gelegen.
Das Innere des Hauses kennen zu lernen, treten wir durchs große Hausthor ein und gelangen links über einige, erst beim Umbau des Hauses angebrachte Stufen in ein kleines Vorzimmer (die frühere Küche, jetzt aber nur theilweise dazu verwendet) und von da in die eigentliche Wohnstube, der sich noch eine Kammer anschließt. Dieser ganze Theil des Hauses war früher[10] tiefer gelegen, daher es auch vom Hausflur aus ganz eben zur Wohnung führte. Das niedere aber geräumige Wohnzimmer mit dunkelgebranntem Deckengebälk und umfangreichem grün glacirten Kachelofen und rothfarbiger Ofenbank wird allgemein als der Ort bezeichnet, wo Haydn zur Welt kam, doch war hier nur die allgemeine Wohnstube. Joseph und Michael und alle Kinder wurden im Zimmer zur rechten Seite des Hauses geboren, nun als Vorrathskammer benutzt.7 Wenn man bedenkt, daß die Familie, obwohl sie beim Ueberblick des Stammbaums zahlreich genug erscheint, doch gleichzeitig nur aus wenigen Mitgliedern bestand (die größere Hälfte der Kinder starb kaum geboren, die überlebenden Söhne wurden in die Welt geschickt, die Töchter verheirathet), wird man die genannten Räume für vollkommen ausreichend für die Bedürfnisse des Hauses finden.
Haydn's Eltern8 waren einfache, rechtschaffene Leute und wußten bei den Kindern frühzeitig den Sinn für Religiosität, Thätigkeit, Ordnungsliebe und Reinlichkeit zu wecken. Die Wohlthaten dieser Erziehung empfand Haydn durchs ganze Leben und dankerfüllt äußerte er sich noch im hohen Alter gegen den Maler Dies (Biogr. Nachr., S. 11): »Meine Eltern haben mich schon in der zartesten Jugend mit Strenge an Reinlichkeit und Ordnung gewöhnt; diese beiden Dinge sind mir zur zweiten Natur geworden.« Er verdanke seinen Eltern auch, daß sie ihn zur Gottesfurcht und, weil sie arm waren, nothwendig zur Sparsamkeit und zum Fleiße angehalten hatten. – Einen tiefen Einblick in Haydn's kindlich dankbares Gemüth bieten ebenso[11] die Worte, mit denen er, ebenfalls gegen Dies (S. 42), die Erwähnung seiner ersten Anstellung als Kapellmeister begleitet: »Meine gute Mutter, die von jeher auf das zärtlichste für mein Wohl besorgt war, lebte nicht mehr; doch hat mein Vater noch die Freude erlebt, mich als Kapellmeister zu sehen.« Das Andenken seines Vaters zu ehren, vergißt Haydn auch bei Aufstellung seines letzten Willens nicht, indem er eine Summe bestimmt zur immerwährenden Instandhaltung der Seitenwunden-Statue, die der Vater auf dem Grabe seiner Frau errichten ließ und wo er dann selber an ihrer Seite die letzte Ruhe fand.9
Wenn man mit Recht bei der allerersten Erziehung des Kindes der Mutter den Hauptantheil zuschreibt, so war hierin für Haydn aufs beste gesorgt. Er genoß der liebevollsten Pflege, und daß sich die Erinnerung an dieselbe tief eingegraben ins Herz des Sohnes, bezeugen seine obigen Worte. Und doch waren es nur die ersten fünf Lebensjahre, die er unter ihrer Obhut zubrachte. Aber die rechtliche, rührige Frau, indem sie die Kinder mit Strenge zur Thätigkeit anhielt, hatte den Kern getroffen, denn Fleiß und Vorwärtsstreben wurden Haydn durchs ganze Leben zum Gewohnheitsbedürfniß. Leider brachte die Mutter dem Sohne auch ein körperliches Uebel zu: Haydn erbte von ihr einen Nasen-Polypen, der ihm im Leben viel zu schaffen machte. Griesinger (S. 77) hörte Haydn darüber sagen: »Ich muß den Kerl nun schon unter der Erde verfaulen lassen; auch meine Mutter litt an diesem Uebel, ohne daß es ihr den Tod zugezogen hätte.«
Die Mutter war das dritte Kind des am 4. Juli 1702 zu Rohrau mit der Jungfrau Susanna Siebel vermählten Mitnachbars (Hauseigenthümers) und nachherigen Marktrichters Lorenz Koller. Unser Wagnermeister führte sie gleichsam vom Herd weg heim, denn sie diente damals als Köchin bei des Grafen Carl Anton Harrach Gemahlin, Katharina geborene Gräfin von Bouquoy. Vater und Mutter hatten empfänglichen[12] Sinn für Musik; der Vater,10 den Haydn als »einen von Natur aus großen Liebhaber der Musik« schildert, besaß eine erträgliche Tenorstimme und hatte auf der Wanderschaft »ohne eine Note zu kennen« die Harfe klimpern gelernt. Die Gewohnheit, sich nach der Arbeit die Grillen mit Gesang zu vertreiben, wozu er sich mit seinem Instrumente begleitete, behielt er auch im Ehestande bei. Nun stimmte auch die Frau mit ein und die friedliche Wohnung erschallte, namentlich Sonntags, von ungekünsteltem Doppelgesange. Dieser Melodien und unschuldigen Jugendscenen – der ersten musikalischen Eindrücke, die er empfing – erinnerte sich Haydn noch in den letzten Lebensjahren und eine rührende Heiterkeit verbreitete sich über sein greises Antlitz, wenn er jener Tage gedachte. Das Beispiel der Eltern reizte Tochter und Sohn, die sich nun ebenfalls bei dieser einfachen Hausmusik versuchten; namentlich der jüngere fünfjährige Sepperl (öster. Diminutiv für Joseph) überraschte dabei durch musikalisches Gehör und eine angenehme Stimme. Wie Haydn selbst später versicherte, sang er »dem Vater alle seine simblen kurzen Stücke ordentlich nach« und alle Einwohner des Ortes lobten des Wagners Söhnchen. Der Knabe aber blieb dabei nicht stehen. Er mochte bei irgend einer Gelegenheit den Schulmeister belauscht haben, wie er auf einem ihm bis dahin fremden Gegenstand, den der Schulmeister »Geige« nannte, beharrlich hin und her fuhr und die wunderlichsten Töne hervorlockte. Das war für unsern Sepperl genug. Ein Stecken war bald gefunden und als nun bei nächster Gelegenheit Vater und Mutter wieder ihren Gesang anstimmten, begleitete sie der Sohn, auf der Ofenbank sitzend, indem er in Ermangelung einer wirklichen Geige auf dem ausgestreckten linken Aermchen nach des Schulmeisters Art mit seinem erbeuteten Stecken voll Eifer auf und nieder strich. Wohl mögen die Eltern über den kindischen Einfall des Sohnes gelächelt haben, doch gelegentliche Zuhörer dachten anders. Ein weitläufiger Verwandter des Hauses, der einmal von Hainburg zum Besuch herübergekommen war, sowie[13] der Schulmeister des Ortes bemerkten mit Staunen den Knaben so fest und muthig den Takt angeben und meinten, da wäre ein tüchtiger Musiker zu erwarten. Damit hatten sie eine lebhafte Frage angeregt. Zunächst wurde des Vaters Eitelkeit nicht wenig berührt, denn er fühlte selbst so etwas von künstlerischer Begabung in sich und hoffte nun wenigstens in seinem Kinde, als viel zu gut für sein Handwerk, sich einstens verherrlicht zu sehen. Der Mutter aber schwebte der Stand eines Schullehrers oder geistlichen Herrn als höchstes Ziel vor Augen. Die Abwägungen zwischen den kirchlichen und weltlichen Vorzügen blieben lange in der Schwebe, bis endlich die Autorität des Verwandten den Ausschlag gab: Sepperl solle nämlich zu ihm (denn er war selbst Schulrector und Musiker) in die Lehre gehen, um einst als Chorregent oder gar als Kapellmeister über ein Orchester sich sein Brod zu verdienen – der geistliche Stand stehe ihm ja deßhalb noch immer offen. Als Folgerung seiner früher erwähnten Versicherung, daß er dem Vater alles ordentlich nachsang, faßt Haydn die nun erfolgte Entscheidung über sein weiteres Loos in die wenigen Worte zusammen: »Dies verleitete meinen Vatter mich nach Hainburg zu dem Schul-Rector meinen Anverwandten zu geben.« – Weiteres können wir über Haydn's erste Kinderjahre nicht erfahren; es fehlte eben ein Hausfreund wie der Mozart'sche Schachtner, der noch nach Mozart's Tode auf Anfrage von dessen Schwester im Stande war, die bei Otto Jahn mitgetheilten so interessanten Details über Wolfgang zu geben.
Es fällt wohl nicht schwer, sich den Abschied Haydn's aus dem Elternhause zu vergegenwärtigen: wie der besorgten Mutter immer noch eine neue Ermahnung beifällt, die sie dem Kinde einschärft; wie sie Ränzchen und Tasche viel zu klein findet für alles, was sie ihnen aufbürden will und wie die 7 jährige einzige Schwester Franziska den um zwei Jahre jüngeren Bruder mit fast feierlicher Art betrachtet – ihn, den sie plötzlich zum Mittelpunkt aller Sorgfalt erhoben sieht, und der nun eine so weite Reise von mehreren Stunden unternimmt und in einer großen Stadt von mindestens 4 bis 5000 Einwohnern leben wird. Immer wieder schließt die Mutter den Sohn in ihre Arme und weiß sich nicht zu trennen von ihm. Doch die Zeit drängt; draußen werden die Pferde schon ungeduldig und[14] das Gefährt, dessen Sicherheit der kundige Wagnermeister diesmal gewiß mit verdoppelter Aufmerksamkeit geprüft hat, umstehen immer zahlreicher, neugierig und theilnehmend, die Nachbarn. Auch der Schulmeister, der ja selbst sein Votum mit abgegeben hat zur Uebersiedelung, befindet sich unter ihnen und siehe, da kommt auch der Pfarrer des Ortes, Andreas Julius Selescoviz, dem kleinen Inwohner, seinem Täufling, seinen Segen mit auf den Weg zu geben. Endlich macht der Vater der Scene ein Ende, indem er, die Mutter ermuthigend, mit vielsagendem Blick auf die zum Empfange eines neuen Sprößlings bereitstehende Wiege deutet.11 Noch einen Händedruck, noch einen Kuß, den letzten und heißesten, und fort geht es die einförmige Straße entlang zum neuen Bestimmungsorte.
Bevor wir den Reisenden auf ihrer Fahrt folgen, sei über Haydn's Familie und seine unverändert gebliebene theilnehmende Erinnerung an Rohrau und an seine Verwandten noch Einiges bemerkt. Haydn, der innerhalb 24 Jahren die größere Hälfte dieser Zeit in Esterház am südlichen Ende des Neusiedler-Sees zubrachte, hatte dorten in unmittelbarer Nähe eine Schwester und mehrere Nichten, die sich, wohl auf seine Veranlassung, daselbst niederließen. So finden wir die älteste Schwester Franziska, zuerst in Rohrau an einen Witwer verheirathet (dessen erste Frau war erst 19 Tage todt!), zum zweiten male zur Frau begehrt in St. Nicklo (Fertösz Miklós) nahe bei Esterház. Dort auch vermählte sich ihre Tochter und wiederum eine Enkelin im nahe gelegenen Kapuvár. Anna Maria, eine Lieblingsschwester Haydn's (noch im ersten Testament erwähnt und im zweiten nach ihrem Tode in ihren Kindern bedacht), war in Rohrau an den Schmiedemeister Philipp Fröhlich verheirathet, der nach dem Tode des Mathias Haydn dessen Haus kaufte und es 13 Jahre lang bewohnte. Seine Frau, die somit wieder ins Elternhaus zurückkehrte, gebar ihm funfzehn Kinder, unter denen Mathias, das zehnte Kind, der Haupterbe Haydn's wurde, im[15] Jahre 1805 in Fischamend heirathete und im Jahre 1845 als Schmiedemeister in Rohrau starb.12 Drei Monate nach dem Tode ihres Mannes heirathete die so reich mit Kindern gesegnete Anna Maria abermals; ihr zweiter Mann, Rafler, ebenfalls Schmiedemeister, war obendrein um 10 Jahre jünger als die Witwe. Eine Tochter von ihr, Anna Maria, war zweimal in Esterház verheirathet und ebenfalls mit Kindern reichlich gesegnet; Haydn hatte sie für den Fall, daß Mathias Fröhlich vor ihm sterben sollte, als Universalerbin bezeichnet. Es fehlte Haydn also nicht an Gevatterschaften, die auch fortwährend Ansprüche auf seine Kasse machten. Anna Katharina, das achte Kind der Anna Maria Fröhlich, war in erster Ehe an den fürstlich Esterházy'schen Beamten Luegmayer verheirathet, der wegen üblen Lebenswandels von Ort zu Ort versetzt wurde. Des Meisters Herzensgüte wurde von diesem Menschen jahrelang mißbraucht und Haydn's Briefe führen wiederholt bittere Klage über den »Liederlichen«, dem er nach und nach über 5000 Fl. Schulden zahlte und schließlich noch die Witwe mit 1000 Fl. unterstützte, damit sie sich wiederum verheirathen konnte. Ernestine, eine Tochter aus dieser zweiten Ehe, wohnte in den letzten Lebensjahren Haydn's bei ihm im Haus und wurde auch vorzugsweise im Testamente bedacht. – Haydn's vierte Schwester, Anna Katharina, ein Zwillingskind, ist die Einzige, deren Lebensende nicht zu ermitteln war, da ihr Mann, der herrschaftliche Büchsenspanner Näher, von Rohrau fortzog und über seinen weiteren Aufenthalt jeder Nachweis fehlt.
Ueber den jüngeren Bruder Haydn's, den bekannten Kirchencomponisten Johann Michael, sind die bezüglichen Daten im Stammbaum zum ersten male nach den Pfarr-Protokollen von St.[16] Peter in Salzburg veröffentlicht. Der jüngste Bruder, Johann Evangelist, der auf Haydn's Verwendung als Tenorist im Kirchenchor des Fürsten Esterházy aufgenommen wurde und dem gewöhnlich eine gewisse Bedeutung zugeschrieben wird, war von durchaus geringer Begabung.
Seiner meistens unbemittelten Angehörigen schämte sich Haydn so wenig, daß er vielmehr selbst oft von ihnen sprach. Bis ins hohe Alter unterstützte er sie und in den letzten Lebensjahren war die testamentarische Zutheilung seines Vermögens seine Hauptsorge. »Ich lebe weniger für mich (sagte er zu Griesinger) als für meine armen Verwandten, denen ich nach mei nem Tode etwas zu hinterlassen wünsche.« Ebenso wenig verleugnete Haydn den niedrigen Stand seiner Vorfahren. Noch in den letzten Jahren seines Aufenthaltes in Eisenstadt blieb er häufig im Vorübergehen bei der Schmiede in der oberen sogenannten Bergstadt stehen, unterhielt sich mit dem Meister und versicherte ihn, wie er mit Vergnügen ihm bei der Arbeit zusehe, da sein Vater das gleiche Handwerk betrieben habe. Rohrau konnte sich Haydn stets durch vier verschiedene Ansichten vergegenwärtigen, die in seinem Besitz waren und bei der Veräußerung seines Nachlasses zum Verkauf kamen. In seinem zweiten Testamente bedachte Haydn den Pfarrer, Schullehrer und die Schulkinder von Rohrau und für die Erziehung der jeweilig zwei ärmsten Waisen vermachte er eine besondere Stiftung.13
Wie hoch Haydn die Stätte hielt, wo er geboren wurde, zeigt sein Besuch im Jahre 1795, als er, ruhmgekrönt von London zurückgekehrt, in Begleitung des kunstsinnigen Grafen von Harrach und vieler Cavaliere zur Besichtigung des Monumentes geführt wurde, das der Graf dem ehemaligen Bauerssohne seines Ortes im neu geschaffenen Park gesetzt hatte. Der früher erwähnte Martin Hoffmann, Sohn des damaligen Eigenthümers des Hauses und zu jener Zeit 10 Jahre alt, wußte noch als[17] Greis davon zu erzählen, wie der damals von London zurückgekehrte, hochge feierte Mann nach langjähriger Abwesenheit beim Eintritt in die einstige väterliche Wohnstube niederkniete und die Schwelle küßte, über die er so oft als Knabe geschritten, und wie er dann in gehobenem Selbstbewußtsein auf die Ofenbank hinwies, auf der er gesessen, der Eltern Gesang in seiner kindischen Weise begleitend – der Ausgangspunkt seines künftigen Berufes und Weltruhmes!
1 Beethoven's Worte, indem er auf dem Sterbelager den ihn besuchenden Freunden Andreas Streicher und Hummel eine ihm von Diabelli zugeschickte Abbildung von Haydn's Geburtshaus entgegenhielt und seinem obigen Ausrufe tiefbewegt die Worte voranschickte: »Sieh', lieber Hummel, das Geburtshaus von Haydn; heute habe ich es zum Geschenk erhalten und es macht mir eine kindische Freude.«
2 Ich verdanke denselben der Güte des gräflichen Schloßverwalters Hrn. Preißler in Rohrau.
3 Hoffmann und Fröhlich sind oft erwähnte Namen in der weitverzweigten Familie Haydn. Das Hoffmann'sche Ehepaar hob des Mathias Haydn sämmtliche Kinder erster Ehe aus der Taufe. Michael und nach ihm sein Sohn Martin Hoffmann hatten das Haydn'sche Haus ein halbes Jahrhundert im Besitz und Letzterer war vor einigen Jahren noch der Einzige im Ort, der Haydn selbst gekannt hatte. – Die Fröhlich's lebten durch mehrere Generationen als Hufschmiede in Nr. 56, der Nachbarschaft Haydn's, wo sie ihr Handwerk auf offener Straße betrieben. Ueber ihre nähere Verwandtschaft mit Haydn werden wir später hören.
4 Reihenfolge der Besitzer des Haydn'schen Hauses nach des Vaters Tode: Schmiedemeister Philipp Fröhlich, Haydn's Schwager (seit 1764); Oekonom Michael Hoffmann (seit 1777); Landmann Martin Hoffmann, des Vorgehenden Sohn (seit 1809); dessen Tochtermann Johann Seidl (seit 1828); Landmann Georg Bruckner, der Seidl's Witwe heirathete (seit 1843).
5 Abbildungen in Kreidemanier, Federzeichnung etc. finden sich einzeln und in vielen Zeitschriften. Eine »Ansicht des Geburtshauses von Haydn in Rohrau« erschien bei A. Diabelli, Wien, lith., Quer-Fol. – Dieselbe Ansicht in verkleinertem Maßstab nach einer Federzeichnung von Berndt, lith., gr. 40. Ferner im Sonntagsblatt, Wien 1842, Nr. 36; ditto Illustr. Familienbuch zur Unterhaltung und Belehrung, herausgegeben vom österr. Lloyd, Triest, Bd. II, S. 16. Photographie (nach einer Handzeichnung) verfertigt von F. Wendling, Wien.
6 Gegenwärtig sind Rasen, Baum, Stakete und die Fenster zur Rechten verschwunden und ist eine Bank vor den Fenstern zur Linken angebracht. Eine unansehnliche, bei Gelegenheit einer Erinnerungsfeier im Jahre 1841 in die Mauer eingefügte, eher einem Wirthshausschilde ähnliche Gedenktafel mit der Inschrift »Zum Haydn« ist die einzige Auszeichnung, welche die Geburtsstätte des großen Tondichters vor den übrigen Häusern unterscheidet.
7 Das große Hauptgemach hat seit der erwähnten Feier im Jahre 1841 als einzige Ausschmückung ein mit Haydn's Porträt geziertes Erinnerungsblatt, d.h. nicht einmal an diese Feier, sondern an jene des 25 jährigen Bestehens der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien im Jahre 1837, wobei »Die Schöpfung« aufgeführt wurde, deren Hauptmomente hier bildlich in Federzeichnung dargestellt sind. In demselben Jahr (1841) wurde auch ein Gedenkbuch von Haydn's »vieljährigem Freunde Mathias Tucher, Criminal-Justizrath« gestiftet. Zu bedauern ist, daß gerade das Geburtszimmer des Schöpfers der »Schöpfung« eingegangen ist. Die Wiederherstellung und passende Einrichtung desselben bleibt einer sorglichen Hand vorbehalten.
8 Im Fremdenblatt, Wien, 4. Mai 1852, waren angebliche Original-Porträts der Eltern Haydn's, gemalt 1776 von E. Helmayr, zum Verkauf ausgeboten. Die Unechtheit dieser Porträts ist in Bäuerle's Theaterzeitung, 1852, Nr. 134, ausführlich nachgewiesen.
9 »Siebzig fünf Gulden sollen der Herrschaft Rohrau verbleiben, um das von ihr mir gesetzte Monument, und das Bildniß, welches mein seliger Vater neben der Sakristey der dortigen Kirche errichten ließ, in gutem Stand zu erhalten.« Testament, II, §. 35 (vgl. auch Testament, I, §. 51).
10 Carpani und nach ihm Fétis theilen dem Vater irrthümlich auch Meßner- und Organistendienste zu. Nach einzelnen Aussagen sollen sich in seinem Nachlaß Musikalien und Bücher vorgefunden haben, die bei der Ueberschwemmung im Jahre 1813 zu Grunde gegangen sind.
11 Michael, der wohlbekannte Kirchencomponist, wurde bald darauf, am 14. Sept. 1737, geboren.
12 Die Bemerkung bei Dies (S. 197): »Haydn nahm nach der Schwester Tode den damals eilfjährigen Matthias Fröhlich zu sich ins Haus«, ist durchaus zu berichtigen, da die Schwester, von der Haydn bei Abfassung des ersten Testamentes nicht einmal wußte, ob sie noch lebe oder nicht (er setzte nachträglich »Gott hab sie selig«), im Jahre 1802 starb und Matthias, ihr Sohn aus erster Ehe, damals 33 Jahre alt war. Im ersten Testamente Haydn's, §. 14, ist Matthias Fröhlich auch unrichtig als der Sohn der Therese Hammer angegeben, welche vielmehr seine Schwester war. Zwei Töchter des Fröhlich, Großnichten Haydn's, eine verehelichte Mosberger in Rohrau und eine verwittwete Heyer in Wien, sind zur Zeit noch am Leben.
13 Daß nämlich 75 Fl. immerwährend den zwey ärmsten Waisen meines Geburtsortes Rohrau zu Theil, und auf ihre Erziehung bis zur Großjährigkeit verwendet werden sollen, worauf dann mit diesem Betrag zwey andere der ärmsten Waisen von Rohrau zu betheilen sind. Test. II, §. 34. Fröhlich, Haydn's Haupterbe, hinterlegte dafür freiwillig ein für allemal 1300 Fl. in 21/2 pr. Obl. in die Armen-Instituts-Kasse.
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