201.[126] 1

Salzb: den 28 Decemb: [1778]


Mon cher Fils!


Du wirst, da dieses schreibe vermüthlich schon in München angelangt seyn. Ich habe Dir schon zu wiederhohlten mahlen geschrieben, daß unser Interesse, und meine aussieht es erfordern, daß du dermahl nach Salzb: zurückkehrest, und da ich glaubte du würdest Deiner vernunft zur überlegung Platz geben, und auf die Dir gar wohl bekannte Einsicht Deines vatters mehr, als auf Deine Hoffnungsleere wünsche vertrauen setzen, so konnte ich nicht im geringsten zweifeln, daß Du auf das neue Jahr nun endlich gewiß in Salzb: seyn würdest: allein, da ich es am wenigsten dachte, und schon einen Brief von augsp: aus zu sehen glaubte, so giebst Du mir Nachricht, daß Du mit dem hl: Prelaten erst den 26 oder 27ten nach München reisen wirst. gut! – diese gelegenheit entschuldiget Dich. Nun aber bilde Dir nicht ein in München hinzusitzen. von augsp: ist gar die Rede nicht, ich habe da nichts nothwendiges zu betreiben. Ich will also, daß, wenn Du keine gute gelegenheit früher findest, daß Du, sage ich, mit der ersten dilligence die in der ersten woche des Jenners [126] abgehet, Dich hieher begiebst. Der gewöhnliche Postwagen Tag ist der Mittwoch, folglich der 6te Jenner, da aber an diesen Tage das Fest der hl: 3 Könige ist, so mag er etwa einen Tag später gehen: obwohl er auch diesen Tag vielleicht gehen wird, weil er erst um Mittag geht, wo die Kirchzeit schon vorbey ist. sollte es Dir beyfallen, durch hl: Cannabich wegen eines längeren aufenthalts an mich schreiben zu lassen, so würde es von darum eine vergebene arbeit seyn, weil ich ihm denn alles so umständlich und so überzeugend nach der länge überschreiben würde, daß er meine gründe den augenblick einsehen und sich über manches sehr wundern würde. allein, was will ich viel sagen. Du selbst, wenn Du ohne vorurtheile (alle lustigen Träume bey seite gesetzt) alles überlegst, weist so gut, als ich sehe, daß ich recht habe: und ob ich gleich mir nicht die Mühe geben dürffte, über meine Meinung Dir Rechenschaft zu geben, so will ich doch eines und andres berühren, da ich vom vielschreiben herzlich müde bin und mir seit 15 Monate fast die augen vergebens aus dem Kopf geschrieben. Dir steckt absolute im Kopfe in München anzukommen! begreifst Du denn nicht, daß es mit unserm vortheile nicht geschehen kann? – Du weist daß der Hof mit Leuten übersetzt ist: und weist Du, daß der Churfürst sich um die Musik nichts bekümmert? – und glaubst Du wohl ich würde es zu geben, daß Du um 6 oder 700 fl da bliebest? weist Du warum? – Weil hier 4 und 500 fl weiter reichen als 6 und 700 fl in München, und weil man nicht weis wie lange der spaß dauert. Ich gieb meine Seeligkeit zum Pfand, daß die ganze Musik in München das Drittl ihrer besoldung fallen lässt, wenn sie einen Dienst, der niemahls abstirbt, erhalten könne. Das geschieht aber dermahl nicht aus der ursache, als wollte ich, daß Du Dein lebtage die hiesigen Dienste behalten sollst, – keineswegs –, das sollst Du absolute nicht! nur will ich itzt unsere schulden sicher bezahlt wissen, – und das muß seyn – das muß ohnabänderlich seyn! ich bin alt, – ich kann nicht wissen wenn mich gott in die Ewigkeit rufst, ich will nicht mit schulden sterben, und noch weniger will ich, daß man wisse, daß ich durch Dich in diese schulden verfallen, davon dermahl niemand, ausser dem hl: Bullinger, [127] etwas weis. ich will nicht, daß um schulden zu bezahlen unsere Sachen nach meinem todt elendig verkauft und um das halbe geld hingeworffen werden. – Da wir mit kleinem gehalt leben mussten und unser geld beyzusetzen gezwungen waren, damahls würde ich mich entschlossen haben etwas besseres zu nehmen; alleine da ich itzt alle Monate mit Deinem gehalt sicher 100 fl einnehme, so sehe, daß ich, da noch accidentien, und der verkauf meiner Bücher dazu kommen, in einem paar Jahren alles bezahlt habe und ruhig sterben kann: und das muß ich und das will ich! Damit ich mich aber Dir vollkommen erkläre, so wisse, daß, wenn ich auch für meine Person den Hazard machen wollte, auf den Tod des Churfürsten gar nicht zu denken, ich niemals einen Antrag für Dich annehmen würde, als 1000 fl, und da müsten wenigst 400 fl auf mich, die übrigen 600fl auf Dich decretiert seyn. – Nun muß ich Dir aber noch die gefährlichen aspecten von Europa vor augen stellen, wo Du, wenn Du vernunft hast, gleich einsehen wirst, daß Salzburg der beste Winckl ist, wo man den ausgang ruhig und ohne gefahr, vergnügt abwarten kann. Russland hat sich bereits wider die öster: Besitznehmung von Bayern erklärt. Da stehen nun über 30000 Mann bereit die Preussen zu verstecken. alle Lutherischen oder Protestantischen Fürsten sind theils unter der Hand theils offenbar mit Preussen verstanden, schweden, Hannover, Hessen, Braunschweig x x: – Sachsen ist ohnehin mit 30000 Mann bey Preussen, und damit Sachsen nicht mehr umsatteln kann, so halten die in Sachsen stehenden Preussen die Sächsischen truppen so unter ihren augen undrespective gefangen, daß sie gänzlich nicht nur untermischt sind, sondern so gar in der Hauptstatt Dressden, ja selbst der Residenz alda aller orten 2 schildwachen stehen, nämlich ein Sachse und ein Preusse. Das sagt so viel, der Sachse ist des Preussen gefangener und sein Beobachter. Bricht Russen loß – So bricht der Türk gegen Russen aus. wird Preussen durch schweden und Hannover verstärkt; so muß sich Frankreich mit den stipulierten 25000 Mann Hilfstruppen für östereich in Bewegung setzen, da giebts Krieg im Reich, Krieg in Böhmen, Mähren, schlesien, Pohlen x: und Prinz [128] Heinrich wird mit seiner Preussischen Arme versuchen ins Bayern bey Straubing (wenns ihm gelingt) einzubrechen. – dann wird sich spanien und Portugal auch erklern, – Kurz! ein erschröcklicher allgemeiner Krieg ausbrechen. Italien wird noch der ruhigste und glücklichste Ort bleiben. unter dessen wird man freilich diesen Winter hindurch sich an allen Höfen Mühe geben dieses erschröckliche übel zu verhindern. ja, da der Churfürst von Bayern und Pfalz nach Wienn gehen soll, und wie man heute sagt, bereits dahin soll abgereiset seyn, so mag es wohl dahin abziehlen einen grossen Ländervertauschungs Plan zu entwerffen, um dadurch dem Könige in Preussen und allen Widersprechern das Maul zu Stopfen, das gleichgewicht in Europa zu erhalten und dennoch die Landesvertauschung also einzurichten, daß Böhmen, franken und das Reich bedeckt und vor Preussen sicher bleibt. vielleicht könnte dieß zu stande gebracht werden, wenn östereich ganz Bayern erhielte und dagegen dem Churfürsten eben so viel von den Niederlanden abtret ten wollte, was ganz Bayern beträgt? – – Da dann der Churfürst seine Länder mehr beysammen hätte, und gegen alle Anfälle durch frankreich und östereich versichert und dadurch auch zweybrücken zu frieden gestellt würde. Du siehest also, daß nichts geringeres als eine ganze umwendung und vertauschung der Länder oder ein erschröcklicher Krieg bevorstehet, in welchen alle Mächte verwickelt werden. und da haben die grossen Herrn auf ganz etwas anders als auf Musick und Tonkünstler zu dencken. Man muß diese grosse Epoca in einem ruhigen Winkl abwarten, sonderheitlich da Preussen das ganze Römische Reich wieder östereich, östereich hingegen solches wieder Preussen auf fordert. Kurz! ein vernünftiger Mann muß auf die folgen denken, und es sind hundert andre Sachen, die den Entschluß Dich itzt ein paar Jahre hier zu haben, nothwendig machen, die alle herzusetzen nicht möglich ist. Du bist den 26ten Sept: von Paris abgereiset: wärest Du geradezu nach Salzb: gereiset, so hätte ich schon 100 fl an unsern schulden bezahlt, will sagen – bezahlen können. Ich will also, daß Du alsogleich nach meiner vorschrift abreisest, da es abscheulich ist, und ich mich schäme alle Welt versichert zu haben, daß [129] Du auf Weinnachten oder auf allerlängste auf das Neue Jahr ganz gewiß hier seyn wirst. Himmel, wie oft hast Du mich zum Lügner gemacht! – Die Sonaten für die Churfürstin sollen nichts verhindern; denn, sind sie da, – so kannst Du sie übergeben. sind sie nicht da –, so kannst Du dem hl: Cannabich Commißion geben und mit ihm auch darüber Correspondieren: da möchte der Plunder darauf warten; das wäre lächerlich –, wer weis was wieder hinter dieser schönen veranstaltung steckt! und sind sie nicht da, und kommen seiner zeit, so werde ich Rath schaffen, was zu thun ist. Nun glaube ich, daß ich mich deutlich erkleret habe –, oder muß ich selbst auf die Post sitzen und Dich abhohlen –, so weit wird es wohl doch mein Sohn nicht kommen lassen! gestern hatten wir grosse Compagnie beym Pölzlschüssen, es war ein erstaunlicher Lerm; alles empfehlt sich sonderheitl: Ceccarelli und Bullinger die Nannerl und ich Küssen Dich viel 100000 Mahl und ich bin Dein Dich erwartender Vatter

Mzt

Fußnoten

1 Antwort auf Wolfgangs Brief vom 18. Dezember.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 130.
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