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Zu I, XV. Seit ich aus den Inscriptionsbüchern der Leipziger Universität gesehen habe, daß Johann Elias Bach aus Schweinfurt im Sommersemester 1739 dort Theologie studirte, glaube ich über Verfasser und Ursprungszeit der Emmertschen Genealogie noch genaueres sagen zu können. Die Vergleichung derselben mit dem Emanuel Bachschen Original macht es höchst wahrscheinlich, daß Elias Bach sie selbst verfaßt hat. Jedenfalls muß sie geschrieben sein, als er in Leipzig studirte, da Emanuels Worte: »p. t. Cantor in Schweinfurth« fortgelassen sind und statt ihrer gesetzt ist: »geboren zu Schweinfurth den 12. Februar 1705 früh um 3 Uhr. Studios. Theol.« Aus der möglichst genauen Angabe seines Geburtsdatums, sowie aus der zwischen Nr. 39 und 40 gemachten Einschaltung seines jüngeren Bruders, Johann Heinrich Bachs, der, wie ausdrücklich hinzugefügt wird, sehr jung gestorben ist und daher weiteren Kreisen schwerlich bekannt geworden war, geht ferner mit Sicherheit hervor, daß diese Angaben von einem Gliede der fränkischen Bachs und mindestens nächsten Anverwandten von Elias Bach herstammen müssen. Nun deuten aber andere Zusätze wieder darauf hin, daß grade sie unter Einfluß Seb. Bachs entstanden sind. Nicht zwar solche der Emmertschen Genealogie selbst, welche ja erst mit Nr. 25 beginnt, aber doch Zusätze der Ferrichschen Genealogie, welcher jene zu Grunde liegt, und die vollständig erhalten ist. Weil das Todes-Jahr und -Datum von Seb. Bachs älterem Bruder in der Original-Genealogie ausgelassen ist, schlossen wir, daß dieselbe in diesem Theile nicht unter Sebastians Augen entstanden sein könne. Beides hat aber Ferrich (Nr. 22). Nehmen wir jetzt nur an, daß er dies seiner Vorlage nachgeschrieben hat, so ist, denke ich, die Wahrscheinlichkeit so groß wie nur möglich, daß Elias Bach der Verfasser jener ist. Als bekräftigendes Moment würden nun noch die subtilen Angaben über den Vater, Valentin Bach (Nr. 26), hinzukommen. Also wäre die Emmertsche Genealogie zwischen 1739 und 1743 geschrieben.
I, 93. Das alte Manuscript der Motette »Ich lasse dich nicht« auf der königlichen Bibliothek zu Berlin ist keinesfalls ein Autograph Johann Christoph Bachs. Wiederholte spätere Untersuchungen haben mich vielmehr überzeugt, daß man in ihm ein Autograph Sebastian Bachs zu erkennen hat und zwar, wie die Wasserzeichen ausweisen (siehe Band I, S. 808), eins aus der weimarischen Zeit. Der Charakter der Handschrift zeigt sich derjenigen der Mühlhäuser Rathswechselcantate noch nahe verwandt, das Manuscript dürfte also gegen 1710 entstanden sein. Der Name des Componisten der Motette ist auf demselben nicht verzeichnet. Hiernach kann man allerdings nicht umhin, die Frage, ob nicht doch wirklich [981] Sebastian Bach ihr Verfasser sei, von neuem ernstlich zu prüfen. Die sehr frühe Zeit, in der er sie, wenn überhaupt, componirt haben würde, lassen die Stileigenthümlichkeiten des Werkes weniger befremdend erscheinen; geht es doch auch über Johann Christophs Stil in mancher Beziehung hinaus. Derjenige, welcher die Motette Sebastian Bach zuerst zusprach, ist nicht Schicht gewesen, wie Band I, S. 93, Anmerk. 37 vermuthet worden ist. Sie scheint vielmehr das vorige Jahrhundert hindurch von den Leipziger Thomanern allgemein als Sebastians Composition gesungen worden zu sein, da auch Rochlitz, ein ehemaliger Thomaner und Sänger Bachscher Motetten, erst durch Philipp Emanuel Bachs Katalog sich von der Autorschaft Joh. Christophs überzeugt zeigt (s. dessen Sammlung vorzüglicher Gesangwerke Band III, 1 Abtheilung, Vorbericht S. 8), während er in seinem Buche Für Freunde der Tonkunst II, S. 144 (3. Aufl.) sie noch als Sebastians Composition durchgehen läßt. Dagegen bleibt es immer höchst bedenklich, daß Emanuel Bach die Motette offenbar als ein Werk seines Vaters nicht anerkannt hat. Eine endgültige Entscheidung der Frage würde wohl nur herbeigeführt werden, wenn ein Autograph Sebastian Bachs zu Tage käme, auf dem er sich selbst als Componisten angiebt.
I, 99. Gerbers musikalische Hinterlassenschaft ist nicht ganz verloren gegangen. Einen Theil kaufte Hofrath André in Offenbach; vergl. Katalog CXII (aus dem Jahre 1876) von Albert Cohn in Berlin und daselbst besonders Nr. 6. Einiges befindet sich auch auf der königl. Bibliothek zu Berlin.
I, 120. Ueber Pachelbels Tabulaturbuch hat A.G. Ritter in den Monatsheften für Musikgeschichte, Jahrgang 1874, S. 119 ff. eingehende Untersuchungen angestellt. Nach ihnen stammt das Tabulaturbuch in der vorliegenden Gestalt wahrscheinlich gar nicht von Pachelbel selbst her, sondern ist von einem ungeübten Organisten aus gekürzten Compositionen Pachelbels zusammengetragen.
I, 123. »Von Joh. Mich. Bach sind da in Kupfer gestochene 2chörichte Sonaten«. Handschriftliche Bemerkung Adlungs in seinem Exemplar des Waltherschen Lexicons zum Artikel »Michael Bach«. Das Exemplar ist auf der königl. Bibliothek zu Berlin.
I, 156. Diener-Besoldungs-Buch von Michaelis 1687 bis Michaelis 1688. Auf der Ministerialbibliothek zu Sondershausen. S. 72: »Hoff Musicus Johann Christoff Bach. 20 Gülden jährlich.« Der Gehalt von 30 Gülden schließt also eine Zulage ein.
I, 194. Simon Metaphrastes [F.W. Marpurg], Legende einiger Musikheiligen. Cölln am Rhein, 1786. S. 74 ff.:
»Johann Sebastian Bach, auf welchen man das horazische nil oriturum [982] alias, nil ortum tale, anwenden kann, pflegte sich mit Vergnügen einer Begebenheit zu erinnern, die ihm auf einer in seiner Jugend angestellten musikalischen Reise begegnet war. Er war auf der Schule zu Lüneburg, in der Nähe von Hamburg, wo damals ein sehr gründlicher Organist und Componist, Nahmens Reinecke blühete. Da er, um diesen Künstler zu hören, öfters eine Reise dahin machte, so geschah es eines Tages, da er sich länger in Hamburg aufgehalten hatte, als es das Vermögen seiner Börse erlaubte, daß er bey seiner Zurückwanderung nach Lüneburg, nicht mehr als ein paar Schillinge in der Tasche hatte. Noch nicht hatte er den halben Weg zurück gelegt, als ihn ein starker Appetit anwandelte, und er zu dem Ende in einem Wirthshause einkehrte, wo ihm bey dem köstlichen Geruch aus der Küche, die Lage, worinnen er sich befand, noch zehnmal schmerzhafter vorkam. Mitten in seinen trostlosen Betrachtungen darüber hörte er ein knarrendes Fenster öfnen, und sahe, daß aus selbigem ein paar Heringsköpfe auf den Kehrigt geworfen wurden. Als einem ächten Thüringer, fieng ihm beym Anblick dieser Figuren der Mund zu wässern an, und er säumte keinen Augenblick sich ihrer zu bemächtigen; und siehe, o Wunder! er hatte kaum angefangen sie zu zergliedern, so fand er in einem jeden Kopfe einen dänischen Ducaten versteckt; welcher Fund ihn in den Stand setzte, nicht allein nunmehro eine Portion Braten zu seiner Mahlzeit hinzuzufügen, sondern annoch mit ehestem mit mehrer Gemächlichkeit eine neue Wallfahrt zum Hrn. Reinecke nach Hamburg zu unternehmen. Besonders ist es, daß der unbekannte Wohlthäter, der ohne Zweifel am Fenster gelauschet haben wird, um zu sehen, welchem Glückskinde sein Geschenk zu theil werden würde, nicht die Cüriosität gehabt hat, die Person und Eigenschaften desselben näher zu recognosciren.«
I, 200. Melodien von Georg Böhm sollen sich in einer 1700 erschienenen Ausgabe der Elmenhorstschen geistlichen Lieder finden; s. Winterfeld, E.K. II, 502.
I, 207, Anmerk. 44. Seb. Bachs Partiten über »Ach, was soll ich Sünder machen« sind seitdem von der königl. Bibliothek in Berlin angekauft worden. Autograph ist das Manuscript nicht; echt können aber die Compositionen immerhin sein, die denen über » Christ, der du bist der helle Tag« und »O Gott du frommer Gott« sehr ähnlich sind.
I, 250. In Bachs früheste (Arnstädter) Zeit gehört auch ein Orgelchoral »Wie schön leuchtet der Morgenstern. a 2 Clav. Ped.«, dessen Autograph, aus vier zusammengehefteten Blättern in Kleinquerquart bestehend, früher Professor Wagener in Marburg besaß; jetzt ist es auf der königl. Bibliothek zu Berlin. Neben der Ueberschrift steht oben rechts I.S.B. Die Schrift ist ungemein fein und zierlich, die Schriftzeichen sind in manchem Betracht, z.B. in der Form der Quadrate, von denen der späteren Zeit abweichend. Ein Wasserzeichen trägt das Papier nicht.
[983] I, 253. Ueber die lübeckischen Abendmusiken und deren muthmaßlichen Ursprung ergeht sich ausführlich Caspar Rüetz, Widerlegte Vorurtheile von der Beschaffenheit der heutigen Kirchenmusic. Lübeck, 1752. S. 44 ff. Neuerdings hat den Gegenstand behandelt H. Jimmerthal in einer sorgfältigen kleinen Schrift: Dietrich Buxtehude. Historische Skizze. Lübeck, Kaibel. 1877.
I, 258. Ueber Buxtehudes Orgelcompositionen darf ich auf meine inzwischen erschienene Ausgabe derselben verweisen (2 Bände. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1875 und 1876). Es sind in derselben mehre Stücke enthalten, die mir zur Zeit, da die Charakteristik Buxtehudes geschrieben wurde, noch nicht bekannt waren.
I, 308, Anmerk. 41. Daß Bach das Lied »Jesu meine Freude« nicht in seiner Originalgestalt componirt habe, ist ein Irrthum, zu dem ich durch Benutzung der Breitkopf und Härtelschen Ausgabe verleitet worden bin.
I, 360. »Auff das Ableben D. Eilmars, Königl. Groß-Britannischen Kirchen-Raths und Superint. in Mühlhausen 1715.
Dein Englischer Verstand, Beredsamkeit und Gaben
Sind in das innerste der Hertzen eingegraben.
Drum braucht dein Tugend Ruhm hier keinen Leichenstein,
Weil unsre Hertzen selbst dein Grabmahl ewig sein.«
Joh. Gottfried Krause, Poetische Blumen. Erstes Bouquet. Langensaltza 1716. S. 117.
I, 392. Das Fragment eines technisch sehr interessanten »Pedal Exercitium« von Bach besaß Professor Wagener in Marburg. Jetzt ist es auf der königl. Bibliothek zu Berlin; es scheint Autograph zu sein.
I, 410. Herr Professor Wagener in Marburg theilte mir gefälligst mit, daß das zweite Concert der Clavier-Arrangements in Vivaldis Op. 7, Nr. 2 zu finden sei, das erste in Op. 3, Nr. 7, das neunte in Stravaganza 1.
I, 444. Das Autograph der Cantate »Aus der Tiefe« besaß früher Aloys Fuchs in Wien. Eine Abschrift seines Autographen-Katalogs bewahrt die Stadtbibliothek in Leipzig. Hier steht wörtlich: »Motette »Aus der Tiefe« 4 Singst. u. Inst. (Partitur.) 1715«. Ist die Angabe richtig, so wäre die Cantate einige Jahre später geschrieben, als von mir angenommen wurde.
I, 495, Anmerk. 37. Die Handschrift der Cantate »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt« ist ein Autograph Heinrich Nikolaus Gerbers.
I, 555. Herr Alfred Dörffel in Leipzig macht mich darauf aufmerksam, daß im Jahre 1716 der Sonntag Oculi nicht auf den 22., sondern auf den 15. März fiel.
[984] I, 616. Es hat sich, wie mir Herr Geheimer Archivrath Siebigk in Zerbst gefälligst mittheilt, neuerdings noch ein Actenstück im vormaligen herzoglich cöthenischen Archiv gefunden: ein »Protocoll über die Fürstl. Capell- und Trompeter Gagen von 1717–18.« In diesem steht zu lesen: »Der neuangenommene Capell-Meister Herr Johann Sebastian Bach bekömbt Monatlich 33 Thlr. 8 gr. und hat derselbe 1717, 29. Dezbr. von dem 1. Augusti, 7 bris, 8 br., 9 br. undDecembris, bis zum 1. Jan. 1718 baar laut Quittung empfangen 166 Thlr. 16 gr.« Ferner am 5. Febr. 1718 für Januar, 28. Febr. für Februar und März u.s.w. je 33 Thlr. 8 gr. Hieraus ergiebt sich als Bachs Jahresgehalt die verhältnißmäßig bedeutende Summe von 400 Thalern. Man sieht ferner, daß der Fürst Leopold dem neuen Capellmeister, der nicht vor Ende November seinen Dienst angetreten haben wird, vom 1. August ab den Gehalt berechnen und nachträglich auszahlen ließ.
Außerdem geht aus dem Actenstücke hervor, daß Bach in der That im Mai 1718 den Fürsten nach Carlsbad begleitet hat. Mit ihm gingen noch folgende Capellmitglieder:
Der Kammermusicus Johann Ludwig Rese,
Der Kammermusicus Martin Friedrich Marcus,
Der Kammermusicus Joh. Friedrich Torlée,
Der Violdigambist Christ. Ferdinand Abel,
Der Kammermusicus C. Bernhard Linike,
Der Premier-Kammermusicus Josephus Spieß.
Ihnen allen wurde am 6. Mai 1718 ihr Gehalt für den Monat Juni »zur Carlsbader Reise gezahlet.«
I, 667. In Breitkopfs Verzeichniß von Ostern 1763 steht auf S. 73: »Bach, Joh. Seb. Capellm. und Musik-Director zu Leipzig. XXII. Inventiones vors Clavier. Leipzig fol. a 1 thl. 12 gr.« Hierdurch wird die interessante Thatsache festgestellt, daß es schon 1763 eine gedruckte Ausgabe der Inventionen gegeben hat. Seltsam ist nur die Zahl, doch könnte sie aus XXX verdruckt sein; es wären dann Inventionen und Sinfonien zusammengerechnet.
I, 754. Anna Magdalena war schon vor ihrer Verheirathung als Fürstliche Hof-Sängerin in Cöthen angestellt und im September 1721 bereits die Braut Sebastian Bachs. Als solche stand sie am 25. Sept. 1721 mit ihm zusammen Pathe bei einem Kinde des fürstlichen Kellerknechts Christian Hahn, wie die Taufregister der Cöthener Cathedralkirche ausweisen.
I, 756. Herr Dr. F.L. Kollmann in Lübeck wies mich bald nach Erscheinen des ersten Bandes auf den Leipziger Professor Dr. August Pfeiffer als denjenigen hin, auf welchen mit »Anti-Calvinismus, Christenschule und Anti-Melancholicus« muthmaßlich gezielt werde. Die Richtigkeit der Ansicht wurde mir hernach durch das Verzeichniß von Bachs theologischer Bibliothek bestätigt; s. Band II, Anhang B, XVI.
[985] I, 801 (oben). Einmal kommt es in einer unzweifelhaft echten Bachschen Cantate (»Schau, lieber Gott, wie meine Feind«) dennoch vor, daß ein einfach gesetzter Choral das Ganze einleitet. Es bleiben aber immer noch Eigenschaften genug zurück, die mit entscheidendem Gewicht gegen die Echtheit der dort erwähnten Cantate »Herr Christ, der ein'ge Gottssohn« zeugen.
Zu I, 818. Im Anfange dieses Jahres fand ich im Besitz des Herrn Ernst Mendelssohn-Bartholdy zu Berlin ein zweites Autograph zu den Chorälen des »Orgelbüchleins«. Dasselbe hat seinerzeit Felix Mendelssohn-Bartholdy zugehört, der es mit Umschlag und selbstgeschriebenem Titel versehen hat. Es ist bereits 1836 in seinem Besitz gewesen. Zwei Blätter daraus schenkte er seiner Braut für ihr Stammbuch. Ein drittes Blatt erhielt später Frau Clara Schumann. Auf dem Umschlag sind die Schenkungen vermerkt worden. Auch diese Blätter haben sich noch vorgefunden, erstere im Besitz der Frau Professor Wach in Leipzig; letzteres bewahrt Frau Clara Schumann in Frankfurt a.M. noch heute.
Das eines Originaltitels entbehrende Autograph enthält, so weit es sich in Händen des Herrn Ernst Mendelssohn-Bartholdy befindet, auf 14 unpaginirten, zierlich und schön beschriebenen Blättern in Kleinquerquart folgende Choräle:
Das alte Jahr vergangen ist (14)
In dir ist Freude (13)
Mit Fried und Freud ich fahr dahin (15)
Christe, du Lamm Gottes (19)
O Lamm Gottes unschuldig (16)
Da Jesus an dem Kreuze stund (20)
O Mensch, bewein dein Sünde groß (18)
Christus, der uns selig macht (17)
Wir danken dir, Herr Jesu Christ (21)
Hilf Gott, daß mirs gelinge (23)
Herr Gott, nun schleuß den Himmel auf (24)
Christ lag in Todesbanden (28)
Jesus Christus, unser Heiland (25)
Christ ist erstanden (29)
Erstanden ist der heilge Christ (26)
Heut triumphiret Gottes Sohn (27)
Erschienen ist der herrliche Tag (30)
Es ist das Heil uns kommen her (34)
Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ (36)
In dich hab ich gehoffet Herr, alio modo (22).
Die unpaginirten beiden Blätter der Frau Professor Wach enthalten:
Liebster Jesu wir sind hier1 (31)
Dies sind die heilgen zehn Gebot (35)
[986] Vater unser im Himmelreich (37)
Durch Adams Fall ist ganz verderbt (38).
Das unpaginirte Blatt der Frau Clara Schumann enthält:
Komm, Gott Schöpfer heiliger Geist (32)
Herr Jesu Christ dich zu uns wend (33).
Im ganzen also bietet das Autograph 26 Choräle. Eine spätere Hand hat, jedenfalls behufs einer Abschrift, sich daran gemacht, dieselben anders zu ordnen. Sie hat die Choräle mit Nummern versehen, welche oben hinter den einzelnen Textanfängen in Klammern verzeichnet sind. Daß die Neuordnung nicht nach Maßgabe des reichhaltigeren Cöthener Autographs erfolgt ist, lehrt die Vergleichung, da sie mit einer Ausnahme (Christ ist erstanden) mit der Ordnung dieses Autographs nicht stimmt. Wohl aber läßt der Umstand, daß sie erst mit Nr. 13 beginnt, den Schluß zu, daß, als sie vorgenommen wurde, noch 12 Choräle mehr vorlagen. Es läßt sich dieses auch daraus schließen, daß, während die Reihenfolge der Choräle des Mendelssohnschen Autographs im großen und ganzen der Ordnung des Kirchenjahres gemäß ist, doch Advents- und Weihnachtschoräle gänzlich fehlen. Die Vermuthung ist daher begründet, daß das Mendelssohnsche Autograph ursprünglich 38 Choräle enthielt, also nur 8 weniger als das Cöthener.
Aus der Vergleichung beider ergiebt sich, daß das Mendelssohnsche um ein beträchtliches älter sein muß. Vor allem finden sich in ihm die Choräle »Christus, der uns selig macht« und »Komm, Gott Schöpfer heiliger Geist« in älteren Lesarten. Dieselben sind als solche nicht unbekannt. Griepenkerl hat sie in seiner Ausgabe der Bachschen Orgelchoräle als Varianten mitgetheilt. Als Quelle nennt er bei dem ersten die Schelblesche Sammlung, bei dem zweiten geradezu das Autograph. Da nun beide Varianten im Cöthener Autograph sich nicht finden, so wird ihm das ältere Autograph vorgelegen haben und dieses früher in Schelbles Besitz gewesen sein, von dem es Mendelssohn erhalten haben dürfte. Die seit Griepenkerls Zeit verborgen gewesene Quelle ist also jetzt wieder aufgedeckt.
Ferner wird das höhere Alter des Mendelssohnschen Autographs durch die Choräle »Hilf Gott, daß mirs gelinge« und »In dich hab ich gehoffet Herr« bewiesen. Jener, der im Cöthener Autograph Reinschrift ist, während er im Mendelssohnschen manche Correcturen zeigt, ist hier anfänglich auf zwei Systemen notirt. Als Bach aber bis in den vierten Takt geschrieben hatte, merkte er, daß er auf zwei Systemen nicht Raum genug haben würde. Er hat deshalb von hier ab aus freier Hand ein drittes System für das Pedal gezogen, welches bis zum Schlusse des Stückes fortläuft. Im Cöthener Autograph steht der Choral von Anfang an auf drei Systemen, d.h. die Pedalstimme ist durchweg in deutscher Tabulatur unter das zweite System geschrieben. Den Choral »In dich hab ich gehoffet Herr« wollte Bach, als er den Inhalt des Mendelssohnschen Autographs zusammenstellte, in zwei Bearbeitungen geben. Eine lag fertig vor; er trug sie ein, schrieb darüber alio modo und ließ vor ihr für die noch zu componirende Bearbeitung ein Blatt frei. Als er die umfangreichere [987] und noch auf viel mehr Choräle berechnete Sammlung des Cöthener Autographs herstellte, war jene Bearbeitung immer noch nicht componirt, aber die Absicht dazu nicht aufgegeben; er ließ daher auch hier für sie Raum. Wenn der Inhalt des Orgelbüchleins im Cöthener Autograph seine erste Niederschrift erfahren hätte, so müßte man das Mendelssohnsche als einen Extract aus diesem ansehen. Aber wie sollte Bach dann dazu gekommen sein, hier für ein garnicht componirtes Stück eine Lücke zu lassen?
Ueberarbeitungen früherer Werke pflegt kein Componist eher vorzunehmen, als bis sie ihm in eine gewisse zeitliche Ferne gerückt sind, die ein ganz unbefangenes Urtheil ermöglicht, oder bis er in seiner Entwicklung ein erhebliches Stück über den früheren Standpunkt hinausgekommen ist. Zwischen der Entstehungszeit des Cöthener und Mendelssohnschen Autographs liegen also sicherlich mehre Jahre. Nun ist aber jenes nicht auf einmal, sondern, wie man aus der verschiedenen Schrift deutlich sehen kann, allmählig während der Cöthener Jahre angefertigt. Somit wird durch das Mendelssohnsche Autograph bestätigt, was auch aus andern Gründen wahrscheinlich erscheinen mußte, daß der Inhalt des »Orgelbüchleins« größeren Theils nicht in Cöthen componirt ist. Mindestens 26, wahrscheinlich aber 38 jener 46 Choräle sind hiernach in der vor-cöthenischen Zeit geschrieben.
Wir können noch weiter gehen. Mag das Mendelssohnsche Autograph auch in den letzten weimarischen Jahren entstanden sein, so trägt doch ein bedeutender Theil seines Inhalts unverkennbare Spuren an sich, daß er selbst in diesem Manuscript nichts als eine Abschrift noch älterer Werke ist. Ich habe Bd. I, S. 601, Anmerk. 55 darauf hingewiesen, und halte die Behauptung für unwiderleglich, daß der Choral des Orgelbüchleins »Komm, Gott Schöpfer heiliger Geist«, so wie er dort sich findet, nicht ursprünglich für dasselbe componirt gewesen sein kann. Genau genommen paßt er garnicht hinein; im Orgelbüchlein soll, wie Bach sagt, das »Pedal gantz obligat tractiret« werden, und davon geschieht hier ziemlich das Gegentheil. Dieses Stück ist als Einleitung zu einem größeren Orgelchoral gedacht worden, den wir ja auch noch besitzen. In dem ursprünglichen Zusammenhange erst erklären sich jene kurz gestoßenen, nur den Harmoniengang markirenden Pedaltöne: hernach sollte das Pedal den Cantus firmus übernehmen, und damit dies desto wirksamer geschehen könne, zeigt sich Bach anfänglich im Pedalgebrauch möglichst enthaltsam. Bevor also Bach das Fragment dieses Chorals in das Mendelssohnsche Autograph aufnahm, hat der größere Orgelchoral bereits existirt. Es ist ferner auffällig, daß, abgesehen von den beiden Ueberarbeitungen, die Choräle des Mendelssohnschen Autographs nur in geringfügigen Kleinigkeiten von denen des Cöthener abweichen. Die hauptsächlichsten Abweichungen sind: »Mit Fried und Freud«, T. 13, Alt, letztes Viertel:
( / ist der dritten Note noch ausdrücklich beigeschrieben); [988] »Herr Gott, nun schleuß den Himmel auf«, T. 21, Alt:
ebenda, Schlußtakt, Tenor, letztes Viertel:
»O Lamm Gottes unschuldig«, T. 6, Oberstimme:
»Hilf Gott, daß mirs gelinge«, letzter T. Pedal:
wo aber später auch das tiefe Fis hinzugeschrieben ist. Dagegen finden sich mancherlei Schreibfehler, und bei nicht wenigen Stücken sind aus Versehen Bindebögen, einzelne Noten, ja ganze Tonreihen ausgelassen. So fehlen in »In dir ist Freude«, T. 3 und 4 beide Unterstimmen; in »Herr Gott, nun schleuß« T. 1 die beiden letzten, T. 13 die zweite bis sechste Note im Pedal; in »O Mensch bewein« T. 8 die erste Takthälfte im Tenor, T. 10 die ersten drei Viertel im Pedal; in »Wir danken dir« T. 1 die erste Note im Tenor; auch in »Christ ist erstanden« und »Heut triumphiret Gottes Sohn« sind Auslassungen vorhanden; nur in diesem letzten Choral hat Bach später die Lücke ausgefüllt. Dergleichen passirt, glaube ich, keinem Componisten, der ein eben vollendetes Stück ins Reine schreibt, am wenigsten dann, wenn er sich, wie Bach hier gethan hat, in den Schriftzügen selbst der Sorgfalt befleißigt. Diese Choräle sind nicht eilfertig, sie sind etwas gedankenlos und mechanisch geschrieben, und das konnte Bach nur, wenn es sich um bloßes Copiren älterer längst abgeschlossener Stücke handelte. Wir werden daher nicht zuviel wagen, wenn wir die Choräle des Mendelssohnschen Autographs zum Theil schon in die früheren Jahre der weimarischen Periode zurückverlegen.
Seit dem Erscheinen des ersten Bandes, wo ich zum ersten Male die Ansicht aufstellte, daß, abgesehen von den Versuchen frühester Zeit, alle Orgelchoräle Bachs, nach Abzug des dritten Theils der »Clavierübung«, der sechs Schüblerschen Choräle und der Partiten über »Vom Himmel hoch«, für weimarische Erzeugnisse zu halten sein dürften, hat Rust B.-G. XXV2 das »Orgelbüchlein«, die 6 Schüblerschen und 18 andre, große Orgelchoräle herausgegeben. Im Vorwort vertritt er die entgegengesetzte Ansicht. Die Choräle des »Orgelbüchleins« will er unter Abrechnung von »Liebster Jesu, wir sind hier« in die Cöthener, die 18 großen Choräle in die Leipziger Periode setzen. Das Mendelssohnsche Autograph hat er nicht gekannt. Mit der Widerlegung der von mir im ersten Bande angeführten Gründe hat er es sich etwas leicht gemacht, indem er sie einfach ignorirte. Ich hebe hier nur einen Punkt nochmals hervor. Im Nekrolog (S. 163) wird gesagt, Bach habe in Weimar die meisten seiner Orgelstücke gesetzt. Für jeden, der Bachs Entwicklungsgang erkannt hat, ist es selbstverständlich, daß dieses im besondern [989] auch von den Orgelchorälen, ja von ihnen vor allem, gelten soll. Wir besitzen deren, außer den 3 frühen Partitenwerken, zwischen 120 und 130. Wenn die 46 (oder 45) Choräle des Orgelbüchleins, die 18 großen von Rust herausgegebenen, die 16 der Clavierübung, die 6 Schüblerschen, die 5 canonischen Stücke über »Vom Himmel hoch«, also rund 90 Stücke in Cöthen und Leipzig componirt sein sollen, und außerdem noch manche zuverlässig in die Arnstädter und Mühlhäuser Zeit fallen, was bleibt dann für Weimar übrig? Rusts Beweisführung ist nicht stichhaltig. Wenn er behauptet, die Waltherschen Handschriften seien jünger als das Cöthener Autograph, so weiß ich nicht, wie er diese Behauptung erhärten will. Walthers Handschrift – und sie würde den einzigen halbwegs sicheren Maßstab bieten – ist sich sein Leben hindurch sehr gleich geblieben; ich besitze ein umfangreiches Autograph desselben von 1708, in welchem sich die Hand schon ganz so zeigt, wie in seinen Choralsammlungen. Aber hätte Rust auch Recht, so würde dadurch doch keineswegs seine, aller kritischen Methode ins Gesicht schlagende, Behauptung begründet, daß die Waltherschen Handschriften deshalb nicht auf ältere Originalvorlagen zurückführen könnten. Walther benutzte thatsächlich für seine verschiedenen Choralsammlungen durchaus nicht immer neue Vorlagen, sondern liebte sich selbst auszuschreiben und brachte bei der Gelegenheit – was in Betreff abweichender Lesarten wohl zu beachten ist – auch eigenmächtige Veränderungen an (s. meine Ausgabe der Buxtehudeschen Orgelcompositionen. Band II, Kritischer Commentar, S. VIII f.). Der Hinweis auf die Orgel der lutherischen Kirche in Cöthen kann auch nichts entscheiden. Hätten die Choräle »Gottes Sohn ist kommen« und »In dulci jubilos« wirklich nur auf ihr gespielt werden können, so würde sich daraus auch nur ergeben, daß eben sie in Cöthen componirt sein müßten, und nichts würde hindern, alle übrigen dennoch nach Weimar zu verlegen. Aber die Voraussetzung ist falsch; die hohen Pedaltöne und konnten auf der weimarischen Schloßorgel mittelst des vierfüßigen Cornett-Basses sehr wohl herausgebracht werden. Die dem Choral »Gottes Sohn ist kommen« im Cöthener Autograph beigegebene Notiz »Ped. Tromp. 8 F.«. läßt höchstens schließen, daß Bach den Choral auf der Orgel der lutherischen Kirche gespielt hat; wenn er ihn in Weimar spielen wollte, mußte er nur anders registriren.
Auf ein drittes Beweismittel, das Rust anzuwenden versucht hat, muß ich nur etwas ausführlicher eingehen. Die Choralmelodien erfuhren, wie alle Volkslieder, bei ihrer Verbreitung allerhand kleine Abwandlungen, die sich dann im Gebrauch der Gemeinden festsetzten. So sang man z.B. eine und dieselbe Melodie in Nürnberg etwas anders, als in Leipzig oder Gotha oder Hamburg, und solche Verschiedenheiten werden auch zwischen andern Orten mehrfach bestanden haben. Rust nimmt nun an, Bach habe sich in seinen Orgelchorälen und kirchlichen Gesangwerken jedesmal streng an die Form der Choralmelodien gehalten, die an dem Orte, wo er das betreffende Stück componirte, gemeindeüblich war. Er stellt eine Reihe von Melodienformen auf, die wie er meint dem weimarischen [990] Gemeindegebrauch eigneten, und wenn er findet, daß die Choräle des Orgelbüchleins mit ihnen nicht ganz genau übereinstimmen, so schließt er daraus, daß das betreffende Orgelstück nicht in Weimar componirt sein könne. Das Mittel ist bei chronologischen Bestimmungen wohl brauchbar, wenn man es neben andern, durchschlagenderen zur Nachhülfe anwendet. Will man mit ihm allein etwas ausrichten, so erweist sich als eine unter den Händen zerbrechende Stütze. Hier nur einige Beispiele. Die Melodie »Komm heiliger Geist, Herre Gott« wird in übereinstimmender Form angewendet in der weimarischen Cantate »Wer mich liebet« und der leipzigischen Motette »Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf«. Diese Form stimmt nicht mit derjenigen, die, wie wir aus Vopelius' Gesangbuch und Vetters »Musicalischer Kirch- und Hauß-Ergötzlichkeit« schließen dürfen, im Leipziger Gemeindegesang üblich war. Der Choral »O Lamm Gottes unschuldig« steht bei Vopelius und Vetter anders, als er in der Matthäus-Passion erscheint. Die Melodie »Meinen Jesum laß ich nicht« tritt in anderer Form in der Matthäus-Passion auf, als in der ebenfalls in Leipzig geschriebenen Cantate »Mein liebster Jesus ist verloren« (1724). Eine von beiden Formen wird doch nur im Gemeindegebrauch gewesen sein; einmal wenigstens hätte sich also Bach an denselben nicht gekehrt. »Helft mir Gotts Güte preisen« existirt in zwei Formen, die nicht unerheblich von einander abweichen. Beide kommen in Leipziger Cantaten vor, die eine in »Herr Gott dich loben wir«, die andere in »Herr, wie du willt«. Ja, der Schlußchoral des Himmelfahrts-Oratoriums zeigt gar noch eine dritte Form, und endlich bietet Vetter eine vierte. »Jesu meine Freude« kommt in den leipzigschen Cantaten »Jesus schläft, was soll ich hoffen«, »Sehet, welch eine Liebe«, »Bisher habt ihr nichts gebeten« vor und in jeder mit etwas abweichender Melodieführung; eine vierte Form bietet noch, durch eine Abwandlung der letzten Zeile, die zweite Strophe des Chorals in der gleichnamigen Motette. Wo bleibt solchen Erscheinungen gegenüber, deren Zahl ich leicht noch bedeutend vermehren könnte, die Rücksicht auf die gemeindeübliche Melodie?
Rusts Annahme beruht meines Erachtens auf einer falschen Ansicht von Bachs Stellung zum Gemeindegesange. Ueberall erkennt der Meister in ihm den Mittelpunkt seines kirchlichen Schaffens, aber mit einer gewissen protestantischen Freiheit tritt er ihm dennoch gegenüber. Wenn er sich im Ganzen durch ihn gebunden erachtet, so muß dafür in Einzelwendungen sich der Choral seinem subjectiven Bedürfniß fügen. Regel ist nur bei Bach, eine Choralmelodie in der Form, wie er sie für eine Com-position einmal einführt, während derselben auch festzuhalten. Von dieser Regel macht er äußerst selten eine Ausnahme. Uebrigens aber verfährt er bei der Auswahl dieser oder jener Melodieform nach seinem künstlerischen Ermessen. Dies erachtet er für sein gutes Recht; ebenso legt er Liedstrophen, deren Melodien allbekannt sind, dennoch andern Melodien unter und paßt sie ihrem Bau an; das Weihnachts-Oratorium giebt hierzu Beispiele.
Auf weitere Einzelheiten der Rustschen Argumentation einzugehen [991] ist unnöthig; seine Schlüsse werden hinfällig, sobald es deren Voraussetzungen sind. Warum mir aber diese so erscheinen müssen, ist aus Obigem klar.
I, 822. Eine Familie Dobenecker existirte zu Bachs Zeit in Leipzig. Ein Sohn des Handelsmanns Christian Dobenecker, Christian Friedrich ging 1728 zur Universität und weilte auch 1735 noch am Orte. Uebrigens vergleiche man, was Kuhnau im »Musicalischen Quacksalber« S. 163 sagt: »er hatte eben so viel bey der Sache gethan, als etliche Dorff-Schulmeister, welche unter alle ihre musicalischen geschriebenen Sachen, ihre Namen unterzeichnen, darum weil sie solche abgeschrieben haben«.
I, 826. Das zweite »Autograph« der Solo-Violin-Sonaten und -Partien ist keines, sondern von Anna Magdalena Bach geschrieben ausschließlich des Titels und einiger Aufschriften, welche eine fremde Hand zeigen. Sebastian hat, wie mir scheint, nur einzelnes in der C dur-Sonate selber geschrieben.
I, 832. Das Wort Bifaria könnte auch nur ein verschriebenes Bizzarria (Fantasterei) sein; diese Bezeichnung wurde, wie Walther in seiner Musiklehre von 1708 angiebt, in jener Zeit für Musikstücke zuweilen angewandt.
I, 835. Im November 1873 wurde mir die Wiener »Deutsche Zeitung« vom 12. Febr. 1873 zugeschickt, in welcher Herr Franz Gehring bereits auf die Uebereinstimmung des Stils von »Willst du dein Herz mir schenken« und der durch Ernst Otto Lindner veröffentlichten Lieder Giovanninis hinweist.
I, 836. Seit dem Erscheinen des ersten Bandes habe ich auch das Wagenersche Autograph der Suiten kennen gelernt, welches von den sogenannten französischen viere enthält: D moll, C moll, H moll, Es dur, außerdem die beiden jetzt separat existirenden aus A moll und Es dur. Ob es durchaus von Bach geschrieben ist, möchte ich bezweifeln. Gewiß scheint mir aber, daß es älter ist, als die Niederschriften in Anna Magdalenas Clavierbüchlein.
Zu II, S. 243. Ich habe hier nachzutragen, daß neben dem Text der Michaelis-Cantate noch ein anderer in der »Sammlung erbaulicher Gedancken« versteckt liegt. Allerdings so tief versteckt, daß er von mir trotz vielfachen aufmerksamen Lesens der Gedichtsammlung lange nicht bemerkt und endlich, leider zu spät, gefunden ist, als daß von der Entdeckung noch im Context Gebrauch gemacht werden konnte. Es handelt sich um die Cantate auf den 17. Trinitatis-Sonntag »Bringet her dem Herrn Ehre seines Namens«. Hier zunächst der von Bach componirte Text.
[992] Chor.
Bringet her dem Herrn Ehre seines Namens. Betet an
den Herrn im heiligen Schmuck (Ps. 96, 8. u. 9).
Tenor-Arie.
Ich eile die Lehre des Lebens zu hören,
Und suche mit Freuden das heilige Haus.
Wir rufen so schöne
Das frohe Getöne
Zum Lobe des Höchsten die Seligen aus.
Alt-Recitativ.
So wie der Hirsch nach frischem Wasser schreit,
So schrei ich Gott zu dir.
Denn alle meine Ruh
Ist niemand außer du.
Wie heilig und wie theuer
Ist höchster deine Sabbathsfeier!
Da preis ich deine Macht
In der Gemeine der Gerechten.
O, wenn die Kinder dieser Nacht
Die Lieblichkeit bedächten,
Denn Gott wohnt selbst in mir.
Alt-Arie.
Mund und Herze steht dir offen,
Höchster senke dich hinein.
Ich in dich und du in mich,
Glaube, Liebe, Duldung, Hoffen
Soll mein Ruhebette sein.
Tenor-Recitativ.
Bleib auch mein Gott in mir
Und gieb mir deinen Geist,
Der mich nach deinem Wort regiere,
Daß ich so einen Wandel führe,
Der dir gefällig heißt,
Damit ich nach der Zeit
In deiner Herrlichkeit,
Mein lieber Gott, mit dir
Den großen Sabbath möge halten.
Choral (vermuthlich):
Führ auch mein Herz und Sinn
Durch deinen Geist dahin,
Daß ich mög alles meiden,
Was mich und dich kann scheiden,
Und ich an deinem Leibe
Ein Gliedmaß ewig bleibe.
Das strophische Gedicht Picanders zum 17. Trinitatis-Sonntage lautet so:
1.
WEg, ihr irrdischen Geschäffte,
Ich hab ietzt was anders für,
Alle meiner Seelen Kräffte
Sind, mein JEsu, bloß bey dir.
Alles dichten alles dencken,
Soll sich ietzt zum Himmel lencken,
Denn in meines Hertzens Schrein
Soll des Höchsten Ruhe seyn.
2.
Eilet, ihr behenden Füsse,
Stellet euch im Tempel ein,
Ach! wie lieblich, ach! wie süße
Soll mir GOttes Stimme seyn,
Rede HErr, dein Knecht will hören,
Weil ihm deine Lebens-Lehren
[993] Mehr als Gold und Silber sind,
Und dich dadurch lieb gewinnt.
3.
Wie ein Hirsch aus dürrer Höhle
Nach dem frischen Wassern schreyt,
Ach! so dürstet meine Seele,
GOtt, nach deiner Lieblichkeit.
Denn mein hertzliches Verlangen
Ist allein, dich zu empfangen,
Mein Vergnügen meine Ruh,
Ist sonst niemand außer du.
4.
HErr, mein Hertze steht dir offen,
Ach! so sencke dich hinein.
Lieben, gläuben, dulden, hoffen,
Soll dein Ruhe-Bette seyn.
Weder Leben, Sterben, Leiden,
Soll uns von einander scheiden,
Weil ich nach dem Geist und Sinn,
In dir eingewurtzelt bin.
5.
Oeffne mir auch deine Wunden,
O! du Felßen meiner Ruh,
Denn da bring ich meine Stunden
Ewig in Entzückung zu.
Da da werd ich alles haben,
Was mich kan unendlich laben,
Wonne hab ich nur an dir,
Wie ich will, so bist du mir.
6.
Reinige mein Hertz und Willen,
Leer es aus von aller Welt.
Laß es mit den Güthern füllen,
Die im Himmel mir bestellt,
Biß ich endlich nach dem Leiden
Mich in deinem Schooße weiden,
Und den besten Ruhe-Tag
Bey dir selber halten mag.
Daß der Cantaten-Text abzüglich des Bibelspruches und des Chorals in diesem Gedichte steckt, sieht man aus der Vergleichung. Eine ganze Strophe, wie in der Michaelis-Cantate, ist hier zwar nicht herüber genommen. Doch kehren viele Zeilen wörtlich oder fast wörtlich wieder. Ganz besonderes Gewicht aber muß auf die Uebereinstimmung des Inhalts im allgemeinen gelegt werden. Im Cantaten-Text wie im Strophenlied wird der Empfindung der Freude an Gottes Haus und Wort Ausdruck gegeben. Das Sonntags-Evangelium bietet hierzu genau genommen gar keine Veranlassung. Nur in einem Theil desselben kommt die Sabbathfeier überhaupt in Frage, und hier thut Jesus etwas, das eigentlich gegen [994] die Heiligkeit des Sabbaths verstieß. Wie konnte jemand darauf gerathen, für diesen Sonntag einen solchen Cantatentext zu verfassen? Mit Hinblick auf die Quelle desselben läßt sich die Frage leicht beantworten. In den »Erbaulichen Gedancken« ist das Strophenlied nur die Fortsetzung einer langen gereimten Auseinandersetzung in Alexandrinern, welche in Picanders satirischer Weise die nichtigen und unwürdigen Beschäftigungen geißelt, mit denen die große Menge den Sonntag hinbringt. Von da wendet sich der Dichter zu der ernsten Aufforderung, den Tag des Herrn nach seinem Gebote heilig zu halten, und nun folgt endlich als lyrisches Resultat das Strophenlied. Nur also weil Picander den Inhalt seiner Alexandriner noch im Sinne hatte, konnte der Cantatentext so ausfallen, denn ohne jene wird er in einer Hauptsache, in seiner Beziehung zum Sonntage, unverständlich. Daraus geht aber unzweifelhaft hervor, daß Cantatentext und Strophenlied in derselben Zeit entstanden sein müssen, eine Annahme, die schon bei der Michaelis-Cantate ausgesprochen ist und hierdurch eine nachdrückliche Bestätigung erhält. Die Cantate »Bringet her dem Herrn« wird also zum 23. September 1725 componirt sein, und bildet daher mit der Michaelis-Cantate, welche am 29. September desselben Jahres zur ersten Aufführung kam, ein engverbundenes Paar. In musikalischer Hinsicht ist sie zwar nicht so großartig wie jene, aber doch von so hohem Werthe, daß sie sich voll neben ihr behauptet. Der erste Chor ist besonders schwungvoll und volksthümlich kräftig, eine wirksame Mischung von homophonen Partien und Fugensätzen über prägnante Themen. Die von drei Oboen und Generalbass begleitete Alt-Arie athmet in Substanz und Klang die echteste freudig-feierliche Sonntagsstimmung des Kirchgängers. – Ein Autograph fehlt, indessen bietet eine Handschrift Harrers, des Nachfolgers Bachs im Cantorate, einen ziemlich befriedigenden Ersatz. Sie ist auf der königlichen Bibliothek zu Berlin. Der Text des Chorals ist nicht angegeben. Erk (Choralgesänge Nr. 13) vermuthet die sechste Strophe von »Auf meinen lieben Gott«. Mir scheint die letzte Strophe von »Wo soll ich fliehen hin« dem Gange der Dichtung gemäßer.
II, 556. Die Originalstimmen der Cantate »Es wartet alles auf dich«, welche Herr Professor Rudorff besitzt, zeigen, wie ich leider zu spät bemerkte, das unter Nr. 38 des Anhanges A, am Anfang, beschriebene Wasserzeichen. Darnach würde die Cantate auf den 27. Juli 1732 zu setzen sein, und hätte an der betreffenden Stelle des fünften Buchs besprochen werden müssen.
II, 91, Zeile 6 von unten 1. »Bekränkung«; 248, letzte Zeile von unten 1. »1734«; 324, erste Zeile von oben ist hinter »Ulrich« das Wort »König« ausgefallen; 342, Zeile 7 von oben 1. »Sopran-Arie«.
Einige geringere Satzversehen wird der Leser ohne besonderen Hinweis selbst verbessern.
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