Vorwort

[6] Schon längst hat die Alles ausgleichende Zeit die Schlacken des Vorurtheiles, der persönlichen. Anfeindung und partheiischen Kritik von einem Manne ausgeschieden, der die dramatische Musik auf die höchste Stufe damals möglicher Vollkommenheit gehoben hat. Der Ruhm des grossen Meisters der Töne strahlt demnach so krystallrein aus der Vergangenheit in die Gegenwart herüber, dass dem, sein Bild umfliessenden hehren Glanze kein Strahl mehr entzogen werden kann. Noch lebt sein Andenken nicht nur in Frankreich, das ihn einst vergötterte, sondern auch in Oesterreich, das auf seinen Gluck, wie auf seinen Haydn, Mozart und Beethoven mit gleichem Rechte stolz seyn kann, in ungeheuchelter Verehrung fort; auch das übrige Deutschland, zumal das nördliche, hat – letzteres freilich etwas spät – ihn würdigen gelernt, und aus den ewigen Quellen Gluck'scher Harmonien seitdem manchen berauschenden Trunk gethan; ja, es hat durch die herrlichsten und zahlreichsten Aufführungen der unsterblichen[7] Werke dieses grossen Meisters den Manen desselben in erfreulichster Weise Rechnung getragen, und so das ihm einst angethane schreiende Unrecht redlich gesühnt.

Dessen ungeachtet bleibt es noch jetzt eine heilige Pflicht, sorgfältig zu verhüten, dass Gluck's Ruhm in keinerlei Weise bemackelt, sondern wie ein Heiligthum bewahret, ja, dass selbst jene Irrthümer und Vorurtheile, welche über sein Herkommen und seine Geburt noch heut zu Tage in gewissen Schriften fortbestehen, zur Ehre der Wahrheit mit möglichster Genauigkeit berichtiget, durch unumstössliche Beweise gehoben, und, so viel von seinem Leben und Wirken noch bekannt ist, der Nachwelt aufbewahret werde.

Um des schönen Zweckes willen, das edle Streben des grossen deutschen Tonmeisters, der auf die dramatische Musik einen so wohlthätigen Einfluss ausgeübt hat, nach Kräften zu verherrlichen, habe ich das Wagniss unternommen, die über dessen Leben und Wirken von mir seit mehr als zwanzig Jahren gesammelten Notizen, nach sorgfältiger Sichtung des Stoffes und genauer Prüfung der Quellen, zu verarbeiten, in den vorliegenden Blättern öffentlich mitzutheilen, und den Werth seiner Schöpfungen, gestützt auf das Ansehen gewiegter und urteilsfähiger Kunstgenossen, nach meinem besten Wissen und Können zu beleuchten.

Einst hatte sich dieses edle Geschäft der, den fruchtbringenden Bestrebungen Gluck's näher stehende, talentvolle und kenntnissreiche preussische Tonsetzer Joh. Friedr. Reichardt vorbehalten, der sich demselben gewiss mit mehr Geschick und Umsicht, als ich unterzogen haben würde; auch fühlte Reichardt sich zu dieser Arbeit mächtig hingezogen, und liess es in keiner[8] Zeit an Fleiss und Mühe fehlen, dazu die nöthigen Materialien einzusammeln: allein auch er klagt, dass ihm Gluck's Freunde und Verwandte die Nachrichten von des grossen Mannes früherem Leben und erster Kunstperiode stets versagt, oder ihn mit Versprechungen, welche niemals erfüllt wurden, hingehalten hätten. Einige kleine französische und deutsche Aufsätze, die er von einigen Verehrern der Kunst in Paris und Wien, die sich für Gluck persönlich interessirten, erhalten hatte, konnten ihm den Mangel ausreichender Belege nicht ersetzen, eben so wenig die geringe Zahl von Anekdoten, die er noch bei seinem letzten Aufenthalte in Wien (1809) zu erbeuten Gelegenheit fand. Alles dieses war kaum für eine leidliche Skizze, viel weniger für eine vollständige Lebensbeschreibung maassgebend.

Gluck's höheres künstlerisches Wirken tritt freilich erst mächtig und klar in der Hauptstadt Frankreichs hervor, wo seine glanzreiche Periode beginnt, als er bereits sechzig Lebensjahre zählte. Diese Periode, oder vielmehr Epoche haben die Schriften eines Abbé Arnaud, Suard, Grimm, Morellet und Anderer, dann die Gegenschriften eines Laharpe, Marmontel,Ginguéné u.s.w. zwar nicht hinlänglich, doch den meisten Musikern zur genügenden Kenntniss gebracht. Aber auch mit diesen Schriften, die Reichardt in Paris gesammelt hatte, ist ihm die Unannehmlichkeit begegnet, dass sie durch einen andern enthusiastischen Verehrer des grossen Tonmeisters, den Professor C. Fr. Cramer in Kiel, der auch Gluck's Leben schreiben wollte, in Verlust gerathen sind.1[9]

So habe ich, von vielen Kunstfreunden zu wiederholten Malen aufgefordert, endlich den Entschluss gefasst, die vorliegende, auf meine Materialien gebaute, wenn auch noch immer skizzenhafte Biographie zu entwerfen, und der freundlichen Lesewelt als eine wohlgemeinte Gabe zu überreichen.

Ueberhaupt kann man zweifeln, ob über Gluck's Leben und Arbeiten jetzt mehr werde entdeckt werden können, als in diesen Blättern geboten wird, und was ich theils aus amtlichen Akten, theils aus den Mittheilungen einiger Verwandten und Freunde des grossen Kunstheroen, und aus den Berichten verschiedener deutscher und französischer Schriftsteller erfahren habe. Das Ergebniss meiner vieljährigen, oft sehr mühsamen Forschungen wolle der geistvolle Leser von mir nun freundlichst hinnehmen, die Schwierigkeit der Aufgabe nicht übersehen, und der löblichen Absicht, dem grossen deutschen Tonsetzer ein bescheidenes Denkmal setzen zu wollen, einigen Beifall schenken.

Stet pro ratione voluntas!


Wien, am 1. März 1854.

1

S. Reichardt's vertraute Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien. Amsterdam, 1810. II. Bd. S. 214.

Quelle:
Schmid, Anton: Christoph Willibald Ritter von Gluck. Dessen Leben und tonkünstlerisches Wirken. Leipzig: Friedrich Fleischer, 1854., S. 6-10.
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