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Das Haus, in welchem Gluck seine Künstlerseele aushauchte, ist ein, im Jahre 1764 erbautes, damals mit der Conscriptions-Nummer 74, heutzutage 466 bezeichnetes Haus in der Hauptstrasse der Wiener Vorstadt: »Die alte Wieden«[412] genannt, deren Gegend einst »Am obern Wagram« hiess. Eben dieses Haus, ehemals mit dem Schilde zum silbernen Löwen, liegt der freien Seitenmauer der Paulanerkirche zu den heiligen Schutzengeln gegenüber und befindet sich gegenwärtig im Besitze der Erben eines Freiherrn von Werner. Die Frau Marianna v. Gluck kaufte dasselbe am 30. Juni 1784 von den Erben des kaiserl. geheimen Reichs-Hof-Kanzellisten Pancratius von Montfort, Edlen zu Starkenburg, um 11,000 Fl. Am 1. September 1791 verkaufte sie es wieder um 13,300 Fl.
Nebst dieser Realität besass Gluck noch ein Haus sammt Garten zu Berchtholdsdorf unweit Wien am Gebirge, wo der Tonsetzer sich gewöhnlich zur Sommerszeit aufhielt, und wo im Jahre 1783 der preussische Kapellmeister Joh. Friedr. Reichardt ihn besuchte. Früher war er im Besitze eines Hauses sammt Garten am Rennwege unfern der St. Marxer Linie, damals mit der Nummer 22, jetzt 569 bezeichnet, welches lange Jahre hindurch ein Eigenthum der Frau Victoria, Gräfin von Colloredo, verwitweten Herzogin von Lothringen, sodann des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Hrn. Czapka, Ritters von Winstetten, gewesen ist, nun aber dem k.k. Militair-Aerar gehört. Gluck kaufte dieses Besitzthum im Jahre 1768 von einem Freiherrn von Sandor, und vertauschte dasselbe am 10. September 1781 (wahrscheinlich gegen das Landhaus zu Berchtholdsdorf) an den Med. Dr. Johann v. Houmburg. Dr. Charles Burney besuchte Gluck in diesem Hause.
Gluck hatte während seines ganzen Aufenthaltes in Wien, ehevor er ein eigenes Haus besass, verschiedene Wohnungen inne. Zuerst wohnte er, wie uns bekannt, in dem Laurani'schen Hause am obern Neustift, bei seiner Schwiegermutter; sodann, nach Auflösung der Kapelle des Prinzen von Sachsen-Hildburghausen, deren vorzüglichste Mitglieder in das Orchester des kaiserl. Hoftheaters eingereiht wurden, durch mehrere Jahre in dem Freiherrlich-Lopresti'schen, gegenwärtig Mauthner'schen Hause; es ist das jetzt mit Nr. 1019 bezeichnete Eckhaus der Kärnthnerstrasse und Wallfischgasse in der[413] Stadt nächst dem alten Kärnthnerthore.1 Weiters bezog er sein eigenes Haus nächst der St. Marxerlinie, wo er vom Jahre 1769 bis 1775 verweilte. Vom Jahre 1776 bis 1781 befand er sich neuerdings in dem Lopresti'schen Gebäude, und endlich vom Jahre 1782 bis 1784 am Michaels-Platze nächst der kaiserl. Hofburg Nr. 3 im Hause des Freiherrn von Gudenus, von wo er sich in sein Besitzthum auf der alten Wieden begab, in welchem er bis an sein Ende die Wintermonate zubrachte.
Nachdem die Witwe Gluck dieses Haus verkauft hatte, bezog auch sie wieder das schon gedachte Lopresti'sche Haus und blieb dort bis zu ihrem, am 12. März 1800 im 71. Altersjahre erfolgten Ableben.
Gluck hatte als k.k. Hofkompositor seit dem Monate Oktober 1774 einen Jahresgehalt von 2,000 Fl. genossen, und vom Könige von Frankreich einen zweiten von 3,000 Livres bis an sein Ende bezogen.
Er hinterliess ein Testament, das am 18. November 1787 in der Behausung des obersten Landrichters veröffentlicht wurde. (Siehe die Beilage F.)
Gluck's Vermögen umfasste die Verlassenschafts-Häuser auf der alten Wieden und zu Berchtholdsdorf, dann eine grosse Anzahl von Obligationen und Quittungen über angelegte Geldbeträge, ferner Prätiosen von verschiedener Gattung und andere werthvolle Effekten. Die Prätiosen bestanden in goldenen Ringen und Tabatieren, in Hemdknöpfchen mit Brillanten, Hosen- und Schuhschnallen, Uhren, Siegeln, Perspektiven und anderen werthvollen Sachen.
Bei Joseph Freiherrn von Fries hatte er am 1. November 1779 ein Kapital von 12,500 Fl., bei Jakob Freiherrn von Gontard ein anderes von 9,000 Fl., beide auf Leibrenten zu[414] 8 Prozent Interessen angelegt. Gluck's Gattin besass einen Satzposten von 44,000 Fl. auf dem Hause des k.k. Obersten Rochus, Freiherrn von Lopresti. Dieser war nämlich dem Hrn. Johann Osij in Rotterdam, einem reichen Grundbesitzer, laut Schuldverschreibung vom 28. November 1768, und Satzauszug vom 9. März 1769, ein versichertes Kapital von 44,000 Fl. schuldig geworden. Von diesem Betrage wurde durch das Banquierhaus Bender & Co. dem Hrn. Osij grundbücherlich die Hälfte ab-, und der Frau v. Gluck zugeschrieben. Diess geschah am 28. September und 7. November 1776. Eben so hatten die Herren Fries & Co. dem Freiherrn von Lopresti ein Kapital von 25,000 Fl. zu 5 Prozent Interessen dargeliehen und auf dessen Haus vorgemerkt. Diese Summe wurde im Jahre 1770 an den Herrn Carl Edlen v. Bender, und von diesem weiters im Jahre 1776 an Gluck's Gemahlin abgetreten. Schon aus diesen Parzellen kann man, ohne von dem Betrage der vorhandenen Staatspapiere, welche die Frau von Gluck in ihren Händen hatte, und erst nach ihrem Tode zur Verlassenschafts-Abhandlung kamen, weitere Kenntniss zu haben, auf die Vermögensumstände der Gluck'schen Familie schliessen. Im Ganzen soll, laut mündlichen Ueberlieferungen, Frau v. Gluck nach ihres Gatten Tode von ihrem Gesammtvermögen eine Jahresrente von 30,000 Fl. bezogen haben. Uebrigens darf man sich nicht wundern, dass Gluck im Testamente seine Geschwister der Willkühr seiner Gemahlin überliess: er kannte ja ihre milde Gesinnung und Grossmuth, und wusste es, dass sie sich mit jenen seiner Zeit reichlich abfinden würde. Dazu hatte er noch folgenden Grund: der grösste Theil des Vermögens, welches beide Gatten besassen, stammte vor der Pariser Reise nicht nur grösstentheils von ihr her, sondern Gluck war ihr auch in den sechziger Jahren eine Summe von 90,000 Fl. schuldig geworden, welche er während einer zeitweiligen Pachtung des Theaters eingebüsst hatte. Gluck tröstete seine Frau mit dem Versprechen, für die Pariser grosse Oper zu schreiben und ihr die verlorene Summe reichlich zu ersetzen.
Ferner darf es nicht befremden, dass Gluck die Armen[415] und öffentlichen Anstalten in seiner letztwilligen Anordnung allzu gering bedachte. Gluck hasste jeden Zwang, jede Förmlichkeit, und wollte daher auch seinem Wohlthätigkeitssinne keine Schranken ziehen lassen: das Gluck'sche Ehepaar übte ohnediess reichlich im Stillen Gutes bis an sein Ende.
Da seiner Dienerschaft testamentarisch ein Jahresgehalt zugesichert war, so erhielt der Diener Simon Handloss 144 Fl., der Kutscher Joseph Dorfmeister eben so viel, die Wirthschafterin Josepha Goldinn 50 Fl., die Köchin 30 Fl. und die Magd 26 Fl.; dem Testaments-Exekutor aber war eine goldene Tabatière bestimmt. Die genannte Dienerschaft verblieb noch im Dienste der Witwe.
Gluck war von grossem Wuchse und gerader, imposanter Haltung, von starkem Knochenbaue und breiten Schultern. Sein Körper war nie fett, aber kräftig und fleischig; sein mehr gerundetes als längliches Gesicht war von Blatternarben stark gezeichnet, die dunkelbraunen Haare meistens gepudert oder mit einer Perücke bedeckt. Aus den dunkelgrauen lebhaften Augen blitzte sehr oft ein Feuer, das, besonders wenn er zum Zorne gereizt war, eine fast unheimliche Wirkung in dem Beschauer hervorbrachte. Sein Temperament war sanguinisch-cholerisch, daher leicht aufbrausend und ungeduldig; Gluck konnte sich aber bald wieder der Fröhlichkeit hingeben, und seine Umgebung sogar mit dem entzückendsten Humor erfreuen.
Seine Liebe zur Reinlichkeit und Ordnung, an die seine sehr verständige Gattin ihn zeitlich genug gewöhnt hatte, streifte oft an Eitelkeit, aus welchem Grunde er stets nach der Mode gekleidet war, und in höheren Kreisen jederzeit im gestickten Staatskleide erschien. Auf der Gasse trug er gewöhnlich ein schönes Zimmetrohr mit goldenem Knopfe und zierlicher, mit Gold durchflochtener Seidenquaste. In diesem Aufzuge sah Ponheimer, der ehemalige Regens – Chori der Waisenhauskirche am Rennwege, da Gluck noch in dieser Gegend wohnte, ihn[416] an den Sonn- und Festtagen sehr oft zu dieser Kirche wallen, um dort dem, durch eine gute Musik verherrlichten Hochamte beizuwohnen.2
Gluck's Benehmen gegen alle Fremde, die ihn besuchten, war Anfangs etwas förmlich, und an adelige Gesittung streifend, weil er sich viel in höheren Kreisen bewegt hatte; sass er jedoch am Flügel, da war er ganz Musiker; und hatte er in einem Kränzchen von Freunden ein Glas guten Rebensaftes, den er sehr liebte, geschlürft, so wurde er so ungebunden fröhlich, dass er die ganze Gesellschaft mit seiner heiteren Laune hinzureissen vermochte.
Gluck sprach am liebsten von der Kunst, und war darin unerschöpflich; seine Ansichten und Urtheile liessen dann seine Zuhörer oft die erfreulichsten Blicke in die Tiefen seines Geistes thun. Noch in seinen letzten Lebensjahren zeigte er ein sehr empfängliches und empfindliches Herz; kaum hatte man von einer seiner Opern zu sprechen begonnen, als er sogleich daran den innigsten Antheil nahm, in Feuer und Leidenschaft gerieth und die merkwürdigsten Dinge darüber sagte. So ass und schlief er fast nicht, wenn er eben im Feuer der Arbeit war; immer von seinem Gegenstande erfüllt, sprang er oft des Nachts aus dem Bette, oder verliess im Fluge die Tafel, um seine Ideen niederzuschreiben.
Gluck hasste die Mittelmässigkeit, und wenn er Jemanden, der eine schlechte Komposition gemacht hatte, beschimpfen wollte, so sagte er zu ihm: »Du Leimer!« –
Da Gluck, wie wir bereits gestanden, von der Schwäche der Eitelkeit nicht frei war, so hörte er gern sein Lob, ja er lobte sich zuweilen selbst, wobei er jedoch gewiss nicht daran dachte, dass dieses Selbstlob als Unbescheidenheit gedeutet und getadelt werden würde: denn es führt das Selbstbewusstsein bei grossen Männern nicht selten zu diesem, übrigens sehr verzeihlichen[417] Fehler. Einen Beweis hiervon liefert uns Mad. Campan durch die Erzählung folgender Begebenheit:3
Gluck wurde am Pariser Hofe mit grösserer Auszeichnung behandelt, als Piccini und Sacchini. Er hatte stets Zutritt bei der Toilette der Königin, und während der ganzen Zeit seiner Gegenwart hörte sie nicht auf, sich mit ihm zu unterhalten. Sie fragte ihn eines Tages, ob er der Beendigung seiner grossen Oper »Armide« nahe, und damit zufrieden sei. Gluck antwortete ihr mit kalter Miene und deutschem Accente: »Madame, il est bientôt fini, et vraiment, ce sera superbe!« – Man sprach viel über diese Zuversicht, womit Gluck sich über Eine seiner Kunstschöpfungen geäussert hatte. Die Königin aber vertheidigte ihn stets mit Wärme und behauptete, dass das Verdienst seiner Werke ihm nicht gleichgiltig seyn könne; er wisse gar wohl, dass diese Meinung allgemein sei, und dass er ohne Zweifel fürchtete, jener Grad von Bescheidenheit, den der Anstand erfordert, werde bei ihm nur als Falschheit erscheinen.
Mad. de Genlis sagt in ihren »Souvenirs,« dass Gluck von Piccini stets mit Gerechtigkeit und Einfachheit sprach. Man fühlte, dass dieses ohne Prahlerei geschah, und dass er stets wahrhaft war.
Gluck zeigte einen grossen Widerstand, seiner »Iphigénie en Aulide« lange Ballete einzuschalten. Vestris bedauerte sehr, dass diese Oper nicht mit einem Musikstücke geendet würde, das man »Chaconne« nennt, und worin dieser Gott des Tanzes allen seinen Talenten Geltung verschaffen könnte. Er beklagte sich darüber bei Gluck. Dieser aber, der seine Kunst mit aller Würde, die sie verdiente, behandelte, hörte nicht auf zu sagen, dass bei einer so ernsten und interessanten Handlung Sprünge und Tänze ganz am unrechten Orte wären. Bei den wiederholten Bitten des Vestris gerieth Gluck in Zorn und rief: »Eine Chaconne – eine Chaconne? – Sind es nicht Griechen, deren Sitten wir zeichnen? Hatten diese denn Chaconnes?« –[418] »Es ist wahr, sie hatten keine« – erwiderte der erstaunte Tänzer, »aber meiner Treu'! desto schlimmer für sie!« –
Gluck hatte einen geraden, fast unbeugsamen Charakter, welche Eigenschaft, zumal in seinem Wirkungskreise und den damit verbundenen Bestrebungen scharf hervortrat. Er war daher ein strenger Zuchtmeister, und eben so furchtbar als Haendel, wenn er ein Orchester leitete. Dennoch, wenn dieser Punkt gelegentlich zur Sprache gebracht wurde, versicherte er, dass er seine Brigade niemals widerspenstig gefunden habe, obschon er es nie duldete, dass die Glieder des Orchesters jemals den geringsten Theil ihrer Pflichten versäumten, und er sie zuweilen manche Stelle wohl zwanzig- bis dreissigmal habe wiederholen lassen. Diess war der beste Beweis von der Nützlichkeit seiner Mannszucht: denn, wenn Menschen, welche keine Sklaven ihres Befehlshabers sind, seine Befehle dennoch ohne Murren vollziehen, lässt sich leicht vermuthen, dass sie selbst von ihrer Zweckmässigkeit überzeugt sind.
Eben so gross war seine Geistesgegenwart, die er bei verschiedenen Gelegenheiten kund gab.
In Hinsicht dieser, fast bis an den Eigensinn gränzenden Genauigkeit Gluck's in der Direktion seines Orchesters theilt uns C.Fr. Cramer4 in einem Schreiben über den damals sehr berühmten Contrabassisten Joseph Kämpfer, einen geborenen Ungarn und ehemaligen kaiserl. Offizier, Folgendes mit: »So ein gutmüthiger, lieber Mann der Herr von Gluck in jedem andern Lebensverhältniss ist, so macht er doch, sobald er auf dem Platze als Direktor steht, den wahren Tyrannen, der durch den geringsten Schein von Fehler in Harnisch und bis zu den stärksten Aeusserungen der Hitze gebracht wird. Zwanzig, dreissig Male reichen nicht hin, dass er die geübtesten Spieler der Kapelle, unter denen gewiss Virtuosen sind, die Passagen wiederholen lässt, bis sie die von ihm bezweckte Wirkung des[419] Ensemble hervorbringen. Er brusquirt sie alsdann so sehr, dass sie ihm schon oft den Gehorsam aufgekündigt, und nur durch Zureden des Kaisers: ›Ihr wisst ja, er ist nun einmal so. Er meint es nicht so arg‹ – haben bewogen werden können, unter ihm zu spielen. Auch müssen sie immer doppelt bezahlt werden, und diejenigen, die z.B. für ihr Spielen sonst einen Dukaten erhielten, bekommen, wenn Gluck dirigirt, deren zwei. Kein Fortissimo kann ihm an gewissen Stellen stark und kein Pianissimo schwach genug seyn. Dabei ist es ganz originell, wie jede Stelle des Affekts, des wilden, sanften, traurigen, sich am Klavier in allen seinen Mienen und Geberden malt. Er lebt und stirbt mit seinen Helden, wüthet mit dem Achill, weint mit der Iphigenia, und in der Sterbe-Arie der Alceste bei der Stelle: ›Manco .... moro .... e in tanto affanno non hò pianto‹ etc. – sinkt er ordentlich zurück, und wird mit ihr beinahe zur Leiche.« –
Dieses Alles stimmt mit andern Zügen überein, die C.Fr. Cramer aus dem Munde Klopstock's, der Gluck innigst liebte, vernommen hat. Er lernte ihn am Hofe des Markgrafen von Baden kennen, wo der Tonsetzer sich im Sommer des Jahres 1774 durch einige Tage mit seiner Gattin und Nichte aufhielt. Der vortreffliche Gesang dieser liebenswürdigen Sängerin, über deren Verlust ganz Wien trauerte, und mit der Gluck selbst die grösste Freude und den ganzen Trost seines Lebens hinschwinden sah, ist zu bekannt, als dass davon noch ein Mehreres anzuführen wäre. Dessen ungeachtet, sagte Klopstock, unterbrach Gluck am Klaviere sie nicht selten plötzlich mitten im reizendsten Vortrage eines Stückes, und das selbst in Gegenwart des Hofes, ziemlich hart, durch ein: »Halt! das war falsch! noch einmal!« – Und wenn dann etwa Jemand in der Gesellschaft, selbst ein Kenner, der nicht den geringsten Fehler in der Intonation oder in dem Ausdrucke zu bemerken glaubte, zu Gluck sagte: »Aber worin liegt denn der Fehler?« – so konnte diese Frage ihn in grossen Unwillen versetzen: »Was? das hören Sie nicht? – Wehe Ihnen, wenn Sie das nicht hören! da liegt's!« – Und doch war es manchmal nur eine feine[420] Schattirung, die im Laufe des Stückes gewiss Niemand, ausser Gluck, bemerkt hatte oder bemerkt haben konnte.
In seinen Kompositionen hatte er eine ganz eigene Rangordnung, und es waren darunter Lieblingsstücke, in denen ihm seine Nichte selbst nicht zu Danke sang. Klopstock wünschte vergeblich seine Sommernacht (Willkommen, o silberner Mond etc.) von ihr zu hören. »Das kann sie noch nicht singen,« sagte er, und sang's dann selber Klopstocken mit seiner eigenen, zwar rauhen, aber ausdrucksvollen Stimme vor. Gleichwohl ist das Stück dem Anscheine nach sehr leicht: aber der Affekt! – Man sieht daraus, was Gluck forderte.
In Paris hat er es eben so gemacht. Man stelle sich so eine französische Opern-Sängerin vor, von Gold und Diamanten strotzend, von Prinzen und dem ganzen Pariser Publikum gefeiert, zu der so ein deutscher Tonsetzer kömmt, und die nun mit ihrer siegenden Miene ganz stolz an den Flügel hintritt, um ihren Gesang von ihm bewundern zu lassen; und da er vorbei ist, erschallt statt des »Bravo« ganz kalt sein: »Mademoiselle, il faut bien recommencer!« – So ist aber nun einmal seine Weise gewesen. Die Opernprinzessinnen haben sich beleidigt gefühlt, sich in die Lippen gebissen, sich gesträubt: aber es hat Alles nichts geholfen; Gluck erklärte ihnen ganz deutsch und rund: »Sehen Sie, Mademoiselle! man hat mich kommen lassen, die ›Iphigénie‹ aufzuführen, – wollen Sie singen, so ist's gut – wollen Sie nicht, so steht das bei Ihnen; nur gehe ich dann zur Königin, und sage: Ich kann die Oper nicht aufführen, setze mich in meinen Wagen und reise morgen wieder nach Wien zurück.« – Gluck hätte es auch gewiss gethan; und wollten die Damen gut oder übel, sie mussten sich am Ende doch bequemen.5 Das hiess doch in der That: »Faire bonne mine à mauvais jeu!«
Der deutsche Tonsetzer Haendel war im Stande, dasselbe zu thun, und hat, wie bekannt, in England ähnliche Proben abgelegt.[421]
Einmal kroch Gluck in einer Opernaufführung unter den Pulten hinweg zu einem Contrabassisten hin, der in der Irre ging und auf des Meisters Ruf und Wink nicht achtete; er kniff ihn so derb in die Waden, dass jener hochaufschrie und die Riesengeige unter heftigem Gepolter hinwarf.
Ein anderes Mal bliesen ihm die Trompeter bei einem kriegerischen Gefechte nicht stark genug; Gluck schrie zuletzt aus vollem Halse: »Mehr Blech! mehr Blech!« – Beide Anekdoten hat der Kaiser Joseph dem Kapellmeister Reichardt erzählt.
Mit der Unbeugsamkeit seines Charakters verband Gluck Geistesgegenwart und hohen Muth. Er gerieth in so mancherlei Lagen des Lebens, in denen er beide Eigenschaften zu bewähren Gelegenheit hatte.
Als Gluck in Wien eine seiner Opern am Flügel leitete, ergriff am Ende des ersten Ballets das Feuer eine Coulisse. Es entstand ein grosser Tumult im Theater; die Tänzer zogen sich zurück und die Zuschauer suchten sich zu retten. Das Feuer wurde indessen gelöscht, und man befahl, den zweiten Akt der Oper anzufangen. Gluck widersetzte sich aber, weil der Lärm sich noch nicht ganz gelegt hatte, und verlangte, das Ballet solle noch einmal gegeben werden. Darüber entstand ein heftiger Streit. Die Tänzerinnen zitterten noch vor Schrecken und die Tänzer waren bereits entkleidet. Gluck stieg endlich auf einen Stuhl und rief in Gegenwart des a.h. Hofes laut über's Theater hin: »Entweder das Ballet wird noch einmal getanzt, oder die Oper ist für heute zu Ende.« – Man war gezwungen, das Ballet noch einmal zu beginnen, worauf die Oper mit grossem Beifalle fortgespielt wurde. Dieser bewunderungswürdige Muth hat ihm besonders in Frankreich grosse Dienste geleistet.6
Als Gluck's »Iphigénie en Aulide« das erste Mal aufgeführt werden sollte, wurde gemeldet, dass der erste Sänger plötzlich erkrankt sei und dessen Rolle an diesem Abend von einem Andern vorgetragen werden müsse. Gluck witterte dahinter eine[422] Kabale, um den Fall der neuen Oper herbeizuführen; er verlangte daher den Verschub der Aufführung. Man versicherte ihn, diess sei unmöglich, das Stück bereits angekündigt, dem Hofe gemeldet, und die plötzliche Verschiebung einer erwarteten Vorstellung ohne Beispiel, das Stück müsse also nothwendig, so gut es seyn könne, gegeben werden. Gluck erklärte dagegen, er würde seine Oper lieber in's Feuer werfen, als eine verstümmelte Vorstellung gestatten, und blieb unerschütterlich bei seinem Beschlusse. Man unterrichtete den Hof davon, und die Vorstellung wurde wirklich verschoben.
Gluck war sehr geistreich; seine Aeusserungen über Gegenstände der Kunst überragten oft weit den Kreis gewöhnlicher Anschauungen und bewiesen hinreichend, wie reiflich er über alle Künste, besonders über Musik und Dichtkunst, nachgedacht, und welch ungewöhnlichen Grad von Bildung er sich erworben hatte.
Folgende, von Einem der vertrautesten Freunde des Genfer Philosophen, Hrn. Olivier de Corancey7 über beide Männer aufgezeichnete Daten werden uns manchen Blick in Gluck's Seele gestatten, und dem Obgesagten zum Beweise dienen. Corancey's genaue Verbindung mit Rousseau verschaffte ihm auch die Bekanntschaft mit dem Ritter Gluck. Als dieser nach Paris kam, und den lebhaften Wunsch äusserte, dem Genfer Philosophen vorgestellt zu werden, rieth man ihm, da es mit[423] dem Zutritt zu diesem immer etwas schwer hielt, sich an Herrn von Corancey zu wenden. Letzterer machte Rousseau den Vorschlag zu einer Zusammenkunft und der Philosoph willigte ein. Dadurch hatte Herr von Corancey sich dem Ritter von Gluck sehr verbindlich gemacht, und dieser liess auch keine Gelegenheit vorbeigehen, jenem die thätigsten Beweise seiner Dankbarkeit an den Tag zu legen.
Eines Tages, erzählt Corancey, sagte Rousseau zu mir – es war noch vor der ersten Aufführung der Gluck'schen »Iphigénie en Aulide«: – »Ich habe viele italische Partituren gesehen, in denen sich echt dramatische Stücke finden. Aber Gluck scheint es sich zum Gegenstande seiner Studien gemacht zu haben, dass er jede seiner Personen in jener Sprache reden lässt, die für sie passt; und das Bewunderungswürdigste hierbei ist, dass die einmal angenommene Sprache sich durch das ganze Stück getreu bleibt. – Seine Geistesfähigkeit in diesem Punkte hat ihn zu einem Anachronismus verleitet.« – Verwundert über diese Aeusserung, bat ich ihn, mir ihren Sinn zu erklären. Rousseau fuhr fort: »Gluck hat in die Rolle des Paris mit dem glänzendsten Aufwande den höchsten Grad der Weichheit gelegt, dessen die Musik fähig ist; über Helena's Wesen hingegen ist eine gewisse Strenge verbreitet, die auch im Ausdruck ihrer Liebe zu Paris immer noch fühlbar bleibt. Die Ursache dieses Unterschieds ist ohne Zweifel darin zu suchen, dass Paris ein Phrygier war, Helena aber eine Spartanerin; aber er hat dabei nicht auf die Zeit, in der sie lebten, Rücksicht genommen. Erst den Gesetzen Lykurg's verdankte Sparta die Strenge seiner Sitten und seiner Sprache. Lykurg aber ist weit später als Helena.« – Ich theilte diese Bemerkung dem Komponisten mit. – »Ich wäre sehr glücklich« – sagte dieser – »wenn meine Zuschauer mich so zu verstehen, mir so zu folgen im Stande wären. Sagen Sie Herrn Rousseau, dass ich ihm für die Aufmerksamkeit danke, die er meinen Werken widmet; bemerken Sie ihm aber zu gleicher Zeit, dass die Anklage des Anachronismus mich nicht trifft. Wenn ich meiner Helena einen Anstrich von Strenge gab, so geschah dieses nicht aus[424] dem Grunde, weil sie eine Spartanerin, sondern weil sie beim Homer selbst diesen Charakter hat. Sagen Sie ihm, um die Sache mit Einem Worte auszudrücken, dass sie von Hektor geachtet wurde.« –
Ganz Paris war Zeuge, wie Rousseau, der lange Zeit hindurch kein Schauspielhaus mehr betreten hatte, alle Vorstellungen des Orphée ohne Unterbrechung besuchte. Bei einer derselben geschah es, dass er öffentlich erklärte, durch Gluck sei er nun von der Falschheit seiner früheren Behauptung, dass zu französischen Worten sich keine gute Musik komponiren lasse, überzeugt worden. – Ein anderes Mal sagte er zu mir: »Ich bin weit entfernt, die Meinung derjenigen zu theilen, welche Gluck Mangel an Melodie vorwerfen. Ich finde, dass ihm die Melodie bei allen Poren herausströmt.«
Eines Tages fragte ich Gluck, warum seine Kompositionen für mich armen Layen in der Musik etwas so Ergreifendes hätten, dass ich während ihrer Aufführung nicht die geringste Störung leiden könnte; warum im Gegentheile alle früheren Opern mir kalt und einförmig vorkämen, und meinem Ohre eine Arie wie die andere, ein Duett wie das andere klänge? – »Die Ursache hiervon,« antwortete er mir, »ist nur Eine, die aber freilich höchst wichtig ist. Ehe ich arbeite, suche ich vor allen Dingen zu vergessen, dass ich Musiker bin. Ich vergesse mich selber, um nur meine Personen zu sehen. Das entgegengesetzte Verfahren ist es eben, was allen Künsten so verderblich ist. Der Dichter, weil er sein Ich nicht vergessen will, macht Tiraden, in denen zwar manches Schöne vorkommt, die aber, weil sie widernatürlich sind, die Handlung tödten; der Maler will die Natur überbieten, und wird dadurch unwahr; der Schauspieler will deklamiren und wird frostig; der Tonsetzer sucht zu glänzen, erregt aber nur Ueberdruss und Langeweile. Seine Arien, seine Duetten, die Ihnen so ähnlich scheinen, sind es nicht wirklich; wären Sie Musiker, so würden Sie diesen Vorwurf ihnen nicht machen; sie würden in ihnen nicht nur sehr merkbare Verschiedenheiten, sondern auch manche Schönheiten entdecken, die Ihr Urtheil wider Ihren Willen mildern[425] würden. Ihre Bemerkung klingt indess immer traurig genug; denn wenn Ihr Gefühl alle jene Stücke für ähnlich hält, so kann man sich dieses nur durch den Mangel an Wirkung erklären.« –
Als Gluck eines Tages wieder bei mir war, sang Jemand aus der 3. Scene des I. Akts der Oper »Iphigénie en Aulide« die Arie: »Peuvent-ils ordonner qu'un père« etc. – Da bemerkte ich bei der Stelle: »Je n'obéirai point à cet ordre inhumain,« – dass das Wort »Je« das erste Mal durch eine Viertelnote, bei der Wiederholung aber durch ein Achtel ausgedrückt ist. Ich sagte zu Gluck, dass die lange Note auf dem Worte »Je« mir unangenehm aufgefallen wäre, und dass ich mich um so mehr wundern müsste, wie er sie das erste Mal so habe setzen können, da er sie in der Folge mit einer kurzen vertauschte, woraus hervorzugehen scheine, dass er selbst kein grosses Gewicht darauf lege. – »Hat wohl,« fragte er mich, »diese lange Note, die Ihnen hier im Zimmer unangenehm fällt, auch im Theater einen widrigen Eindruck auf Sie gemacht?« – Ich verneinte. – »Nun,« setzte er hinzu, »so könnte mir die Antwort genügen, und da ich nicht immer bei Ihnen bin, so bitte ich, diese Frage sich in jedem ähnlichen Falle selbst zu beantworten. Habe ich auf dem Theater gefallen, so ist meine Absicht erreicht und ich versichere Sie, dass mir wenig daran liegt, ob meine Musik in einem Salon oder in einem Konzerte Beifall findet. Wie es sich oft trifft, dass eine gute Konzertmusik auf dem Theater keine Wirkung macht, so ist es auch in der Natur der Sache gegründet, dass eine gute dramatische Musik im Konzerte häufig missfällt. Ihr Einwurf ist der eines Menschen, der sich auf der Kuppel eines hohen Gebäudes befindet, und dem unten stehenden Maler zurufen würde: ›Mein Herr! was machen Sie da? Ist das eine Nase? Ist das ein Arm? – Wahrlich, das gleicht keinem von Beiden!‹ – Aber der Maler würde ihm mit grösserem Rechte zurufen: ›Steigen Sie herunter, mein Herr! sehen Sie erst, und dann urtheilen Sie!‹ – Was die Viertelnote auf dem ›Je‹ betrifft, als es Agamemnon zuerst ausspricht, so wollen Sie erwägen, dass gerade in diesem Augenblick zwei[426] feindliche Mächte, Natur und Religion in ihm kämpfen. Die Natur trägt endlich den Sieg davon, aber ehe er das schreckliche Wort, womit er den Göttern trotzt, ausspricht, muss er zaudern; dieses Zaudern nun wird durch eine lange Note ausgedrückt; nun aber, da das Wort einmal seinen Lippen entflohen ist, mag er es wiederholen, so oft er will, es findet kein Zaudern mehr Statt; hier wäre also eine lange Note mehr als ein Fehler gegen die Prosodie.«
Ich fragte ihn einst, warum die wüthende Arie desAchilles in der 2. Scene des III. Aktes: »Calchas d'un trait mortel percé« etc. – immer einen solchen Schauder in mir erregte, und mich selbst gleichsam in die Lage des Helden versetzte, da sie doch, allein gesungen, durchaus nichts Drohendes und Fürchterliches hätte und nur wie eine angenehme Marschmelodie klänge. – »Vor allen Dingen,« antwortete Gluck, »müssen Sie wissen, dass die Musik, besonders in ihrem melodischen Theile, sehr beschränkte Mittel hat. Es ist unmöglich, durch die Verbindung der Noten allein, aus denen die Melodie entsteht, gewisse Leidenschaften charakteristisch auszudrücken. Der Komponist kann in solchen Fällen freilich seine Zuflucht zur Harmonie nehmen: allein auch diese reicht nicht immer aus. In der Arie, von der Sie sprechen, besteht meine ganze Zauberkunst nur in der Natur des unmittelbar vorhergehenden Gesanges und in der Wahl der ihn begleitenden Instrumente. Lange Zeit hören Sie nichts als Iphigenia's zärtliche Sehnsucht und ihren Abschied von dem Geliebten. Die Violinen, Fagotte, und die traurigen Töne der Violen spielen in dieser Scene eine Hauptrolle. Ist es demnach ein Wunder, wenn das so berührte Ohr durch das plötzlich eintretende, durchdringende Unisono aller militärischen Instrumente erschüttert, der Zuhörer in die ungewöhnlichste Bewegung versetzt wird, – eine Bewegung, welche in ihm hervorzubringen freilich meine Pflicht war, deren hauptsächliche Stärke aber nichts desto weniger auf einem rein physischen Grunde beruht?« –
Man kann übrigens nicht sagen, Gluck habe diese grossen Effekte nicht vorbereitet, ohne ihren Erfolg vorhergesehen zu[427] haben. Jedermann weiss es, was er zum Schauspieler Larrivée sagte, als er ihm die Rolle des Ritters Ubalde in der »Armida« übergab: »Ich erwarte von Ihrer Gefälligkeit, dass Sie eine Rolle übernehmen, die zu unbedeutend ist, um Ihren Talenten zu entsprechen. Aber es ist ein Vers darin, der, wie ich hoffe, Sie schon allein entschädigen wird. Es ist der Vers: ›Notre Général vous rappelle.‹« – Der Erfolg bewies, wie richtig Gluck prophezeit hatte.
Eines Tages spielte Gluck auf seinem Flügel die bekannte Stelle aus der »Iphigénie en Tauride,« woOrest, im Gefängniss sich selbst überlassen, als die quälenden Furien von ihm weichen, sich auf eine Bank wirft und sagt: »Le calme rentre dans mon coeur.« – Einer aus der Gesellschaft machte die Anmerkung, dass mit dieser Aeusserung die immer noch fortarbeitenden Bässe im Widerspruche stünden. Er theilte sie dem Komponisten mit, indem er hinzufügte: »Orestes ist ruhig, wie er es denn auch selbst sagt.« – »Er lügt« – antwortete Gluck mit Lebhaftigkeit: »er hält für Ruhe, was blosse Erschöpfung seiner Organe ist. Aber die Furien sind immer hier (indem er auf seine Brust schlug), er hat seine Mutter ermordet!« – – Es gibt, sagt die Gräfin Genlis,8 nichts Erhabeneres, als dieses Wort, das so ganz der Tiefe seiner Seele entsprungen ist; eben so erhaben ist die Idee, die trügerischen Worte des Orest, der sich zu täuschen sucht, Lügen zu strafen, und zwar durch jene geräuschvolle, den inneren Aufruhr und Schrecken ausdrückende Begleitung, deren ungestüme, rasche, abgebrochene und lärmende Töne der Einbildungskraft alle, in seinem Herzen versammelten Furien vorstellen: denn man glaubt ihre tausend Dolchstiche zu sehen und zu hören. – Nie hat ein musikalischer Gedanke, ja nicht einmal ein dramatischer, ein solches Genie geoffenbaret! –
Eines Tages sagte Jean-Jacques zu dem oft gedachten Freunde Corancey: »Das, was ich in den Gluck'schen Werken vorzüglich schön und ausserordentlich finde, sind nicht sowohl[428] die hervorragenden Schönheiten, von denen seine Werke voll sind, als vielmehr seine weise Mässigung und Enthaltsamkeit. In Absicht auf das, was man das Gefühl des Schicklichen in der Kunst nennt, halte ich nichts für vollkommener, als die Scene desOrphée in den elysischen Feldern. Man sieht da durchgehends den Genuss eines reinen und stillen Glücks mit solcher Gleichheit im Ausdrucke dargestellt, dass weder der Gesang noch die Tanzmelodie das bestimmte Mass dieses heiteren Genusses überschreitet.«
Ein so rühmliches Urtheil aus dem Munde eines Mannes, wie Rousseau, schien mir viel zu schmeichelhaft, als dass ich es nicht für meine Pflicht gehalten hätte, dasselbe dem Ritter Gluck mitzutheilen: »Ich richtete« – antwortete dieser mir darauf – »mich bloss nach der Schilderung, welche Euridice von dem Aufenthalte der Seligen macht:
›Rien ici n'enflamme – l'âme,
Une douce ivresse – laisse
Un calme heureux dans tous les sens.‹«
»Das Glück des Tugendhaften,« setzte er hinzu, »soll vorzüglich in seiner Fortdauer bestehen, folglich muss es sich auch immer gleich bleiben: denn das, was wir eigentlich Vergnügen nennen, kann daselbst nicht Statt finden, weil das Vergnügen verschiedener Abstufungen fähig ist; sonst wird es in der Länge zum Ueberdruss.« –
Einst machte ich ihm den Vorwurf, dass in der Oper »Iphigénie« der Chor der Soldaten, welche mit Ungestüm die Uebergabe des Opfers fordern, nichts Ausgezeichnetes im Gesange habe, und dann Note für Note wiederholt würde, da doch die Abwechslung zur Sache wesentlich nothwendig sei. Darauf erwiderte Gluck: »Diese Soldaten verliessen Alles, was ihnen theuer war, ihr Vaterland, ihre Weiber und Kinder, in der einzigen Hoffnung, Troja zu plündern. Eine Windstille überfällt sie unverhofft auf der Mitte des Weges, und zwingt sie, im Hafen von Aulis zu verweilen. Ein widriger Wind würde ihnen minder unangenehm gewesen seyn; er würde sie zu den Ihrigen zurückgebracht haben. Setzen Sie nun den Fall, dass eine grosse[429] Provinz von einer drückenden Hungersnoth heimgesucht wird. Die Bürger versammeln sich in grosser Menge und rufen stürmisch nach dem Statthalter. Dieser erscheint auf dem Balkone und fragt: ›Meine Kinder, was wollt ihr, – was verlangt ihr?‹ – Sie rufen ihm zu: ›Brod! Brod!‹ – Und so oft er sie unterbricht, und ihnen Vorstellungen machen will, wiederholen sie nur den Ruf: ›Brod! Brod!‹ – und immer nur dieses einzige kurze Wort und immer in demselben Tone: denn die hohen Leidenschaften haben nur Einen Accent. Nun sehen Sie, diese Soldaten hier fordern das Schlachtopfer; alle übrigen Umstände sind in ihren Augen nichts; sie denken nichts, als Troja, oder die Rückkehr in's Vaterland; sie dürfen daher nur die nämlichen Worte, und diese stets mit demselben Accente hören lassen. Zwar hätte ich einen schönen musikalischen Chor verfertigen, und, um dem Ohre zu schmeicheln, demselben auch einige Abwechslung geben können: allein, dann wäre ich weiter nichts, als ein blosser Musiker gewesen, und hätte die Bahn der Natur, von der ich nie abweichen mag, verlassen. Glauben Sie übrigens keineswegs, dass Sie durch das Vergnügen, ein schönes Musikstück zu hören, gewonnen hätten; ich versichere Sie im Gegentheile, Sie würden dabei verloren haben: denn eine Schönheit am unrechten Orte hat nicht nur den Nachtheil, einen grossen Theil ihrer Wirkung zu verlieren, sondern auch dem Ganzen zu schaden, indem sie den Zuschauer irre leitet, der sich dann nicht wieder so leicht in die gehörige Lage findet, dem Gange des Drama's mit Interesse zu folgen.« –
Ungeachtet meiner gänzlichen Unwissenheit in der Musik, liess Gluck sich keineswegs durch meine Fragen verdriesslich machen. Ich durfte kein Bedenken tragen, solche an ihn zu stellen, besonders, wenn es sich darum handelte, einen scheinbaren Fehler zu berichtigen. Seine Antworten hatten immer einen solchen Charakter von Einfachheit und Wahrheit, die meine Hochachtung für ihn von Tag zu Tage vermehrte. Gluck's grosse Fertigkeit, alle dramatischen Situationen aus ihrem wahren Gesichtspunkte zu betrachten, setzte ihn auch in den Stand,[430] über ähnliche Beziehungen in den Werken anderer Meister mit grösster Leichtigkeit zu urtheilen.
Man äusserte einst in seiner Gegenwart ein Missfallen darüber, dass der Chor im zweiten Akte der Oper »Castor und Pollux« – von Rameau so viel Aehnlichkeit mit dem Kirchengesange habe. »Geben Sie nur Acht« – rief Gluck – »hier ist keine nachgeahmte Handlung: Der Staat ist da!« –
Als die Oper »Alceste« zum ersten Male probirt wurde, war ich ebenfalls gegenwärtig, wähnte aber in dem nicht beleuchteten Theater ganz allein zu seyn. Der Marsch der Priesterinnen entrang mir wahrscheinlich ein lautes äusseres Zeichen des Beifalls. Gluck stand, von mir unbemerkt, in meiner Nähe. »Dieser Marsch,« sagte er, indem er näher zu mir trat, »scheint Ihnen zu gefallen?« – Ganz ausserordentlich, erwiderte ich; ich finde darin einen höchst religiösen Charakter, der zu gleicher Zeit angenehme und schauervolle Empfindungen in mir erweckt. »Hiervon,« sagte er, »will ich Ihnen den Grund angeben. Ich habe beobachtet, dass alle griechischen Dichter heilige Hymnen für die Tempel ihrer Gottheiten gedichtet haben, und sich dabei an ein gewisses herrschendes Metrum banden, das wahrscheinlich an sich etwas Heiliges und Religiöses hatte. Als ich nun diesen Marsch setzte, beobachtete ich dieselbe Folge der langen und kurzen Sylben, und nehme jetzt wahr, dass ich nicht unrecht that. Das« – setzte er hinzu und klopfte mich auf die Achsel – »das kam von so stolzen Menschen, wie diese Griechen waren!« Ich sah an seiner heiteren Miene, dass er die Wirkung, welche dieser Marsch auf mich gemacht hatte, keineswegs sich selbst, sondern lediglich den Griechen zuschrieb.
Es kann Manchem unwahrscheinlich vorkommen, dass ein Mann auf diesem Höhenpunkte der Kunst, und mit so neuen, ganz unbekannten Mitteln begabt, sich weder auf der einen Seite durch Schmeicheleien oder selbst durch gewagten Beifall bethören, noch auf der anderen Seite durch schiefe Urtheile muthlos machen liess. Sein Zweck war unstreitig der Zweck aller Tonsetzer, den Beifall des Publikums zu erhalten, jedoch mit dem Unterschiede, dass jene sehr oft zuerst den Geschmack[431] des Publikums studieren, um sich darnach richten zu können. Gluck hingegen strebte, seine Zuhörer aufzuklären, sich dem falschen Geschmacke zu widersetzen, oder denselben zu verbessern, ihn auf das Erhabene zurück zu führen und seine Zuschauer für die Wahrheit zu gewinnen.
Die Oper »Alceste« blieb bei der ersten und zweiten Vorstellung ohne alle Wirkung. Ich begegnete Gluck bei der letzteren in den Seitengängen des Theaters; ich sah, dass er weit eher damit beschäftiget schien, den Grund eines in seinen Augen so ungewöhnlichen Ereignisses zu entdecken, als wegen dieses ungünstigen Erfolges noch ferner niedergeschlagen oder bekümmert zu seyn. »Es wäre lächerlich,« sagte er, »wenn diese Oper sich nicht erheben sollte; auch würde es ein merkwürdiger Umstand in der Geschichte des Geschmacks Ihrer Nation seyn. Ich begreife ganz, wie ein nach dem gewöhnlichen Zuschnitte komponirtes Stück sein Glück machen kann, oder nicht: dieses hängt lediglich von dem verschiedenen Geschmacke der Zuschauer ab. Ich begreife sogar, wie ein Stück dieser Gattung Anfangs mit günstigem Vorurtheile aufgenommen, später in Gegenwart und fast mit Zustimmung seiner ersten Bewunderer ausgezischt werden kann: aber wenn ich eine Komposition wirkungslos bleiben sehe, die nichts als die reine, wahre Abspiegelung der Natur ist, und in welcher die Leidenschaft ihren eigenthümlichen Ausdruck hat: dieses, ich muss es gestehen, führt mich doch ein wenig irre. ›Alceste,‹ fuhr er in einem etwas stolzen Tone fort, ›Alceste‹ soll vielleicht jetzt, in ihrer Neuheit nicht gefallen; es war für sie noch nicht der rechte Zeitpunkt da: ich behaupte aber, dass sie in zweihundert Jahren, wenn die französische Sprache sich nicht etwa verändert hat, noch gefallen werde: denn ich bin überzeugt, dass sie mit allen Grundsätzen der Natur übereinstimmt, die keiner Mode unterworfen sind.« – –
»Der Chor der unterirdischen Gottheiten erfüllte mich ganz mit Entsetzen, nur konnte ich nicht begreifen, wodurch Gluck sich verleiten liess, vier Verse auf eine und dieselbe Note singen zu lassen. Er gab mir hierauf zur Antwort: es sei nicht möglich,[432] die Sprache eingebildeter Wesen nachzuahmen, weil wir sie noch nicht gehört hätten; aber man muss sich bemühen, den Ideen nahe zu kommen, welche die, ihnen zugedachten Verrichtungen in uns erwecken. Die Teufel z.B. haben, nach der einmal von ihnen angenommenen Vorstellung einen völlig bekannten und entschiedenen Charakter. Ein Uebermass von Raserei und Wuth darf in ihnen vorherrschen: aber die unterirdischen Gottheiten sind keine Teufel; und da sie nur die Diener des Schicksals sind, so werden sie von keiner ihnen eigenthümlichen Leidenschaft umhergetrieben; sie sind vielmehr ganz leidenschaftslos. Alceste und Admet erscheinen ihnen als gleichgiltige Gegenstände; nur der Rathschluss des Schicksals muss an ihnen erfüllt werden. Um nun diese Unempfindlichkeit, die sie hauptsächlich charakterisirt, zu offenbaren, glaubte ich nichts Besseres thun zu können, als sie in einem Tone singen, durch das Orchester aber all das Furchtbare ausdrücken zu lassen, was durch jene angekündigt wird.« –
Wir sehen, dass Gluck sich über seine Kunst nicht täuschte; er hatte ihr Wesen zu tief ergründet. Er wusste überdiess, dass das Ohr leicht ermüdet wird, und dass dann auf keine Wirkung mehr zu rechnen ist; desswegen beschränkte er, wo er nur konnte, die von ihm zur Komposition übernommenen Stücke auf drei Akte. Neben der Verbindung der einzelnen Theile zu einem Ganzen suchte er zu gleicher Zeit eine solche Abwechslung hervorzubringen, welche die Aufmerksamkeit der Zuschauer bis an's Ende fesselte, ohne dass diese Absicht von ihnen errathen wurde, wesshalb er auch eine Manier angenommen hatte, die nur ihm eigenthümlich war. – »Zuerst,« sagte er, »gehe ich immer jeden Akt einzeln durch, sodann das ganze Stück. Den Plan der Komposition entwerfe ich immer, wenn ich mitten im Parterre sitze. Bin ich einmal mit der Komposition des Ganzen und mit der Charakteristik der Hauptpersonen im Reinen, so betrachte ich die Oper als fertig, obgleich ich noch keine Note niedergeschrieben habe. Diese Vorbereitung kostet mich aber auch gewöhnlich ein ganzes Jahr, und zieht mir nicht selten eine schwere Krankheit zu: und dennoch heissen das[433] viele Leute ›leichte Lieder komponiren (faire des Chansons.)‹« –
Mit dieser Aeusserung ist folgende Begebenheit in Einklang zu bringen: Gluck, der bei seiner letzten Anwesenheit in Paris schon fünf und sechzig Jahre zählte, traf einst in einer Gesellschaft seinen um 14 Jahre jüngeren Nebenbuhler Piccini. Das Gespräch fiel auf die Opern-Kompositionen, und Jemand aus der Versammlung fragte Gluck, wie viele Opern er geschrieben habe? – »Nicht viele« – antwortete er – »ich glaube kaum deren zwanzig, und auch diese mit vielem Studium und grosser Anstrengung!« – Der andere, in der Nähe befindliche Meister sagte hierauf, ohne gefragt worden zu seyn: »Ich mehr als hundert, und zwar mit sehr wenig Mühe!« – Gluck flüsterte ihm zu: »Das sollten Sie nicht sagen, lieber Freund!«
Gluck hatte sehr viel Achtung für Rameau: denn er wusste wohl, was die Kunst und er selbst diesem Manne schuldete. Besonders gedachte er oft mit hohem Lobe des Chores: »Que tout gemisse« aus der Oper »Castor et Pollux,« dessen Ausdruck so einfach und gross, so pathetisch und wahr ist.
Einer, der Gluck zu schmeicheln gedachte, sagte einst zu ihm: »Welch ein Unterschied waltet zwischen jenem Chor und dem neuen Opferchor im III. Akte der ›Iphigénie en Aulide!‹ Dieser versetzt uns in einen Tempel, Rameau's Musik ist ganz eigentlich Kirchenmusik.« »Und das soll sie auch seyn,« fiel ihm Gluck eifrig ein: »jener ist eine religiöse Ceremonie und der andere ein wirkliches Leichenbegängniss (le Corps est présent).«
Wenn wir noch dem verehrten Leser die Erzeugnisse der Gluck'schen Muse in gedrängter Kürze vorführen, so stellt sich folgendes Verzeichniss heraus:
Artaserse von Metastasio, für Mailand.
[434] Demofoonte von demselben Dichter, für Mailand.
Demetrio, unter dem Namen Cleonice, von demselben, für Venedig.
Ipermnestra, von demselben, auch für Venedig.
Artamene, für Cremona.
Siface, für Mailand.
Fedra, für Mailand.
Alessandro nell' Indie von Metastasio, mit dem Titel: »Poro,« – für Turin.
La Caduta dei Giganti, für London.
Artamene, wiederholt in London.
Piramo e Tisbe, Pasticcio für London.
La Semiramide Riconnosciuta von Metastasio, für Wien.
Telemacco, für Rom.
La Clemenza di Tito von Metastasio, für Neapel.
Le Cinesi, von demselben, für Schlosshof. Wiederholt in Wien im Jahre 1755.
Il Trionfo di Camillo, für Rom.
Antigono, von Metastasio, für Rom.
La Danza, von Metastasio, für Laxenburg.
Airs nouveaux de la Pastorale: »Les Amours Champêtres,« – für Wien.
L'Innocenza Giustificata, für Wien.
[435] Il Rè Pastore, von Metastasio, für Wien.
Airs nouveaux de l'Opéra comique: »Le Chinois Poli en France,« – für Laxenburg.
Vaudevilles nouveaux du »Déguisement Pastoral,« – für Schönbrunn.
Airs accompagnés de »L'Isle de Merlin,« – für Schönbrunn.
Airs nouveaux de l'Opéra comique: »La Fausse Esclave,« – für Wien.
Airs nouveaux de »Cythère Assiégée,« – für Wien.
Airs nouveaux de »L'Yvrogne Corrigé,« – für Wien.
Tetide, von G.A. Migliavacca, für Wien.
Airs nouveaux du »Cadi Dupé,« – für Wien.
Don Juan, Ballet, für Wien.
»On ne s'avise jamais de tout,« für Wien.
Airs nouveaux de »L'Arbre Enchanté,« – für Wien.
Il Trionfo di Clelia, von Metastasio, für Bologna.
Orfeo ed Euridice, von R. Calzabigi, für Wien.
Ezio, von Metastasio, für Wien.
La Rencontre Imprévue, – von L.H. Dancourt, für Wien. (Später deutsch mit dem Titel: »Die Pilgrime von Mekka, oder die unvermuthete Zusammenkunft.«)
Il Parnasso Confuso, von Metastasio, für Schönbrunn.
Telemacco, ossia l'Isola di Circe, – umgearbeitet für Wien.
La Corona, von Metastasio, für Wien.[436]
Alceste, von R. Calzabigi, für Wien.
Paride ed Elena, von R. Calzabigi, für Wien.
Le Feste d'Apollo für Parma.
Bauci e Filemone für Parma.
Aristeo für Parma.
Iphigénie en Aulide, von Bailly Du Rollet, für Paris.
Orfeo ed Euridice, in französischer Bearbeitung, für Paris.
L'Arbre Enchanté, von M. Vadé, für Versailles.
La Cythère Assiégée, von M. Favart, umgearbeitet für Paris.
Alceste, umgearbeitet für Paris.
Armide, von Quinault, für Paris.
Iphigénie en Tauride, von Guillard, für Paris.
Echo et Narcisse, von Baron Tschudi, für Paris.
1. Der Busspsalm: »De Profundis« – für Chor und ganzes Orchester.
2. Der 8. Psalm: »Domine Dominus noster« etc.
3. Lieder von Klopstock mit Begleitung des Klaviers und zwar: a) Vaterlandslied; b) Wir und Sie; c) Schlachtgesang; d) Der Jüngling; e) Die Sommernacht; f) Die frühen Gräber; g) Die Neigung, und h) Willkommen, o silberner Mond.
4. Ein Theil der von A. Salieri vollendeten geistlichen Cantate: Le Jugement Dernier, gedichtet vom Chevalier Roger.[437]
Von Gluck's ganzem, grossen schriftlichen Nachlasse an Opern-Partituren und Bruchstücken von solchen, den die allgemein hochgeachtete Witwe, so lange sie noch am Leben war, in Kisten verpackt, sorgfältig aufbewahrte, sind ausser den Abschriften jener Werke, welche man noch in verschiedenen Bibliotheken, besonders in der Wiener Hofbibliothek, und in den Händen einiger Liebhaber findet, nur wenige autographe Blätter auf die Gegenwart gekommen: denn theils war, bei der Unkenntniss des Universalerben der Frau von Gluck in solchen Sachen, Vieles schon durch dessen Hausleute abhanden gekommen, theils wurde der genannte Erbe im Jahre 1809 zu Kalchspurg bei Wien, in seinem Landhause, das er sich anstatt der Besitzung zu Berchtholdsdorf angekauft hatte, von den Franzosen geplündert, wobei ein grosser Theil der noch übrigen Musikalien verschleppt, ein anderer ein Raub der Flammen geworden ist.
Der verstorbene Herr Alois Fuchs war jedoch so glücklich, von einem alten Musiker, Namens Pieringer, der während der zwei letzten Lebensjahre Gluck's und nachher im Hause der Witwe als täglicher Gesellschafter viele Wohlthaten genossen hatte, einige autographe Skizzen zu erhalten, die nicht nur als solche, sondern auch wegen ihres Gegenstandes sehr interessant genannt werden können. Diese Skizzen sind vielleicht das Einzige, was sich noch von Gluck's Hand erhalten hat: denn der grosse Tonsetzer brachte, wie wir durch seine Zeitgenossen zuverlässig wissen, seine Schöpfungen zuerst nur kurz, in blossen Entwürfen zu Papier, arbeitete dann das Ganze im Kopfe aus und liess endlich unter seiner persönlichen Anleitung die Partitur verfertigen, nach welcher Arbeit die Skizzen gewöhnlich vertilgt wurden.
Daher kann man es nur dem Zufalle verdanken, dass einige dieser Schriften in Pieringer's Hände geriethen.
Diese Bruchstücke sind folgende:
1. Vier Blätter Entwürfe zur Oper »Alceste,« der französischen Bearbeitung. Sie enthalten jene Nummer des III. Aktes, wo Alceste in der Unterwelt ankommt, und von den Geistern[438] derselben empfangen wird.9 Der Anfang heisst: »Dieux infernaux qu'on ne voit point.« – Ihr folgt die grosse Scene der Alceste: »Grands Dieux! soutenez mon courage« – von 61 Takten, die grösstentheils vollständig instrumentirt ist, bis auf den Schluss, in welchem die Singstimme bloss vom Bass begleitet wird. Dieser Schluss enthält die Wortunterlage: »Ah l'amour me redonne la force nouvelle, à l'autel de la mort lui même il me conduit, et des antres profondes de l'éternelle nuit j'entends sa voix, qui m'appelle.« – Diese ganze Scene findet sich in der gestochenen Partitur. Die 6. und 7. Seite enthält den Chor der unterirdischen Geister: »Malheureuse, où vas-tu?« – Gluck hat ihn in der ersten italischen Bearbeitung in D min., hier aber um eine Terz höher gesetzt, und so kommt er auch in der französischen Partitur vor; 16 Takte sind vollständig instrumentirt. Ihm schliesst sich ein, in der gestochenen Partitur nicht vorkommendes, 12 Takte langes Recitativ an, worin die vier Linien der Quartettbegleitung zwar vorhanden, aber nicht ausgefüllt sind; es hat folgenden Text: »Pourquoi divinités terribles que s'implora, et pourquoi voulez-vous encore prolonger mes tourmens? Hélas! dans ces cruels momens, prêts à me séparer d'un époux que j'adore de tous les objets de mes voeux. Les peines qu'en l'Enfer éprouvent les coupables ne sont pas comparables à mes tourmens affreux!« – Am Ende liest man: »Le Choeur da Capo.« – Endlich sieht man hier noch den Anfang einer Arie der Alceste in F maj. 3/4 Takt, von 6 Takten, mit den Anfangsworten: »Ah! divinités implacables, ne craignez pas,« – wo die fünf Linien der Begleitung wieder leer gelassen sind. Sie findet sich nur in der französischen Bearbeitung, die überhaupt viele Nummern zählt, welche in der italischen nicht vorkommen, also neu gesetzt sind; auch die Anordnung der Musikstücke ist in dieser verschieden.
2. Das zweite Heft umfasst den grössten Theil der Gesangstücke[439] der Oper »Iphigenia auf Tauris« mit bloss skizzirter Singstimme und deutschem Texte. Als Gluck von seiner letzten Pariser Reise zurückgekehrt war, erhielt er vom Kaiser Joseph den Auftrag, diese Oper, deren Ruhm bereits zur Allerhöchsten Kenntniss gelangt war, auch hier zur Aufführung zu bringen. Gluck besprach sich der Uebersetzung wegen mit dem Dichter Alxinger, und machte die nöthigen Veränderungen in der Partitur. Es sind dieses sechs Blätter, welche in der gedrängtesten Kürze alle mit Text versehenen Musikstücke der Oper, jedoch ohne Instrumental-Begleitung, an der nichts zu ändern war, wie solche im Jahre 1781 von Gluck eigenhändig für die deutsche Bühne umgearbeitet und niedergeschrieben worden ist, enthalten. Auf der ersten Seite dieses Heftes findet man, nebst dem Recitative des Scythen, der die Ankunft der beiden Griechen meldet, und nebst jenem des Thoas und der Iphigenia, den charakteristischen Chor der Scythen in D maj., von dem aber nur die Hauptstimme angesetzt ist. Ihm folgt das Recitativ des Thoas, Pylades undOrestes, dann der Chor da Capo. Die 2. Seite enthält das Recitativ der beiden Freunde, und die leidenschaftliche Arie des Orestes in G maj. C Takt; ferner das Recitativ des Pylades sammt der schönen Arie inA maj. C Takt, und endlich das Recitativ, das Orestes und Pylades zum Vortrag bringen, als man sie trennen will. Die folgenden Zeilen der 3. Seite bilden den Schluss des I. Aktes, den Orestes allein singt. Die 4. Seite enthält den Furienchor in D min., wo man alle vier Stimmen partiturmässig auf eben so vielen Zeilen angesetzt findet. Leider sind von diesem Chore nur noch 46 Takte vorhanden, und es lässt sich vermuthen, dass das dazu gehörige Fortsetzungsblatt verloren ging. Die 5. Seite begreift in sich das Recitativ der Iphigenia, des Orestes und Pylades, die letzten 6 Zeilen aber die Arie der Iphigenia in C maj. Mit der 6. Seite beginnt der IV. Akt, von dem sämmtliche Gesangstücke bis zum Schlusschor der Oper vorhanden sind, welche die Seiten 7 bis 11 einschliessig füllen.
3. Das dritte Heft ist die ganz rein geschriebene, vollständige Partitur einer grossen Sopran-Arie aus der Oper[440] »Alceste,« des Lieblingsstückes der Frau von Gluck, das ihr Gemahl in etwas grösseren Noten abgeschrieben hat. Es fehlt in der französischen Partitur. Um dieser Arie, die in der italischen Partitur nach den Worten »Fedel consorte« in die folgende Scene übergeht, einen förmlichen Schluss zu geben, fügte Gluck noch ein Presto von 48 Takten hinzu, und überschrieb das Heft mit dem Titel: »I Lamenti d'Amore. Cantata a Soprano solo.« – Diese letzten 48 Takte sind demnach ganz neu und auch sonst nirgends zu finden – ein Umstand, der den Werth dieser Nummer noch mehr erhöht.
Nebst diesen drei Heften besass Herr Alois Fuchs von Gluck's Handschrift noch folgende Stücke:
1. Eine Arie in F maj. für Sopran mit Orchesterbegleitung in Partitur. Sie ist gegenwärtig im Besitze der Frau Baronin Serafine de Grazia.
2. Ein Chor aus der in Parma aufgeführten Oper »Aristeo« in G min., nun Eigenthum der Frau Belli-Gontard in Frankfurt am Main. Es ist der Chor aus der 7. Scene, den die Nymphen und die Bewohner des Tempe singen »Del figlio d'Apollo, chi sordo ai lamenti, o Numi clementi, di voi chi arà« etc.
3. Ein Chor aus derselben Oper in C maj., welchen Herr Fuchs dem Wiener Musikvereine verehrt hat. Es ist der Schlusschor derselben Scene: »Eccheggiar s'odano per queste valli voci di giubilo: allegri balli disciolga il piè« etc.
4. Ein Stück von sechs Seiten aus der Oper »Il Telemacco« – gegenwärtig im Besitze der k.k. Hofbibliothek in Wien. Es besteht grösstentheils aus Recitativen und zwei Chören, die partiturmässig angelegt und völlig ausgeführt sind; auch zeigen die älteren Nummern auf den Blättern, dass das Heft aus der vollständigen Partitur ausgerissen ist.
Die königl. Bibliothek in Berlin besitzt einen Querfolioband aus der Pölchau'schen Sammlung, welcher folgende Stücke enthält:
1. Einen autographen Brief von Gluck.
2. Eine Scene aus der Oper »Antigono«: »Berenice, ove sei?«[441] Recitativ in C min., und die Arie in Es maj.: »Ombra che pallida.« – Es ist diese Scene ein Klavierauszug von Gluck's Hand, früher im Besitze des Dionys Weber in Prag, von dem Pölchau im Jahre 1828 diese Handschrift erhielt.
3. Arie aus der Oper »Die Pilgrime von Mekka« – »Schönste, dein Reiz« – Klavierauszug von Gluck's Hand und für Klopstock's Gemahlin bestimmt; auf dem Titel liest man: »Gesungen von Herrn Adamberger.« –
4. Arie in Es maj. aus der Oper »Ezio« für den Sänger Guadagni: »Ecco alle mie catene.« – Dieses Stück in Partitur ist zwar nicht autograph, aber desshalb merkwürdig, weil es aus Klopstock's Nachlasse stammt.
Von Gluck sind folgende Abbildungen bekannt:
1. Ein grosses schönes Oelgemälde auf Leinwand in Lebensgrösse. Es stellt den Tonsetzer als einen starken Fünfziger im Schlafrocke bei einem runden, mit Flaschen besetzten Tische sitzend dar, wie er das Gläschen erhebt und seiner hinter dem Tischchen stehenden Gemahlin zutrinkt. Dieses Bild sah der Herausgeber dieser Blätter zuerst im Jahre 1835 bei des Tonsetzers Neffen, Herrn Carl von Gluck; nach dessen Tode ging dasselbe in die Hände seiner Schwester, Frau Josepha Selliers de Moranville, gebornen von Gluck über, und wurde endlich das Eigenthum ihres Enkels, Herrn Louis Selliers de Moranville, welcher es noch besitzt. Letzterer nennt als den Maler des Bildes Sebastian Weygandt.
2. Ein, im Jahre 1775 zu Paris von Joseph Duplessis, Maler des Königs, auf Leinwand gemaltes Bild. Es stellt Gluck im 61. Jahre seines Alters, tondichtend, am Flügel sitzend und begeistert nach oben blickend dar. Dieses Bild, ein Kniestück in Lebensgrösse, ist 3'1'' hoch und 2'6'' breit. Gluck's Witwe legirte dasselbe der k.k. Gemälde-Gallerie im Belvedere, wo es noch gefunden wird.
3. Copie dieses Bildes, im grossen Oktavformate, gemalt[442] von S. von Perger, gestochen von Kovats. Das Blatt befindet sich in dem 2. Bande der Haas'schen Bildergallerie. Perger's gemalte Copie besitzt die Witwe des ehemaligen Wiener Buchhändlers Carl Haas.
4. Dasselbe Bild, gemalt und gestochen im Jahre 1781 von Saint-Aubin in Paris. Blatt in 8.
5. Ein Blatt in Folio. Maurin Aîné (pinx.) Lithographie de Langlumé, rue de l'Abbaye, Nr. 4.chez les Editeurs, quai Voltaire, Nr. 21.
6. Ein Blatt in Folio. Darstellung bis zum Ellbogen: »Peint par Jos. Duplessis, peintre du Roi. Gravé par S.C. Miger. A Paris, chez Miger, Graveur, rue Montmartre, au coin de celle des Vieux-Augustins. A.P.D.R.« Unter dem Bildnisse: »Christophe Gluck.« Tiefer unten auf dem Piedestale liest man:
»De l'art d'aller au coeur par des accords touchants
Nul autre mieux que lui n'a montré la puissance,
Et de tous ses rivaux c'est le seul dont les chants
Ayent charmé son pays, l'Italie et la France.«
7. Eine Nachbildung dieses Blattes im 5. Jahrgange (1802) der Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung, als Titelblatt.
8. Ein schöner Stich in gr. 8. nach der von dem Bildhauer Houdon in Paris verfertigten Büste in Medaillonform gezeichnet. Augustin de Saint-Aubin del. et sculp. anno 1781. mit der Unterschrift: »Gluck« – und weiter unten: »Il préféra les Muses aux Sirènes.« Titelvignette zu dem Werke: »Mémoires pour servir à l'histoire de la Révolution opérée dans la musique par M. le Chevalier de Gluck.« A Naples et à Paris, chez Bailly. 1781. 8.
9. Ein Blatt in 12. im Gothaischen Theater-Kalender vom Jahre 1789. Stich von Liebe.
10. Ein Blatt in Folio nach Houdon's Büste von Audouin, gestochen im Jahre 1801, als Titelblatt von Fontenelle's Hecuba.
11. Ein Blatt in Folio, gestochen zu Paris mit der Bezeichnung: »Quenedey fecit.«[443]
12. Ein Blatt in Folio, nach Quenedey gezeichnet und lithographirt in Feller's Atelier zu Berlin (bei Trautwein).
13. Ein Blatt in Quarto, gemalt von Miger, gestochen von Riedl.
14. Ein Blatt in Quarto, gemalt von Boude ville, gestochen von Phillipaux in punktirter Manier.
15. Ein Blatt in Folio, lithographirt von Winter in München.
16. Ein Blatt in gr. 4., lithographirt in Manheim bei Ferdinand Heckel.
17. Ein Schattenriss nach Houdon's Büste vor der gestochenen Partitur der »Iphigénie en Aulide.«
18. Ein Blatt in Folio, lithographirt von Geiger in Wien, mit dem Facsimile der Notenschrift Glucks.
Gluck's Büsten und Medaillen.
1. Die kolossale Marmorbüste von Houdon im Saale des Opernhauses in Paris, wovon der Wiener Musikverein einen Gypsabguss besitzt.
2. Eine kleine Gypsbüste von Procop in Wien aus dem Jahre 1836.
3. Eine noch kleinere Porzellain-Büste nach der grossen gefertigt in der kaiserl. Porzellain-Fabrik in Wien aus dem Jahre 1840, und
4. Eine silberne Medaille in der Grösse eines Thalers, von der auch Gyps-Abdrücke bestehen.
1 | In eben diesem Hause wohnte Carl Maria von Weber im Jahre 1823 als er für Wien seine Oper »Eurianthe« schrieb. |
2 | Diese Kirche gehört nun zur Artillerie-Kaserne: denn das Waisenhaus wurde im J. 1785 in das spanische Spitalhaus in der Karlsgasse der Alservorstadt verlegt. |
3 | Campan, Mme, Mémoires sur la vie privée de Marie-Antoinette, Reine de France. Paris 1822. 8.Tome I. p. 153. |
4 | S. dessen Magazin der Musik. Mai und Junius. Hamburg 1783. No. 57. Seite 561. |
5 | Carl Friedr. Cramer a.a.O. |
6 | Reichardt's Studien für Tonkünstler. 2. Halbjahr S. 72. |
7 | Siehe dessen Poésies, suivies d'une Notice sur Gluck et d'une autre sur Jean-Jacques Rousseau. Paris 1796. 8. Herr von Corancey († im Jahre 1810) redigirte mit Sautreau das »Journal de Paris« vom J. 1777 bis 1790. Die hier angeführten Anekdoten findet man zuerst in eben diesem Journal vom 18. August 1788. Nr. 231, unter dem Namen Bernardin de Saint-Pierre, dann in der Bossler'schen musikalischen Real-Zeitung vom Jahre 1788, Nr. 18; ferner in Fayolle, Dictionnaire des Musiciens, und endlich in der Leipziger musikalischen Zeitung vom Jahre 1812. Bd. 14. S. 632 etc. – |
8 | S. deren Mémoires. Tome X. pag. 364. |
9 | Die ersten 2 Blätter empfing im J. 1841 der gegenwärtige Direktor des Münchener Conservatoriums, Hr. Hauser, welcher sie auch bereits wieder weiter gegeben haben soll. |
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