Achtes Kapitel.

Leipzig. Berlin.

In Leipzig trat Mendelssohn wieder in seinen alten Wirkungskreis; zugleich schuf er sich nun auch jenen neuen, der ihm in Berlin nur in Aussicht gestellt worden war: in dem Conservatorium für Musik. Er berichtet darüber an Klingemann in dem früher schon erwähnten Briefe: »Die Anerbietungen des Königs von Sachsen habe ich nun definitiv abschlagen müssen; aber um auch das möglichst freundlich zu machen, reiste ich wenige Tage nach meiner Ankunft hier nach Dresden, dankte dem König noch einmal mündlich und bat ihn, nichts desto weniger die 20000 Thlr. (die ein alter Leipziger in seinem Testament dem König zu einem Kunstinstitute zur Verfügung gestellt hat)1 uns Leipzigern zu einer Musikschule zu geben, und das hat er nun gethan. Vorgestern kam die officielle Bestätigung davon. Diese Musikschule soll nun noch diesen Winter, wenigstens in den Grundzügen, in's Leben gerufen werden; steht sie da, so darf ich mir doch sagen, dass ich dem hiesigen Musikwesen einen bleibenden Nutzen verschafft habe. Fangen sie dann in Berlin etwas Tüchtiges an, so kann ich mit gutem Gewissen dorthin ziehen; schieben sie es auf die lange Bank, so kann es auch sein, dass ich das halbe Gehalt, und die hiesige Stelle noch länger, als für dies Jahr behalte, und meine dortigen Verpflichtungen sich darauf beschränken, wie jetzt, einzelne Arbeiten im besonderen Auftrage des Königs zu machen (jetzt habe ich z.B. Musik zum Sommernachtstraum, zum Sturm [281] und zum Oedipus auf Kolonos zu liefern). Das ist denn nun die erwünschte Beendigung der langen, langen Angelegenheit.«

Bereits am 16. Januar 1843 konnte das allgemeine Programm des Conservatoriums ausgegeben werden. Mendelssohn wurde in demselben als Lehrer des Instrumentalspiels und der Composition, Moritz Hauptmann für Contrapunkt und Harmonielehre, Robert Schumann für Clavierspiel und Composition, Ferdinand David für das Violin-, C.F. Becker für das Orgelspiel, und Pohlenz als Lehrer des Gesanges aufgeführt. Noch vor Eröffnung des Conservatoriums – am 10. März – starb Pohlenz, und an seine Stelle traten Frau Grabau-Bünau und Herr Böhme für den Unterricht im Chor- und Sologesange ein. Ferner wurden noch die Herren Wenzel und Plaidy für den Clavierunterricht, Herr Klengel für den Unterricht im Violinspiel herangezogen. Am 3. April wurde das Conservatorium durch den Minister von Falkenstein im Namen des Königs, welcher ausser jener Bewilligung des erwähnten Legats sechs Freistellen gegründet hatte, eröffnet. Wie allgemein bekannt, nahm die Anstalt rasch einen bedeutenden Aufschwung. Namentlich der Name Mendelssohn's, der damals auf der Höhe seines Ruhmes stand, zog gar bald Jünger der Kunst aus allen Welttheilen nach Leipzig, die sich begeistert dem Meister anschlössen. Erst im nächsten Kapitel werden wir dessen Thätigkeit als Lehrer etwas eingehender betrachten. Wie einflussreich diese wurde, wird dadurch bewiesen, dass mit wenigen Ausnahmen die Zöglinge des Leipziger Conservatoriums auch Träger der speciellen Richtung wurden, welche Mendelssohn's Genius genommen hatte, und dass diese in jener Anstalt noch bis auf den heutigen Tag gepflegt wird.

Das Jahr 1842 hatte unserm Meister auch wieder einen herben Verlust gebracht: seine Mutter war in der letzten Hälfte des December gestorben. Die Briefe aus jener Zeit sind wieder rührende Beweise von der grossen Liebe, mit der er an ihr hing.

Von Concerten im Gewandhause, die er nach seiner Rückkehr [282] von Berlin wieder sämtlich leitete, sind hier nur zwei besonders erwähnenswerth: das am 2. Februar 1843, in welchem die, im vorigen Jahre umgearbeitete »Walpurgisnacht« zum ersten Male in Leipzig aufgeführt wurde, und jenes, welches Mendelssohn zur Feier der Enthüllung des bereits erwähnten Bachdenkmals am 23. April früh veranstaltete. Im letzteren wurden, ausser einer Phantasie über Bach'sche Motive von Mendelssohn, nur Bach'sche Compositionen aufgeführt; ausser der Cantate »auf die Rathswahl in Leipzig« (1723) das Sanctus der H-moll-Messe, welche, mit einem von David gespielten Praeludium für die Violine allein, den zweiten Theil des Programms bildeten; dann Suite für Orchester, die Motette: »Ich lasse dich nicht«, ein Concert für Flügel, das Mendelssohn spielte, und die Arie: »Ich will bei meinem Jesu wachen.« Nach dem Concert erfolgte die Enthüllung des Denkmals, das nach dem Entwürfe von Bendemann und Hübner von Knaur ausgeführt ist.

Den Sommer verlebte Mendelssohn, einen Ausflug nach Thüringen ausgenommen, diesmal in Leipzig, mit den bereits erwähnten Arbeiten für den König von Preussen und mit seinem neuen Oratorium: »Elias« beschäftigt. Bereits im November 1842 hatte ihn der König zu seinem General-Musikdirector ernannt und ihm die Oberaufsicht und Leitung der kirchlichen und geistlichen Musik als Wirkungskreis angewiesen; während des Sommers 1843 wurden auch wieder die Verhandlungen in Bezug auf seine eigentliche Thätigkeit in Berlin fortgeführt. In einer, am 10. Juli 1843 abgehaltenen Conferenz, an welcher ausser Mendelssohn und dem Herrn von Massow auch die Intendanten der Hofmusik und der Königlichen Schauspiele, Graf von Redern und Herr von Küstner Theil nahmen, waren die bereite früher erwähnten Pläne des Königs weitläufig erörtert, und es war zugleich eine Einigung über die Art, wie sie verwirklicht werden sollten, erzielt worden. Allein als die darüber aufgenommenen Verhandlungen an Mendelssohn zur Unterschrift nach Leipzig kamen, fand dieser so wesentliche Abweichungen von dem, was verabredet worden war, dass er glaubte, seine Unterschrift verweigern zu müssen. »In diesem Actenstück« schreibt Mendelssohn [283] an seinen Bruder unterm 21. Juli 18432, »sind alle Verabredungen richtig wiedergegeben, aber 6–8 Zusätze dazu am Rande gemacht, von denen keine Sylbe in der Conferenz erwähnt worden ist, die gerade alles wieder aufheben, was der Sinn jener Verabredungen war, die das ganze Institut und mich dazu in die vollkommenste Abhängigkeit von Herrn von Küstner setzen, die mit einem Worte alle Schwierigkeiten, von denen ich sprach, und deren Bestehen Herr von Massow ableugnete, in's hellste Licht setzen. Es heisst u.a., die Bestellung des Orchesters zu jeder Kirchenmusik solle von der beim Theater bestehenden Musikdirection geschehen; vor jedem Concert müsse bei der General-Intendanz angefragt werden, ob es bei dem Tage (den sie nach unsern Beschlüssen ein- für allemal zu Anfang des Winters wählen sollte) auch sein Verbleiben habe, oder ob sie ihn abändern wolle u.s.w., lauter Dinge, von denen nicht eine Sylbe in der Conferenz vorgekommen ist.« Mendelssohn war darüber sehr ärgerlich und hatte Lust, die ganzen Verhandlungen vollständig abzubrechen. Nach reiflicher Ueberlegung erschien ihm dies doch unmotivirt, und so schrieb er an Herrn von Massow, dass und warum er nicht unterschreiben könne, und bat zugleich ihn wissen zu lassen, »ob der König die in der erwähnten Conferenz gefassten Beschlüsse genehmige oder nicht«. Genehmige er sie nicht, oder hielte Herr von Massow die Aufnahme neuer Punkte in jene Beschlüsse für nothwendig, so sei für ihn die Sache unausführbar. Im andern Falle aber sei er bereit zu kommen. Mendelssohn erhielt hierauf eine durchaus zufriedenstellende Antwort, und so ging er, wie erwähnt, am 1. August wieder nach Berlin.

Hier war mittlerweile jenes Institut in's Leben gerufen worden, dessen obere Leitung namentlich an Mendelssohn übertragen werden sollte: der königliche Domchor.

Die liturgischen Gesänge in der Domkirche waren bisher von einem kleinen Chor ausgeführt worden, der aus Schülern der Domschule und den Bessern Sängern der Militär-Gesangchöre, zeitweise [284] auch aus Seminaristen, gebildet war und von dem verdienten damals zweiten Director der Sing-Akademie, Ed. Grell, geleitet wurde. Dieser für den a capella-Gesang unermüdlich thätige feine Kenner desselben übernahm auch die Organisation und erste Führung des neu zu errichtenden Kirchenchors. Es wurden aus den Gesangsklassen der Domschule 70–80 der stimmbegabtesten Knaben ausgewählt, von denen, ein Theil als wirkliche Mitglieder mit entsprechenden Vortheilen angestellt, die anderen als Reserve mit jenen zugleich ausgebildet wurden. Die etwa 30 Männerstimmen, 12 Tenöre und 18 Bässe, gehörten den verschiedensten Ständen an; neben Lehrern an höheren Schulen wie an Volksschulen und Gesanglehrern finden wir Kaufleute und Künstler im Domchor; nur die Stimme und einige Gesangsbildung wurden und sind noch heute für die Aufnahme maassgebend. So war bald im Domchor eine bedeutende Zahl der besten Stimmen vereinigt, und bei der vortrefflichen Leitung und Unterweisung, welche dem Chor von vornherein zu Theil wurde, erhob er sich bald zu einem der bedeutendsten Vertreter des a capella-Gesanges der ganzen Welt.

Wie erwähnt, war seine Hauptaufgabe die Ausführung der liturgischen Gesänge beim Gottesdienste in der Domkirche, und so wurden auch diese, nach der Agenda für den preussischen Staat von Zelter, Rungenhagen, Grell und A. componiert, zunächst einstudiert. Daneben begann Grell bereits mit der eingehenden Pflege des italienischen Gesanges; einzelne Tonsätze von Palestrina wurden früh schon vom Domchor gesungen.

Ursprünglich lag es, wie gleichfalls schon von uns erwähnt ist, noch im Plane, auch die Instrumentalmusik zur Begleitung heranzuziehen, und in dieser Verbindung leitete Mendelssohn die erste kirchliche Aufführung des neuen Instituts am 6. August 1843. An diesem Tage wurde mit dem sonntäglichen Gottesdienste zugleich die kirchliche Feier des auf den 10. August fallenden 1000 jährigen Erinnerungsfestes an die Errichtung des, deutschen Reichs durch den Vertrag zu Verdun verbunden, und nach der, durch den Hofprediger Dr. Strauss gehaltenen Predigt, führte der Domchor das Te Deum mit Begleitung von Streichinstrumenten [285] und Posaunen nach der Bearbeitung Mendelssohn's und unter dessen Leitung aus, begleitet von den bei solchen Gelegenheiten üblichen 101 Kanonenschüssen, die auf dem Platze am Königlichen Schlosse gelöst wurden.

In ein näheres Verhältniss zum Domchor trat Mendelssohn aber dennoch nicht. Friedrich Wilhelm IV. verfolgte bei Gründung dieses Chors als Hauptziel die Pflege des, selbst von der katholischen Kirche, ganz vernachlässigten älteren a capella-Gesanges, und dass er die Hinzuziehung der Instrumentalbegleitung gestattete, war unstreitig ein Zugeständniss, das er unserm Meister machte, um ihn zu gewinnen. Diesem lag der altitalienische Kirchengesang nicht fern – in Düsseldorf wandte er sich ihm mit Sorgfalt und Eifer zu –, aber er hatte in seiner gesamten Thätigkeit doch nur untergeordnete Bedeutung für ihn. Die Verwendung der Instrumente in der Kirche aber stiess auf mancherlei Widerspruch unter den Geistlichen. Endlich liebte Mendelssohn auch grössere Massenwirkung, als sie der Domchor möglich machte, so dass ihm dieser seinen Chor in Leipzig nicht zu ersetzen vermochte. Nur noch in einzelnen Fällen, meist wohl auf den besonderen Wunsch des Königs, dirigierte Mendelssohn den Domchor während der Dauer seiner Stellung. Als Grell durch seine Stellung zur Sing-Akademie genöthigt wurde, die Leitung desselben aufzugeben, trat Neithardt an seine Stelle, und durch ihn erhielt der Chor, namentlich durch die seit 1851 unternommenen Reisen und die seit dieser Zeit allmählich wiederkehrenden Concerte in Berlin seinen Weltruf.

In ein etwas intimeres Verhältniss trat Mendelssohn zur Königlichen Kapelle, die ihm, in den kurz vorher eingerichteten Sinfonie-Soiréen, eine ganz ähnliche Thätigkeit eröffnen konnte, wie seine Stellung am Gewandhause.

Diese Sinfonie-Soiréen der Königlichen Kapelle sind nicht eigentlich als Fortsetzung der bereits erwähnten ähnlichen Concerte des Concertmeisters Möser zu betrachten. In diesen wirkten überwiegend die Accessisten und die mit dem Theater verbundene Orchesterklasse mit, nur einzelne Kammermusiker wurden zur Besetzung der ersten Instrumente herangezogen; und da es hierbei [286] mit den Proben auch nicht immer sehr sorgfältig gehalten wurde, so genügten die Aufführungen selten auch nur massigen Ansprüchen. Einzelne Mitglieder der Kapelle hatten daher schon früher die Einrichtung von Concerten zum Besten ihres Pensionsfonds3 angeregt. Erst als Spontini von der Leitung der Oper zurücktrat, und nachdem Möser bei Gelegenheit seines fünfzigjährigen Jubiläums pensioniert worden war, – 1842 – wurden die Concerte in der angegebenen Weise eingerichtet. Die beiden Directoren Capellmeister Hennig und Musikdirektor Taubert, mit den beiden Concertmeistern Ries und Ganz, bildeten das Comité und erliessen die ersten Aufforderungen. Die Zahl der Concerte wurde auf sechs festgestellt, welche Montags – in Zeiträumen von 14 Tagen – stattfinden sollten. Für das erste Concert am 14. November 1842 war noch der Jagor'sche Saal4, in welchem auch Möser's Concerte bisher stattgefunden hatten, gewählt; aber er erwies sich für die Theilnahme des Publikums zu klein, und so musste schon für das zweite Concert, am 28. November, der bedeutend grössere Saal der Sing-Akademie gewählt werden. Die Einrichtung der Concerte war die, welche heute noch festgehalten wird: die Sinfonien und Ouverturen der grossen Meister bildeten den eigentlichen Stamm der Programme, dabei wurde aber auch der Gegenwart möglichst Rechnung getragen. Im ersten Concert kam ausser Beethoven's B-dur und Haydn's Es-dur-Sinfonie auch die Hebriden-Ouverture von Mendelssohn, zur Aufführung. Die Direction der Concerte übernahmen im ersten Jahre die Herren Hennig und Taubert abwechselnd. Schon nach Ablauf dieses ersten Concertjahres erkannten Kritik und Publikum einstimmig an, dass mit diesen Concerten nicht nur eine wesentliche Lücke im öffentlichen Musikleben Berlins ausgefüllt worden war, sondern dass auch die Leistungen der Kapelle zu immer grösserer Meisterschaft emporgehoben wurden. Hierzu namentlich wirkte Mendelssohn [287] in der bereits von uns geschilderten genialen Weise der Direction mit, als er im folgenden Winter die Leitung dieser Concerte übernahm.

Am 14. Oktober 1843, zur Vorfeier des Geburtstages des Königs Friedrich Wilhem IV., war Shakespeare's »Sommernachtstraum« mit der vollständigen Musik Mendelssohn's zum ersten Male, wie früher die »Antigone«, im neuen Palais in Potsdam vor einem gewählten und glänzenden Publikum unter Mendelssohn's Leitung ausgeführt worden. Die erste öffentliche Aufführung erfolgte am 18. Oktober im Schauspielhause in Berlin, und allgemein erkannte man an, dass alle früheren Leistungen der Königl. Kapelle durch diese eine weit übertroffen wurden. Eine solche Präcision der Ausführung, eine so bewusste Anwendung der dynamischen Mittel, wie sie hier Mendelssohn erreicht hatte, war bisher im Orchester kaum für möglich gehalten worden. Wie sehr aber auch die Musik Mendelssohn's gefiel, das beweisen die zahlreichen Wiederholungen, welche der »Sommernachtstraum« noch in demselben Winter erlebte.

Die erste Sinfonie-Soirée der Königl. Kapelle fand wieder in der Sing-Akademie, am 29. November 1843, unter Mendelssohns Leitung statt. Dieser entwickelte hier ganz dieselbe Thätigkeit, wie einst dem Gewandhausorchester gegenüber, die wir bereits eingehend besprachen. Die älteren, oft gehörten Orchesterwerke studierte er mit jener Sorgfalt und mit der ihm eigenthümlichen Auffassung ein, dass sie den Zuhörern fast wie neu erschienen. Dabei versuchte er auch hier, wie in Leipzig, die Concerte allmählich zu erweitern und zu bereichern, zunächst durch Aufnahme von Instrumental-Solo-Vorträgen. Im ersten Concert spielte Taubert das Es-dur-Concert von Beethoven; im zweiten (am 6. December) dann der berühmte Geiger Molique ein eigenes Concert und im dritten (am 20. December) Mendelssohn sein G-moll- Concert. Schon mit dieser »Neuerung« war das Publikum der Sinfonie-Soiréen nicht durchgängig einverstanden; als aber Mendelssohn sogar versuchte, auch Gesang-Soli einzuführen, stiess er damit auf so heftigen Widerspruch, dass er davon abstehen musste. Der erste Cyclus dieser Concerte war bereits Anfang[288] Februar zu Ende gegangen5, und das Comité gab dem allgemein ausgesprochenen Wunsche nach und veranstaltete noch einen zweiten Cyclus von vier Concerten. Der Andrang des Publikums zu demselben war so gross, dass noch 100 Plätze für die Zuhörer im Vorsaale der Sing-Akademie eingerichtet werden mussten.

Für das erste Concert dieses neuen Cyclus – am 28. Februar 1844 – hatte Mendelssohn die berühmte Sängerin Miss Birch engagiert; sie sang Scene und Arie von Beethoven und eine Arie von Haendel, und der Concertmeister Moritz Ganz spielte ein Concert für Violoncell. Wie erwähnt, gewann diese neue Einrichtung wenig Beifall; nach dem zweiten Concert schon, am 16. März, in welchem wiederum Miss Birch und daneben der Opernsänger Zschiesche mitwirkten, gewann die Opposition, die namentlich in Rellstab einen Hauptvertreter fand, die Oberhand, so dass Mendelssohn von jedem weiteren Versuch abstand. Das dritte Concert fand wieder in alter Weise – am 20. März – unter Taubert's Direction statt. Erst das vierte – am 27. März – dirigierte Mendelssohn wieder. Den Schluss desselben bildete die 9. Sinfonie, die in gleicher Vollendung ausgeführt wurde, wie früher in Leipzig und beim Musikfest.

Erwähnenswerth ist ferner das Concert des Violoncell-Virtuosen Servais, das am 19. Januar 1844 stattfand, und das Mendelssohn dirigierte.

Der Neujahrstag 1844 war auch wieder im Dom durch eine jener Aufführungen ausgezeichnet worden, die eigentlich den wesentlichsten Theil von Mendelssohn's amtlichen Funktionen hatten bilden sollen. Er hatte den 98. Psalm für Chor und Orchester componiert und führte ihn mit dem Domchor und Mitgliedern der Königl. Capelle aus; allein er gewann wenig Freunde damit. Diese Aufführungen standen, wie erwähnt, ohnehin nicht in grosser Gunst, namentlich bei der höheren Geistlichkeit; diese fand denn auch ganz besonders zu missbilligen, dass Mendelssohn bei dem Psalm das, ihrer [289] Meinung nach am meisten profanierte Instrument, die Harfe, angewandt hatte.

Mit dem grossartigsten Erfolge dagegen war das Kirchenconcert gekrönt, das Mendelssohn am 31. März in der Garnisonkirche zum Besten der Erwerb- und Kinderwarteschulen veranstaltete, und in welchem er mit einem grossen, aus dem Domchor und einer Anzahl von Sängern und Gesangsfreunden gebildeten Chor und der Königl. Capelle Haendel's Oratorium: »Israel in Egypten« aufführte. Die bedeutendsten Kräfte der Königl. Oper: die Damen Tuczek, Hähnel und Löwe, und die Herren: Mantius, Böttcher und Zschiesche hatten die Soli übernommen, und der Andrang des Publikums war so bedeutend, dass die grosse Kirche sich zu eng erwies, und selbst die Treppen von Hörern besetzt waren. Wie bei den früheren von Mendelssohn geleiteten Aufführungen wirkte auch bei dieser die Orgel mit, und zwar nach der Original-Partitur und in einer sorgfältigeren Uebersetzung als der in Berlin eingebürgerten, was wiederum manches conservative Herz beschwerte.

So hatte Mendelssohn allerdings einen Wirkungskreis für seine praktische Thätigkeit, wie er ihn verlangte, nicht gefunden. Ihm genügte es nicht, das seiner Leitung anvertraute Orchester zu musterhaften Aufführungen heranzubilden, sondern er wollte diesen selbst eine immer grössere Bedeutung geben, um so das gesamte öffentliche Musikwesen zu heben und zu verbessern. Leipzig war ihm in diesen Bestrebungen mit bedingungsloser Hingabe gefolgt; in Berlin dagegen stiess er überall auf ein conservatives Festhalten an gegebenen Verhältnissen, selbst wenn deren Mangelhaftigkeit anerkannt war, und man kann es ihm daher kaum verdenken, dass er lieber seine Berliner Stellung wieder aufgab, als einen Kampf begann, dessen Ausgang zwar zweifellos war, der ihm aber jedenfalls viel Aerger bereitet hätte. Zudem waren auch seine zahlreichen Neider unablässig bemüht, ihn in der Gunst des Königs herabzudrücken, und dass ihre Bestrebungen nicht ganz erfolglos blieben, ersehen wir aus dem Briefwechsel Bunsen's mit Mendelssohn6. [290] Dieser sollte nach dem Wunsche des Königs auch die Chöre zu den »Eumeniden« componieren, und obgleich er diese Aufgabe für fast unlösbar erklärte, hatte er sich dennoch dazu erboten. »Dass ich immer nur von Versuchen sprach,« schreibt Mendelssohn in seiner Antwort an Bunsen, »und auch jetzt nur sprechen kann, – dass ich die Aufgabe nicht wie einen andern Auftrag bestimmt übernehmen und zusagen konnte – das liegt einestheils in der Neuheit und unerhörten Schwierigkeit der Sache selbst – anderntheils in der hohen Meinung, die ich von dem feinen Kunstgefühl des Königs habe, und endlich in einer gewissen Verpflichtung gegen mich selbst. Ich dachte hoffen zu dürfen, dass man deshalb nicht gleich an meinem guten Willen zweifeln würde, welchen ich erst im Laufe dieses Jahres durch Lösung verschiedener, sehr schwieriger Aufgaben, die in kürzester Zeit gefordert wurden, bewiesen habe.« Dem Könige wurde der ganze Verlauf indess so dargestellt, als habe sich Mendelssohn geweigert, der Lösung der schwierigen Aufgabe sich zu unterziehen, was nun den König sehr betrübte. Die Angelegenheit wurde natürlich nach Möglichkeit ausgebeutet; in Berlin fand man es »sehr unrecht,« dass Mendelssohn, statt für den König zu dichten, nach England ging; unser Meister aber »fühlte nach dieser Erfahrung auf's Neue, dass seines Bleibens auf so gefährlichem Boden, unter so schwierigen Verhältnissen nicht sein kann«. Er kehrte zwar im October wieder nach Berlin zurück, aber nur die ersten beiden Sinfonie-Soiréen, am 31. October und 14. November, fanden unter seiner Leitung statt; die dritte, am 12. December, dirigierte schon wieder der Capellmeister Hennig. Mendelssohn hatte den König gebeten, ihn jeder öffentlichen Wirksamkeit zu entheben und nur in einem persönlichen künstlerischen Verhältniss zu Seiner Majestät bleiben zu dürfen. Dies wurde ihm gewährt, unter Belassung seines Titels und eines ansehnlichen Theils seines Gehalts, und mit der Bedingung, dass er auch fernerhin den König in seinen künstlerischen Plänen unterstützte.

Der Sommer des Jahres 1844 war für Mendelssohn wieder ein äusserst bewegter geworden. Nach einem kurzen Aufenthalt in Leipzig, während dessen er das Concert Servais' unterstützte [291] indem er mit diesem und mit David Beethoven's Trio in B-dur spielte, und nachdem er noch Frau und Kinder nach dem Sommeraufenthalt Soden bei Frankfurt gebracht hatte, ging er zur Saison nach London. Dass es hier für ihn immer nur wenige Tage der Ruhe gab, wissen wir bereits; aber diesmal war er ganz ausnahmsweise angestrengt thätig; da er auch die Direction der sämtlichen philharmonischen Concerte übernommen hatte, »war dort drei Wochen voraus nicht eine Stunde unbesetzt«. Bald nach seiner Ankunft dirigierte er – am 13. Mai – die Aufführung seiner A-moll-Sinfonie im philharmonischen Concert; das fünfte dieser Concerte – am 27. Mai – brachte, gleichfalls unter seiner Leitung, die Musik zum Sommernachtstraum; der Wiederholung derselben im sechsten Philharmonie wohnte auch die königliche Familie bei; im siebenten – am 24. Juni – spielte Mendelssohn Beethoven's G-dur-Concert; am 28. Juni dirigierte er die Aufführung seines »Paulus« in Exeter Hall, und am 8. Juli die seiner »Walpurgisnacht« im achten philharmonischen Concert. Daneben wirkte er noch in einer Reihe von öffentlichen Concerten, wie in dem Abschiedsconcert von F. Cramer, in dem Monstre-Concert von Benedict und in zahlreichen Privat-Soiréen mit. Mendelssohn schreibt über diese Zeit in England an seinen Bruder von Soden aus7: »Mein Aufenthalt in England war herrlich; ich bin noch niemals und nirgends mit so allgemeiner Freundlichkeit aufgenommen worden, wie diesmal, und habe in zwei Monaten mehr Musik gemacht, als sonst in zwei Jahren. Meine A-moll-Sinfonie 2mal, den Sommernachtstraum 3mal, den Paulus 2mal, das Trio 2mal; am letzten Abend, den ich in London war, noch die Walpurgisnacht, mit ganz unglaublichem Jubel, ausserdem noch die vierhändigen Variationen, das Quartett 2mal, das D-dur und E-moll-Quartett 2mal, diverse Lieder ohne Worte, das Bach'sche D moll-Concert 2mal, das Beethoven'sche G-dur-Concert – das sind einige von den Sachen, die öffentlich vorkamen; dazu die Direction der ganzen Philharmonischen und anderer Concerte, die unzähligen Gesellschaften; dann die Herausgabe von Israel in [292] Egypten, die ich für die Handel-Society während dessen arbeitete, und nach dem Manuscript besorgte; die Composition der Ouverture zur Athalia mitten hinein, welche bei dem grenzenlosen Trouble auch keine kleine Aufgabe war.«

Einer Einladung der Universität Dublin, die ihn zum Doctor ernennen wollte, vermochte er nicht mehr zu folgen. Er reiste am 10. Juli von London ab, zu seiner in Soden weilenden Familie. Aber noch konnte er sich nicht einer ungestörten Ruhe hingeben. Am 26. Juli reiste er nach Zweibrücken zum Pfälzischen Musikfest, das dort am 31. Juli und 1. August abgehalten wurde, und dessen Leitung ihm übertragen worden war. Am ersten Tage wurde der »Paulus«, am zweiten Marschner's Bundeslied, Beethoven's B-dur-Sinfonie und Mendelssohn's »Walpurgisnacht« aufgeführt. Auch hier errangen seine Compositionen, wie sein Directionstalent ungetheilten Beifall, der sich ganz besonders auf der Rückkehr in höchst liebenswürdiger Weise äusserte. Hierüber, wie über Einzelheiten der Aufführung berichtet Mendelssohn in dem Briefe vom 15. August aus Soden an Schwester Fanny8.

Die behagliche Ruhe, welche er nach diesen anstrengenden Tagen in Soden genoss, wirkte äusserst vorteilhaft auf ihn; namentlich wol der Wunsch, sich ihren wolthuenden Einfluss noch länger zu erhalten, bestimmte ihn dazu, auch vorläufig nicht in seinen Wirkungskreis nach Leipzig zurückzukehren. Als er sein Dienst-Verhältniss in Berlin gelöst hatte, ging er zu einem längeren Aufenthalt nach Frankfurt a.M. Er verlebte dort den ganzen Winter, vorwiegend mit seinen Arbeiten, namentlich mit der Musik zum »Oedipus«, mit der Instrumentierung und Einrichtung der Chöre zu »Athalia« und mit dem »Elias« beschäftigt; doch dirigierte er auch – am 15. Januar 1845 – die Aufführung der »Walpurgisnacht«. Das Leben in Frankfurt gefiel ihm ausserordentlich. »Wie oft«, schreibt er unterm 10. Oktober 1845 von Leipzig aus an den Senator Bernus9, »wie täglich ich an den vorigen Winter [293] und Frühling in Frankfurt denke, und mich der sehr frohen mit Ihnen verlebten Zeit erinnere, das kann ich Ihnen gar nicht sagen. Ich hatte selbst nicht geglaubt, dass mir dieser Aufenthalt einen so bleibenden, so glücklichen Eindruck machen würde! Es geht damit so weit, dass ich mir schon oft allen Ernstes die Zeit ausgemalt habe, wo ich (Ihrem Versprechen zufolge) Ihnen Auftrag gäbe, mir ein Haus mit Garten zu kaufen oder bauen zu lassen, und wo ich für immer in das herrliche Land, und in das frohe, leichte Leben zurückkehrte. So gut wird mir's freilich für's erste nicht werden; einige Jahre werden wohl darüber vergehen müssen, und die hier angefangene Arbeit muss ein tüchtiges Resultat geliefert haben, und ein gut Stück weitergebracht sein (wenigstens muss ich das versucht haben), ehe ich daran denken kann. Aber wieder habe ich dasselbe Gefühl, wie früher, dass ich hier nur so lange bleibend wohnen will, als ich an der äusserlichen Beschäftigung, die mir hier am angenehmsten erscheint, mit Freude und Lust Antheil nehme; dass ich aber, sobald ich mir das Recht gewonnen habe, nur meiner innerlichen Arbeit und dem Componieren zu leben und das Dirigieren und öffentliche Musicieren nur ab und zu, je nachdem es mir Vergnügen macht, zu betreiben, dann sogleich wieder nach dem Rhein, und zwar – wie ich jetzt gewiss denke – nach Frankfurt gehn will.«

Im Frühjahr 1845 begannen auch wieder die Verhandlungen in Bezug auf seine Stellung in Berlin, ohne zu einem günstigeren Resultat zu führen, als alle früheren. Wie ihm der Cultusminister Eichhorn unterm 2. März10 berichtet, sollte nun ernstlich mit der Umgestaltung der Akademie begonnen werden. Mendelssohn war zum Director der musikalischen Section ausersehen, und der Minister fordert ihn auf, geeignete Vorschläge zu machen, und falls er selbst ablehnen müsse, den Componisten namhaft zu machen, der an seiner Stelle die Leitung der Klasse für Musik übernehmen könne. Wie in ähnlichen früheren Fällen forderte Mendelssohn namentlich erst eine genaue Feststellung des Verhältnisses des zu wählenden Directors den vorhandenen oder neu anzustellenden [294] Lehrern gegenüber, ehe er sich entscheiden könne; und die Verhandlungen blieben, wie die früheren, ergebnisslos.

In derselben Zeit erhielt Mendelssohn auch einen neuen Beweis dafür, dass in seiner persönlichen Stellung zum kunstsinnigen König Friedrich Wilhelm IV. sich nichts geändert hatte. Unterm 5. März 184511 schrieb ihm der Geheime Cabinetsrath Müller in der schon mehrfach erwähnten Angelegenheit der Composition der Chöre aus Aeschylus. Der König wünschte von Mendelssohn die Bearbeitung der Chöre der ganzen Trilogie des Agamemnon, der Choëphoren und der Eumeniden. Wie wir schon früher anführten, hatte sich Mendelssohn nur zu einem Versuche, die Chöre der Eumeniden in Musik zu setzen, bereit erklärt. In dem Anwortschreiben an den Geheimen Cabinetsrath Müller12 bittet Mendelssohn: dem König mitzutheilen, »dass es ihm, aller Anstrengung ungeachtet, bis jetzt nicht geglückt ist, die Aufgabe so zu lösen, wie es die Hoheit des Gegenstandes und der feine Kunstsinn Seiner Majestät verlangen.« »Um den Beweis zu führen, wie die Erfüllung der Aufträge des Königs ihm immer eine Pflicht und eine Freude sein wird«, erwähnt er jene drei Compositionen, die auf Befehl Seiner Majestät zu ähnlicher Aufführung bereit liegen: »der Oedipos zu Kolonos die Racine'sche Athalia und König Oedipus«, und er bittet: gleichfalls dem Könige darüber Mittheilung zu machen, dass die ersten beiden vollständig fertig in Partitur vorliegen, und dass die letztere im Entwürfe vollendet ist. Schon nach wenigen Tagen erhielt Mendelssohn zur Antwort, dass »Seine Majestät bedauere, auf die Freude, die Aeschyleischen Chöre von ihm componiert zu sehen, Verzieht leisten zu müssen, sich aber der vollendeten Sophokleischen Trilogie, sowie auf die Chöre der Athalia freuen, und Allerhöchstdieselben der Anwesenheit des Componisten in Berlin im bevorstehenden Sommer entgegensahen, da Sie die Bekanntschaft dieser neuen Compositionen nur unter seiner Direction ma chen wollten.« Erst im Winter wurde der Wunsch des Königs verwirklicht.

[295] Von Frankfurt ging Mendelssohn zurück nach Leipzig. Im März bereits nahm er seine Thätigkeit im Conservatorium wieder auf, und im Herbst dann auch in den Gewandhausconcerten, und sie wurde von jetzt an bis zu seinem frühen Tode nur durch einzelne Reisen oder durch körperliche Ermattung unterbrochen. Einige Erleichterung in seiner Stellung am Gewandhause brachte es ihm, dass Niels W. Gade13 als Mitdirigent engagiert worden war. Dessen C-moll-Sinfonie, welche im Februar 1843 in einem der Gewandhausconcerte aufgeführt wurde, hatte Mendelssohn's ganzes Interesse erregt, und als der junge Komponist dann selbst nach Leipzig kam, gewann er bald auch unsers Meisters vollstes Vertrauen, so dass ihm die Direction der Gewandhausconcerte im Winter 1844/45 übertragen wurde und Mendelssohn in den folgenden Jahren gern mit ihm gemeinschaftlich die Leitung der Concerte führte.

Dafür entwickelte dieser aber ausserhalb Leipzigs eine fast ausgebreitetere Thätigkeit, als in den früheren Jahren.

Von den obenerwähnten Aufführungen nach dem Wunsche des Königs von Preussen, fand die des »Oedipus in Kolonos« am 1. November 1845 im neuen Palais zu Potsdam, die der »Athalia« am 21. December auf dem Theater in Charlottenburg statt. »Oedipus in Kolonos« wurde am 10. November im Schauspielhause zu Berlin wiederholt. Racine's »Athalia« war schon früher mit Musik von J.A.P. Schulz in Berlin aufgeführt worden. Bei jener Aufführung mit der Musik von Mendelssohn wirkten Frau Crelinger als Athalia, Herr Hoppe als Nathan, Herr Rott als Jojada, Frau Werner als Josabet, und Frl. Stich als Joad mit. Die Soli in den Chören hatten die Damen: Frl. Fassmann, Tuczeck und Brexendorf übernommen.

Die Darstellung des »Oedipus in Kolonos« war wie die der »Antigone« nach griechischer Weise in Scene gesetzt. Auf dem [296] Theater im neuen Palais zu Potsdam erfolgte auch sie vor einem besonders geladenen Publikum. Die Tragödie wurde von Frl. Stich und Frau Löhmann, und den Herren Hendrichs, Stawinsky, Bethge und Franz ausgeführt; im Chor wirkten die Herren Mantius, Pfister, Heinrich, Böttcher, Fischer, Mickler und Behr mit.

Keines der beiden Werke errang den gleichen Erfolg, wie »Antigone« oder der »Sommernachtstraum«. Die durch die »Antigone« hervorgerufenen, aber grösstentheils missglückten Versuche anderer Berliner Musiker, die Chöre der Griechen zu bearbeiten, waren natürlich wenig geeignet, das Interesse für die antike Tragödie mit Musik zu heben und zu erhalten; dadurch aber, dass Mendelssohn seine Stellung in Berlin aufgegeben hatte, war er auch in jenen Kreisen fremder geworden, die seinem Wirken bisher mit regster Theilnahme gefolgt waren; so nur lässt es sich erklären, dass diese beiden neuen Werke zwar mit jener Achtung, die man dem Genius gern zollte, aber doch ziemlich kühl aufgenommen wurden.

Ausserordentlich gross war dagegen wieder der Beifall, welchen Mendelssohn bei den Musikfesten in Aachen, Lüttich, Cöln und Birmingham im folgenden Jahre gewann. In Aachen dirigierte er das Musikfest, das in den Pfingstfeiertagen stattfand. Zu der Feier, welche kurze Zeit darauf in der Kirche St. Martin in Lüttich veranstaltet wurde, hatte er sein»Lauda Sion« componiert, dessen Aufführung er als Zuhörer beiwohnte. Für das erste deutsch vlämische Sängerfest, das in Cöln unter seiner Leitung abgehalten wurde, hatte er Schillers Festgesang »an die Künstler« in Musik gesetzt, an deren Ausführung durch mehr als 3000 Männerstimmen er sich ausserordentlich erfreute.

Die grössten Triumphe aber bereitete ihm wieder England. Die Aufführung seines »Elias« am Musikfeste zu Birmingham – den 25. August 1846 – hatte einen Erfolg, von dem Mendelssohn selbst überrascht wurde. »Noch niemals«, schreibt er hierüber an seinen Bruder Paul14, »ist ein Stück von mir bei der ersten Aufführung so vortrefflich gegangen, und von den Musikern [297] und den Zuhörern so begeistert aufgenommen worden, wie dies Oratorium. Es war gleich bei der ersten Probe in London zu sehen, dass sie es gern mochten und gern sangen und spielten, aber dass es bei der Aufführung gleich einen solchen Schwung und Zug bekommen würde, das gestehe ich, hatte ich selbst nicht erwartet. Wärst Du dabei gewesen! die ganzen drittehalb Stunden, die es dauerte, war der grosse Saal mit seinen 2000 Menschen, und das grosse Orchester alles so vollkommen auf den einen Punkt, um den sichs handelte, gespannt, dass von Zuhörern nicht das leiseste Geräusch zu hören war, und dass ich mit den ungeheuren Orchester- und Chor-und Orgelmassen vorwärts- und zurückgehen konnte, wie ich nur wollte. Wie oft dachte ich dabei an Dich! Besonders aber, als die Regenwolken kamen, und als sie den Schlusschor wie die Wüthenden sangen und spielten, und als wir nach dem Schluss des ersten Theils die ganze Stelle wiederholen mussten. Nicht weniger als 4 Chöre und 4 Arien wurden wiederholt, und im ganzen ersten Theil war nicht ein einziger Fehler – nachher im zweiten Theile kamen einige vor, aber auch die nur sehr unbedeutend. Ein junger englischer Tenorist sang die letzte Arie so wunderschön, dass ich mich zusammennehmen musste, um nicht gerührt zu werden, und um ordentlich Tact zu schlagen«. An Frau Livia Frege15 schreibt er über die Aufführung16: »Der Klang des Orchesters und der ungeheuren Orgel, verbunden mit den starken Chören, die mit aufrichtiger Begeisterung sangen, der gewaltige Wiederhall in dem wunderschönen Riesensaale, ein vortrefflicher englischer Tenorsänger, Staudigl, der sich alle Mühe gab, und dessen Talente und Tugenden Sie ja wohl kennen, ausserdem noch ein Paar recht gute zweite Sopran- und Alt-Solo's – das alles nun mit besonderem Zug und grosser Frische und Lust Musik machend, und neben der grössten Stärke auch die schönsten Piano's herausbringend, die ich noch je von solchen Massen gehört habe, dazu ein empfängliches, freundliches, mäuschenstilles oder jubelndes Publikum, das ist wohl des Guten genug für eine [298] erste Aufführung. – Auch habe ich eine solche in meinem Leben nicht besser, ja noch nicht so gut gehört, und ich zweifle fast, ob ich je dergleichen wieder werde hören können, weil eben so vielerlei Günstiges gerade hier zusammentraf.«

Im Herbste dieses Jahres finden wir Mendelssohn wieder in Leipzig thätig, doch nicht mehr mit dem alten, selbstverleugnenden Eifer. Dem Conservatorium hatte er in dem Nestor des Clavierspiels, in Ignaz Moscheles eine neue Stütze gewonnen, und in der Leitung der Gewandhausconcerte stand ihm, wie im vorigen Jahre, Gade zur Seite. So hatte er das Leipziger Musik leben in die Bahn geleitet, die er als die rechte erkannte; bei ihm selbst aber trat bereits eine gewisse Müdigkeit, jene Sehnsucht nach Ruhe ein, die schon in früheren Briefen erkennbar ist. »Was ich am liebsten thun möchte, dazu komme ich den ganzen Tag lang nicht; und was ich höchst ungern thue, damit ist oft der ganze Tag angefüllt«, klagt er in dem Briefe an seinen Bruder vom 31. Oktober 184617, aus dem wir weiterhin auch ersehen, wie er jetzt den unliebsamen Geschäften und Verhandlungen, zu denen ihn seine Stellung veranlasste, nicht mehr die humoristische Seite abzugewinnen verstand, wodurch sie ihm früher erträglich wurden. Immer entschiedener tritt der Gedanke, jede Beamtenstellung aufzugeben, den er schon früher öfters ausspricht, in den Vordergrund. »So denke ich jetzt schon täglich daran«, heisst es in dem obenerwähnten Briefe, »ob ich nicht den Sommer in schöner Gegend (etwa am Rhein) und den Winter in Berlin zubringen kann, und ich hoffe, ich kann es, d.h. ohne öffentliche Verpflichtung in Berlin, ohne alles das, was dort unwiderruflich verfahren ist; nur mit Euch zusammen und vergnügt lebend und Noten schreibend.« Als sein Schwager Dirichlet, Professor in Berlin, in Unterhandlungen über einen Ruf nach Heidelberg begriffen war, redete er ihm ernstlich ab, Berlin zu verlassen, und zwar namentlich mit aus dem Grunde, weil er selbst wieder dorthin überzusiedeln die Absicht hatte. »Es ist mir auch um meinetwillen«, heisst es in dem betreffenden Briefe18, »denn ich [299] bin jetzt – ich kann wohl sagen entschieden, sehr bald wieder meine Winter in Berlin zuzubringen. Lass uns nicht ›verwechselt das Bäumchen‹ spielen. Ich habe unter wahrlich sehr günstigen Umständen den Aufenhalt einer kleineren Stadt vorgezogen, habe ihn von jeher geliebt, bin an keinen anderen gewöhnt, und es zieht mich doch jetzt weg davon, und zu den Leuten, mit denen ich Kindheit und Jugend genossen habe, und deren Erinnerungen und Freundschaft und Erlebnisse die meinigen sind. Da meine ich, müssten wir alle zusammen ein ganz nettes Haus bilden können, so wie wir's lange nicht gesehen haben, und es gäbe ein gutes Leben (unabhängig vom politischen Leben oder Nicht-Leben, was sonst alles andere angefressen hat). Dazu hat sich alles seit einiger Zeit vereinigt, und an mir, wie gesagt, wird es nicht fehlen, denn ich halte es für das grösste Glück, das kommen könnte; nur mach Du es nicht mit einem Schlage unmöglich, und bleibe Du in Berlin, und lass uns dort zusammenkommen«.

Dies Glück sollte ihm indess nicht zu Theil werden. Schon wenige Wochen darauf wurde es durch einen weit härteren Schlag vereitelt; und einige Monate später ging der treffliche Meister selbst zur ewigen Ruhe ein.

Ehe wir diese Zeit seines Lebens zu schildern versuchen, scheint es angemessen, die Werke der letzten Periode seiner schöpferischen Thätigkeit etwas eingehender zu betrachten.

Unter diesen sind jene beiden, welche er bereits als Jüngling in ihren Grundzügen entwarf, so hervorragend, dass sie zugleich als Gipfelpunkt seines gesamten Schaffens gelten können: »die erste Walpurgisnacht« und die Musik zum »Sommernachtstraum«. Die Composition von Goethe's Gedicht: »Die erste Walpurgisnacht« hatte Mendelssohn, wie wir bereits erwähnten, schon während seines Aufenthalts in Italien beendigt; und 1833 bereits war sie in dieser Gestalt von ihm in Berlin in seinem letzten Abonnementsconcert aufgeführt worden.

Ueber die Umarbeitung, welche Mendelssohn dann im Jahre 1842 mit dem Werke vorgenommen hatte, berichtet er in wenigen Worten an seine Mutter. In dem Briefe vom 11. December 1842 schreibt er ihr über das Concert, welches am 21. December zu [300] Ehren des Königs von Sachsen gegeben worden, in welchem auch die »Walpurgisnacht« wieder auferstehen sollte; »freilich in einem etwas anderm Habite, als dem vorigen, das allzu warm mit Posaunen gefüttert, und für die Singstimmen etwas schabig war«; »aber dafür habe ich auch die ganze Partitur von A bis Z noch einmal schreiben und zwei neue Arien einsetzen müssen, – der übrigen Schneiderarbeit nicht zu gedenken. Wenn es mir aber jetzt nicht recht ist, so schwöre ich, es für das übrige Leben aufzugeben.« Ganz recht muss es ihm auch jetzt noch nicht gewesen sein, denn die Aufführung fand, wie wir bereits angaben, erst später statt.

Mendelssohn hat, bis auf einige Worte, den Goethe'schen Text treu beibehalten, nur in der äussern Anordnung hat er ihn wesentlich verändert und erweitert, wie es die wirksame musikalische Behandlung erforderte. Gleich den ersten Gesang der Druiden vertheilt er an zwei Solostimmen (Druide und Jüngling) und einen Frauenchor. Die Chöre der Druiden behandelt er meist zugleich auch als Chöre des Volkes und leitet selbst die Sologesänge in der Regel in den Chor der Druiden, des Volkes oder der Wächter über, so dass, während bei Goethe der Sologesang überwiegt, in Mendelssohn's Bearbeitung der Chorgesang das Uebergewicht erhält. Dadurch gewinnt das Ganze natürlich eine ungleich grössere dramatische Lebendigkeit, als dem Gedicht ursprünglich eigen ist. Andere Veränderungen, wie die, dass der Gesang des »Einen aus dem Volke« an »Eine alte Frau aus dem Volke« übertragen wird, sind durch das Bestreben veranlasst, auch schon in der äusseren Anordnung grössere Mannigfaltigkeit zu erreichen. Nach Goethe's Anordnung würden die Männerstimmen, würde namentlich der Männerchor vorherrschend geworden sein; Mendelssohn, in vollständig richtiger Erkenntniss der erhöhten dramatischen Wirkung, machte statt dessen den gemischten Chor zum Hauptträger des Ganzen und gewann dadurch grössere Anschaulichkeit und Lebendigkeit des dramatischen Verlaufs.

Bei jener ersten Aufführung wurde das Werk mit »Cantate« bezeichnet; dass Mendelssohn eine Zeit lang den Plan verfolgte, es als Sinfonie-Cantate zu bearbeiten, wurde auch bereits von [301] uns erwähnt; schliesslich fasste er es als dramatisierte Ballade; die Instrumentaleinleitung wurde zur Ouverture, und in dieser Form ist das Werk veröffentlicht. Der Partitur ist eine Stelle aus einem Briefe Goethe's vorgedruckt, in welcher die Grundidee des Gedichts prägnant ausgesprochen ist. Mendelssohn hat damit wohl weniger seine Musik, als vielmehr den Text näher bezeichnen wollen, denn jene ist sehr wenig »hochsymbolisch intentioniert«, sie erfasst im Gegentheil, und das ist ihr grosser Vorzug, die gesamten Verhältnisse sehr realistisch; das beweist schon die ganze Anordnung, vor allem auch die »Ouverture«. In ihr schildert der Meister »Das schlechte Wetter« und den »Uebergang zum Frühling«. Namentlich die Schilderung des schlechten Wetters ist sehr ausführlich. Wir haben schon früher, bei Besprechung der charakteristischen Ouverturen angegeben, wie weit die Musik solche Aufgaben zu lösen vermag. Zunächst sind es die Frühlingsstürme, unter denen in der Regel in der Walpurgisnacht der junge Mai erwacht, die in der Phantasie des Tondichters jene Figur erzeugen, welche nach den beiden, wie ein gewaltiger Windstoss eintretenden Einleitungsaccorden von den Violen und Violoncellen aufgenommen und als Hauptmotiv dieses Hauptabschnitts verarbeitet wird. Es erscheint Anfangs als Contrapunkt zu einem melodischen Motiv, das in der Erinnerung, oder unter dem Gefühl von der eisigen Strenge des Winters erzeugt zu sein scheint. Wie dieses dann, nachdem es (Seite 10 der Partitur) in der ursprünglichen Gestalt im Bass so entschieden aufgetreten ist, als wollte es sich niemals die Herrschaft streitig machen lassen, doch allmählich eine sanftere Fassung gewinnt (Seite 13 der Partitur); wie der Sturm zwar auf Augenblicke verstummt, aber doch bald wieder losbricht und mit ihm auch jenes andere Motiv; wie dann unter diesen bald heftiger, bald sanfter bewegten Stürmen auch schon das Frühlingsleben sich zu regen beginnt, und in der (Seite 28 der Partitur) von Fagotten und Hörnern intonierten Melodie der ersten Gesangsnummer: »Es lacht der Mai« sich ganz bestimmt äussert; wie weiterhin der Kampf des scheidenden Winters mit dem emportreibenden Frühling immer lebendiger wird, das ist hier nicht weiter zu verfolgen. Der zweite Theil, den [302] »Uebergang zum Frühling« schildernd, ist bedeutend kürzer, eigentlich nur eine Art Vorspiel zur ersten Gesangsnummer, deren Motiv es auch bereits vollständig aufnimmt und verarbeitet, und in welche es direkt überleitet. Für derartige Tonmalereien, wie sie Mendelssohn hier ausführt, besass er, wie wir an verschiedenen seiner Werke zeigten, eine unübertroffene Meisterschaft. Er war nicht nur im Besitz aller dazu erforderlichen Kunstmittel, sondern er hatte zugleich den künstlerisch feinen Sinn, der ihn vor jenen Ausschreitungen und Uebertreibungen bewahrte, die selbst grössere Meister zu einem mehr derb-wahren als künstlerischen Realismus der Darstellung führten. Dieselbe weise Mässigung zeigt sich auch in der Behandlung der eigentlichen Ballade. Für jeden anderen lag die Gefahr äusserst nahe, jene Gegensätze, welche im Gedicht zur Erscheinung kommen, zu scharf zu fassen, nur für Mendelssohn nicht. Er charakterisiert hier weit schärfer, als in seinen Oratorien die einander gegenübertretenden Anschauungen, aber doch so, dass die Musik einen versöhnlicheren Charakter annimmt, als das Gedicht. Wie in diesem sind natürlich die Träger der alten Anschauung mit grösserer Vorliebe behandelt, als die der neuen. In den Soli's und Chören der Heiden lebt eine grosse Gewalt der Sinnlichkeit; aber sie sind zugleich auch äusserst charakteristisch unterschieden. Bei seiner grossen Frische und sinnlichen Erregtheit fehlt dem ersten Chor – mit seinen Soli's – doch nicht jener gewisse religiöse Zug, der auch im Cultus der Natur liegt, und der dann im Gesange des Priesters und der anschliessenden Chöre entschiedener Ausdruck gewinnt. Hierin namentlich sind die Chöre der Wächter der Druiden: »Vertheilt euch wackre Männer hier« und »Kommt mit Gabeln, kommt mit Zacken« von jenem Eingangschor geschieden; der erste von beiden ist fast etwas zu zierlich, in seiner Instrumentation fast zu reizvoll gehalten. Ein Meisterstück charakteristischer Behandlung ist die Aufführung der Textesworte: »Kommt mit Zacken« u.s.w. in zwei Chören der Wächter und des Volkes. Hier ganz besonders ist zu bewundern, wie Mendelssohn den Ausdruck bis zur Wildheit steigert, ohne auch nur anstreifend das künstlerische Maass zu überschreiten. Vortrefflich gelungen ist auch die Warnung der alten Frau und die Klage der Weiber. [303] Dagegen ist der Chor der christlichen Wächter, namentlich inmitten der weihevollen Gesänge des Priesters und des Chors: »So weit gebracht«, fast zu kläglich gerathen.

Das ganze Werk gehört unstreitig in die Reihe der besten Werke nicht nur Mendelssohn's, sondern aller Zeiten. Jeder Takt verräth, dass es mit der ganzen und vollen Begeisterung des herrlichen Jünglings empfangen; dass es von dem allmählich reifen den Manne sorgfältig ausgeführt und dann von dem fertigen Meister überarbeitet und vollendet worden ist.

Dasselbe gilt von der Musik zum »Sommernachtstraum«. Wir haben schon, als wir die Ouvertüre eingehender besprachen, auf den innigen Zusammenhang hingewiesen, in welchem diese mit der Musik zum Schauspiel steht. Wir haben nur noch nöthig zu zeigen, wie Mendelssohn die dort verarbeiteten Motive jetzt verwendete, und wie die neu erfundenen einzelnen Sätze ganz in dem gleichen Geiste gehalten sind.

Es ist hinlänglich anerkannt, dass erst Mendelssohn mit seiner Musik das duftigste Märchen des grössten britischen Dichters uns zu vollkommenem Verständniss brachte. Für das luftige Reich, aus welchem es hauptsächlich stammt, ist der Ton ein viel wirksameres Darstellungsmittel als das Wort; deshalb hat auch Shakespeare die Musik in ausgebreitetem Maasse in seine Darstellung hereingezogen. Mehr aber noch als an diesen Stellen hat Mendelssohn mit der Ouvertüre und der Zwischenaktsmusik zum Verständniss des Gedichts beigetragen. Wie die Ouverture auf das Schauspiel, so bereitet immer die Musik des Zwischenakts auf den folgenden Akt selbst vor; es war jedenfalls eine der genialsten Ideen des Meisters, beide immer in enge Verbindung zu setzen. Er hat zunächst die erste Scene des zweiten Akts melodramatisch behandelt; die hier vereinzelt auftretenden Motive sind dann von ihm zu jenem Scherzo als Zwischenaktsmusik verarbeitet, das als unstreitig grösstes Erzeugniss der ganzen Richtung Weltruf und Verbreitung erwarb. Nur in einer gottbegnadeten Phantasie konnte sich ein solcher, fast die Sinne verwirrender Elfenreigen aufbauen, und nur eine genial künstlerisch gestaltende Hand vermochte ihn so spinnwebleicht zusammen zu weben. Weniger [304] ausgeführt, aber nicht minder vortrefflich ist dann der dem Melodrama eingefügte Elfenmarsch. In dem darauf folgenden »Lied der beiden Elfen mit Chor« gewinnt auch wieder das Herz jenen Antheil, den wir schon bei der Ouverture nachwiesen. Das kurze Melodrama vor dem Schlusse des zweiten Akts (Nr. 4 der Partitur) ist ein feinsinniges kleines Meisterstück der Instrumentation: Flöten, Clarinetten und Fagotte vereinigen sich mit den ersten Violinen und dem Bass, um Traum und Wirklichkeit in einander verwoben zu zeigen.

Die folgende Zwischenaktsmusik leitet nach dem dritten Akt über. Sie schildert zunächst, wie Hermia den Lysander sucht und sich im Walde verliert, und geht darauf in jenen, von den Fagotten intonierten, überaus drolligen, tanzartigen Marsch über, mit welchem die Handwerker eingeführt werden. Die Scene, in der die Elfen ihren Spuk beginnen, ist wieder melodramatisch behandelt. Wohl selten wird eine solche Behandlung so gerechtfertigt erscheinen, als hier. Alle Künste der Dekoration und Maschinerie, wie das durchdachteste Spiel der Darsteller werden nie im Stande sein, uns den tollen Spuk so zu malen, wie dies Mendelssohn durch die Musik thut. Hier ist alles selbstredend und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Mit dem Schlusse des dritten Akts beginnt dann als Zwischenaktsmusik das »Notturn«, das Mendelssohn den schlafenden Paaren widmet, und das er mit der ganzen Wärme seines Herzens erfüllt und mit dem Glanze seiner Individualität ausstattet. Flöten und Geigen umschweben mit ihren weichsten und süssesten Figuren die, meist die Melodie führenden Hörner, um den ganzen Zauber der wollustathmenden Nacht zu entfalten. Das anschliessende Melodrama nimmt auf das früher erwähnte Nr. 4 äusserst sinnig Bezug und erläutert, wie wir schon zeigten, einzelne Motive der Ouverture. Die letzte Zwischenaktsmusik – den weltberühmten Hochzeitsmarsch – brauchen wir wol nur zu erwähnen. Er ist anerkannt der beste Marsch, der je geschrieben wurde; auch seine Stellung zum Ganzen wird genau bezeichnet, indem ihn der Meister nach den bekannten Worten des Theseus wieder einführt. Des Rüpeltanzes, wie der Elfenchöre am Schlusse konnten wir [305] gleichfalls schon Erwähnung thun, und so wollen wir nur noch auf jenen feinen Zug in dem »Marcia funebre« hindeuten, durch welchen in dem unglücklichen Fis der Clarinette die Dorfmusik


Achtes Kapitel

so prächtig charakterisiert ist.

Nicht auf gleicher Höhe steht die Musik zu »Athalia«; sie verräth überall, dass sie nur auf den Wunsch des Königs, nicht aus künstlerischer Begeisterung, welche sich mit Liebe und Hingebung in den Stoff versenkt, entstanden ist. Aus freiem Antriebe würde Mendelssohn wohl schwerlich auf Racine's Tragödie geführt worden sein. Dieser schrieb sie bekanntlich, nachdem er fromm geworden war, auf Anregung der bekannten Frau von Maintenon mit einer anderen biblischen Tragödie »Esther« für das Fräuleinstift zu St. Cyr. Da bei der Aufführung die Schülerinnen der Anstalt mitwirken sollten, so musste der Chor eingeführt werden, und zwar ein »Kinderchor«; nur eine Zeit der vollständigen Corruption auf allen Gebieten des Geistes konnte es sich gefallen lassen, dass unreife Mädchen sich geberdeten, wie einst der Chor der Greise in der antiken Tragödie. Auch Mendelssohn hatte die Chöre (1843) ursprünglich für weibliche Stimmen und nur mit Pianofortebegleitung geschrieben, und in dieser Gestalt wurden sie auch in einem Hofconcert (1844) in Berlin aufgeführt. Im Jahre 1845 erst richtete er sie für gemischten Chor mit Orchesterbegleitung ein, und so erfolgte die erwähnte öffentliche Aufführung. Die Ouverture zeigt, dass sie von Mendelssohn, inmitten seiner bewegtesten Zeit in London (1844), in wenigen Tagen geschrieben wurde. Sie ist immerhin in seinem Geiste erfunden, aber durchaus nicht mit gewohnter Meisterschaft ausgeführt. Einzelne Chöre, wie namentlich gleich der erste, zeigen sogar eine gewisse handwerksmässige Derbheit, die wir sonst nirgends bei ihm finden. Das interessanteste Stück ist noch der Priestermarsch, doch ist auch er nicht eigentlich organisch entwickelt, sondern mehr aus einzelnen Effectstellen [306] zusammengesetzt. Mendelssohn ist hier überall nur bemüht, seine Lieblingsphrasen und Wendungen zusammen zu stellen, um Musik zu Text und Situation zu finden.

Die Musik zum »Oedipus in Kolonos« dagegen hat er wieder mit dem vollen Antheil, den er an diesen Arbeiten von vornherein nahm, ausgeführt. Die Chöre sind noch mehr im Sinne der griechischen Muster construiert, als die der Antigone. Diese fanden wir mehr liedmässig gliedernd, als die alten rhythmischen Systeme darstellend; bei den Chören des »Oedipus« sind diese mehr von dem Meister berücksichtigt worden; er folgte hier augenscheinlich jenen Winken Böckh's. Die Kommen und die verwandten Gesänge sind dem entsprechend als Soli und recitativisch behandelt. Namentlich der erste Chor gewinnt dadurch eine, den künstlichen Rhythmus der antiken Construktion treuer wieder gebende Form. Ganz besonders wird ferner der zweite Chor: »Grausam ist es, o Freund« mit seinen vielen Zwischenreden dadurch, dass der Meister die antiken Strophen treuer nachbildet, und unter einander in Beziehung setzt, einheitlich zusammengefasst. Der dritte: »Zur rossprangenden Flur« ist wieder mehr melodisch gehalten, weniger recitierend, aber die einzelnen Liedstrophen sind doch wie zum Rondo in einander gefügt. In der folgenden Nummer hat Mendelssohn sogar einzelne kurze Sätze des Chorsund Chorführers melodramatisch behandelt, um den musikalischen Bau dann einheitlicher ausführen zu können. Am wenigsten gelungen scheint uns der folgende Chor: »Ach, wär' ich, wo bald die Schaar der Feinde sich wenden wird«. Hier überwiegt wieder die moderne Auffassung, und zerbricht die antike Form, die dagegen in den letzten Chören ganz prächtig herausgebildet erscheint. Diese ganze Behandlung mochte indess dem Meister für unser modernes Empfinden etwas zu dürftig erscheinen, und so versuchte er das durch die Instrumentalbegleitung zu ersetzen, was ihm bei der vorwiegend recitativischen Haltung des Gesanges an Wirkung anscheinend verloren ging. Er hat dem Orchester daher hier einen erweiterteren Antheil zugewiesen, als in der »Antigone«, und gewiss wenig zum Vortheil des neuen Werkes. Wir versuchten dort schon nachzuweisen, wie wenig die reicheren Mittel [307] der modernen Instrumentalmusik jener Anschauung entsprechen, aus welcher die antike Tragödie hervorgeht; es war daher gewiss angemessener, wenn Mendelssohn sich darauf beschränkte, jene formelle Gestaltung der einzelnen Chöre mit den neuen Mitteln zu unterstützen, um sie wirksamer herauszubilden, als dass er diese in so grosser Selbständigkeit einführt und wirken lässt. Die klassische Ruhe antiker Formen, welche im Gesänge hier noch waltet, wird bei dieser vollen Entfaltung der leidenschaftlicheren instrumentalen Mittel vielfach getrübt. Die Wirkung konnte deshalb auch keine so befriedigende sein, wie die der »Antigone«, bei welcher die Chöre durchweg mehr im Sinne der modernen Formen ausgeführt waren.

Unter den Instrumentalwerken, welche Mendelssohn in dieser Periode schrieb, ragt das E-moll-Concert für die Violine sehr bedeutsam hervor. Die Sonate für Violoncell – Op. 58 (1843), wie das Quintett Op. 87 (1845) erheben sich nicht über die ähnlichen Werke seiner früheren Jahre, stehen vielmehr zum Theil unter dem D-moll-Trio; das Concert dagegen reiht sich seinen besten Schöpfungen an. Wir mussten schon früher darauf hinweisen, dass das Concert diejenige Sonatenform ist, welche die freieste Behandlung, mehr nach der Weise des Capriccio, die Mendelssohn immer sehr geläufig ist, verträgt, zum Theil erfordert. Auch das in Rede stehende Violinconcert hat vorwiegend diese Form. Mendelssohn schrieb es bekanntlich für seinen treuen Freund und Mitwirkenden David, und beide conferierten und correspondierten viel, namentlich über die besondere Art der zu verwendenden brillanten Figuren und Passagen. So nur wurde es möglich, dass das Concert auch in Bezug auf seine technische Ausführung allen Anforderungen des virtuosen Violinspiels unserer Zeit entspricht. Wie Mendelssohn in seinen Klavierconcerten die Vorzüge der neuen Klaviertechnik dem Kunstwerk anbildete, so hier die der neuern Technik des Violinspiels, so dass das Werk unstreitig neben dem Violinconcert von Beethoven den ersten Platz einnimmt. Der erste Satz ist wieder weit weniger nach der Idee der eigentlichen Sonatenform ausgeführt, als vielmehr so umgestaltet, wie wir es bei den meisten verwandten Werken Mendelssohn's [308] fanden. Er ist aus zwei äusserst gesangreichen Hauptmotiven gearbeitet, welche zu den schönsten gehören, die Mendelssohn überhaupt erfunden hat; sie tragen daher auch das volle Gepräge seiner Individualität. Das erste ist der Ausdruck der, an den höchsten Idealen genährten Hoheit, das zweite der Ausdruck der Wärme und Innigkeit seines Empfindens; mit der ganzen Spielseligkeit seiner glücklichsten Jugendtage verarbeitet er beide, um uns die reiche Fülle seines Innern zu offenbaren. Dieser Satz musste dann unmittelbar in das »Lied ohne Worte« übergehen, in dem sein gesamtes Denken und Empfinden so gern nach einem präziseren Ausdruck ringt. Damit war aber auch der Charakter des Schlusssatzes bestimmt. In ihm musste nothwendig seine Phantasie, die Heimath der neckischen Geister, durchgreifend gestaltend werden. Das phantastische Leben, das sich in diesem Satze entwickelt, wird kaum noch von der Musik zum »Sommernachtstraum« überboten.

Die zahlreichen Lieder »mit« und »ohne Worte«, welche er in dieser letzten Periode noch schrieb, können wir übergehen, da sie nicht aus dem, von uns eingehend charakterisierten Stil heraustreten. Auch die anderen Sonaten für Orgel (Op. 65), die in Frankfurt während dieser Zeit entstanden, veranlassen keine eingehendere Besprechung. Die Orgeltechnik erfordert mehr thematische Entwickelung auch bei der Sonate, weniger jene gegensätzliche Gruppierung, wie die Natur und Technik der übrigen Instrumente; jene aber war Mendelssohn geläufiger geworden als diese, und so fand sein Sonatenstil für die Orgel entsprechendere Verwendung, als für die anderen Instrumente.

Zu einer ausgebreiteten Thätigkeit veranlasste ihn endlich seine Stellung in Berlin auf dem Gebiete der Kirchenmusik.

Sein hoher Gönner, der König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen, hatte eine Reihe von Lieblingssprüchen und Psalmen, mit deren Composition verschiedene Musiker beauftragt wurden, und auch Mendelssohn hat auf Wunsch des Königs mehrere componiert.

Den 98. Psalm erwähnten wir bereits. Von ihm, wie von dem »Lauda Sion« (1846) gilt wieder, was wir überhaupt von Mendelssohn's [309] kirchlichen Tonwerken mit Instrumentalmusik anführten: nur der Gesang ist noch streng kirchlich gehalten, die Begleitung hat dagegen meist viel sinnlicheren Reiz, als hier zulässig ist.

Von höherem Werthe nach dieser Seite sind deshalb die Psalmen und Sprüche für den a capella-Gesang, und die Hymnen und Motetten für Gesang und Orgel.

Namentlich seit Begründung des Domchors hat der mehr als vierstimmige und der Gesang für Doppelchor in Berlin eingehendere Pflege gefunden. Mendelssohn componierte für den Domchor den 2., 22., 43. und 100. Psalm, wie mehrere einzelne Sprüche für achtstimmigen Chor. Er hält hier den Charakter der älteren Psalmodie ganz streng fest, so dass er häufig den Parellelismus der Glieder der einzelnen Bibelverse darstellt; indem er je vier von den acht Stimmen zusammenfasst, gewinnt er zwei Chöre, die einander meist nachreden, ganz im Sinne der unsprünglichen Psalmodie, die in Wechselchören gesungen wurde. Beim 43. Psalm: »Richte mich, Gott« sind die acht Stimmen zu einem Frauen- und einem Männerchor vereinigt. Der letztere, welcher beginnt, ist, um gleich von vornherein den Charakter der Psalmodie auszuprägen, meist unisono gehalten, was allerdings als ein, für den Kirchengesang zu äusserliches Effectmittel erscheint. Da, wo beide Chöre zusammentreten, sind sie meist homophon geführt, mit jener glanzvollen harmonischen Breite, die dem nur einfach recitierenden Psalmengesang vollständig angemessen ist, und die weich vermittelte Harmoniefülle Mendelssohn's wird hier äusserst wirksam und zweckentsprechend. Der 22. Psalm ist noch mannigfaltiger ausgeführt, als der vorerwähnte. Hier sind es zwei gemischte Chöre, die Anfangs zu einem einzigen verbunden sind und erst später sich trennen. Mendelssohn knüpfte hier direkt an den Cultus der älteren Kirche, wenigstens der äusseren Form nach an. Nach Art des Responsoriengesanges, bei welchem dem Liturgen ein Sängerchor oder die Gemeinde antwortet, werden die ersten Verse des Psalms von dem Solo-Tenor und dem Chor vorgetragen. Jener beginnt recitativisch mit der ersten Parallelzeile jedes Verses, und der Chor antwortet mit der [310] zweiten. Zeitweise gesellt sich dem Solo-Tenor noch ein zweiter zu, oder es tritt an seine Stelle der Männerchor. Später wird der Psalm dann ähnlich weitergeführt. Diese Form, wie die Mehrstimmigkeit, machten natürlich eine weitere Entfaltung der Individualität Mendelssohn's unmöglich; allein namentlich in jenen mehr recitativischen Gebilden, wie in dem Unisono und der weichen Harmonik, wird sie doch noch immer erkenn- und vernehmbar. Ungleich mehr tritt sie in den Hymnen und Motetten wieder hervor, bei welchen jene, durch die Form bedingte Beschränkung nicht vorhanden ist. Die Hymne: »Hör mein Bitten« wird sogar bis zu einem Grade individuell, der schon nicht mehr recht kirchlich ist. Einzelne Stellen des Solo-Soprans, wie des Chors sind so leidenschaftlich bewegt, dass der Ausdruck nahezu dramatisch lebendig wird. Von echt kirchlichem Geiste durchweht sind dagegen die »Drei Motetten« – Op. 69 (1847), weil hier wieder die Polyphonie in der Führung der Solo- wie der Chorstimmen überwiegt.

Mit dem »Elias« hatte Mendelssohn, unserer Anschauung nach, einen weniger günstigen Stoff gewählt. Das Leben des gewaltigen Eiferers für den Herrn bietet eine Reihe anziehender Situationen, aber diese sind zu keinem künstlerisch zusammenhängenden und in sich abgerundeten Bilde zu vereinigen, weil »es vergeblich gewesen«, weil Elias »seine Kraft umsonst und unnütz zugebracht hat«. Nicht deshalb erscheint die Wahl dieses Stoffes als eine weniger glückliche, weil »er uns zu fern liegt« – das gilt von allen Begebenheiten des alten Testaments, – oder weil er durch einzelne Züge, wie die Grausamkeit Elias' gegen die Baalspriester unser Gefühl beleidigt, hier war strengste historische Treue geboten, um die Zeit zu charakterisieren, sondern nur deshalb, weil er keine bestimmte Idee darstellt. Die symbolische Deutung am Schluss, der Hinweis auf »den, welcher erwacht von Mitternacht« vermag diesen Mangel nicht zu ersetzen; wir fühlen uns unbefriedigt, weil wir den gewaltigen Eiferer als lebensmüden Greis scheiden sehen.

Dadurch ist der Meister auch zu einer abweichenden, und wie wir meinen, wenig günstigen Behandlung des Stoffes verleitet [311] worden. Weil ihn nur die einzelnen Episoden, nicht das ganze Leben des Propheten zu interessieren vermochten, so hat er jene ausschliesslich dargestellt, und selbst versäumt, sie unter sich in nähere Beziehung zu setzen. Die Erzählung ist hier ganz ausgeschieden, die handelnden Personen werden ohne Weiteres redend eingeführt, und dadurch wird, bei dem Mangel einer sich stetig entwickelnden Handlung, das ganze Werk in einzelne Scenen aufgelöst, die unter sich nur in losem Zusammenhange stehen und uns meist erst im weiteren Verlaufe verständlich werden. Die fortlaufende Erzählung würde auch der Darstellung dieses Stoffes mehr inneren Zusammenhang und eine grössere Anschaulichkeit und Verständlichkeit verliehen haben. Der Text ist vollständig der heiligen Schrift, und zwar ausschliesslich dem alten Testamente entlehnt; doch geht Mendelssohn in der Behandlung der Bibelworte freier zu Werke, wie im »Paulus«. Einzelne Bibelstellen werden verkürzt, andere oft so verändert, dass nur der ursprüngliche Sinn noch beibehalten ist. Auch diese Abweichung wurde grösstentheils durch das Bestreben veranlasst, die einzelnen Situationen recht dramatisch herauszubilden. Das ist denn auch unserm Meister ganz vortrefflich gelungen. Die erste Scene (bis Nr. 5) rollt ein erschütterndes Bild von der Noth Israels, die Elias verkündigt hatte, vor uns auf. Es ist ein vortrefflicher Gedanke: diese Verkündigung des Propheten der Ouverture vorauszuschicken, und dann, in einem gross und breit angelegten, in künstlichster Fugenform ausgeführten Instrumentalsatz den lastenden Druck, der auf dem Volke Gottes liegt, zu schildern, um so den ersten Chor: »Hilf Herr! willst du uns denn gar vertilgen?« vorzubereiten. Mit grosser Meisterschaft wird die ganze Situation in diesem Chore, in den Chorrecitativen, wie in dem folgenden Duett mit Chor weiter und bestimmter ausgeführt. Obadjah fordert dann in dem Recitativ und der anschliessenden Arie: »So ihr mich von ganzem Herzen suchet« zur Busse und Bekehrung auf; aber das Volk in seinem verzweifelnden Jammer achtet nicht darauf, es denkt nur mit Entsetzen des Fluchs, den Elias ausgesprochen hatte. Namentlich dieser letzte Chor der ersten Scene ist von grosser und gewaltig wirkender Schönheit. [312] Er knüpft an jene prophetische Verkündigung des Elias an, und des grausen Fluchs gedenkt er in den herben Intervallenschritten der Einleitung. Bei der Erinnerung an »den Gott, der da heimsuchet der Väter Missethat an den Kindern bis in's dritte und vierte Glied derer, die mich hassen« tritt jene Leidenschaftlichkeit des Ausdrucks zurück; sie weicht einem heiligen Ernst, der sich dann bei den Schlussworten der göttlichen Verheissung: »und thue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich lieb haben und meine Gebote halten« bis zu einer milden Verklärung hohen Gottvertrauens erhebt. Gegen diese Scene konnte die nachfolgende, welche uns den Propheten im Hause der Witwe vorführt, einen wirksamen Gegensatz bilden, wenn sie der Meister nicht etwas zu oberflächlich behandelt hätte. Wenn das Elend der einzelnen Frau, gegenüber dem gewaltigen des ganzen Volkes, Bedeutung gewinnen sollte, musste es in der Darstellung tiefer gefasst werden; wir wissen, das wurde Mendelssohn nicht leicht. Die Scene ist an sich mehr ansprechend und ergreifend, als erschütternd ausgeführt, und sie macht zwischen der vorangehenden und der folgenden keinen sonderlichen Eindruck. Zudem ist sie auch etwas umständlich ausgeführt; knapper und tiefer erfasst konnte sie recht wohl hier ganz bedeutsam ihren Platz ausfüllen; zur Charakteristik des Apostels ist sie zudem unerlässlich nothwendig.

Die Schlussscene des ersten Theils ist dagegen wieder mit genialer Kraft ausgeführt. Elias ist vor den König getreten, und nun erhebt sich jener Wettstreit zwischen den Priestern Baals und dem Propheten des wahrhaftigen Gottes, in welchem dieser seine Macht bezeugte. Hier sind Zustände und Stimmungen zu schildern, für deren Musikgestaltung Mendelssohn alle entsprechenden Mittel und Formen besass. Die wachsende Wildheit, mit welcher die Baalspriester zu ihrem Gott beten, gegenüber der glaubensstarken Freudigkeit, mit welcher Elias den Herrn anruft, sind streng geschieden und gleich vortrefflich im Oratorium dargestellt. Wie aber dann Elias in immer brünstigerem Gebete den Regen vom Himmel herab erfleht, das ist eine Scene, welche Mendelssohn mit seinem vollsten Herzen, der ganzen Fülle seines Innern erfasste, so dass sie der würdigste Schluss dieses gross [313] angelegten ersten Theiles werden musste. Aeusserst sparsam ist Mendelssohn in der Einführung des betrachtenden Chors gewesen. An seine Stelle treten in einem Doppelquartett: »Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir« die Engel ein, und an einer andern Stelle vier Solostimmen: »Wirf dein Anliegen auf den Herrn«. Erst im zweiten Theile wird er direct eingeführt, wie im ersten Chor: »Fürchte dich nicht! spricht unser Gott.« Gleiche Bedeutung haben die Chöre: »Siehe der Hüter Israels«, »Wer bis an das Ende beharrt« und der ganze Schluss von der Arie an: »Dann werden die Gerechten leuchten«. Wir deuteten schon an, dass der zweite Theil allmählich an Interesse verliert. Die Scene mit der Königin, an welcher auch das Volk regen Antheil nimmt, ist noch vortrefflich angelegt und ausgeführt, aber von da ab verliert der Text jede Spur von thatsächlicher Entwickelung; uns interessiert es nur, wie Mendelssohn die überaus schwierigen Aufgaben, die er sich selbst hier stellte, gelöst hat. Die schwierigste war jedenfalls die Erscheinung des Herrn selbst; der Meister hat unstreitig den einzig richtigen Weg zu ihrer Lösung eingeschlagen, indem er, wie Haendel im »Israel in Egypten« die Erzählung beibehielt, aber sie dem Chor übertrug. So nur wurde es möglich, die Nähe des Herrn anzudeuten, ohne in eine, für den erhabenen Gegenstand zu kleinliche Malerei zu verfallen. Mendelssohn hat auch hier sein grosses Talent, die äussere Situation echt künstlerisch zu gestalten, in ausgedehntester Weise offenbart; die Orchesterbegleitung folgt überall in treuester Ausführung den Andeutungen des Textes, aber indem dieser durch den Chor ernst und grosssinnig gesungen wird, gewinnt jene Tonmalerei die des ganzen Vorganges würdige Bedeutung. Einen wahrhaft grossartigen Abschluss dieser ganzen Scene giebt das Quartett mit Chor: »Heilig ist Gott der Herr«, in welchem die Gegenwart Gottes ganz bestimmt angedeutet wird. Das Quartett, von vier Frauenstimmen gebildet, wechselt mit dem Chor, oder verschmilzt mit ihm zu gemeinsamer Wirkung. Ganz besonders auch durch die Instrumentation hinterlässt gerade dies Tonstück einen wirklich erhabenen Eindruck, der aber durch das folgende Chor-Recitativ etwas abgeschwächt wird. Auch der Chor, in welchem [314] die Himmelfahrt des Propheten erzählt und dargestellt wird (Nr. 38 der Partitur) ist wieder ein Meisterstück instrumentaler Malerei, vielleicht mit etwas zu grellen Farben ausgeführt. Namentlich deshalb auch erscheinen die Schlussnummern (39–42) etwas matt; die Hauptursache der geringeren Wirkung trägt freilich, wie erwähnt, die ganze Anordnung des Textes. Zu einer solchen symbolischen Deutung gehörte ein tieferes Erfassen der Stoffe, als in Mendelssohn's Individualität begründet ist. Als Ganzes betrachtet, steht der »Elias« nicht auf gleicher Höhe mit dem »Paulus«, und zwar namentlich deshalb nicht, weil der Stoff und seine ganze Behandlungsweise ein gleiches organisches Wachsen von innen heraus nicht gestattete. Die einzelnen Tonstücke des jüngeren Oratoriums aber sind meist ebenso vollendet, einige sogar mit noch bewunderungswürdigerem Geschick ausgeführt, als die entsprechenden des »Paulus«.

Im letzten Jahre seines Lebens begann Mendelssohn auch zwei Pläne auszuführen, mit denen er sich schon seit längerer Zeit beschäftigte. Schon früher hatte er sich mit dem Gedanken getragen, den ganzen Inhalt des Lebens Jesu in einem Oratorium zu bearbeiten, und dieser Gedanke wurde selbst bestimmend bei der Wahl und Ausarbeitung des »Elias«. Der unbeugsame Vertreter des alten Bundes sollte dem welterlösenden Gründer des neuen Bundes gegenübergestellt werden; deshalb weist der Schluss des »Elias« ganz direct auf die Erscheinung des Gottessohnes hin. Die drei Oratorien: »Elias«, »Christus« und »Paulus« gaben dann eine Trilogie, welche die Hauptstützen des Reiches Gottes auf Erden umfasste. Die einzelnen Tonsätze aus dem neuen Oratorium »Christus«, welche Mendelssohn hinterlassen hat, zeigen, dass er sich hier wieder der älteren Form zuwandte: die bedeutendsten Momente werden dramatisch ausgeführt inmitten der fortlaufenden Erzählung, und der nur mitempfindende und betrachtende Zuschauer offenbart wieder in Chören, Chorälen und Soli lebendigen Antheil an der Darstellung. Vom ersten Theile, der die Geburt Christi behandelt, sind ein Recitativ, ein Terzett und ein Chor, vom zweiten Theile, der die »Leiden Christi« darstellt, sechs Recitative, sechs Chöre und ein Choral uns hinterlassen, und [315] sie bezeugen hinlänglich, dass es dem Meister unzweifelhaft gelungen wäre, auch diesen gewaltigen Stoff zu bewältigen, ihn der Denk- und Empfindungsweise unserer Zeit gemäss künstlerisch zu gestalten. Er würde damit weder die plastische Anschaulichkeit des Haendel'schen »Messias«, noch die herzgewinnende Naivität und unergründliche Tiefe der Bach'schen Weihnachts- und Passions-Oratorien erreicht haben, ganz gewiss aber jene Verschmelzung beider Ausdrucksweisen, die ihm schon öfter gelang, und welche der Kunstanschauung unserer Zeit entspricht.

Weniger günstig erscheinen uns die Erfolge, welche er mit seiner Oper »Loreley« hoffen durfte, falls es ihm vergönnt war, sie zu beendigen. Wir wissen, dass er seit seiner italienischen Reise nach einem ihm zusagenden Opernstoff suchte. Schon im Jahre 1831 war ihm von dem Intendanten der Münchener Hof-Oper, Herrn von Poissel, der Auftrag geworden, eine Oper für München zu componieren; unterm 4. Novbr. schreibt Mendelssohn an diesen, dass er mit Freuden annimmt und seitdem war er eifrig bemüht, einen entsprechenden Text zu gewinnen. Sein Jugendfreund Emil Devrient hatte ihm bereits 1827 das von ihm bearbeitete Textbuch »Hans Heiling«, das dann Heinrich Marschner mit Musik versah, angeboten, das aber Mendelssohn ablehnte, weil ihm das Märchenhafte nicht zusagte. Auf seinen besonderen Wunsch hatte ihm im nächsten Jahre Immermann Shakespeares »Sturm« zum Opernbuch umzugestalten zugesichert, allein da ihm wie Devrient schon der erste Entwurf wesentlicher Veränderungen bedürftig erschien, zu denen sich Immermann nicht verstehen wollte, gedieh das Unternehmen nicht weiter. Zu keinem besseren Resultat gelangten die in dieser Richtung mit Carl von Holtei angeknüpften Unterhandlungen. Durch Frau von Goethe veranlasst, hatte ihm auch der oesterreichische Lustspieldichter Bauernfeld einen Operntext eingesandt, den aber Mendelssohn auch nicht annimmt, weil, wie er schreibt,19 er zum Anfange keine Zauberoper schreiben möchte, sich in diesem Fache nicht genug Talent zutraut. [316] »Wäre es« heisst es in dem Briefe weiter, »nicht ein Zauberstoff, so würde ich Sie gerade um dies Gedicht gebeten haben, da es wohl nur sehr wenige Abänderungen bedarf, um vollkommen dramatisch wirksam zu sein«. Auch mit Charlotte Birch-Pfeiffer war er wegen Bearbeitung des Volksbuches Genofeva in Verhandlung getreten, die aber ebenso wenig Erfolg hatte, wie die mit Gutzkow vom Jahre 1840.

Die grösste Hoffnung setzte er immer noch auf Emil Devrient, dessen für Wilhelm Taubert verfasstes Opernbuch: »Die Zigeuner« ihm sehr gefiel. Devrient empfahl ihm Atterboms »Insel der Glückseligkeit« zur Bearbeitung zum Opernbuch, aber Mendelssohn lehnte wieder ab. »Zauberei und Wunderquellen« schreibt er darüber aus Leipzig am 28. Juni 1843 an Devrient »machen das Opernhafte, wie ich mirs denke, nicht, und das rein Menschliche, Edle, Alles Belebende, was es macht, habe ich darin nicht sehr gefunden, so schöne dichterische Einzelheiten da sind«. – Schliesslich (1843) brachte Devrient einen Stoff aus dem Bauernkriege in Vorschlag, mit dem sich Mendelssohn schon mehr befreundete. Von Frankfurt schreibt er aber dem Freunde unterm 26. April 1845, dass er »den ganzen Zschokke, allerlei Geschichtswerke etc. durchgeackert« habe, um einen passenden Opernstoff zu finden und erbittet dringend ihm wenigstens einen solchen mit dem entsprechenden Scenarium zu schaffen, das Andere will er dann selber machen, und unterm 2. Juli wiederholt er die Bitte noch dringender; er hält es für seine Lebensaufgabe, auch noch die Oper zu kultivieren. Der Freund macht ihm auch eine Reihe von Stoffen namhaft, die Mendelssohn aber alle ablehnt.

Am 13. April 1846 theilt ihm endlich Devrient Stoff und Scenarium einer Oper »Ritter und Bauer« mit, allein inzwischen hatte sich Mendelssohn mit Geibel über Bearbeitung der Loreleysage geeinigt, und wie wenig ihm auch schliesslich der Text zusagte, begann er doch mit der Musik, die er aber nicht beenden sollte.

Die Sage von der »Loreley« ist eine der lieblichsten Sagen des deutschen Volks, gerade deshalb aber nicht dramatisch. Geibel hat sie auch nur in klingenden, aber ziemlich charakterlosen [317] Versen dramatisiert, ohne ihr eine wirkliche dramatische Idee einzuweben. Damit war natürlich ein durchgreifender Erfolg auf der Bühne von vornherein unmöglich gemacht. Dass Mendelssohns Begabung auch für das Dramatische nicht gering war, das beweisen schon seine Jugendwerke. Allein die künstlerische Richtung, welche er einschlug, drängte ihn mehr auf jene umständlichere Darlegung und Erörterung alles dessen, was ihn belebte, wie sie für den Instrumentalstil zur Nothwendigkeit wird, und auch noch im Oratorium ganz gerechtfertigt ist; die knappe Gestaltung, und schlagend treffende Kürze des Ausdrucks, welche die Oper verlangt, lag in seiner ganzen Individualität weniger begründet, oder war nicht genügend heraus gebildet. Dass ihm namentlich jene scharfen Accente, jene pointierten Formen des dramatischen Ausdrucks, wie sie die Oper erfordert, wenig geläufig waren, das beweist schon die Concertarie: »Kehret wieder« (Op. 94), in welcher er dramatischen Ausdruck zwar anstrebt, aber nur in den bekanntesten Phrasen erreicht. Ausser dem Finale des ersten Akts hat Mendelssohn zur Oper »Loreley« noch ein »Ave Maria« für Sopran und weiblichen Chor, einen Marsch mit Chor und Anfänge von drei anderen Musikstücken hinterlassen. Jenes Finale wird im Concert immer grosse und tiefgreifende Wirkung machen. Besonders hervorragende Züge enthält es nicht; aber es bekundet doch jene sichere Meisterschaft, mit welcher Mendelssohn derartige Situationen zu gestalten verstand. Mit grosser Feinheit und Treue sind die Chöre der Geister des Rheins ausgeführt, und auch im Dialog zwischen ihnen und der Loreley entgeht dem Meister kein irgendwie bewerkenswerther Zug; aber gerade das ist's, was das Finale wenig bühnengerecht erscheinen lässt. Weil bei der Bühnendarstellung noch andere Factoren, weil Dekoration, Kostüm und Handlung mitwirken, ist die Musik bei der Oper auf ein geringeres Maass beschränkt; das Oratorium erfordert reich ausgeführte, die Oper möglichst knappe Musikgestaltung; wie bei jenem der Mangel einer äusseren Darstellung es bedingt, auch die untergeordneten Momente möglichst zu berücksichtigen, so drängt die Schaustellung bei der Oper die Musik dazu, nur die Hauptmomente in möglichst knappen Formen hervorzuheben, [318] die untergeordneteren zurücktreten zu lassen. Eine solche Beschränkung aber wurde Mendelssohn, wenn nicht geradezu unmöglich, so doch überaus schwer, und deshalb glauben wir nicht, dass er mit der Oper seinen zahlreichen Erfolgen einen neuen angereiht haben würde. Seine Mission war erfüllt; er hatte in wenigen Jahren die volle und reiche Arbeit eines ganzen Menschenalters gethan; in jener Zeit, in welcher nach natürlichem Gesetz erst des Mannes fruchtbarste Thätigkeit beginnt, hatte er sie bereits vollendet. Darf es uns wundern, dass Geist und Körper müde wurden und sich nach Ruhe sehnten? und dass beide so harten Schlägen, wie sie einst den Jüngling schon tief beugten und erschütterten, nicht mehr stand hielten?

Das Jahr 1847 brachte ihm noch eine reiche Fülle ehrenvollster Anerkennung. Auf ganz besondere Weise zeichnete ihn der Prinz Albert, Gemahl der Königin Victoria von England, aus. Nach der ersten Aufführung des »Elias« in London schrieb der Prinz in das Textbuch, dessen er sich während der Aufführung bedient hatte:


»Dem edlen Künstler, der, umgeben von dem Baalsdienst einer falschen Kunst, durch Genius und Studium vermocht hat, den Dienst der wahren Kunst, wie ein anderer Elias treu zu bewahren, und unser Ohr aus dem Taumel eines gedankenlosen Tönegetändels wieder an den reinen Ton nachahmender Empfindung und gesetzmässiger Harmonie zu gewöhnen, – dem grossen Meister, der alles sanfte Gesäusel, wie allen mächtigen Sturm der Elemente an dem ruhigen Faden seines Gedankens vor uns aufrollt – zur dankbaren Erinnerung geschrieben von

Buckingham Palace.

Albert.«


und übersandte es dem Meister20. Während dieser letzten Anwesenheit Mendelssohn's in London – im April 1847 – wurde der »Elias« dreimal in Exeterhall aufgeführt. Innerhalb dieser Zeit wohnte er auch einer Aufführung desselben in Manchester bei. Am 11. Mai leitete er noch im philharmonischen [319] Concert die Aufführung seiner Musik zum »Sommernachtstraum« und spielte Beethoven's G-dur-Concert wiederum unter dem enthusiastischen Beifall der begeisterten Zuhörer.

Darauf eilt er nach Frankfurt, wo er die Seinigen traf, und hier wurde ihm die erschütternde Kunde von dem frühen und plötzlichen Tode seiner geliebten Schwester Fanny. Ein Nervenschlag hatte ihrem Leben am 14. Mai ein jähes Ende bereitet; inmitten der Vorbereitungen zu einer Sonntagsmusik hatten sie die Vorboten des Todes überrascht; sie musste die Leitung der Probe der Chöre zur Walpurgisnacht einem musikalischen Freunde übergeben; noch während der Probe trat eine zweite Lähmung ein, und Abends 11 Uhr erfolgte der Tod. Mit ihr war Mendelssohn nicht nur durch die Bande des Bluts, sondern auch durch das gleiche künstlerische Streben vereinigt gewesen. Sie hatte an seinen Studien erfolgreich theilgenommen21; ihre veröffentlichten Compositionen schliessen sich so eng der ganzen Richtung des Bruders an, dass man versucht wird, jener fabelhaften Mittheilung Glauben zu schenken, nach welcher beide Geschwister, ohne irgend welchen Austausch der Gedanken, einmal ziemlich zu gleicher Zeit auf dasselbe Thema geführt wurden, und es auch ziemlich übereinstimmend bearbeiteten. Einen so herben Verlust zu ertragen, dazu war Mendelssohn's Geist und Körper durch eine rastlose Thätigkeit schon zu übermüdet. Nach der Ansicht seines Arztes ist es nicht unmöglich, dass durch die heftige Gemüthsbewegung, welche ihm die Trauernachricht bereitete, ein Blutgefäss im Gehirn riss, und dass durch das ausströmende Blut sein früher Tod herbeigeführt wurde. Wie tief gebeugt er durch den Verlust der Schwester wurde, haben wir schon an einzelnen Stellen seiner Briefe früher gezeigt. Seine Familie war unablässig bemüht, ihn wieder aufzurichten, und namentlich »die fröhlichen, unerschütterlich heiteren Gesichter seiner Kinder« wirkten in dieser Zeit äusserst wohlthätig auf ihn; allein auch die aufopferndste Liebe und Treue hatte hier ihre Macht verloren. Im Juni lebte er mit seiner Familie in Baden-Baden, machte dann [320] mit ihr und in Gemeinschaft mit seinem Bruder Paul und dessen Familie eine Reise durch die Schweiz, und diese namentlich übte auf ihn einen so wolthätigen Einfluss aus, dass auch wieder der alte Schaffensdrang in ihm lebendig wurde. In Interlaken, wo er sich für den Rest des Sommers niedergelassen hatte, begann er wieder angestrengt an dem Oratorium »Christus« und an seiner Oper »Loreley« zu arbeiten. Allein es war dies doch nur ein letztes Aufleuchten der alten Kraft. Auch zur Uebernahme der Leitung von Aufführungen seines »Elias«, welche im bevorstehenden Winter stattfinden sollten, hatte er sich noch verpflichtet. Auf den Vorschlag des General von Webern, in Berlin drei Abonnements-Concerte zu veranstalten (»bei denen auf eine zweimalige Aufführung des ›Elias‹ zu rechnen wäre«), ging er zunächst nicht ein, weil er Herrn von Arnim bereits zugesagt hatte, dieses Oratorium zum Besten des Friedrichsstiftes in Berlin aufzuführen22. Auch die für den November in Wien beabsichtigte Aufführung des »Elias« hatte er zu dirigieren übernommen; er sollte keine dieser Zusagen mehr erfüllen. Obwol er jetzt fest entschlossen war, wieder nach Berlin überzusiedeln,23 ging er doch von Interlaken vorerst nach Leipzig und machte Ende September nur einen Besuch auf einige Tage in Berlin. Am 9. October setzte ein Ohnmachtsanfall, den er im Hause der Frau Frege in Leipzig hatte, die Freunde bereits in Sorge und Schrecken. Noch unterm 25. October24 schreibt er dann von Leipzig an Bruder Paul dass es sich mit seiner Gesundheit von Tage zu Tage bessere; aber bereits am 28. Oktober erlitt er einen Schlaganfall und am 30. October wurde der Bruder nach Leipzig gerufen, weil das Leben des theuren Meisters ernstlich bedroht schien. Zwar erholte sich dieser nochmals, aber nur auf kurze Zeit; am 3. November führte eine leichte Gemüthsbewegung eine abermalige Erneuerung des Nervenschlages herbei, welcher der ohnehin schwächliche Körper nicht mehr zu widerstehen [321] vermöchte; am 4. November Abends nach 9 Uhr verschied der grosse Tondichter sanft und schmerzlos.

Moritz Hauptmann schreibt an Hauser unter dem unmittelbaren Eindruck dieses traurigen Ereignisses am 3. November.25


»Lieber Hauser. In sehr trauriger und banger Stimmung fange ich dies Blatt an. – Mendelssohn ist so krank, dass man für ihn fürchtet. Vor drei Wochen ungefähr hatte er einen eigenen Zufall, Hände und Füsse wurden eiskalt, der Kopf heiss, und eine Besinnungslosigkeit dabei, dass er, es war in Gesellschaft, nach Hause gebracht werden musste. Der Zustand war nicht anhaltend; nach einigen Tagen befand er sich ziemlich wol, hatte aber doch seit der Zeit mehrere, wenn auch weniger heftige Rückfälle. Ich fand ihn vor etwa 14 Tagen angegriffen und matt aussehend, aber wie es schien ganz in der Besserung. Den Tag darauf bekam er die heftigsten Kopfschmerzen, die sich in starkem Nasenbluten lösten, worauf es abermals besser wurde. Vor etwa 8 Tagen hiess es auf einmal in der Stadt, Mendelssohn sei gestorben. Ich lief bald hin und fand ihn recht wohl, viel besser aussehend als zuvor. Es war ein grundloses Gerücht gewesen. Seit vorigem Sonntag aber war es wieder schlimm geworden, die Blutcongestion nach dem Kopf war den Aerzten bedenklich, und diesen Abend bringt uns Jemand die Nachricht, dass es sehr schlimm mit ihm sei, was diesmal auf die Nachfrage im Hause leider bestätigt wurde. Die Art des Uebels lässt das Schlimmste fürchten. Hofrath Clarus sagte schon am Sonntage, dass eine Blutergiessung ins Gehirn zu fürchten sei. Sollte Mendelssohn auch in so jungen Jahren, im 37sten, wie Raphael und Mozart, von uns gehen, – es wäre doch zu traurig. Ich bin jetzt leicht hoffnungslos, wenn eins krank wird.

Den 4. Novbr. früh halb 8 Uhr. Eben war ich im Mendelssohn'schen Hause, – er hat eine sehr unruhige Nacht gehabt und schwebt noch in grösster Lebensgefahr. Das war von Schleinitz auf den ausliegenden Zettel geschrieben, gesehen [322] habe ich sonst Niemand, ausser einem Dienstmädchen, das ganz in Thränen war. Sein Bruder von Berlin ist hier. Mir ist bange vor dem heutigen Tage. Viel Schönes hat sich zusammengedrängt in diesem kurzen Leben, viel Ruhm und häuslich Glück und wohl verdient; aber ein Jammer ist's, an Frau und Kinder zu denken, wenn er sterben sollte. – Es macht doch den Menschen nichts nothwendig auf der Welt als die Liebe, so sagt Werther, und das ist wahr; es geht alles seinen Gang fort, aber die Lücke, die in der Nähe entsteht, wenn eins fortgeht, die ist nicht wieder auszufüllen.

Auch diesen Abend (es ist jetzt 8 Uhr) noch keine bessere Nachricht, ruhiger ist er den ganzen Tag gewesen, aber die Aerzte sind nicht weniger besorgt. Dr. Härtel ist nach Berlin, um des Königs Leibarzt Schönlein zu holen; man erwartet ihn diesen Abend. Schleinitz ist fortwährend bei Mendelssohn, er ist im Laufe des Tages auch muthloser geworden. Das heutige Concert ist eingestellt.

Den 5. Novbr. früh. – So soll ich diesen Brief doch noch mit der traurigsten Nachricht schliessen. – Mendelssohn ist gestern Abend 9 Uhr verschieden, sanft und ruhig, nachdem er den ganzen Tag ohne Theilnahme, aber auch wohl ohne Schmerzen gelegen. Die arme, arme Frau und die armen Kinder!

Der Berliner Arzt ist noch gekommen, es war aber überhaupt für den Arzt bei dieser Krankheit wohl wenig zu thun, sie kündigte sich sogleich tödtlich an. Am 10. Oct., da er bei Fr. Frege mit dieser den Elias durchging, bekam er den ersten Anfall; es war Sonntag. Benedict, der hier war, brachte mir Montag die Nachricht, ich war selbst unwohl und konnte ihn erst am Mittwoch sehen, fand ihn auf dem Sopha sitzend, aber freundlich, wie er mir immer gewesen, und gern sprechend und zuhörend. Den folgenden Tag wars wieder schlimmer. Da ich ihn später wiedersah, fühlte er sich wohl in der Genesung und war mehr geistig verstimmt über jetzige Zustände. Tags darauf wieder Verschlimmerung und seit dieser Zeit ist wohl nur Schleinitz um ihn gewesen, – ich habe ihn nicht wieder gesehen.«


[323] Die Trauer um den verewigten Meister war gross und allgemein, sie bewies am deutlichsten, was er der Nation gewesen, wie gross in allen Theilen Deutschlands und in den verwandten Ländern der Kreis seiner Verehrer war; namentlich Leipzig erwies ihm auch jetzt wieder königliche Ehren. Tausende eilten nach dem Trauerhause, um noch einmal dem geliebten Todten in's Angesicht zu schauen, ehe sich das Grab über ihm schloss, und dass sie nicht etwa wie zu dem Paradebett, auf welchem ein Gewaltiger der Erde seinen letzten Schlaf schläft, durch Neugierde und Lust an öffentlichen Schaustellungen getrieben wurden, das zeigten die zahllosen Thränen, die herniederrannen, als sie ihn mit Palmenzweigen und Lorbeerkränzen schmückten. Am 7. November, Nachmittags 4 Uhr, wurde ihm in der Paulinerkirche eine Todtenfeier veranstaltet, an welcher sich thatsächlich ganz Leipzig betheiligte. Unter den Klängen des »Liedes ohne Worte« in E-moll – Nr. 3 aus dem 5. Heft – das von Moscheles für Blasinstrumente arrangiert worden war, bewegte sich der unabsehbare Leichenzug von dem Trauerhause nach der Kirche. Voran gingen die Mitglieder des Stadtorchesters und die Lehrer und Zöglinge des Conservatoriums; dann kam der Wagen mit dem reichgeschmückten Sarge von vier schwarzverhüllten Rossen gezogen; die Enden des Bahrtuches trugen die Meister, welche ihm im Leben so nahe gestanden: Hauptmann, Schumann, Moscheles, Gade, Rietz und David; dem Sarge unmittelbar folgten die nächsten Verwandten; ihnen schlossen sich die Geistlichen, die Behörden des Staats, der Stadt und der Universität an, und eine unübersehbare Menge seiner Verehrer aus allen Ständen schloss den Zug. In der Kirche wurde der Sarg auf einen schwarzverhüllten Katafalk gestellt, unter den Klängen jenes Trauermarsches aus »Antigone«, mit welchem die Schlussscene eingeleitet wird. Nachdem ein Zögling des Conservatoriums einen silbernen Lorbeerkranz am Sarge niedergelegt hatte, wurde von der ganzen Versammlung der Choral: »Erkenne mich, mein Hüter« gesungen und darauf von dem Chor der Choral aus »Paulus«: »Dir Herr, dir will ich mich ergeben«. Hierauf hielt der Prediger Howard die Grabrede, in schlichten, aber eindringlichen und tröstenden Worten. Ehe er dann den Segen [324] sprach, sang der Chor noch unter Instrumentalbegleitung den Chor aus »Paulus«: »Siehe, wir preisen selig«, und der Schlusschor der Passionsmusik: »Wir setzen uns mit Thränen nieder« bildete den Schluss der erhebenden Feier. Schon hatte die ganze Versammlung die Kirche verlassen, da trat noch eine tieftrauernde Frau heran, kniete an dem Sarge nieder und betete heiss und lange; es war die Gattin, die den letzten Abschied nahm von dem, den sie so treu geliebt. Devrient erzählt: »Als Felix das letzte Mal in Berlin von Fanny geschieden, hatte sie ihm Vorwürfe gemacht, dass er so lange nicht an ihrem Geburtstage bei ihr gewesen, und er hatte noch beim Einsteigen in den Wagen ihr die Hand darauf gegeben: ›Verlass dich darauf, das nächste Mal bin ich bei dir!‹ Und er hat Wort gehalten, den 14. November war Fannys Geburtstag.«

Noch in derselben Nacht wurde die Leiche durch einen Extrazug nach Berlin geführt, da der Dahingeschiedene in der Familiengruft ruhen sollte. Einzelne Städte, an welchen der Leichenzug vorüberging, brachten dem Verewigten eine letzte Huldigung dar. In Köthen empfing den Zug um Mitternacht ein Sängerverein mit einem Choral, und in Dessau harrte seiner der greise Meister der Tonkunst, Friedrich Schneider, umgeben von einem Sängerchor, der tief ergriffen einen Grabgesang ausführte.

In Berlin war die Nachricht von der Uebersiedelung der Leiche Mendelssohn's zu spät bekannt geworden, um eine allgemeinere Feier möglich zu machen, an welcher sich die Tausende seiner Verehrer betheiligen konnten. Das Comitée, bestehend aus den Herren Capellmeister Taubert, Concertmeister Ries und dem Musikalienhändler Bock, hatte nur Zeit, eine möglichst künstlerische Todtenfeier zu bereiten. Morgens 6 Uhr nahm der Leichenwagen den Sarg, der den theuren Leichnam barg, auf; ein Musikchor geleitete ihn durch die stillen Strassen der Stadt bis zu dem Halleschen Thore; hier empfing ihn ein zweites Musikchor unter Leitung des Musikdirectors Wieprecht, und unter den Klängen des Trauermarsches aus Beethoven's As-dur-Sonate bewegte sich der Zug nach dem Friedhofe der Jerusalemer Kirche. Am Grabe hatte sich ausser dem königl. Domchor mit seinem Director Neithardt [325] an der Spitze, auch ein Theil der Sing-Akademie unter Rungenhagen's Leitung aufgestellt. Der Domchor empfing den Sarg mit dem Choral: »Jesus meine Zuversicht«. Der Prediger Berduschek hielt die Leichenrede, in welcher er in wenigen Zügen das Bild von dem genialen Tonsetzer entwarf und auf den grossen Verlust hinwies, den die Kunst durch diesen Tod erlitten hatte. Darauf sang ein Männerchor das ergreifende Lied: »Wie sie so sanft ruhn«, und nach dem Segen wurde die erhebende Feier mit der von Grell componierten Motette: »Christus ist die Auferstehung« geschlossen.

Lange noch hallte die Trauer um den geliebten Meister durch ganz Europa nach, in den zahllosen Concerten, die zu seinem Gedächtniss veranstaltet wurden.

Die erste Sinfonie-Soirée der königl. Theater-Kapelle in Berlin nach des Meisters Tode (die zweite des ganzen Cyklus) war seinem Andenken geweiht. Ausser dem Trauermarsch der »Eroica« wurden nur Compositionen Mendelssohn's aufgeführt. Um den Meister in seiner vielseitigen Grösse zeigen zu können, war man diesmal sogar wieder von der ursprünglichen Tendenz dieser Concerte abgegangen, und hatte den Domchor, unter Neithardt's Leitung, mit herangezogen. Er eröffnete die Reihe der Mendelssohn'schen Werke mit einem »Kyrie«; diesem folgte die A-moll-Sinfonie; ihr der 43. Psalm, und, nachdem die beiden Ouvertüren zum »Sommernachtstraum« und zu den »Hebriden« ausgeführt worden waren, sang der Domchor noch: »Es ist bestimmt in Gottes Rath«, und tief ergriffen verliess die ganze zahlreiche Versammlung den Saal. Auch die am 27. November unter Taubert's Leitung in der Sing-Akademie veranstaltete Aufführung des »Elias« ist als eine Gedächtnissfeier zu betrachten. Bald nach dem Tode Mendelssohn's hatte dessen Schwager, der Hofmaler Professor Hensel, von Friedrich Wilhelm IV. den Auftrag erhalten, das Portrait des unvergesslichen Tondichters für die Gallerie hervorragender Männer in Kunst und Wissenschaft auszuführen.

In Wien wurde die erste Aufführung des »Elias«, die, wie wir bereits anführten, der Meister ursprünglich selbst hatte leiten [326] wollen, gleichfalls zu einer wahrhaft erhebenden Gedächtnissfeier. Die sämtlichen Mitwirkenden erschienen in Trauer; die Herren im schwarzen Anzug, die Damen im weissen Kleide, mit schwarzer Atlasschleife auf der linken Seite. Das Pult, an welchem der Verewigte sein Werk hatte leiten sollen, war mit schwarzem Flor behangen; darauf lag eine Notenrolle und ein frischer grüner Lorbeerkranz. An einem zweiten Pulte dirigierte Herr Schmidl. Sinniger noch war die Feier, welche die sacred harmonic society am 17. November in Exeterhall dem Andenken Mendelssohn's widmete. Die ganze Versammlung war schwarz gekleidet und hörte stehend Haendel's Trauermarsch an, welcher der Aufführung des »Elias« vorausging.

Einen ganz besonders erhebenden Eindruck machte natürlich auch das Abonnementsconcert im Leipziger Gewandhause, das am 11. November »dem Gedächtniss des entschlafenen Mendelssohn-Bartholdy« geweiht war, nachdem man das, gerade auf seinen Todestag fallende Concert ausgesetzt hatte. Mit rührender Pietät hatten sich Frau Dr. Livia Frege und Herr Conrad Schleinitz, die ihm so nahe befreundet waren, entschlossen, an diesem Tage noch einmal in die Oeffentlichkeit zu treten. Der erste Theil brachte nur Compositionen von Mendelssohn; ausser den Ouvertüren zu »Melusine« und zum »Paulus« jene Vocalwerke, welche so sinnig auf die Feier Bezug haben: Luther's »Verleih uns Frieden«, Eichendorff's Nachtlied: »Vergangen ist der lichte Tag«, und die Motette: »Herr, nun lassest du deinen Diener in Frieden fahren«. Beethoven's »Eroica« bildete den zweiten Theil.

Auch in den andern grössern Städten, wie Breslau, Königsberg, Frankfurt, Cöln, Düsseldorf, Bremen, Hamburg u.s.w., wurde das Andenken Mendelssohn's gefeiert, und überall sprach sich die Trauer über seinen so frühen Tod in rührendster Weise aus.

Der tief gebeugten Wittwe gingen von nah und fern zahllose Beileidsadressen zu, unter andern auch von den in Paris lebenden Deutschen. Auch die Königin von England und die Könige von Sachsen und Preussen bezeugten ihr die innigste Theilnahme in, zum Theil eigenhändigen Trostschreiben. Sie ging später nach ihrer Heimath Frankfurt und lebte dort in stiller Zurückgezogenheit [327] der Erziehung ihrer Kinder und dem Andenken einer überaus glücklichen Vergangenheit. Nachdem sie auch noch den jüngsten Sohn Felix hatte in's Grab sinken sehen, starb sie am 26. September 1853. Der älteste Sohn Karl, geb. am 7. Februar 1838 zu Leipzig, erwarb die juristische und philosophische Doctorwürde, habilitierte sich dann in Heidelberg als Docent für Geschichte, wurde 1867 Professor in Freiburg im Br., trat aber bereits 1874 in Ruhestand und starb am 24. Aug. 1874 in Horchheim bei Koblenz. Ausser historischen Werken veröffentlichte er die erwähnte Schrift: Goethe und Felix Mendelssohn-Bartholdy. Der jüngere Sohn Paul, geboren am 18. Januar 1841 zu Leipzig, hatte die philosophische Doctorwürde erworben und sich dem Studium der Chemie zugewandt, er starb aber bereits am 16./17. Februar 1880 in Berlin.

In London wurde der Gedanke angeregt, ihm eine Statue zu errichten; es trat zur Ausführung dieser Idee ein Comitée zusammen, mit der Königin und dem Prinzen Albert an der Spitze. Der Bildhauer Charles Bacon führte die Statue aus, Robinson und Cottam besorgten den Guss und am 4. Mai 1860 wurde sie, auf der Hauptterasse des Krystall-Palastes enthüllt. Damit war zugleich eine grosse Mendelssohnfeier verbunden. Mehr als 3000 Sänger und Instrumentalisten wirkten mit bei der Aufführung des »Elias«, die unter Costa's Leitung stattfand. Der zweite Theil des Festes war echt deutsch; die Statue wurde inmitten deutscher Gesangvereine und unter dem Klange deutscher Lieder enthüllt; ein Fackelzug endete das ganze Fest. In Leipzig hatten seine zahlreichen Verehrer am 21. Februar 1872 an dem Hause, in welchem er während der letzten Jahre seines Lebens wohnte – Königstrasse 21 (jetzt 12) – zwischen den Fenstern der ersten Etage eine graue Marmortafel angebracht, welche in goldener Schrift die Worte trägt: In diesem Hause starb Felix Mendelssohn am 4. Novbr. 1847.

Sein Denkmal in Leipzig konnte schwerlich einen passenderen Standpunkt finden, als auf dem Platze vor dem Neuen Gewandhause, wo es am 26. Mai 1892 unter grossen Feierlichkeiten enthüllt wurde. Es ist von Werner Stein modelliert und zeigt den Meister, von faltigem Mantel umwallt, mit der Rechten[328] auf ein Notenpult gestützt, während die Linke das Notenblatt hält Die in Bronce gegossene Figur erhebt sich auf einem Sockel aus schwedischem Granit, der auf einem vierstufigen Unterbau aus Syenit und rothem Granit steht. Die an der Vorderseite des Denkmals in sitzender Stellung angebrachte Muse stützt sich mit der Linken auf eine Lyra und hält mit der Rechten einen Rosenstrauss empor. Auf der linken Seite des Postamentes befinden sich singende Genien, von denen einer ein Blatt mit Noten und Text des Liedes: »Es ist bestimmt in Gottes Rath« hält, während die auf der rechten Seite befindlichen Engel Geige und Flöte spielend dargestellt sind. Ueber den beiden Engelgruppen sind Medaillons in den Granit eingefügt, in denen das Oratorium und die weltliche Musik plastisch zum Ausdruck gebracht werden. Die Rückseite, schmückt ein broncener Lorbeerkranz mit lang herabwallenden Bändern. Das Standbild trägt den Namen des Tondichters, sowie die Inschrift: »Edles nur künde die Sprache der Töne!«

Mendelssohn's äussere Erscheinung war nicht imponierend aber herzgewinnend; kaum mittelgross, war er fast zierlich gebaut, dabei graziös in Gang und Haltung; nur die hohe, gewölbte Stirn und das ausdrucksvolle, von einer Fülle leichtgelockten, glänzend schwarzen Haares eingerahmte Gesicht verriethen, dass in diesem beinahe schwächlichen Körper ein, mit seltenen Gaben und grosser Energie ausgerüsteter Geist wohnte. Wer ihm nicht in die von edlem Feuer erglühenden Augen schaute, konnte kaum begreifen, wie diese schwache Hand so grosse Massen sicher zu leiten und sie zur Lösung selbst der schwierigsten Aufgaben, wie die Aufführung der neunten Sinfonie oder der Passionsmusik, zusammen zu halten vermochte. Nur die geistige Ueberlegenheit, welche aus seinem Auge strahlte, erzeugte bei allen Betheiligten jene Sicherheit, mit der sie sich seiner Führung anvertrauten.

Auch im Umgange war Mendelssohn äusserst liebenswürdig; davon wissen seine zahlreichen Freunde in Düsseldorf, Leipzig, London, Berlin und Frankfurt, denen er mit aufopfernder Liebe zugethan war, ausserordentlich viel zu erzählen. Dass die Urtheile Einzelner hiervon abweichend lauten, darf nicht befremden. Wir haben des Briefes bereits Erwähnung gethan, in welchem ihm der [329] Vater den Vorwurf einer gewissen Schroffheit und Nachlässigkeit in seinem Benehmen gegen Andere macht, und wiesen bereits darauf hin, wie diese Charaktereigenthümlichkeit wol zumeist aus jenem Zwiespalt zwischen der idealen Weltanschauung seiner Jugend und der Welt der Wirklichkeit entstanden sein mag. Zudem waren auch nicht Alle, die dem gefeierten Künstler nahten, von der Macht seines Genius angezogen; viele wurden von Eitelkeit und Selbstsucht geleitet, und wenn sich Mendelssohn gegen sie selbst schroff abwehrend verhielt, so war er um so mehr in seinem vollen Hechte, als ihm jene beiden Eigenschaften vollständig fremd waren. Wir erinnern hierbei an seine ersten Verhandlungen mit dem Directorium der Gewandhausconcerte, bei denen er als Hauptbedingung die hinstellte, dass er Niemanden aus seiner Stellung verdrängen möchte. Auch für seine fast übergrosse Bescheidenheit haben wir mehrfach überzeugende Beweise. Als er schon der weit berühmte Meister war, weigerte er sich noch, sein Portrait in die Oeffentlichkeit zu bringen, weil ihm das zu anmassend erschien. Vortreffliche Zeugnisse für seinen bescheidenen Sinn sind ferner auch jene Briefe an Julius Stern und Professor Dehn in Berlin. Stern hatte die »Antigone« in Paris mehrmals in Privatkreisen aufgeführt, und dann auch die Aufführung auf dem Odeon Theater bewirkt und zugleich selbst vorbereitet (1844), mit ausserordentlich günstigem Erfolge, so dass die Tragödie 77 Wiederholungen erlebte; Mendelssohn dankte ihm dafür in dem Briefe vom 27. Mai 184426 mit der vollen Wärme einer echten Künstlernatur. Professor Dehn aber hatte ihn aufgefordert, in der von ihm redigierten Zeitschrift: »Caecilia« etwas über die »Antigone« zu schreiben oder schreiben zu lassen, und Mendelssohn's Antwort27 zeugt wiederum von der sittlichen Grösse seiner Kunstanschauung. Diese zeigte sich auch im hellsten Lichte den anderen Künstlern gegenüber. Sein Verhältniss zu Liszt und Meyerbeer beleuchteten wir schon. Auch gegen Hector Berlioz verfahr er in ähnlicher Weise, als dieser 1843 nach Leipzig kam. Wie [330] seinen Meister feierte er den greisen Spohr bei dessen Anwesenheit in Leipzig am 25. Juni 1846, und wie er endlich auch jenen genialen Mitstrebenden, den er immerhin, natürlich im besten Sinne, als einen Rivalen betrachten konnte, wie er Robert Schumann's Anerkennung fördern half, ist ja hinlänglich bekannt. Die Werke, welche Schumann's Ruf nachdrücklich begründen halfen, wurden unter Mendelssohn's Leitung im Gewandhause aufgeführt. Mit aufopfernder Liebe aber war er jenen zugethan, die mit ihm die gleichen Ziele verfolgten, wie Rietz, Moscheles, David und Gade. – Wahrhaftheimisch fühlte er sich nur in dem Kreise vertrauter Freunde, die auch seinen künstlerischen Bestrebungen ein warmes Interesse zeigten; mehr noch als kühle Zurückhaltung, hinter welcher sich meist die grösste Ignoranz verbirgt, war ihm zudringlicher Enthusiasmus zuwider, der oft einen ähnlichen, häufig einen noch schlimmeren Grund hat. Für jenes Lob, welches aus innerer Ueberzeugung hervorging, war dagegen auch er empfänglich; das Hauptziel seines künstlerischen Strebens war, auf den Geist der Massen anregend und belebend, reinigend und erfreuend zu wirken, und wenn ihm die Zeichen des Dankes und des Lobes sagten, dass ihm dies gelungen war, hatte er eine herzliche Freude daran. Statt des behaglichen Lebens, das ihm die günstigen Verhältnisse, in denen er geboren war, darboten, wählte er das der rastlosesten, aufreibenden Thätigkeit. Selbst dann noch, als die Last der freiwillig übernommenen Arbeit an seiner Gesundheit zu rütteln begann und liebende Sorge geängstigt ihn drängte, sich zu schonen, wurde es ihm schwer, seine Wirksamkeit zu beschränken.

Wie er daneben zugleich in den engen Räumen seines Hauses treu und emsig wirkte, auch darüber geben mehrere Briefe uns Aufschluss; im Kreise der Seinen ruhte er aus von den Mühen des Tages; an der Pflege der allmählich auflebenden Kinderherzen und -Seelen nahm er den lebendigsten Antheil; an ihrem frischen Sinn und Gemüth richtete er sich auf, als er selbst müde zu werden begann.

Auch mit den irdischen Gütern, mit denen ihn Gott gesegnet hatte, wusste er treu hauszuhalten. Schlicht und einfach, wie er [331] gewöhnt war, halfen sie ihm nur jene hohen Ziele erreichen, die er sich früh gesteckt, und vor jenen Abirrungen bewahren, denen auch der Genius nicht entgeht, wenn er mit der gemeinen Sorge des Daseins zu kämpfen hat. Dabei vergass er nie, wohlzuthun und mitzutheilen; als das Grab sich über ihm schloss, da erst wurde es recht bekannt, wie seine Hand immer bereit gewesen war, zu helfen und zu lindern, wo sie nur konnte und immer nach dem christlichen Grundsatze: dass die Rechte nicht wissen soll, was die Linke thut. »Sein Andenken wird daher auch im Segen bleiben bei Kind und Kindeskind.«

Fußnoten

1 Am 21. November 1842.


2 Briefe II. Seite 383.


3 Dieser trug im Jahre 1842 nur 900 Thaler Zinsen; und da 25 Wittwen eine Pension von 2500 Thlr. bezogen, so mussten noch 1600 Thlr. anderweitig beschafft werden.


4 Später Meeser's Hôtel.


5 Das vierte Concert fand am 10. Januar 1844, das fünfte (unter Taubert's Leitung) am 24. Januar, und das sechste am 7. Februar statt.


6 Briefe II. Seite 401.


7 Briefe II. Seite 413.


8 Briefe II. Seite 421.


9 Ebend. Seite 447.


10 Briefe II. Seite 427.


11 Briefe II, Seite 433.


12 Ebend. Seite 435.


13 Gade, geb. am 22. Febr. 1817 in Kopenhagen, hatte mit seiner Ouverture Ossian 1841 den vom Kopenhagener Musikverein ausgesetzten Preis gewonnen. Ausser dieser Ouverture schrieb er mehrere Sinfonien und eine Reihe anderer, auch in Deutschland beliebter, Compositionen. Er starb 1891 in Kopenhagen.


14 Briefe II. Seite 458.


15 Als Fräulein Gerhard einst eine gefeierte Sängerin.


16 Briefe II. Seite 461.


17 Briefe Bd. II. Seite 465.


18 Ebend. Seite 475.


19 Musikerbriefe Seite 336.


20 Briefe II. Seite 459.


21 In der Familie hatte man ihr scherzweise das Prädikat »Cantor« beigelegt.


22 Briefe II. Seite 494.


23 Ebend. Seite 491.


24 Ebend. Seite 497.


25 Briefe von M. Hauptmann an Franz Hauser. Bd. II. Seite 65.


26 Briefe II. Seite 409.


27 Ebend. Seite 310.

Quelle:
Reissmann, August: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sein Leben und seine Werke. Leipzig: List & Francke, 1893..
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