Anhang.

Sonette von Boccaccio.

(Uebersetzt von Felix Mendelssohn-Bartholdy.)


I.

Zog ich die Musen einst durch mein Vergehen

Hinab bis in des Pöbels Schandgemächer,

Und liess ihn ihre keuschen Reize sehen,

Zur schnöden Lust für die gemeinen Schächer:1


So solltet ihr mich doch nicht ferner schmähen,

Denn grausam hat Apollo schon, der Rächer,

Sich meinen Leib zum Ziele ausersehen,

Und straft mit bittern Schmerzen den Verbrecher:


Mein Wesen hat er gänzlich umgewendet,

Dass ich, mit schwerem Blei statt Luft erfüllet,

Kaum noch im Stande bin, ein Glied zu rühren.


Ich hoffe nicht mehr, dass mein Leiden endet,

Längst ist ja jeder Rettungsweg verhüllet;

Allein ich weiss, Gott kann zum Heile führen.


II.

[346] Wird Dante, wo er sei, darüber weinen,

Dass die Bedeutung seiner Hochgesänge

Eröffnet worden ist der niedern Menge,

Wie dir's bei meinem Vortrag wollte scheinen:


So müsst' ich selbst den Tadlern mich vereinen,

Ganz triebe mich dein Vorwurf in die Enge,

Wenn die Entschuldigung mir nicht gelänge:

Dass es die Fehler Andrer, nicht die meinen.


Leichtsinnig Hoffen, schwere Armuth hiessen

Mich der verfehlten Ansicht meiner Freunde

Und ihren Bitten endlich mich bequemen;


Doch lang' soll diese Freude nicht geniessen

Die Schaar elender, undankbarer Feinde

Von jedem guten, schönen Unternehmen.


III.

Ich liess das böse Volk im Meerestoben

Ohn' alle Nahrung, ohne Lootsen schiffen,

Auf einem Wege, den sie nicht begriffen,

Obschon sie sich als Meistersteurer loben.


Wie bald, sein Unterstes gekehrt nach Oben,

Zerschellt das schwache Fahrzeug an den Riffen!

Und, könnten sie auch schwimmen, in den Tiefen

Der Fluth seh ich sie elend bald zerstoben.


Dann schau ich von der Höhe zu, im Innern

Hohnlachend, und zum Theil werd' ich empfinden,

Für Schmach und Täuschung der Vergeltung Freuden;


Und öfters will ich an des Geizes Sünden

An den verhöhnten Lorbeer sie erinnern;

So mehr' ich ihre Qualen, ihre Leiden.


Fußnoten

1 Anspielung des Dichters auf sein »Decamerone«.

Quelle:
Reissmann, August: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sein Leben und seine Werke. Leipzig: List & Francke, 1893..
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon